Die Lesbarkeit von Gesetzentwürfen
Über unverständliche Änderungsbefehle, zweckmäßige Synopsen und verfassungsrechtliche Anforderungen
Die Verbesserung der Lesbarkeit von Gesetzentwürfen ist in Zeiten zunehmender Politikverdrossenheit und der Verbreitung von Falschbehauptungen und Verschwörungstheorien ein dringendes Anliegen. Ein Vorschlag der Linksfraktion im Bundestag, Entwürfen von Änderungsgesetzen eine Synopse beizufügen, ist ein richtiger Schritt in diese Richtung. Doch das allein genügt nicht: das verfassungsrechtliche Demokratieprinzip gebietet weitere Maßnahmen, mit denen die Lesbarkeit von Gesetzentwürfen verbessert wird. Statt den Vorschlag der Linksfraktion zu kritisieren sollten ihn Politik und auch die Rechtswissenschaft zum Anlass nehmen, weitere Möglichkeiten zur Verbesserung der Lesbarkeit zu erarbeiten.
Das Problem: Unverständlichkeit durch Änderungsbefehle
Eine Ursache der schlechten Lesbarkeit vieler Gesetzentwürfe ist die Technik der Gesetzesänderung durch Änderungsbefehle. Änderungsbefehle sind Normen in Änderungsgesetzen, deren Zweck darin besteht, den Wortlaut anderer Normen in bestimmter Weise zu ändern. Sie beinhalten dabei immer nur die jeweilige Änderung, ohne den Zusammenhang wiederzugeben, auf den die Änderung sich auswirkt. Infolgedessen ergeben vorgeschlagene Änderungen erst in einer Zusammenschau mit den zu ändernden Normen Sinn. Dies veranschaulicht etwa der Entwurf für das 3. Bevölkerungsschutzgesetz vom 18.11.20, dessen Art. 1 eine ganze Reihe von Befehlen zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes beinhaltet. So wird zum Beispiel nach Art. 1 Nr. 3 des 3. Bevölkerungsschutzgesetz § 4 des Infektionsschutzgesetzes wie folgt geändert:
„a) In Absatz 1 Satz 7 werden die Wörter ‚§ 14 Absatz 1 Satz 3‘ durch die Wörter ‚§ 14 Absatz 1 Satz 7‘ ersetzt. b) In Absatz 3 Satz 4 wird das Wort ‚schwerwiegenden‘ durch das Wort ‚bedrohlichen‘ ersetzt.“
Hier wird erst durch einen Blick in das zu ändernde Infektionsschutzgesetz der Sinn der Änderungen klarer. Darüber hinaus enthält Art. 1 noch zahlreiche weitere Änderungsbefehle und neben dem Infektionsschutzgesetz änderte das 3. Bevölkerungsschutzgesetz insgesamt noch neun weitere Gesetze und Verordnungen. Alle Auswirkungen des Entwurfs zum 3. Bevölkerungsschutzgesetz im Einzelnen zu erfassen und einzuschätzen war wahrlich keine leichte Aufgabe. Kurzum: die Technik der Änderungsbefehle führt zu schlecht lesbaren Gesetzentwürfen.
Um diesen Nachteil der Änderungsbefehle weiß auch das Handbuch der Rechtsförmlichkeit. Es wird vom Bundesjustizministerium herausgegeben und enthält Empfehlungen zur Gestaltung von Gesetzentwürfen. Bei der Verwendung von Änderungsbefehlen, so das Handbuch, werde die Bedeutung von Änderungen kaum ersichtlich und Veränderungen der Rechtslage seien für die Öffentlichkeit nur schwer erkennbar (Rn. 500). Neben der Gesetzesänderung durch Änderungsbefehle (Rn. 552 ff.) sieht das Handbuch alternative Änderungstechniken vor, insbesondere das Ablösungsgesetz, das ein oder mehrere Gesetze vollständig durch ein neues Gesetz ersetzt (Rn. 504 ff.). Demgegenüber habe die Technik der Änderungsbefehle den Vorteil, dass im Gesetzgebungsverfahren nicht über das Stammgesetz insgesamt, sondern nur über die Änderungen diskutiert und beschlossen werden muss (Rn. 501). Änderungsbefehle sind daher ein häufig verwendetes Mittel der Gesetzesänderung. Gleichzeitig sind solche Gesetzentwürfe und Gesetze oft unlesbar.
Eine Lösung: bessere Lesbarkeit durch Synopsen
Dieses Problem veranlasste die Fraktion DIE LINKE, am 26.01.21 eine Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GOBT) zu beantragen. Um die Lesbarkeit von Gesetzentwürfen zu verbessern, will die Fraktion § 76 GOBT um einen Absatz 3 ergänzen. Entwürfe von Änderungsgesetzen müssten demnach eine Gegenüberstellung des geltenden und des beabsichtigten künftigen Wortlauts der Normen beinhalten. Diese Gegenüberstellung, auch Synopse genannt, ermögliche, so die Begründung des Änderungsantrags, einen direkten Vergleich zwischen geltendem und künftigem Wortlaut der Normen, ohne dass die zu ändernden Normen einzeln herausgesucht werden müssen. Dadurch werde die Lesbarkeit von Gesetzentwürfen erheblich verbessert (BT Drucks. 19/26315).
Tatsächlich versprechen Synopsen Abhilfe, ohne unter dem Nachteil der Ablösungsgesetze als Änderungstechnik zu leiden. Schließlich handelt es sich um ein ergänzendes Hilfsmittel, das die Erfassung von Sinn oder Unsinn des Änderungsvorschlags vereinfacht, ohne den Gegenstand des Gesetzgebungsverfahrens auf das gesamte zu ändernde Stammgesetz zu erweitern. In vielen Fällen arbeiten Gesetzesautor*innen, bevor sie die Änderungsbefehle erstellen, ohnehin mit Synopsen (Handbuch, Rn. 498). Zudem räumt § 53 Abs. 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundeministerien (GGO) zuständigen Bundestagsausschüssen bereits jetzt das Recht ein, vom federführenden Ministerium eine Synopse des Gesetzentwurfs anzufordern. Die vorgeschlagene Änderung des § 76 GOBT würde also keine oder kaum Mehrarbeit für Gesetzesautor*innen bedeuten. Etwaiger Mehraufwand, der im Einzelfall auftreten könnte, würde durch eine deutliche Verbesserung der Lesbarkeit von Gesetzentwürfen in der großen Mehrheit der Fälle aufgewogen.
Diesen Mehrwert unterstreicht auch die Praxis in Österreich. Dort müssen Gesetzesautor*innen schon seit Jahren allen Vorschlägen zur Änderung von Rechtsvorschriften eine Synopse („Textgegenüberstellung“) anschließen, deren Gestaltung mit der Zeit vereinheitlicht und verbessert wurde.
Dennoch stieß der Änderungsantrag der Linksfraktion auf Kritik. So wandten SPD und FDP gegen verpflichtende Synopsen ein, dass Gesetze und die Rechtssprache für Bürger*innen ohnehin oft unverständlich seien. In der Tat hätte auch eine Synopse nicht erklärt, welche Auswirkungen die Ersetzung von „schwerwiegenden“ durch „bedrohlichen“ in § 4 Abs. 3 S. 4 des Infektionsschutzgesetzes nun hat, um auf das Beispiel des 3. Bevölkerungsschutzgesetzes zurückzukommen. Das spricht aber nicht gegen Synopsen, sondern vielmehr dafür, dass diese nicht das einzige Mittel bleiben dürfen, um die Lesbarkeit von Gesetzentwürfen zu verbessern.
SPD, FDP und auch die Grünen erhoben noch einen weiteren Einwand: Bei einfachen Gesetzesvorhaben seien Synopsen schlicht unnötig, sie böten keinen Mehrwert. Das ist aber letztlich kein Grund, nicht durch eine verbindliche Regelung für Verlässlichkeit bei Änderungsgesetzen zu sorgen.
Da der Vorschlag der Linksfraktion § 76 GOBT betrifft, beschränkt er sich allerdings auf Gesetzentwürfe von Mitgliedern des Bundestages. Bundesregierung und Bundesrat dürften also weiterhin Initiativen ohne Synopsen einreichen. Daher sollte die Bundesregierung, wie zuletzt auch von der FDP vorgeschlagen, eine Anpassung etwa des § 42 Abs. 1 GGO erwägen, um verpflichtende Synopsen auch für Gesetzesvorlagen der Bundesregierung einzuführen.
Das verfassungsrechtliche Gebot zur Verbesserung der Lesbarkeit von Gesetzentwürfen
Durch Synopsen wären Entwürfe von Änderungsgesetzen lesbarer. Zu Recht verweisen die Stellungnahmen von SPD und FDP aber darauf, dass das Problem der Unverständlichkeit von Gesetzen und Gesetzentwürfen größer ist. Es erstaunt daher, wenn jenseits der Synopsen keine weiteren Vorschläge, mit denen die Lesbarkeit verbessert würde, eingebracht werden. Dies wäre nämlich dringend geboten. Schon § 42 Abs. 5 S. 1 GGO bestimmt: „Gesetzentwürfe müssen sprachlich richtig und möglichst für jedermann verständlich gefasst sein.“ Dieses Anliegen wurzelt aber nicht allein im Geschäftsordnungsrecht, sondern letztlich im Grundgesetz. Der Abschnitt über die Gesetzgebung des Bundes (Art. 70 – 82 GG) sagt dazu zwar nichts ausdrücklich. Aber das Gebot bestmöglicher Lesbarkeit von Gesetzentwürfen folgt aus dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG).
Eine Demokratie lebt nicht nur von Wahlen und Abstimmungen, die Art. 20 Abs. 2 GG ausdrücklich vorsieht. Vielmehr ist auch eine informierte und engagierte Öffentlichkeit Funktionsbedingung jeder Demokratie. Die Kontrolle der Regierungspolitik zwischen den Wahlen ist nicht allein Aufgabe der parlamentarischen Opposition. Davon geht auch das Bundesverfassungsgericht aus: „Öffentliches Verhandeln von Argument und Gegenargument, öffentliche Debatte und öffentliche Diskussion sind wesentliche Elemente des demokratischen Parlamentarismus“ (BVerfGE 70, 324, Rn. 131). „Das im parlamentarischen Verfahren gewährleistete Maß an Öffentlichkeit der Auseinandersetzung und Entscheidungssuche eröffnet Möglichkeiten eines Ausgleichs widerstreitender Interessen und schafft die Voraussetzungen der Kontrolle durch die Bürger“ (BVerfGE 130, 318, Rn. 108). Der Austausch zwischen Parlament und Bürger*innen ist für die Demokratie somit wesentlich und alle Verantwortungsträger*innen sind verpflichtet, ihn zu begünstigen.
Auf Grundlage eines materiellen und funktionellen Verständnisses der demokratischen Öffentlichkeit des Parlaments konkretisiert sich diese Pflicht hin zu einem Gebot der Lesbarkeit von Gesetzentwürfen. Die Kommentarliteratur (exemplarisch: Grzeszick) und die Verfassungsrechtsprechung (exemplarisch: BVerfGE 70, 324) leiten aus dem Demokratieprinzip einhellig den Grundsatz her, der Bundestag müsse öffentlich arbeiten. Diese Arbeit, darunter auch das Verfahren der Gesetzgebung, soll aber nicht nur in einem förmlichen Sinne öffentlich erfolgen. Unvorstellbar wäre etwa ein Gesetzentwurf, der in einer Geheimsprache verfasst und verhandelt würde, die nur ein eingeweihter Kreis versteht. Öffentlichkeit in einem materiellen Sinne entsteht erst dann, wenn Gesetzesvorhaben, die Gegenstand auch außerparlamentarischer Auseinandersetzung werden sollen, den Teilnehmer*innen dieser Auseinandersetzung zugänglich sind. Mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts: „Eine Beratung verfehlt ihren Zweck, wenn über den Beratungsgegenstand keine oder nur unzureichende Informationen zur Verfügung stehen“ (BVerfGE 70, 324). Und je lesbarer, leichter verständlich, also zugänglicher ein Gesetzentwurf, desto mehr potenzielle Teilnehmer*innen hat der Diskurs über diesen Gesetzentwurf. Dies erhöht auch die demokratische Legitimation des Prozesses und seiner Ergebnisse.
Das verfassungsrechtliche Gebot der Lesbarkeit von Gesetzentwürfen kann keinen bestimmten Grad an Lesbarkeit verlangen – schließlich ist die Lesbarkeit im Einzelfall mit anderen Anforderungen, insbesondere inhaltlicher und juristischer Genauigkeit, in Ausgleich zu bringen (vgl. Handbuch, Rn. 65). Statt einer Erfolgspflicht kann aus dem Gebot der Lesbarkeit von Gesetzentwürfen also nur eine Verhaltenspflicht folgen, die erfüllt ist, wenn erkennbar wird, dass die Gesetzesautor*innen sich um eine größtmögliche Verständlichkeit des Entwurfs bemüht haben. Synopsen sind ein zweckmäßiger Schritt in diese verfassungsrechtlich gebotene Richtung. Sie genügen aber letztlich nicht und dürfen daher nicht der einzige Schritt bleiben, die Lesbarkeit von Gesetzentwürfen zu verbessern.
Aufruf an Rechtswissenschaft und Politik
Es bleibt zu hoffen, dass der Änderungsvorschlag der Linksfraktion ein neues Bewusstsein von Verantwortungsträger*innen weckt und zu weiteren Vorschlägen anregt, wie die Lesbarkeit von Gesetzentwürfen verbessert werden kann. Dies würde breitere Teile der interessierten Öffentlichkeit zur informierten Teilnahme an der außerparlamentarischen Auseinandersetzung über aktuelle Gesetzesvorhaben befähigen. Gesetzesautor*innen sind durch das Grundgesetz aufgerufen, sich zu bemühen, Gesetzentwürfe verständlicher zu gestalten.
Neben den beteiligten Politiker*innen kann aber auch die Rechtswissenschaft dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Innerhalb unserer legizentrischen Rechtsordnung verdient die Gesetzgebungslehre, die sich als rechtswissenschaftliche Teildisziplin mit den Techniken guter Gesetzgebung beschäftigt, größere Aufmerksamkeit. Ein breiterer rechtswissenschaftlicher Diskurs über Anforderungen an die Lesbarkeit von Gesetzentwürfen und Mittel, diese zu verbessern, wäre aus dem aufgezeigten Anlass angebracht. Es ist an der Zeit, dass die Rechtswissenschaft sich verstärkt mit Verfahren und Formen, Sprache und Technik der Rechtsetzung beschäftigt.
Dieser Aufruf an Politik und Rechtswissenschaft hat in einer Zeit umso mehr Gewicht, die von zunehmender Skepsis gegenüber politischen Verantwortungsträger*innen geprägt ist. Manche, die das 3. Bevölkerungsschutzgesetz mit den nationalsozialistischen Ermächtigungsgesetzen von 1933 gleichsetzten, hätte auch eine Synopse wahrscheinlich nicht zu einer anderen Auffassung gebracht. Anderen aber hätte eine Synopse geholfen, solchen Irrtümern informiert entgegenzutreten. Verpflichtende Synopsen sind ein zweckmäßiger Beitrag zu mehr Transparenz und Nachvollziehbarkeit und können Debatten über Gesetzentwürfe rationalisieren. Wenn andere Fraktionen dem Vorschlag der LINKEN gegenüber ablehnend bleiben, sollten sie dringend zweckmäßige Alternativen vorschlagen.
Dieser hervorragende Beitrag wäre aber auch selbst besser lesbar ohne all die überflüssigen *-Anhänge bei den genannten Personengruppen. Es weiß doch jedes Kind, dass zB Gesetzesautoren nicht alles Männer sind.
Zustimmung zu diesem lesenswerten Beitrag – und zum Kommentar des Vorredners.
Es fehlen allerdings 2 wichtige Hinweise:
1. Tasmanien hat schon vor Jahren ein umgekehrtes Gesetzgebungsverfahren EnAct (https://www.legislation.tas.gov.au/about/enact) entwickelt: Der Referent entwirft keine Änderungsanweisung sondern den neuen Wortlaut. Das vom Parlament zu verabschiedene Änderungsgesetz wird automatisch erzeugt. Eine synoptische Darstellung ist mit diesem Verfahren jederzeit automatisch verfügbar.
2. Synoptische Darstellungen können automatisiert aus deutschen Gesetzentwürfen erstellt werden. Diese Technik ist seit jahren verfügbar.