20 March 2025

Respekt für das Völkerrecht

Eine Erklärung von deutschsprachigen Völkerrechtslehrern

Wir lehren und beforschen internationales Recht. Bei allen Differenzen in Einzelfragen und Beurteilungen konkreter Konflikte einen uns die folgenden Überzeugungen: Die Beachtung des Völkerrechts ist zur Erhaltung und Wiederherstellung des Weltfriedens in der derzeitigen Lage wichtiger denn je. Das gilt zumal für Deutschland. Die Legitimation Deutschlands in der Welt nach den Verbrechen des Holocaust und dem deutschen Angriffskrieg, der zum Zweiten Weltkrieg wurde, beruht seit jeher entscheidend auf Deutschlands Entschluss, das Völkerrecht nicht nur einzuhalten, sondern auch zu schützen und zu fördern. Die Völkerrechtsfreundlichkeit durchzieht das deutsche Grundgesetz von der Präambel bis zum letzten Artikel. Daher mahnen wir die Einhaltung der von der Bundesrepublik übernommenen völkerrechtlichen Verpflichtungen an. Gerade in einer Zeit, in der das Völkerrecht von mächtigen Staaten gebrochen wird, appellieren wir eindringlich an Entscheidungsträger in Bund und Ländern, diese Errungenschaft nicht aufs Spiel zu setzen.

Wir begrüßen daher die Unterstützung der Ukraine, die Opfer eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges ist, durch Deutschland und Europa und stimmen zu, dass diese Unterstützung nach der Abwendung der Vereinigten Staaten von Amerika von der zukünftigen Bundesregierung in Zusammenarbeit mit anderen Staaten fortgesetzt und verstärkt werden muss. Territoriale Änderungen können nicht ohne oder gegen den territorialen Souverän und das Selbstbestimmungsrecht des Volkes erfolgen. Dies schließt auch die Anerkennung von bilateralen Verträgen, die unter Zwang unterzeichnet werden, aus.

Wir erinnern daran, dass sich Deutschland zur Mitwirkung an internationalen Institutionen auf der Grundlage von Völkerrecht und Grundgesetz verpflichtet hat. Die Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs müssen von Vertragsstaaten beachtet und ausgeführt werden. Das schließt den russischen Präsidenten Wladimir Putin ein, aber auch den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, und zwar ungeachtet dessen, ob wir einen Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs inhaltlich richtig finden und ungeachtet unserer Einschätzungen der Reichweite persönlicher Immunität. Eine Einladung Netanjahus nach Deutschland unter Zusicherung von Immunität verstieße gegen das Völkerrecht und gegen deutsches Recht, das mit Billigung aller demokratischen Parteien seit der vergehenden Legislaturperiode einen Ausschluss funktioneller Immunität für völkerrechtliche Verbrechen vorsieht (§ 20 Abs. 2 S. 2 GVG).

Darüber hinaus halten wir es für unerlässlich, dass die Bundesregierung in Anbetracht des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs vom Juli 2024 zur Rechtswidrigkeit der israelischen Besatzung, auf welches auch das Auswärtige Amt affirmativ Bezug genommen hat, und ihrer Zusicherungen gegenüber dem Internationalen Gerichtshof sicherstellt, dass keine Waffen an Israel geliefert werden, die völkerrechtswidrig zum Einsatz kommen.

In den Versuchen, die UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese am Sprechen an Universitäten zu hindern, sehen wir – ungeachtet dessen, ob wir Albaneses Analysen zustimmen, und einiger umstrittener Äußerungen in der Vergangenheit – einen Verstoß gegen die im Grundgesetz und auch in internationalen Gewährleistungen der Menschenrechte verankerte Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit. Darüber hinaus erfordert die verfassungsrechtlich verankerte Mitgliedschaft Deutschlands in den Vereinten Nationen Respekt vor deren Institutionen einschließlich der von ihr mandatierten Sonderbeauftragten. Wir schließen uns der diesbezüglichen Kritik der European Society of International Law und unserer Kollegen der Free University of Berlin an.

Diese Angriffe auf das Völkerrecht im Kontext des Nahostkonflikts finden Parallelen in der Debatte um das Asylrecht. Bei allem Respekt für unterschiedliche asylpolitische Auffassungen sind völker- und europarechtliche Pflichten im Umgang mit Geflüchteten zu respektieren. Das schließt die Befolgung der Europäischen Menschenrechtskonvention und des Unionsrechts, der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Gerichtshofs der Europäischen Union ein.

Deutschsprachige Forschende oder Lehrende des internationalen Rechts, die die Erklärung zeichnen möchten, kontaktieren bitte Matthias Goldmann (matthias.goldmann@ebs.edu). Presseanfragen bitte an Anne van Aaken (anne.van.aaken@uni-hamburg.de), Kai Ambos (kambos@gwdg.de) oder Matthias Goldmann.

Stand: 25. März 2025

  1. Anne van Aaken, Professorin, Universität Hamburg
  2. Andreas Paulus, Professor, Universität Göttingen
  3. Kai Ambos, Professor, Universität Göttingen
  4. Matthias Goldmann, Professor, EBS Universität für Wirtschaft und Recht
  5. Sigrid Boysen, Professorin, Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr Hamburg
  6. Thomas Giegerich, Professor, Europa-Institut, Universität des Saarlandes
  7. Philipp Dann, Professor, Humboldt Universität zu Berlin
  8. Markus Krajewski, Professor, Universität Erlangen-Nürnberg
  9. Andreas Haratsch, Professor, FernUniversität in Hagen
  10. Andreas von Arnauld, Professor, Walther-Schücking-Institut, Universität Kiel
  11. Dagmar Richter, Professorin, Universität Heidelberg/ Universität des Saarlandes
  12. Donald Riznik, Akademischer Oberrat, Universität der Bundeswehr München
  13. Grażyna Baranowska, Professorin, Universität Erlangen-Nürnberg
  14. Bruno Simma, Professor, LMU München/ University of Michigan Ann Arbor
  15. Stefan Oeter, Professor, Universität Hamburg
  16. Thomas Kleinlein, Professor, Walther-Schücking-Institut, Universität Kiel
  17. Christina Binder, Professorin, Universität der Bundeswehr München
  18. Florian Jeßberger, Professor, Humboldt-Universität zu Berlin
  19. Nele Matz-Lück, Professorin, Walther-Schücking-Institut, Universität Kiel
  20. Alexander Proelß, Professor, Universität Hamburg
  21. Rainer Hofmann, Professor, Universität Frankfurt a.M.
  22. Dominik Steiger, Professor, Zentrum für Internationale Studien, Technische Universität Dresden
  23. Eva Pils, Professorin, Universität Erlangen-Nürnberg
  24. Nora Markard, Professorin, Universität Münster
  25. Claus Dieter Classen, Professor, Universität Greifswald
  26. Christian Tomuschat, Professor, Humboldt-Universität zu Berlin
  27. Marc Bungenberg, Professor, Europa-Institut, Universität des Saarlandes
  28. Mehrdad Payandeh, Professor, Bucerius Law School, Hamburg
  29. Birgit Peters, Professorin, Universität Trier
  30. Ralf Michaels, Professor, Universität Hamburg und Queen Mary University London
  31. Andreas Fischer-Lescano, Professor, Universität Kassel
  32. Felix Hanschmann, Professor, Bucerius Law School, Hamburg
  33. Karin Oellers-Frahm, MPI für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg
  34. Daniel-Erasmus Khan, Professor, Universität der Bundeswehr München
  35. Stefanie Bock, Professorin, Philipps-Universität Marburg
  36. Eckart Klein, Professor, Universität Potsdam
  37. Markus Kotzur, Professor, Universität Hamburg
  38. Marten Breuer, Professor, Universität Konstanz
  39. Nico Krisch, Professor, Graduate Institute of International and Development Studies
  40. Franz Mayer, Professor, Universität Bielefeld
  41. Claudia Maria Hofmann, Professorin, Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)
  42. Frank Neubacher, Professor, Universität zu Köln
  43. Karsten Nowrot, Professor, Universität Hamburg
  44. Matthias Ruffert, Professor, Humboldt-Universität zu Berlin
  45. Peter-Tobias Stoll, Professor, Universität Göttingen
  46. Ingo Venzke, Professor, Universiteit van Amsterdam
  47. Lukas Rass-Masson, Professor, Université de Toulouse
  48. Felix Lange, Professor, Universität zu Köln
  49. Sina Fontana, Professorin, Universität Augsburg
  50. Angelika Siehr, Professorin, Universität Bielefeld
  51. Andreas Müller, Professor, Universität Basel
  52. Astrid Epiney, Professorin, Universität Freiburg, Schweiz
  53. Yvonne Karimi-Schmidt, Professorin, Universität Graz
  54. Erich Schweighofer, Professor, Universität Wien
  55. Oliver Dörr, Professor, Universität Osnabrück
  56. Christian Walter, Professor, LMU München
  57. Robert Uerpmann-Wittzack, Professor, Universität Regensburg
  58. Björn Schiffbauer, Professor, Universität Rostock
  59. Jürgen Bröhmer, Professor, Murdoch University, Perth, West-Australien
  60. Eibe Riedel, Professor (em.), Universität Mannheim
  61. Matthias Mahlmann, Professor, Universität Zürich
  62. Manfred Nowak, Professor, Universität Wien
  63. Theodor Schilling, apl. Professor, Humboldt-Universität zu Berlin
  64. Martina Haedrich, Professorin, Universität Jena
  65. Kay Hailbronner, Professor, Universität Konstanz
  66. Jochen von Bernstorff, Professor, Universität Tübingen
  67. Katja Ziegler, Professorin, University of Leicester, Vereinigtes Königreich
  68. Stephan Breitenmoser, Professor (em.), Universität Basel
  69. Stephanie Schiedermair, Professorin, Universität Leipzig
  70. Meinhard Schröder, Professor,Universität Trier
  71. Ulrich Fastenrath, Professor, Zentrum für Internationale Studien, Technische Universität Dresden
  72. Anuscheh Farahat, Professorin, Universität Wien
  73. Karsten Thorn, Professor, Bucerius Law School, Hamburg
  74. Michaela Hailbronner, Universität Münster
  75. Anna Petrig, Professorin, Universität Basel
  76. Sabine von Schorlemer, Professorin, Zentrum für Int. Studien, Technische Universität Dresden
  77. Dirk Hanschel, Professor, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
  78. Matthias Valta, Professor, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
  79. Henning Lahmann, Professor, Universität Leiden
  80. Hannah Birkenkötter, Professorin, Instituto Tecnológico Autónomo de México
  81. Michel Erpelding, Forschungsgruppenleiter, MPI für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie
  82. Johann Ruben Leiss, Professor, Universität Oslo
  83. Jörg Paul Müller, Professor (em.), Universität Basel
  84. Ralph Janik, Assistenzprofessor, Sigmund Freud Privatuniversität Wien
  85. Valentin Schatz, Juniorprofessor, Leuphana Universität Lüneburg
  86. Wolfgang Benedek, Professor i.R., Universität Graz
  87. Manuel Brunner, Professor, Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen
  88. Florian Hoffmann, Professor, Pontifícia Universidade Católica do Rio de Janeiro
  89. Herbert Kronke, Professor, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
  90. Klaus D. Beiter, Professor, North-West University, Potchefstroom, Südafrika
  91. Michael Riegner, Juniorprofessor, Universität Erfurt
  92. Christoph Vedder, Professor, Universität Augsburg
  93. Jann K. Kleffner, Professor, Swedish Defense University, Stockholm

Der Text der Erklärung wurde ursprünglich bei FAZ Einspruch am 20.3.2025 veröffentlicht.


SUGGESTED CITATION  von deutschsprachigen Völkerrechtslehrer*innen, Offener Brief: Respekt für das Völkerrecht: Eine Erklärung von deutschsprachigen Völkerrechtslehrern, VerfBlog, 2025/3/20, https://verfassungsblog.de/respekt-fur-das-volkerrecht/, DOI: 10.59704/b31368a6dac0e181.

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