Koffer auspacken 2013: Martti Koskenniemi
Lassen Sie uns über Bücher sprechen. Welche haben Sie in den Ferien gelesen?
Eine solche Fragen stellt die Aufrichtigkeit der Menschen aber auf eine ziemlich harte Probe. Ist Ihnen aufgefallen, dass sich alle darum sorgen, einen möglichst guten Eindruck mit ihrem Lesestoff zu hinterlassen?
Sie meinen, die Frage wird nicht immer ehrlich beantwortet?
Wäre das eine große Überraschung – so wie wir Menschen sind?
… Lassen Sie es uns versuchen: Wie war Ihr Sommer?
Ich war neun Wochen auf dem Land. Da habe ich auch ein Arbeitszimmer, und als Professor kann ich meine Bücher und Computer überall mit hinnehmen – was ich getan habe. Allerdings muss ich sagen, dass neun Wochen Landleben dann auch genug sind.
Welche Bücher hatten Sie denn dabei?
Eine ganze Menge. Vor allem Bücher über Politik und Recht im 18. Jahrhundert. Darüber schreibe ich gerade, genau genommen arbeite ich an einem Kapitel über die Tradition des Naturrechts im Deutschland des 18. Jahrhunderts. Daher hatte ich eine Menge Sekundärliteratur dabei, insbesondere von deutschen Autoren, die sich mit Christian Thomasius, Christian Wolff , de Vattel und all diesen Helden aus Preußen oder anderen Teilen Deutschlands beschäftigten haben.
Blieb da noch Platz für fachfremde Literatur?
Schon seit etlichen Wochen lese ich den Roman The Lost Dog von der Australierin Michelle de Kretser, aber aus irgendeinem Grund fallen mir nach zwei Seiten immer die Augen zu. Eigentlich ist es ein sehr gutes Buch. Es beschreibt ein multikulturelles Australien und hat eine Menge Preise gewonnen. Aber ich kämpfe nun schon ziemlich lange damit.
Was hat Sie denn anfangs an dem Buch interessiert?
Um ehrlich zu sein, ich habe es geschenkt bekommen. Seitdem liegt es auf meinem Nachttisch. Ich schlage es auch häufig voller Optimismus auf, schaffe dann aber in der Regel nicht mehr als ein paar Seiten.
Werden Sie es weiter probieren?
Das habe ich noch nicht entschieden, vielleicht muss ich mich da jetzt einfach durch. Das ist ja immer einer moralische Frage: Ist es in Ordnung ein Buch nach der Hälfte wegzulegen, oder muss man jedes begonnene Buch zu Ende lesen? Bisher konnte ich dieses Problem nicht lösen.
Dann hoffe ich, dass Sie Alternativen dabei hatten?
Ja, einige. Ein Beispiel für ein Buch, das ich tatsächlich gelesen habe ist The Property von Rutu Modan – eine hervorragende Graphic Novel von einer israelischen Illustratorin. Es geht um eine alte jüdische Dame, die nach Warschau reist, um ihren Besitz zurückzufordern, den die Familie auf der Flucht vor den Nazis zurücklassen musste. Dann habe ich noch eine zweite Graphic Novel gelesen: Zahra’s Paradise von Amir und Khalil. In der Geschichte sucht eine Mutter ihren Sohn, der verschwand, als er in Teheran demonstrierte.
Konnten sie daraus etwas für Ihre Arbeit als Völkerrechtler ableiten?
Paradise ist eine sehr dunkle und traurige Geschichte. Darin wird deutlich, wie unzureichend Recht Situationen wie die in Iran regeln kann. Aber während des Lesens, habe ich eigentlich nicht an meine eigene Arbeit gedacht. Übrigens habe ich auch zwei Romane geschafft zu gelesen, während The Lost Dog auf meinem Nachttisch lag. Eine erinnerte mich an meine akademische Konferenzen: Skios von Michael Frayn, einem englischen Erzähler und Dramatiker. Das ist eine sehr leichte Komödie über eine Konferenz auf der griechischen Insel Skios. In der Geschichte steckt viel Wahres über die Parodien, die sich auf solchen Veranstaltungen abspielen. Und dann noch Microcosm von Claudio Magris. Magris kommt aus Italien und wurde in Triest geboren. Microcosm ist eine Sammlung von Kurzgeschichten in Triest und über die Geschichte der Stadt.
Waren Sie auch selbst da?
Ja, ich bin mit dem Buch dort hin gereist und habe die Stadt erkundet. Triest ist bekannt für seine hohe Café-Dichte im Stadtzentrum, und viele Gesprächsszenen in dem Buch spielen in diesen Cafés. Es war sehr interessant, die Diskussionen im Buch zu lesen und gleichzeitig an den entsprechenden Orten zu sein. Ich glaube der größte Verdienst von Microcosm war, meine Gedanken vom Völkerrecht fern zu halten.
Aber Sie hatten auch einige Bücher über Rechtsgeschichte dabei – was sticht da besonders heraus?
Zunächst kann ich diese Arbeit selbstverständlich nicht ohne “Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland” von Michael Stolleis schreiben. Außerdem habe ich einige zeitgenössische deutsche Historiker gelesen und eine wunderbare Arbeit des amerikanischen Politikhistorikers Keith Tribe. In Governing Economy erzählt er die Geschichte der Kameral- und Polizeiwissenschaften in Deutschland. Da ich mich besonders für den Zusammenhang von politischer Ökonomie und Völkerrecht interessiere, war diese Buch sehr hilfreich.
Außerdem hat mir die philosophische Arbeit des amerikanischen Historikers Peter Gordon sehr gefallen. In Continental Divide geht es um das berühmte Treffen von Heidegger und Cassirer in Davos 1929. Gordon erweitert dies zu einem Gemälde der intellektuellen Atmosphäre in den 1920er und 1930er Jahren. Darin wird die Gegensätzlichkeit der Hermeneutik Heideggers auf der einen und des analytischen Positivismus Cassieris auf der anderen Seite sehr deutlich. Obwohl es in dem Buch nicht um das 18. Jahrhundert geht, hatte es seinen Platz auf meinem Schreibtisch, nicht auf dem Nachttisch.
Die Fragen stellte Maximilian Steinbeis. Transkript und Übersetzung: Wiebke Fröhlich