07 November 2013

Asylschutz gilt auch (und gerade!) für offen auftretende Homosexuelle

Ein Leben als Closet Gay ist keine Fluchtalternative. Wer in seinem Land nicht homosexuell sein darf, ohne Gefängnis oder Schlimmeres befürchten zu müssen, hat in der EU ein Anrecht auf Schutz. Für die Idee, Flüchtlingen nahe zu legen, Verfolgung durch entsprechend diskretes Verhalten zu vermeiden, gibt es im Europarecht keinen Anhaltspunkt.

Das hat der Europäische Gerichtshof heute entschieden und damit erneut bewiesen, dass das Asylrecht bei ihm in besseren Händen ist als bei manchem bayerischen Verwaltungsgericht.

Der Fall kommt aus den Niederlanden und betrifft drei homosexuelle Männer aus Senegal, Uganda und Sierra Leone – alles Länder, wo Homosexualität mit jahre-, im Fall Ugandas sogar mit lebenslanger Haft bestraft wird (in Uganda wird seit Jahren versucht, die Todesstrafe für Homosexualität durchzusetzen). Der Staatsrat hatte dem EuGH zunächst die Frage vorgelegt, ob Homosexuelle eine soziale Gruppe sein können, deren generelle Verfolgung vor Abschiebung schützt, selbst wenn einem selbst noch gar nichts passiert ist. Der EuGH hat diese Frage umstandslos bejaht.

Interessanter sind die zweite und die dritte Vorlagefrage. Ist die bloße Strafbarkeit von Homosexualität schon eine Gruppenverfolgung? Und wenn ja, kann man von Homosexuellen erwarten, der Verfolgung dadurch zu entgehen, dass sie ihre sexuelle Neigung geheimhalten und/oder nicht praktizieren?

Zur zweiten Vorlagefrage sagt der EuGH, dass es zunächst nicht genügt, wenn die Strafbarkeit der Homosexualität nur dem Gesetzbuch nach besteht (Quizfrage dazu: Wann wurde in Deutschland diese Strafbarkeit endgültig abgeschafft? Antwort: 1994). Wenn aber tatsächlich Freiheitsstrafen drohen und auch verhängt werden, dann seien diese Strafen nach dem Maßstab der EMRK und der Grundrechtecharta unverhältnismäßig und diskriminierend, und eine solche Strafe zu riskieren, sei den zuständigen Behörden für die Asyl-Entscheidung nicht erlaubt.

Aber was, wenn der Flüchtling dieses Risiko dadurch minimieren könnte, dass er dafür sorgt, dass niemand an seinem Verhalten Anstoß nimmt? Auf diese hübsche Idee kommen offenbar immer wieder mal Gerichte, die nach Argumenten suchen, den Schutzanspruch zurückzuweisen.

Die entsprechende Frage zum religiösen Glauben hatte der EuGH schon im September 2012 zu beantworten, und auf dieser Entscheidung baut das heutige Urteil auf. Wer aus Glaubensgründen verfolgt wird, so der EuGH damals, genieße Asyl auch dann, wenn man die Verfolgung hätte vermeiden können, indem man seinen Glauben nicht nach außen trägt.

So auch hier. Es komme nicht darauf an, was man als Homosexueller tut oder wie man seine Homosexualität ausdrückt, sondern ob man der verfolgten sozialen Gruppe der Homosexuellen angehört oder nicht. Dieser Gruppe Schutz zu gewähren, aber ihren Mitgliedern gleichzeitig abzuverlangen, ihre Mitgliedschaft geheim zu halten, sei widersprüchlich:

Insoweit ist festzustellen, dass es der Anerkennung eines für die Identität so bedeutsamen Merkmals, dass die Betroffenen nicht gezwungen werden sollten, auf es zu verzichten, widerspricht, wenn von den Mitgliedern einer sozialen Gruppe, die die gleiche sexuelle Ausrichtung haben, verlangt wird, dass sie diese Ausrichtung geheim halten. Daher kann nicht erwartet werden, dass ein Asylbewerber seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält, um eine Verfolgung zu vermeiden.

Ganz ähnlich hat übrigens schon vor drei Jahren der britische Supreme Court entschieden.

Tatsächlich scheint mir dieser Versuch, verfolgten Homosexuellen eine Änderung ihres Verhaltens nahezulegen, unfassbar niederträchtig. Er verlagert das Problem von den Verfolgern zu den Verfolgten – als seien sie quasi selber schuld, dass sie verfolgt werden, wenn sie so indiskret sind, ihre vermeintliche Perversion nach außen zu tragen.

Mit diesem Argument wird man sich künftig hoffentlich weder im VG Bayreuth noch sonst irgendwo in der EU noch weiter herumschlagen müssen.


SUGGESTED CITATION  Steinbeis, Maximilian: Asylschutz gilt auch (und gerade!) für offen auftretende Homosexuelle, VerfBlog, 2013/11/07, https://verfassungsblog.de/asylschutz-gilt-auch-und-gerade-fuer-offen-auftretende-homosexuelle/, DOI: 10.17176/20170915-182111.

13 Comments

  1. Diogenes Thu 7 Nov 2013 at 17:05 - Reply

    Gem Art. 16a Abs. 1 genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Was ist an der sexuellen Präferenz politisch? Wie wird diese bei Bearbeitung des Antrags plausibel dargelegt?

  2. schorsch Thu 7 Nov 2013 at 19:23 - Reply

    @Diogenes
    1. Alles – nur nicht freiwillig.
    2. Art. 16a GG dürfte den EuGH nur geringfügig interessiert haben als er die Richtlinie 2004/83/EG auslegte.

  3. Diogenesvs Thu 7 Nov 2013 at 22:10 - Reply

    Für Deutschland wäre die Anwendung der RL eine unzulässige Verfassungsdurchbrechung gem Art. 79 I 1 GG und es bedürfte wie bei der Entscheidung zur Zulassung von Frauen an der Waffe (EuGH Tanja Kreil) einer ausdrücklichen Verfassungsänderung bedarf. Der EuGH schreibt das GG um.

  4. Christian Thu 7 Nov 2013 at 22:36 - Reply

    Das wäre – wegen de Anwendungsvorrang des Europarechts, der auch gegenüber dem Grundgesetz gelten würde – auch kein Problem. Ein Problem mit Art. 16a GG sehe ich hier aber nicht, denn das GG schreibt ja nicht vor, das nur politisch Verfolgten (und sonst niemand) Asyl gewährt wird. Es mag kein “GG-Grundrecht” sein, aber nachdem es nicht verletzt wird: So what?

  5. Malte Sommerfeld Fri 8 Nov 2013 at 09:26 - Reply

    Auch das Asylrecht aus Art. 16a GG dürfte nicht wirklich fernliegen. Der Begriff der politischen Verfolgung meint Menschen, die aufgrund von sog. unverfügbaren Merkmalen (z.B. politische Grundhaltung, Religion) politisch, dass heißt staatlich legitimiert oder geduldet, verfolgt werden (vgl. Bonk in Sachs, Kommentar zum GG, Art. 16a Rn. 20ff.). Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung wird auch vom BVerfG als besonders wichtig und schutzbedürftig angesehen. Deshalb dürfte auch Art. 16a GG homosexuelle erfassen.

    VG

  6. Aufmerksamer Leser Sun 10 Nov 2013 at 14:47 - Reply

    Der Seitenhieb auf das Verwaltungsgericht Bayreuth beruht wiederum auf dem Grundmuster dieses Blogs: Meinungsstärke und Subjektivität um jeden Preis, Begründungen sind dagegen eher Mangelware und wären der hier beabsichtigten journalistisch-wissenschaftlicher Ausrichtung – wie sie zuletzt im hier auch berichteten Forum charakterisiert wurde – wohl auch eher abträglich. Es hat doch gute Gründe, dass der rechtswissenschaftliche Diskurs nicht in der Form des Blogs und der korrespondierenden Kommentarfunktion stattfindet, sondern Wege wählt, die nicht nur Meinungen, sondern auch Argumente berücksichtigen.
    Anmerkung der Redaktion: dieser Kommentar kommt von jemand anderem als dem, der sonst hier unter diesem Pseudonym postet!

  7. Aufmerksamer Leser Sun 10 Nov 2013 at 20:12 - Reply

    Der vorangegangene Beitrag ist Fake. Jetzt werden hier schon Pseudonyme geklaut (Max kann das mühelos an der fehlenden/falschen e-Mail Adresse erkennen). Bitte löschen!

  8. Maximilian Steinbeis Sun 10 Nov 2013 at 20:40 - Reply

    Das ist ja irre. Ich dachte mir schon, dass die Email-Adresse anders ist. Ich lach mich schlapp. Naja, unter Pseudonym ist es schwer zu bestimmen, was echt und was falsch ist!

  9. Maximilian Steinbeis Sun 10 Nov 2013 at 20:41 - Reply

    Ich lösch das nicht. Das ist ja wunderbar! Ich werde die falschen “Aufmerksamer Leser”-Posts aber als solche kennzeichnen

  10. Unaufmerksamer Leser Sun 10 Nov 2013 at 21:18 - Reply

    Das ist kein Fake. Ich wußte nur nicht, dass hier tatsächlich jemand unter “Aufmerksamer Leser” schreibt, auf anderen Plattformen ist das ein Synonym für “Gast”. Mehr sollte es nicht sein.

  11. Maximilian Steinbeis Sun 10 Nov 2013 at 21:26 - Reply

    yeah, right…

  12. Unaufmerksamer Leser Sun 10 Nov 2013 at 21:29 - Reply

    Jedenfalls tut mir es leid, wenn ich Verwirrung gestiftet haben sollte, das war nun nicht meine Absicht.

  13. […] ist bekannt. Letztes Jahr hat der EuGH preisenswerterweise dafür gesorgt, dass dies als Asylgrund anerkannt gehört, anstatt die beschämende Praxis fortzusetzen, Flüchtlingen eine Existenz als […]

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