29 May 2017

Neues vom Glossator I: Wozu Glossatoren?

Seit einiger Zeit kommentiere ich auf Facebook, jeden Morgen. Warum? Ich bin Jurist, ich muss das tun. Die Welt ist im Fall, also muss man kommentieren.

Ich bin nicht allein. Alle kommentieren, zumindest alle, die auf Facebook sind. Dies und das und das auch noch. ‘Nimm das’. ‘Willst Du damit sagen, dass ich ein Idiot bin?’ – das sind typische Satzgesten in dieser Welt. Der Kommentar ist von Schlamm durchsetzt und die SPD hat ein Gesetz entworfen, damit sich die Netzwerke gegen den Schlamm durchsetzen. Oder damit sich das Gesetz gegen die Netzwerke durchsetzt. Oder damit sich das Gesetz vernetzt. Darum wird gerade gestritten, auch in Kommentaren auf Facebook.

Es gibt politische Bewegungen, die scheinen aus dem Geist des Kommentierens geboren worden zu sein. Warum zum Beispiel wird bei einer Partei, die die Alternative im Titel trägt (wie einst der Alternativkommentar), dauernd darum gestritten, wer eigentlich was gesagt hat und wie man es in Wirklichkeit verstehen musste? Schießbefehl? Juden? Schandmal? Das ist kommentiert und wird kommentiert. Die Welt ist aus den Fugen und der Kommentar ist ein Text mit Fugen. Kommentare sind nicht monographisch, sie sind stereographisch. Das gibt es schon mal Krach.

So habe ich mir das nicht gedacht, ich wollte doch kommentieren. Die Dinge sind nicht mehr das, was sie mal waren und sie sind jetzt das, was sie früher nicht waren. Früher war Kommentieren eine juristische Praxis. Sie hat Recht erklärt und damit Recht reproduziert. Heute ist Kommentieren eine juridische Praxis. Sie sieht dem Recht ähnlich, macht etwas wie das Recht. Vielleicht reproduziert sie auch damit noch Recht. Aber es ist so ordinär und gemein. Regressiv, repressiv, hyperaktiv und manisch, eine narzisstische Spiegelung – das alles sagt zu Beispiel Ino Augsberg über die Welt der blökenden Kommentare. Klingt so, als seien die Kommentare ‚glossy‘, aber eben nur ‚glossy‘.

Wir leben in einer übertragenen Welt. Die “Glossa ordinatoria” wurde darin nicht nur die “gewöhnliche Glosse”, sie wurde auch zum “ordinary gloss”. Als ich diese Glosse auf Facebook ankündigte, kommentierte gleich mein Freund Peter Hunold, man sollte die Kolumne doch “Geschichten aus der Glosse” nennen. Immer dieser Kommentare! Sie vernetzen das Sprechen. Sie durchsetzen es. Sie zeigen einem dauernd, das man sagt, was man nicht sagen wollte und dass man nicht sagt, was man sagen will. Kommentare im Netzwerk zeigen immer wieder, wie zensiert das eigenen Sprechen und wie verfasst die eigenen Texte schon sind, bevor man anfängt sie zu schreiben. Das Juristische und das Juridische stellt uns nach, wir stellen es nach. Das ist die Mimesis des Rechts.

In der „deutschen Rechtskultur“, schreibt Andreas Funke, „haben Kommentare eine zentrale Stellung.“ Die haben sie, aber nicht nur die. Sie stehen auch am Rande. Der Kommentar „ist wissenschaftlich“, schreibt Funke. Das ist er, aber nicht nur das. Der Kommentar schafft auch mit anderen Mitteln Wissen, mit Mitteln, die er nicht begreift. Welcher Kommentar hat zuletzt ein Gesetz zum Kommentar kommentiert? Der Kommentar schafft Wissen, ob mit oder ohne Wissenschaft, ob mit oder ohne Gesetz – vor allem aber, ohne diese Frage zu klären. Er liefert Theorie, aber nicht nur das. Er ist auch praktisch, eben weil er mit stummen Routinen läuft und nicht alles erklären muss, was er voraussetzt. Das ist, noch vor jeder Lösung, praktisch. Das Praktische ist in diesem Sinne die Technik selbst – und das, wo sie doch eine technische Sprache tragen muss. Kommentare funken. Sie übertragen das Recht.

Die Zeit, in der ein Funke noch ein Funke, Kommentare noch Kommentare, das Ordinäre noch ordinär war, in der eine Glosse noch eine Glosse und ‘gloss’ ‘gloss’ war, die ist vergangen. Ist die Welt eindeutiger geworden, oder zweideutiger? Offensichtlich ist sie nicht erledigt, immerhin kommentieren wir noch, so oder so. Die Aktualität des Kommentierens wiederum geht in seiner Präsenz nicht auf – etwas Vergangenes ragt hinein. Früher gab es schon Grenzen. Heute gibt es sie noch. Um ihre Verstellungen dreht sich die Tätigkeit des Glossators. Sie dreht sich darum, die Innenseite des Rechts mit seiner Außenseite zu verhäkeln. Das Gesetz darf nicht übertreten werden, es muss überschritten werden. Das ist der Alltag, und dem gilt das Interesse des Glossators.

Als Glossator muss man sich mit dem Recht beschäftigen und mit dem, was ihm ähnlich sieht. Man muss das Recht und seine Reproduktion im Auge haben. Man muss das Juristische und das Juridische im Blick haben. Nicht unbedingt, aber bestimmt dann, wenn man in Netzwerken unterwegs ist und die Sprache durchsetzt ist.


SUGGESTED CITATION  Steinhauer, Fabian: Neues vom Glossator I: Wozu Glossatoren?, VerfBlog, 2017/5/29, https://verfassungsblog.de/neues-vom-glossator-i-wozu-glossatoren/, DOI: 10.17176/20170601-185833.

2 Comments

  1. Bernd Lauert Mon 29 May 2017 at 16:55 - Reply

    “Es gibt politische Bewegungen, die scheinen aus dem Geist des Kommentierens geboren worden zu sein. Warum zum Beispiel wird bei einer Partei, die die Alternative im Titel trägt (wie einst der Alternativkommentar), dauernd darum gestritten, wer eigentlich was gesagt hat und wie man es in Wirklichkeit verstehen musste? Schießbefehl? Juden? Schandmal? ”

    Ich erkläre es Ihnen gerne: wenn man andauernd (egal ob aus Absicht oder mangelnder Fähigkeit) falsch, ungenau oder selektiv wiedergegeben wird, dann muss man eben in gleicher Häufigkeit richtig stellen. Der Streit kommt also weniger aus der Partei, sondern wird von außen an sie herangetragen.

  2. Fabian Steinhauer Mon 29 May 2017 at 21:13 - Reply

    Vielen Dank für die Erklärung. Ich glaube sie nur nicht.

    Aber wenn es in der Partei selbst keinen Streit gibt und nur die Anderen und Parteifremden schuld daran sind, ist das natürlich umso schöner für die Partei. Nicht so schön für den Streit – aber der kann ja dann woanders stattfinden,

    herzliche Grüße FS

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