23 March 2012

Väterrechte II: Auch Russlands Armee darf nicht Gender Stereotyping betreiben

Die andere bedeutetende Entscheidung des heutigen Tages zum Thema Rechte von Vätern ist ein Fall aus Russland. Genau genommen geht es weniger um die Rechte von Vätern als um die von Männern oder, noch genauer, um die von Menschen generell, nicht wegen ihres Geschlechts diskriminiert zu werden.

Der Fall dreht sich nur um eine Vaterschaft, nämlich die des Klägers Konstantin Markin, der Soldat war in der russischen Armee, bis er ein Kind bekam und Vaterschaftsurlaub haben wollte. Bei der russischen Armee gibt es aber nur Mutterschaftsurlaub.

Child-Carers and Breadwinners

2010 hatte eine Kammer ihm Recht gegeben und die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass beim Mutterschaftsurlaub die Diskriminierung von Vätern in den Einschätzungsspielraum der Mitgliedsstaaten falle, aufgegeben. Das bestätigt jetzt die Große Kammer mit Nachdruck:

The Court agrees with the Chamber that gender stereotypes, such as the perception of women as primary child-carers and men as primary breadwinners, cannot, by themselves, be considered to amount to sufficient justification for a difference in treatment, any more than similar stereotypes based on race, origin, colour or sexual orientation.

Dazu sah sich die Große Kammer durch die Einlassung der russischen Regierung herausgefordert, die sich auf zwei Argumente stützte:

Firstly, according to modern scientific research, there existed a special biological and psychological connection between the mother and the newborn child. The mother’s presence and care during the first year of the child’s life was particularly important. It was therefore in the child’s interest that the mother took parental leave. Secondly, given that there were few women in the army, their absence from service would have no impact on fighting capacity.

Obendrein hatte die russische Regierung sich auf den Standpunkt gestellt, das Ganze gehe Straßburg überhaupt nichts an – sehr in Einklang mit manchen Stimmen aus Großbritannien, die zurzeit dem EGMR die Flügel stutzen wollen:

Because of their direct knowledge of the society and its needs, the national authorities were better placed than the international judge to appreciate what was “in the public interest”. The Court should respect the legislature’s policy choice unless it was “manifestly without reasonable foundation”.

Aber das kommt in Straßburg gar nicht gut an. Zwar gebe es, wenn es um Streitkräfte gehe, einen weiteren Spielraum als sonst. Aber

the Convention does not stop at the gates of army barracks and that military personnel, like all other persons within the jurisdiction of the Contracting States, are entitled to Convention protection. It is therefore not open to the national authorities to rely on the special status of the armed forces for the purpose of frustrating the rights of military personnel.

Einschüchterung

Seit dem Kammerurteil hat der Fall aber noch eine weitere Facette bekommen, und die lässt ebenfalls tief blicken, was die Gepflogenheiten in der russischen Justiz betrifft. Herr Markin bekam nämlich eines Nachts Besuch von einem Staatsanwalt, der an seiner Wohnungstür klingelte und ihn bedrängte, Informationen zu seinem Familienleben zu liefern. Dies wertete er als Versuch, ihn unter Druck zu setzen und einzuschüchtern.

Die Kammermehrheit wollte ihm darin nicht folgen. Zwar sei im Prinzip den Mitgliedstaaten schon verboten, überhaupt mit den Klägern im Zusammenhang mit der Klage in Kontakt zu treten. Aber hier will scheut sie davor zurück, die Konsequenz zu ziehen, und zwar mit dem eigenartigen Argument, dass

there is no evidence that the visit (…) and the circumstances attending it were calculated to induce the applicant to withdraw or modify his complaint or otherwise interfere with the effective exercise of his right of individual petition, or indeed had this effect.

Heißt dass, dass man künftig die Einschüchterungsabsicht beweisen muss, bevor man sich auf das Einschüchterungsverbot berufen kann? Das wäre schlimm.

Die Richter Pinto de Albuquerque (der ansonsten wieder mal der Versuchung nicht widerstehen konnte, in einer länglichen Concurring Opinion darauf aufmerksam zu machen, dass er zum gleichen Ergebnis auf sehr viel zierlichere Weise zu gelangen versteht), Kalaydjeva und Popovic weisen darauf in ihren Minderheitsvoten auch in aller Schärfe hin.

Woher kommt diese Muckerei der Kammermehrheit? Will sie wirklich hinnehmen, dass Kläger von der nationalen Justiz drangsaliert werden können, solange derselben keine böse Absicht nachgewiesen werden kann? Glaubt sie, sonst irgendwie den Russen gegenüber den Bogen zu überspannen? Hat das was mit Brighton zu tun?

Foto: Boris SV, Flickr Creative Commons


SUGGESTED CITATION  Steinbeis, Maximilian: Väterrechte II: Auch Russlands Armee darf nicht Gender Stereotyping betreiben, VerfBlog, 2012/3/23, https://verfassungsblog.de/vterrechte-ii/, DOI: 10.17176/20181008-105134-0.

One Comment

  1. […] an der Universität St. Gallen die junge Familie. Sie hält sich ebenfalls an den ähnlichen Fall mit dem russischen Soldaten. Dieser hatte Recht bekommen, denn in der Russischen Armee erhalten Frauen 2 Jahre […]

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