25 January 2013

Sie kommen nicht mehr durch, die Brüderles und Chefredakteure

Dass FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle junge Journalistinnen sexuell belästigt, ist allenfalls im allerweitesten Sinne ein Verfassungsthema. Und ich hätte dazu auch nichts geschrieben, wenn ich nicht die heutige Reaktion der Zeitungslandschaft auf den gestrige Stern-Aufreger so sonderbar fände. Offenbar scheint sich doch ein erheblicher Teil des politischen Medien-Establishments einig darin, dass der Skandal in diesem Fall in den eigenen Reihen zu suchen ist und nicht bei Brüderle. Und das wiederum scheint mir ein doch irgendwie erklärbedürftiger Vorgang.

Wenn man die Süddeutsche Zeitung, die ich (aus reiner Bayern-Sentimentalität übrigens) immer noch abonniert habe, exemplarisch nimmt, dann ergibt sich folgendes Bild: Vorne im Politikteil eine ganz kurze Nachricht, deren Leadsatz zufolge die Sexismus-Anklage gegen ihren frisch gekürten Spitzenkandidaten „in der FDP auf scharfe Kritik gestoßen“ ist. Auf der Meinungsseite ein zerquälter Text einer jüngeren Politikkorrespondentin, dem man deutlich anmerkt, dass sie eigentlich den politischen Hauptstadtchauvinismus uneingeschränkt zum Speien findet, sich aber am Ende von wem auch immer genötigt sieht, ihre Wut durch Sätze wie „schießt dieser Beitrag übers Ziel hinaus“ und „nicht jeder Chauvi gehört namentlich an den Pranger“ zu relativieren. Und ganz hinten, auf der Medienseite findet im Interview eine in Ehren pensionierte 74-jährige Journalistin nach dem Motto „Oma erzählt vom Krieg“, dass sexuelle Belästigung „zu den Widrigkeiten des Berufs – jedes Berufs übrigens“ gehöre, die man „irgendwie abfedern“ muss, anstatt sie „an die große Glocke zu hängen“. Das ist es, was nach Meinung der SZ zu dem Vorgang zu sagen ist.

Da trifft es sich gut, dass direkt neben dem Kommentar auf der Meinungsseite das Impressum der SZ abgedruckt ist. Schauen wir doch mal rein! Mal sehen: Ganz oben der Chefredakteur, dann sein Stellvertreter, dann die ganzen Leiter der klassischen Ressorts in Einzel- oder Doppelbesetzung, und dann: Ah ja. An fünfzehnter Stelle die erste Frau: Tanja Rest leitet das Ressort „Gesellschaft und Panorama“. Ansonsten bis runter zur Anzeigenaufnahme noch wie viele Frauen? Drei.

Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, wie die Redaktionssitzung gestern abgelaufen ist.

Nun muss man sicher am Stern und seiner Berichterstattung nicht alles grundsympathisch finden. Aber was interessiert mich diese Wartezimmer-Illu! Ich finde, wenn wir hier schon über Medien reden, etwas ganz anderes interessant.

Während in den Zeitungsredaktionen die graumelierten Chefredakteure ihr „Habt euch nicht so, Mädels“ in gewohnt machtbewusster Manier als Redaktionslinie durchdrücken, entfaltet sich im Internet längst eine ganz andere Wirklichkeit. Auf Twitter läuft der Hashtag #aufschrei mit Reaktionen von Frauen – und Männern! – voll, die über ihre eigenen Erlebnisse mit Tatschern, Grapschern und Herrenwitzereißern berichten.

Sie kommen damit nicht mehr durch, die Brüderles und Chefredakteure. Ihre Wähler und Wählerinnen, ihre Leser und Leserinnen denken nicht im Traum daran, Sexismus „irgendwie abzufedern“, wie dies vor ein oder zwei Generationen vielleicht noch nötig war. Sie schreien laut und geben nicht Ruhe, ehe der Kerl sich entschuldigt hat, und auch dann nur mit Mühe.

Die politische Öffentlichkeit ist nicht länger ein hermetischer, vermachteter Raum wie noch zu Bonner Zeiten, in dem die harten Kerle des Politikbetriebs dies- und jenseits der Mikrophone jede Frau, die reinwill, erst mal auf ihre Abfederbereitschaft testen können, bevor sie sie reinlassen. Wenn die SZ den Aufschrei unterdrückt, verschafft er sich halt auf Twitter Gehör.

Herrn Brüderle und seiner Partei wird der Aufschrei jedenfalls bis zum Wahlabend in den Ohren klingeln. Und die SZ wird anfangen müssen, sich mit dem Thema redaktionelle Frauenquote auseinanderzusetzen.

Hoffe ich zumindest.


SUGGESTED CITATION  Steinbeis, Maximilian: Sie kommen nicht mehr durch, die Brüderles und Chefredakteure, VerfBlog, 2013/1/25, https://verfassungsblog.de/sie-kommen-nicht-mehr-durch-die-bruderles-und-chefredakteure/, DOI: 10.17176/20170807-161000.

39 Comments

  1. Christina Leitow Fri 25 Jan 2013 at 10:11 - Reply

    Danke für diesen guten Beitrag.
    Er spricht mir aus der Seele!

    Über das Selbstverständnis der graumelierten Herren in Lederhose oder Anzug – und die Einbettung dieses Themas in einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhang, habe ich hier auch einen Beitrag veröffentlicht:
    http://kulturplanet.wordpress.com/2013/01/24/manner-zieht-die-lederhose-aus-europa-deutschland-gesellschaft-frauen-quote-kinder-sexismus-bruderle/

  2. OG Fri 25 Jan 2013 at 10:51 - Reply

    Warten wir erstmal ab, was herauskommt, wenn Hausmeister Willie seine Videoaufnahmen vorzeigt.

  3. SD Fri 25 Jan 2013 at 11:09 - Reply

    Endlich findet eine solche Diskussion statt (finde ich gerade auch als Mann). Wenn alle Männer, die solches Verhalten zeigen, benannt würden, würde sich vielleicht auch schneller etwas ändern. Warum soll es in diesem Zusammenhang ein Recht auf Privatheit geben für Brüderle? Und das Interview der älteren Journalistin in der SZ ist peinlich, vor allem aber sehr traurig und Beleg dafür, dass Frauen durch Schweigen zur Fortsetzung dieses unangemessenen Verhaltens und auch des Erfolgs solcher Alpha-Tiere beitragen. Danke, dass auch endlich mal jemand etwas zur inzwischen sehr fraglichen Entwicklung bei der SZ allgemein sagt; das fängt mit den Artikeln zu Brüderle an und hört leider nicht mit den unangenehmen Texten von W. Winkler zum (mutmaßlichen) Kinderschänder Kinski auf. Trotz 20Jahren Leserschaft werde ich mich wohl bald von der SZ trennen müssen.

  4. techniknörgler Fri 25 Jan 2013 at 12:08 - Reply

    >Sie kommen damit nicht mehr durch, die Brüderles und Chefredakteure. Ihre Wähler und Wählerinnen, ihre Leser und Leserinnen denken nicht im Traum daran, Sexismus „irgendwie abzufedern“, wie dies vor ein oder zwei Generationen vielleicht noch nötig war. Sie schreien laut und geben nicht Ruhe, ehe der Kerl sich entschuldigt hat, und auch dann nur mit Mühe.<

    "Die" Leserinnen und Leser, "die" Wählerinnen und Wähler"? Alle?

    Nein, hier ist jemand nur sehr laut auf Twitter und auf einigen Blogs.

    Jeder Appelation an den Herdentrieb, die das eigenständige Denke unterminieren will, ist hier fehl am Platz.

  5. Ankläger Fri 25 Jan 2013 at 15:37 - Reply

    Also wenn Brüderle die Frau wirklich angestarrt haben sollte, dann kann es für die Anklage nur heißen: Wir plädieren auf “Wegsperren für immer”!

  6. Maximilian Steinbeis Fri 25 Jan 2013 at 15:56 - Reply

    @Ankläger: Wahnsinnig witzig

  7. Ankläger Fri 25 Jan 2013 at 16:30 - Reply

    Hehe.

  8. Sebastian Fri 25 Jan 2013 at 18:42 - Reply

    Lieber Herr Steinbeis,

    gerade von Ihnen hätte ich eine Beurteilung des Sachverhalts erwartet, die juristische Vorbildung erkennen lässt. Die Unschuldsvermutung sollte jedenfalls auch im privaten Bereich bei Ihnen und mir persönlich unsympathischen Menschen nicht zur Grundrechts-Lyrik werden.

    Wenn es Ihnen schon, wie Sie schreiben, nicht um den Fall Brüderle ging, hätten schon ein paar wenige ergänzende Wörter genügt, um die Beurteilung des Falls dem Leser überlassen. Was hier vorliegt ist die journalistisch höchst unsauber verwertete Aussage einer Journalistin, die sich auch ansonsten selten mit fairer Berichterstattung über die Partei des Beschuldigten zu Wort meldet. Es geht um einen Sachverhalt, der mehr als ein Jahr zurückliegt und bei dem vermutlich die Meisten Beteiligten unter Alkoholeinfluss standen. Eine Klärung der Vorwürfe ist damit unwahrscheinlich, und das muss allen Beteiligten klar sein.

    Wenn es Ihnen schon nicht um den Fall Brüderle geht, unterstellen Sie doch bitte nicht ohne weitere Indizien die Richtigkeit der Anschuldigungen.

  9. Ankläger Fri 25 Jan 2013 at 19:15 - Reply

    @Sebastian: Vorsicht! Im Mittelalter sind Leute für weniger gewichtige Anschuldigungen auf den Scheiterhaufen gewandert!

  10. M.S. Fri 25 Jan 2013 at 19:46 - Reply

    Danke für die treffende Analyse.

  11. Maximilian Steinbeis Fri 25 Jan 2013 at 19:55 - Reply

    @Sebastian: Niemand bestreitet, dass sich die vom Stern geschilderte Hotelbar-Szene im Wesentlichen so abgespielt hat. Dass der Mann betrunken war, ändert überhaupt nichts. Und dass jetzt von verschiedener Seite versucht wird, die Journalistin als Flittchen herabzuwürdigen, scheint mir als Argumentationsstrategie ziemlich durchschaubar. Und die Unschuldsvermutung hat ihren Platz im Strafprozess, aber hier kann ich überhaupt keinen Anlass für etwas Analoges dazu erkennen.

  12. Ankläger Fri 25 Jan 2013 at 20:15 - Reply

    Eben! Brüderle hatte lange genug Zeit, seine “Unschuld” zu beweisen. Wenn er unschuldig wäre, hätte er gesagt, dass er nichts gesagt hat.

  13. Sebastian Sat 26 Jan 2013 at 10:39 - Reply

    Doch, es gibt Anwesende, die die Darstellung von Frau Himmelreich bestreiten: https://twitter.com/FlorianBrill/status/294227236347846656

    Ich würde mich als Beschuldigter momentan auch mit einer öffentlichen Wortmeldung zurückhalten, unabhängig von deren Wahrheitsgehalt. Ist doch journalistischer Alltag.

    Mir geht es nicht um die Herabwürdigung von Frau Himmelreich als Flittchen, nur um den Verdacht des Kampagnenjournalismus. Auch soll Alkoholkonsum nicht Herr Brüderles Verhalten rechtfertigen, sofern es wie beschrieben stattgefunden hat – Aber das Erinnerungsvermögen an die Szene wird wohl zu dieser späten Stunde nach mehr als einem Jahr eingetrübt sein. (Frau Himmelreich selbst hat übrigens am 15.09.2012 Bettina Wulff Feigheit im Umgang mit der Anprangerung des herabwürdigenden Klimas in Berlin vorgeworfen: http://www.stern.de/politik/deutschland/jenseits-des-protokolls-von-bettina-wulff-eine-taffe-frau-von-wegen-1894962.html )

    Deshalb meine ich: Eben weil wir nicht im Strafprozess sind, sollten wir uns mit der Beurteilung eines heute quasi nicht mehr nachprüfbaren Geschehens zurückhalten. Es liegt lediglich eine einzelne Stellungnahme vor, deren Hintergrund zumindest in Bezug auf den Veröffentlichungstermin klar politischen Hintergrund hat. Was für einen Wert hat denn die Unschuldsvermutung, wenn jede Anschuldigung gegen Prominente von der Öffentlichkeit ohne weitere Prüfung als wahr unterstellt wird?

  14. Ankläger Sat 26 Jan 2013 at 12:57 - Reply

    Brüderle trotz fehlenden Nachweises seiner Unschuld noch immer nicht gesteinigt.
    #aufschrei

  15. Susanne Stetter Sun 27 Jan 2013 at 18:25 - Reply

    “Die politische Öffentlichkeit ist nicht länger ein hermetischer, vermachteter Raum wie noch zu Bonner Zeiten, in dem die harten Kerle des Politikbetriebs dies- und jenseits der Mikrophone jede Frau, die reinwill, erst mal auf ihre Abfederbereitschaft testen können, bevor sie sie reinlassen.”

    Was für die eine Hälte der Menschheit (“Frauen”) jetzt ansatzweise so ist, ist für Minderheiten bedeutsam. Rausschreien können, welchen Zumutungen man ausgesetzt wird! Und damit ernstgenommen werden! Und damit breitflächig beachtet werden! Ungezogenheiten/Ungeheuerlichkeiten kann sich nur eine Masse lange erlauben; auf die Brüderles und Vetterles warten harte Zeiten.

    Der (heimliche) Test auf die Abfederbereitschaft gehört öffentlich analysiert. (Was wer wann und wie, ist Nebenschauplatz; naja voyeristisch nicht uninteressant.)

    Schönes Statement! (Ihrs)

  16. Ankläger Sun 27 Jan 2013 at 18:51 - Reply

    @Susanne Stetter: Sie erwähnen “Vetterle”. Wer ist das? Was sind die Vorwürfe? Wir könnten ihn/sie mit Brüderle zusammen richten. Hat er/sie seine Unschuld etwa auch noch nicht bewiesen?

    P.S. Fehlen ein paar Kommata in Ihrem Beitrag?

  17. Stephen Schöndorf Mon 28 Jan 2013 at 00:52 - Reply

    @ Sebastian

    Es geht um einen Sachverhalt, der mehr als ein Jahr zurückliegt und bei dem vermutlich die Meisten Beteiligten unter Alkoholeinfluss standen.

    Eine stand nicht unter Alkoholeinfluß – die FDP-Referentin, die den klettenhaften Brüderle von der Journalistin loseiste:

    Die Sprecherin eilt von hinten heran: “Herr Brüderle!”, ruft sie streng. Sie führt ihn aus der Bar. Zu mir sagt sie: “Das tut mir leid.” Zu ihm sagt sie: “Zeit fürs Bett.”

    Die taz schreibt, daß “die Übergriffigkeit des Fraktionsvorsitzenden” am Morgen danach “Journalistengespräch” gewesen sei. Und Kubicki räumt ein, daß der Bericht “keine falschen Tatsachenbehauptungen” enthalte.

    Eine weitere Verteidigungsstrategie, daß sich die Journalistin Brüderle in seiner Freizeit aufgedrängt habe, verfängt ebenfalls nicht. Die FDP-Sprecher war offenbar noch “im Dienst” – also waren das auch Brüderle und Frau Himmelreich.

  18. Sebastian Mon 28 Jan 2013 at 10:17 - Reply

    (Genau diese off-topic Diskussionen wären mit einer neutraleren Formulierung nicht unter diesem Artikel geführt worden ;))

    Kubicki bezog sich auf Frau Himmelreichs Artikel, keine Behauptungen der taz. Dieser enthält nur sehr wenige Tatsachenbehauptungen, die intendierte sexuell übergriffige Atmosphäre entsteht allein durch die geschilderte Empfindung der Journalistin(klettenhaft, Arme vor der Brust verschränkt weil Brüderle beim Aufstehen geschwankt hat, u.v.m.). Hierauf bezog sich Kubicki. (Hier das ganze Interview: http://www.bild.de/politik/inland/wolfgang-kubicki/ich-flirte-fuer-mein-leben-gern-aber-nicht-mehr-mit-journalistinnen-teil1-28270988.bild.html )

    Begleiter von Spitzenpolitikern sind immer “im Dienst”, wenn sie mit Ihnen zusammen sind. In solch exponierten Positionen und insbesondere auf Reisen ist das also der Regelfall.

    Frau Himmelreich hat übrigens mittlerweile selbst erklärt, dass sie sich nicht belästigt gefühlt hat und Herrn Brüderle nicht an den Pranger stellen wollte (Rhein-Zeitung 26.1.13). Wäre auch eigenartig gewesen, da sie auch im Anschluss weiterhin regelmäßig mit Herrn Brüderle zu Terminen und Interviews im Dienstwagen gefahren ist (siehe FAS von gestern).

  19. Susanne Stetter Mon 28 Jan 2013 at 10:39 - Reply

    @Ankläger:

    Die Vetterles hocken überall in den gehobenen Etagen. Die fallen nicht durch Worte, sondern durch Schandtaten auf.

    PS.: Es fehlt ein f bei Hälfte. Die möglich zu setzenden Kommata im Klammertext fehlen mit Absicht. Das Was-Wer-Wann-und-Wie ist … (Gefällt es dem “Ankläger” so besser?)

  20. Susanne Stetter Mon 28 Jan 2013 at 10:49 - Reply

    @ Ankläger

    Headline bei stern online “Br.: Der spitze Kandidat”

    Wie ist das sprachlich einzuordnen? Sexismen gegen Sexismus?

  21. Ankläger Mon 28 Jan 2013 at 11:48 - Reply

    @Susanne Stetter: Sehr guter Hinweise. “Die da oben”, “überall in den gehobenen Etagen” werden ALLE ihrer gerechten Strafe zugeführt werden. Wenn wir mehr von Ihrer Sorte hätten, wären wir hier schon weiter.

  22. Jakob Tue 29 Jan 2013 at 20:11 - Reply

    Ich habe eigentlich nur eine Frage an den Juristen Steinbeis (alle anderen Ebenen außen vor gelassen): Es handelt sich nur um folgenden Satz:

    “Und die Unschuldsvermutung hat ihren Platz im Strafprozess, aber hier kann ich überhaupt keinen Anlass für etwas Analoges dazu erkennen.”

    Will der Jurist Steinbeis damit sagen, dass die Öffentlichkeit ohne Unschuldsvermutung auskommt? Ich habe immer gedacht, ein Verbrecher ist erst ein Verbrecher, wenn ein Gericht solches erklärt. Diesem Satz entnehme ich, dass ich – Entschuldigung, ich meinte: die Öffentlichkeit – das jetzt selbst entscheidet.

  23. Jakob Tue 29 Jan 2013 at 20:18 - Reply

    Nachtrag der Vollständigkeit halber.

    Selbstverständlich verurteilt die Öffentlichkeit nicht. Aber indem sie Schuld vermutet und auf allen Kanälen dies kund tut, bestraft sie auch. Und Rufmord gehört nicht zu den Dingen, die eine Öffentlichkeit besonders auszeichnen. Nur weil es statt eines einzelnen sehr, sehr viele betreiben, wird es doch zu nichts anderem. Aber vielleoicht irre ich mich da.

    • Maximilian Steinbeis Tue 29 Jan 2013 at 20:45 - Reply

      @Jakob: Hier geht es um Moral, nicht um Recht und schon gar nicht um Strafrecht. Hier steigt Herrn Brüderle nicht das staatliche Gewaltmonopol aufs Dach, sondern die öffentliche Meinung. Und auch die urteilt über Herrn Brüderle nicht nach strafrechtlichen, sondern nach moralischen Kategorien: Niemand “vorverurteilt” ihn als Kriminellen, sondern nur als ekligen Typen. Natürlich sollte auch die moralische Öffentlichkeit den Benefit of the Doubt walten lassen, aber es fehlt die prozedurale Komponente: Hier geht es nicht um ein förmliches Verfahren mit Beweisaufnahme, an dessen Ende allein das Gericht über Schuld oder Unschuld entscheiden soll, weil es allein am Ende auch über Strafe oder Freispruch entscheidet. Sondern wir alle hier sind frei, uns unser Urteil zu bilden. Damit müssen wir natürlich verantwortlich umgehen, und das tun wir nicht, wenn wir jemanden in die Pfanne hauen, obwohl es Grund gibt zu zweifeln, dass er in die Pfanne gehauen gehört. Aber in diesem Fall habe ich kein Problem damit, diese Verantwortung für diesen ganz speziellen Herrn in dieser ganz speziellen Pfanne zu schultern.

  24. Steinigungsmeister Wed 30 Jan 2013 at 00:11 - Reply

    @Max Steibeis: Genau. Nicht der Staat. Nur die öffentliche Meinung. Also der Mob. Und der Mob wird sich NIEMALS irgendwelchen juristischen Winkelzügen unterordnen. Damit versuchen sich die schändlichen Täter nur ihrer Strafe zu entziehen. Vergeblich, der Mob weiß, was moralisch richtig ist!

    Nächste Woche auf Twitter: Der Mob erzählt, was er von Europa hält! Sammeln wir unsere Erfahrungen unter #der_euro_soll_weg

  25. Jakob Wed 30 Jan 2013 at 00:25 - Reply

    Ich finde es bloß fragwürdig, dass du jemanden in aller Öffentlichkeit in die Pfanne hauen willst – auf Grund eines Artikels in einer Illustrierten.
    Der Mann kann nichts dagegen tun, dass im Internet ein Bild von ihm entsteht, was nach Aussage des Stern der Wahrheit entspricht. Er könnte sich mit dem Herausgeber des Stern streiten und gewinnen und es würde absolut gar nichts an seinem Bild im Internet ändern, weil das sich verselbstständigt hat. Und mit jedem Blogger kann er nicht streiten.

    Was ich sagen will ist: Vorschnell etwas im Internet zu behaupten ist in gewissem Sinne schlechter, als es in den Bezahl-Medien zu tun, weil man das Behauptete ungleich schwerer wieder zurücknehmen kann und persönlich keine Konsequenzen zu fürchten hat. Gleichzeitig verbreitet es sich rasend schnell. Es ist irgendwo unverantwortlich, so seine Meinungsfreiheit zu benutzen. Abgesehen davon traue ich dem Mann solche Schweinereien schon zu.

    • Maximilian Steinbeis Wed 30 Jan 2013 at 08:41 - Reply

      Ich hab mich vielleicht zu kompliziert ausgedrückt. Im Strafprozess muss ich die Beweiserhebung dem Prozess und Beweiswürdigung und Schuldspruch dem Richter überlassen. Ich darf nicht schon während der Prozess noch läuft so tun, als wüsste ich es besser und könnte dessen Ergebnis vorwegnehmen, weil das den ganzen Prozess ad absurdum führt. Hier geht es um Moral, hier gibt es keinen Prozess außer den vor der Öffentlichkeit.
      Ich darf mich doch bitteschön aufregen und das auch öffentlich kundtun, wenn ich – unwidersprochen! – etwas lese über jemanden, was ich moralisch falsch finde. Wenn ich Anlass habe zu zweifeln, dass der Bericht stimmt, dann muss ich das natürlich zum Ausdruck bringen, aber hier? Das Ganze muss natürlich auch verhältnismäßig bleiben, und ich darf mich nicht an Hetzjagden beteiligen, wo eine anonyme Meute sich über irgendwelche armen Schweine hermacht, die ganz arglos irgendeinen Scheiß gebaut haben und dann von der Meute von einem Ende des Internet zum anderen gehetzt werden, aber ist das hier so ein Fall?
      Außerdem habe ich mich in dem Blogpost, wenn ich es genau bedenke, eigentlich eher über die Süddeutsche aufgeregt als über Brüderle…

  26. Aufmerksamer Leser Wed 30 Jan 2013 at 23:36 - Reply

    Der erste Satz des Artikels lautet: “Dass FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle junge Journalistinnen sexuell belästigt, ist allenfalls im allerweitesten Sinne ein Verfassungsthema.”

    Dieser Satz enthält eine Tatsachenfeststellung, nämlich “dass FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle junge Journalistinnen sexuell belästigt”.

    Die Tatsache, die festgestellt wird, ist eine Straftat.

    Ich verstehe beim besten Willen nicht, wie man das hier als harmlose Meinungsäußerung verteidigen kann – aus welchen guten Motiven heraus auch immer, sei es die Sache der Frauen oder die Begleichung alter Rechnungen mit der SZ.

    Ich glaube, viele Leser des Verfassungsblogs wären dankbar, hier eine Distanzierung von diesen strafrechtlich relevanten Anschuldigungen zu lesen. Ich wäre es jedenfalls. Verrennen kann sich jeder. Fehler öffentlich einräumen können nur wenige.

  27. Max Steinbeis Thu 31 Jan 2013 at 08:23 - Reply

    Geh, bitte. Sexuelle Belästigung eine Straftat? Welchen Tatbestand meinen Sie denn da, hm? Blättern Sie ruhig, wir haben Zeit. Wenn Sie ihn gefunden haben, könnem wir ka auf das Thema Entschuldigung zurückkommen.
    Im Übrigen amüsiert es mich, dass nach Laura Himmelreich und dem Stern jetzt ich der Nächste sein soll, auf dessen Kosten die Sexismusdebatte zu einem Entlastungsdiskurs über journalistische Ethik/Unschulsvermutung/shoot the messenger umgebogen werden soll…

  28. Aufmerksamer Leser Thu 31 Jan 2013 at 08:55 - Reply

    Fangen wir doch bei § 185 StGB an. Geht dann weiter bei § 177 Abs. 1 StGB. Ist alles kein Kavaliersdelikt.

    • Maximilian Steinbeis Thu 31 Jan 2013 at 12:09 - Reply

      Oho! Beleidigung! Sexuelle Nötigung! Das sind Spitzen-Straftatbestände und, nein, keine Kavaliersdelikte, da könnten wir uns einiger nicht sein. Genauso wenig wie leichtfertige Steuerverkürzung und Anstiftung zum Völkermord, alles Vorwürfe, die gemeinsam haben, dass ich sie in meinem Blogpost weder ex- noch implizit erhoben habe.
      Nicht jede sexuelle Belästigung ist eine strafbare Beleidigung, und nicht jede strafbare Beleidigung ist eine sexuelle Belästigung. Sexuelle Belästigung ist höchstens eine arbeits- und diskriminierungsrechtliche Kategorie, aber keine strafrechtliche.
      Da wir uns grad so nett über strafrechtsrelevante Vorwürfe und die Notwendigkeit sich zu entschuldigen unterhalten: Irgendetwas sagt mir, dass Sie sich meinem Vorschlag, die Sache auf sich beruhen zu lassen, nicht verschließen werden, habe ich Recht?
      Ihnen noch viel Spaß beim aufmerksamen Lesen.

  29. Aufmerksamer Leser Thu 31 Jan 2013 at 12:49 - Reply

    Welche Formen der sexuellen Belästigung nicht strafbar sind, prüft die Staatsanwaltschaft in jedem Einzelfall. Wenn man solche Vorwürfe zur Anzeige bringt und sich dabei auf falsche Tatsachen stützt, wird das rasch ein § 164 StGB. Diese Bestimmung hat sogar die Begehungsalternative, dass die Vorwürfe “öffentlich” erhoben werden.

    • Maximilian Steinbeis Thu 31 Jan 2013 at 12:51 - Reply

      Verrennen kann sich jeder. Fehler öffentlich einräumen können nur wenige.

      Quote. Unquote.

    • Maximilian Steinbeis Thu 31 Jan 2013 at 12:54 - Reply

      Wissen Sie, was wir machen? Wir zeigen uns einfach wechselseitig wegen § 164 StGB an, Sie mich wegen falscher Verdächtigung und ich Sie wegen falscher Verdächtigung der falschen Verdächtigung. Und dann schauen wir, wer weiter damit kommt. Na?

      Kleiner Scherz.

  30. Aufmerksamer Leser Thu 31 Jan 2013 at 13:13 - Reply

    Ich finde das alles nicht sonderlich lustig.

    P.S. Der Unterschied bei unseren wechselseitigen Anzeige wäre folgender: Ich drucke den Sachverhalt aus. Er ist hier nachlesbar. Sie müssten Ihren Sachverhalt erstmal mit den Zeugen Himmelreich etc. klären und hoffen, dass das alles belastbar ist, was so in der Illustrierten steht.

    • Maximilian Steinbeis Thu 31 Jan 2013 at 13:16 - Reply

      Kann ich mir vorstellen.

      P.S. Wie wär’s, wollen Sie nicht doch meinen Vorschlag akzeptieren, das jetzt auf sich beruhen zu lassen?

  31. Aufmerksamer Leser Thu 31 Jan 2013 at 13:26 - Reply

    Klar. Die juristisch nicht vorgebildeten Leser haben ja jetzt das vollständige Bild. Trotzdem möchte ich nicht verhehlen, dass ich darauf gewettet hatte, dass Sie sich von diesem Artikel distanzieren würden. Hätte ich stark gefunden. Im Verfassungsrecht lese ich Sie trotzdem gerne.

  32. Aufmerksamer Leser Thu 31 Jan 2013 at 13:33 - Reply

    Ich höre gerade, dass Sie auch hier beim Berliner Jahresrückblick der KAS sind?

    • Maximilian Steinbeis Thu 31 Jan 2013 at 13:35 - Reply

      wollte ich, hab’s aber dann doch nicht geschafft, zu viel Arbeit vor den Winterferien…

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