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15 May 2014

Streitigkeiten über gemeinwohlorientierte Regulierung von Investoren gehören im demokratischen Rechtsstaat vor die nationalen Gerichte

Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass gegenüber den USA ein Investitionsschutzkapitel und Investor­-Staat­-Schiedsverfahren nicht benötigt werden, weil beide Seiten ausreichenden Schutz für Investitionen vor den nationalen Gerichten gewährleisten. Ich halte wie Isabel Feichtner diese Position für begrüßenswert und richtungsweisend. Wie die rasant zunehmende Kritik an der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit offengelegt hat, greift dieses für das Völkerrecht untypische System immer tiefer in die Regulierungsprärogative der Gaststaaten von Investitionen ein. Wenn jede Form der demokratischen Regulierung des Investitionsumfeldes zu einem potenziellen Haushaltsrisiko für den Gaststaat wird, weil er befürchten muss, von einem Investor vor einem privaten ad-hoc-Schiedsgericht auf Entschädigung verklagt zu werden, wirft dies fundamentale Fragen der demokratischen Selbstbestimmung und der innerstaatlichen Gewaltenteilung auf (zum deutschen Verfassungsrecht Flessner). Deswegen der immer lautere Ruf nach einem „right to regulate“ des Gaststaates, nach neu austarierten bilateralen Investitionsschutzverträgen und nach Begrenzungen und Kontrollen (Berufungsinstanz) der Auslegungs- und Entscheidungshoheit der Schiedsgerichte. Das über mehr als 3000 bilaterale Verträge inzwischen weltweit etablierte System der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit geht über das ohne Zweifel berechtigte Anliegen von Investoren, wirkungsvoll gegen willkürliche Enteignungen geschützt zu werden, inzwischen weit hinaus. Ist die Schraube überdreht worden? Es ist lohnenswert, sich noch einmal vor Augen zu führen, wie diese Konfliktlage zwischen Investitionsschutz und demokratischer Selbstbestimmung überhaupt entstehen konnte.

Alternative Streitbeilegung ersetzt nationale Gerichte

Im Normalfall wenden sich betroffene Individuen und Unternehmen bei öffentlicher Regulierung, durch die sie aus ihrer Sicht übermäßige Nachteile erleiden, an die staatlichen Gerichte. Hier findet in öffentlichen und transparenten Verfahren eine Überprüfung der Vereinbarkeit der staatlichen Maßnahmen an den nationalen Gesetzen bzw. an Grundrechten statt. Hier können Kläger und auch der Staat als Beklagter die Entscheidungen des zuständigen staatlichen Gerichtes in weiteren Berufungsinstanzen überprüfen lassen. Für die Unabhängigkeit des Gerichts gibt es im Rechtsstaat verfassungsrechtlich verankerte Absicherungen. Vor allem im Bereich des Privatrechts dagegen wird in vielen Rechtssystemen der Rückgriff auf alternative Streitbeilegungsformen eröffnet. In der privaten Handelsschiedsgerichtsbarkeit können sich zwei Unternehmen darauf einigen, Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis einem Schiedsgericht vorzulegen, auf dessen Zusammensetzung sie Einfluss nehmen können. Die Schiedsrichter sind häufig Rechtsanwälte oder den Parteien nahestehende Experten aus dem internationalen Handelssystem selbst. Ein zentrales Argument für die Zulassung von privater Schiedsgerichtsbarkeit ist die bei den Schiedsrichtern angenommene besondere Kenntnis der Handelsbräuche, die zu sachgerechten Schiedssprüchen führen soll. Hinzu kommt die Vertraulichkeit des Verfahrens, die viele Unternehmen wegen möglicher Reputationsschäden besonders schätzen. Was macht nun die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit? Sie verbindet dieses etablierte System der privaten Handelsschiedsgerichtsbarkeit mit dem Anliegen des Schutzes von ausländischen Investoren gegenüber dem Staat, und damit mit einer genuin öffentlich-rechtlichen Materie (zu öffentlich-rechtlichen Natur der Streitigkeit grundlegend Gus Van Harten, Investment Treaty Arbitration and Public Law, Oxford 2006, pp. 45-71). Investoren können statt vor den staatlichen Gerichten nun vor Schiedsgerichten gegen öffentlich-rechtliche Regulierung vorgehen.

Das Spezifikum der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit

Zunächst einmal bricht die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit als solche mit der gängigen Systemlogik sowohl der Handelsschiedsgerichtsbarkeit als auch derjenigen des staatlichen Gerichtssystems. Anders als in der privaten Handelsschiedsgerichtbarkeit gibt es bei Investitionsstreitfällen keine gleichgeordneten Akteure, sondern eine vertikale Beziehung zwischen Unternehmen und Staat. Zudem besteht die Klagemöglichkeit grundsätzlich nur einseitig, d.h. nur das Unternehmen kann gegen Maßnahmen des Staats gerichtlich vorgehen. Außerdem gewährt der Staat die Klagemöglichkeit prospektiv für eine grundsätzlich unbegrenzte Anzahl von Rechtsstreitigkeiten und nicht wie sonst in der Schiedsgerichtsbarkeit nur in Bezug auf einen bestimmbaren Vertragspartner. Aber auch von der staatlichen Gerichtsbarkeit unterscheidet sich dieses System grundlegend. In der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit haben die Streitparteien Einfluss auf die Auswahl der Schiedsrichter, die häufig aus dem System der Handelsschiedsgerichtsbarkeit kommen.

Dies wäre im staatlichen Gerichtssystem undenkbar und verfassungsrechtlich ausgeschlossen. Obwohl es zumindest potenziell um Fragen der öffentlich-rechtlichen Regulierung geht, kommen also keine ausgebildeten Verwaltungsrichterinnen zum Zuge, sondern oft industrienah arbeitende Rechtsanwälte mit wirtschaftsrechtlichem Hintergrund. Es gibt keinen Instanzenzug und keine verfassungsrechtlichen Absicherungen der richterlichen Unabhängigkeit. Wenn der Staat in der einzigen Instanz unterliegt, muss er zahlen und zwar ggf. mehrere hunderte Millionen Dollar als Entschädigung, einschließlich entgangener Gewinne des Investors. Viele Schiedssprüche sind in der wissenschaftlichen Literatur auf vehemente Kritik gestoßen. Insider kritisieren insbesondere, dass den Schiedsrichtern oft das Verständnis für die betroffenen öffentlich-rechtlichen Regelungsmaterien fehlt. Niemand geringeres als die Völkerrechtsikone Georges Abi-Saab vom Graduate Institute in Genf bezeichnete in einer abweichenden Meinung die Mehrheitsmeinung der Schiedsrichter in einem Schiedsverfahren als „a legal comedy of errors“ und „travesty of justice“ (Dissenting Opinion Georges Abi-Saab, ConocoPhillips Petrozuata B.V., ConocoPhillips Hamaca B.V. and ConocoPhillips Gulf of Paria B.V. v. Bolivarian Republic of VenezuelaICSID Case No. ARB/07/30, para 67) .

Insgesamt handelt es sich bei der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit um eine spezifische Form der Gerichtsbarkeit, die — obwohl öffentlich-rechtlich und vertikal von in ihrer Natur und den Streitgegenständen her — die Form der alternativen Streitbeilegung aus der horizontal-reziproken Handelsschiedsgerichtsbarkeit übernimmt. Damit unterscheidet sie sich auch fundamental von allen anderen Streitbeilegungsformen, die sonst im Völkerrecht bekannt sind (zum Vergleich mit dem WTO-Recht Feichtner). Denn diese operieren entweder auf der Ebene der formalen horizontalen Gleichordnung (wie die Staat-Staat Schiedsgerichtsbarkeit) oder setzten wie im Menschenrechtsbereich voraus, dass vor einer Beschwerdemöglichkeit auf internationaler Ebene der nationale Rechtsweg durch alle Instanzen beschritten werden muss (exhaustion of local remedies rule). Dieses Erfordernis gilt für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit grundsätzlich nicht.

Was macht dieses Spezifikum der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit problematisch?

Zunächst ergibt sich aus meiner Sicht allein aus dieser Sonderstellung der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, die mit einer völkerrechtlich präzedenzlosen Durchsetzungskraft von Interessen ausländischer Investoren einhergeht, kein besonderer „Artenschutz“, wie Christian Tams in seinem Beitrag nahelegt. Trotz aller intuitiv geteilten Begeisterung des Völkerrechtlers für effektives Völkerrecht: besondere völkerrechtliche Privilegien einzelner Akteure werfen dann doch immer auch die Frage nach der rechtspolitischen Rechtfertigung derselben auf. Wie kann also eine derartige verfahrensmäßige Privilegierung einer bestimmten Gruppe von ökonomischen Akteuren, wie wir sie in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit vorfinden, rechtspolitisch gerechtfertigt werden? Wohl ausschließlich durch Situationen einer besonders hohen Schutzbedürftigkeit von Investoren im Ausland. Eine solche kann z.B. vorliegen, wenn der ausländische Investor durch den Gaststaat aus Angst vor unliebsamer ausländischer Konkurrenz enteignet oder gezielt diskriminiert und aus dem Markt gedrängt wird, ohne dass er die Möglichkeit hat, sich vor den nationalen Gerichten des Gaststaates dagegen zur Wehr zu setzen. Nur in diesen Fällen ist es meines Erachtens gerechtfertigt, dass die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit an die Stelle des nationalen Gerichtssystems als effektives Rechtsschutzverfahren gegen staatliche Enteignungen tritt. Damit sollten Streitigkeiten über gemeinwohlorientierte Regulierung nur dann durch Schiedsgerichte entschieden werden können, wenn es auf nationaler Ebene keine Rechtsschutzmöglichkeiten vor den sachnäheren staatlichen Gerichten gibt. Dies ist in Europa und den USA ohne Zweifel nicht der Fall. Selbst wenn der Schutz für die inländischen Konzerne über den der ausländischen im Einzelfall hinausgehen mag, wie Stephan Schill anführt, kann von massiven Rechtsschutzlücken für ausländische Investoren in den TTIP-Staaten sicherlich nicht gesprochen werden (zur ökonomischen Interessenlage Stoll). Was nicht-westliche Staaten anbetrifft, ist eine differenzierte Betrachtung notwendig. Diesen Staaten pauschal abzusprechen, dass sie über nationale Gerichte angemessenen Rechtsschutz für ausländische Investoren bereitstellen, wäre falsch. Solche Unterstellungen evozieren im Übrigen auf beunruhigende Weise die längst überwunden geglaubte Leitunterscheidung der europäischen Völkerrechtsdoktrin des 19. Jahrhunderts zwischen den sog. „zivilisierten“ und „nicht-zivilisierten“ Staaten als zentrales Rechtfertigungsnarrativ der europäischen kolonialen Expansion.

Ein weiteres in mehreren der Symposiumsbeiträge angesprochenes Problem kommt verschärfend hinzu. Seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden die materiellen Schutzstandards in bilateralen Investitionsschutzverträgen immer weiter ausgebaut. Das Vertragsrecht geht hier inzwischen weit über den klassischen gewohnheitsrechtlichen Schutzstandard für den fremden Investor hinaus. Beispielsweise über den extrem weiten vertraglichen Standard des „fair and equitable treatment“, über Meistbegünstigungsgarantien und über sogenannte „umbrella-clauses“ kann zumindest potenziell jede sich nachteilig auf die Erwerbsmöglichkeiten des Investors auswirkende staatliche Regulierungsmaßnahme zu immens kostspieligen Verfahren vor den Schiedsgerichten führen. Wenn der Staat im Verfahren unterliegt, tragen am Ende die Steuerzahler die Anwalts- und Verfahrenskosten sowie die z.T. exorbitant hohen Entschädigungssummen. Insbesondere für Länder der Dritten Welt wird damit jeder Prozess zu einen unkalkulierbaren finanziellen Risiko und führt häufig dazu, dass z.B. umweltrechtlich oder sozial dringend notwendige Gesetzgebung von vorneherein unterbleibt. Demokratische Selbstbestimmung wird zu einer Frage des Preises. Zu Recht wird in diesem Zusammenhang vom sog. „chilling effect“ des internationalen Investitionsschutzrechtes auf berechtigte und zum Teil auch völkerrechtliche gebotene nationale Regulierungsanstrengungen (Menschenrechte/ILO-Standards etc.) gesprochen.

Die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit hat eine wichtige Funktion bei willkürlichen Enteignungen von ausländischen Investoren, wenn diesen kein Rechtsschutz vor nationalen Gerichten gewährt wird (denial of justice). Die derzeit weltweit diskutierte und zum Teil auch schon praktizierte Entfernung von weitergehenden und unbestimmten Schutzklauseln aus dem Völkervertragsrecht des Investorschutzes erscheint dringend geboten. Zumindest sollte auch für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit die allgemeine Regel gelten, dass grundsätzlich immer zuerst der nationale Rechtsweg zu beschreiten ist (hierzu Tams). Mit einem solchen reduzierten Verständnis von Investitionsschiedsgerichtsbarkeit besteht auch keine Notwendigkeit, Investitionsschiedsgerichte im Wege von Konstitutionalisierungsprozessen (vorgeschlagen von Schill) zu Ersatz- bzw. Super-Verfassungsgerichten umzubauen. Im Zweifel also für die Zuständigkeit der „echten“ Verfassungsgerichte.

 

 

 

 

 


SUGGESTED CITATION  von Bernstorff, Jochen: Streitigkeiten über gemeinwohlorientierte Regulierung von Investoren gehören im demokratischen Rechtsstaat vor die nationalen Gerichte, VerfBlog, 2014/5/15, https://verfassungsblog.de/streitigkeiten-ueber-gemeinwohlorientierte-regulierung-von-investoren-gehoeren-im-demokratischen-rechtsstaat-vor-die-nationalen-gerichte-2/, DOI: 10.17176/20181005-164013-0.

2 Comments

  1. […] genügen, so lässt sich die geäußerte Kritik umso weniger von der Hand weisen (hierzu Von Bernstorff, Feichtner, Fernandez-Armesto und Hindelang, anderer Ansicht wohl Schill und […]

  2. […] für Investitionen verstärken. Andererseits handelt es sich bei den TTIP-Staaten – wie z.B. von Bernstorff betont – um Rechtsstaaten, d.h. es kann zumindest angenommen werden, dass nationale […]

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