Respekt für das Völkerrecht
Eine Erklärung von deutschsprachigen Völkerrechtslehrern
Wir lehren und beforschen internationales Recht. Bei allen Differenzen in Einzelfragen und Beurteilungen konkreter Konflikte einen uns die folgenden Überzeugungen: Die Beachtung des Völkerrechts ist zur Erhaltung und Wiederherstellung des Weltfriedens in der derzeitigen Lage wichtiger denn je. Das gilt zumal für Deutschland. Die Legitimation Deutschlands in der Welt nach den Verbrechen des Holocaust und dem deutschen Angriffskrieg, der zum Zweiten Weltkrieg wurde, beruht seit jeher entscheidend auf Deutschlands Entschluss, das Völkerrecht nicht nur einzuhalten, sondern auch zu schützen und zu fördern. Die Völkerrechtsfreundlichkeit durchzieht das deutsche Grundgesetz von der Präambel bis zum letzten Artikel. Daher mahnen wir die Einhaltung der von der Bundesrepublik übernommenen völkerrechtlichen Verpflichtungen an. Gerade in einer Zeit, in der das Völkerrecht von mächtigen Staaten gebrochen wird, appellieren wir eindringlich an Entscheidungsträger in Bund und Ländern, diese Errungenschaft nicht aufs Spiel zu setzen.
Wir begrüßen daher die Unterstützung der Ukraine, die Opfer eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges ist, durch Deutschland und Europa und stimmen zu, dass diese Unterstützung nach der Abwendung der Vereinigten Staaten von Amerika von der zukünftigen Bundesregierung in Zusammenarbeit mit anderen Staaten fortgesetzt und verstärkt werden muss. Territoriale Änderungen können nicht ohne oder gegen den territorialen Souverän und das Selbstbestimmungsrecht des Volkes erfolgen. Dies schließt auch die Anerkennung von bilateralen Verträgen, die unter Zwang unterzeichnet werden, aus.
Wir erinnern daran, dass sich Deutschland zur Mitwirkung an internationalen Institutionen auf der Grundlage von Völkerrecht und Grundgesetz verpflichtet hat. Die Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs müssen von Vertragsstaaten beachtet und ausgeführt werden. Das schließt den russischen Präsidenten Wladimir Putin ein, aber auch den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, und zwar ungeachtet dessen, ob wir einen Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs inhaltlich richtig finden und ungeachtet unserer Einschätzungen der Reichweite persönlicher Immunität. Eine Einladung Netanjahus nach Deutschland unter Zusicherung von Immunität verstieße gegen das Völkerrecht und gegen deutsches Recht, das mit Billigung aller demokratischen Parteien seit der vergehenden Legislaturperiode einen Ausschluss funktioneller Immunität für völkerrechtliche Verbrechen vorsieht (§ 20 Abs. 2 S. 2 GVG).
Darüber hinaus halten wir es für unerlässlich, dass die Bundesregierung in Anbetracht des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs vom Juli 2024 zur Rechtswidrigkeit der israelischen Besatzung, auf welches auch das Auswärtige Amt affirmativ Bezug genommen hat, und ihrer Zusicherungen gegenüber dem Internationalen Gerichtshof sicherstellt, dass keine Waffen an Israel geliefert werden, die völkerrechtswidrig zum Einsatz kommen.
In den Versuchen, die UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese am Sprechen an Universitäten zu hindern, sehen wir – ungeachtet dessen, ob wir Albaneses Analysen zustimmen, und einiger umstrittener Äußerungen in der Vergangenheit – einen Verstoß gegen die im Grundgesetz und auch in internationalen Gewährleistungen der Menschenrechte verankerte Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit. Darüber hinaus erfordert die verfassungsrechtlich verankerte Mitgliedschaft Deutschlands in den Vereinten Nationen Respekt vor deren Institutionen einschließlich der von ihr mandatierten Sonderbeauftragten. Wir schließen uns der diesbezüglichen Kritik der European Society of International Law und unserer Kollegen der Free University of Berlin an.
Diese Angriffe auf das Völkerrecht im Kontext des Nahostkonflikts finden Parallelen in der Debatte um das Asylrecht. Bei allem Respekt für unterschiedliche asylpolitische Auffassungen sind völker- und europarechtliche Pflichten im Umgang mit Geflüchteten zu respektieren. Das schließt die Befolgung der Europäischen Menschenrechtskonvention und des Unionsrechts, der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Gerichtshofs der Europäischen Union ein.
Deutschsprachige Forschende oder Lehrende des internationalen Rechts, die die Erklärung zeichnen möchten, kontaktieren bitte Matthias Goldmann (matthias.goldmann@ebs.edu). Presseanfragen bitte an Anne van Aaken (anne.van.aaken@uni-hamburg.de), Kai Ambos (kambos@gwdg.de) oder Matthias Goldmann.
Stand: 25. März 2025
- Anne van Aaken, Professorin, Universität Hamburg
- Andreas Paulus, Professor, Universität Göttingen
- Kai Ambos, Professor, Universität Göttingen
- Matthias Goldmann, Professor, EBS Universität für Wirtschaft und Recht
- Sigrid Boysen, Professorin, Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr Hamburg
- Thomas Giegerich, Professor, Europa-Institut, Universität des Saarlandes
- Philipp Dann, Professor, Humboldt Universität zu Berlin
- Markus Krajewski, Professor, Universität Erlangen-Nürnberg
- Andreas Haratsch, Professor, FernUniversität in Hagen
- Andreas von Arnauld, Professor, Walther-Schücking-Institut, Universität Kiel
- Dagmar Richter, Professorin, Universität Heidelberg/ Universität des Saarlandes
- Donald Riznik, Akademischer Oberrat, Universität der Bundeswehr München
- Grażyna Baranowska, Professorin, Universität Erlangen-Nürnberg
- Bruno Simma, Professor, LMU München/ University of Michigan Ann Arbor
- Stefan Oeter, Professor, Universität Hamburg
- Thomas Kleinlein, Professor, Walther-Schücking-Institut, Universität Kiel
- Christina Binder, Professorin, Universität der Bundeswehr München
- Florian Jeßberger, Professor, Humboldt-Universität zu Berlin
- Nele Matz-Lück, Professorin, Walther-Schücking-Institut, Universität Kiel
- Alexander Proelß, Professor, Universität Hamburg
- Rainer Hofmann, Professor, Universität Frankfurt a.M.
- Dominik Steiger, Professor, Zentrum für Internationale Studien, Technische Universität Dresden
- Eva Pils, Professorin, Universität Erlangen-Nürnberg
- Nora Markard, Professorin, Universität Münster
- Claus Dieter Classen, Professor, Universität Greifswald
- Christian Tomuschat, Professor, Humboldt-Universität zu Berlin
- Marc Bungenberg, Professor, Europa-Institut, Universität des Saarlandes
- Mehrdad Payandeh, Professor, Bucerius Law School, Hamburg
- Birgit Peters, Professorin, Universität Trier
- Ralf Michaels, Professor, Universität Hamburg und Queen Mary University London
- Andreas Fischer-Lescano, Professor, Universität Kassel
- Felix Hanschmann, Professor, Bucerius Law School, Hamburg
- Karin Oellers-Frahm, MPI für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg
- Daniel-Erasmus Khan, Professor, Universität der Bundeswehr München
- Stefanie Bock, Professorin, Philipps-Universität Marburg
- Eckart Klein, Professor, Universität Potsdam
- Markus Kotzur, Professor, Universität Hamburg
- Marten Breuer, Professor, Universität Konstanz
- Nico Krisch, Professor, Graduate Institute of International and Development Studies
- Franz Mayer, Professor, Universität Bielefeld
- Claudia Maria Hofmann, Professorin, Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)
- Frank Neubacher, Professor, Universität zu Köln
- Karsten Nowrot, Professor, Universität Hamburg
- Matthias Ruffert, Professor, Humboldt-Universität zu Berlin
- Peter-Tobias Stoll, Professor, Universität Göttingen
- Ingo Venzke, Professor, Universiteit van Amsterdam
- Lukas Rass-Masson, Professor, Université de Toulouse
- Felix Lange, Professor, Universität zu Köln
- Sina Fontana, Professorin, Universität Augsburg
- Angelika Siehr, Professorin, Universität Bielefeld
- Andreas Müller, Professor, Universität Basel
- Astrid Epiney, Professorin, Universität Freiburg, Schweiz
- Yvonne Karimi-Schmidt, Professorin, Universität Graz
- Erich Schweighofer, Professor, Universität Wien
- Oliver Dörr, Professor, Universität Osnabrück
- Christian Walter, Professor, LMU München
- Robert Uerpmann-Wittzack, Professor, Universität Regensburg
- Björn Schiffbauer, Professor, Universität Rostock
- Jürgen Bröhmer, Professor, Murdoch University, Perth, West-Australien
- Eibe Riedel, Professor (em.), Universität Mannheim
- Matthias Mahlmann, Professor, Universität Zürich
- Manfred Nowak, Professor, Universität Wien
- Theodor Schilling, apl. Professor, Humboldt-Universität zu Berlin
- Martina Haedrich, Professorin, Universität Jena
- Kay Hailbronner, Professor, Universität Konstanz
- Jochen von Bernstorff, Professor, Universität Tübingen
- Katja Ziegler, Professorin, University of Leicester, Vereinigtes Königreich
- Stephan Breitenmoser, Professor (em.), Universität Basel
- Stephanie Schiedermair, Professorin, Universität Leipzig
- Meinhard Schröder, Professor,Universität Trier
- Ulrich Fastenrath, Professor, Zentrum für Internationale Studien, Technische Universität Dresden
- Anuscheh Farahat, Professorin, Universität Wien
- Karsten Thorn, Professor, Bucerius Law School, Hamburg
- Michaela Hailbronner, Universität Münster
- Anna Petrig, Professorin, Universität Basel
- Sabine von Schorlemer, Professorin, Zentrum für Int. Studien, Technische Universität Dresden
- Dirk Hanschel, Professor, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
- Matthias Valta, Professor, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
- Henning Lahmann, Professor, Universität Leiden
- Hannah Birkenkötter, Professorin, Instituto Tecnológico Autónomo de México
- Michel Erpelding, Forschungsgruppenleiter, MPI für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie
- Johann Ruben Leiss, Professor, Universität Oslo
- Jörg Paul Müller, Professor (em.), Universität Basel
- Ralph Janik, Assistenzprofessor, Sigmund Freud Privatuniversität Wien
- Valentin Schatz, Juniorprofessor, Leuphana Universität Lüneburg
- Wolfgang Benedek, Professor i.R., Universität Graz
- Manuel Brunner, Professor, Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen
- Florian Hoffmann, Professor, Pontifícia Universidade Católica do Rio de Janeiro
- Herbert Kronke, Professor, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
- Klaus D. Beiter, Professor, North-West University, Potchefstroom, Südafrika
- Michael Riegner, Juniorprofessor, Universität Erfurt
- Christoph Vedder, Professor, Universität Augsburg
- Jann K. Kleffner, Professor, Swedish Defense University, Stockholm
- Gerard C. Rowe, Professor (em.), Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)
Der Text der Erklärung wurde ursprünglich bei FAZ Einspruch am 20.3.2025 veröffentlicht.
Recht so. Es möge nützen.
Deutschlands „Respekt“ für das Völkerrecht
Wir begrüßen den Brief der 77 Völkerrechtler:innen, der die Bundesregierung auffordert, internationales Recht zu achten. Die Völkerrechtler:innen betonen unter anderem, dass Deutschland rechtlich verpflichtet ist, die IStGH-Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant umzusetzen, und sie stellen klar, dass die Verhinderung des Sprechens der UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese an deutschen Universitäten einen Verstoß gegen die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit darstellt.
Erstaunlich ist, dass die Verfasser des Briefes den Vorwurf des Völkermords Israels gegen die Palästinenser:innen mit keinem Wort erwähnen. Eine Mahnung an die Politik, das Völkerrecht zu respektieren, ist unzureichend, wenn sie nicht klarstellt, dass die Politik seit mehr als 18 Monaten das Völkerrecht in Bezug auf Israel missachtet und sich aus der Sicht vieler – insbesondere international – der Beihilfe zum Völkermord schuldig macht. Wir hätten zudem erwartet, dass Gaza und Palästina namentlich erwähnt werden, da es hier um die systematische Vernichtung der Palästinenser:innen geht, deren Leid durch das Schweigen weiterhin unsichtbar bleibt.
Als Unterzeichner der UN-Völkermordkonvention ist Deutschland verpflichtet, Völkerrechtsverbrechen zu verhindern, auch israelische. Spätestens nach der IGH-Entscheidung vom 26. Januar 2024 im Fall Südafrika vs. Israel, dass vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung eines Völkermords in Gaza notwendig sind, hätte die Bundesregierung ihre Unterstützung Israels überdenken müssen. Weitere IGH-Entscheidungen und Berichte von Organisationen wie Amnesty, Human Rights Watch und ECCHR sowie von verschiedenen UN-Institutionen belegen Israels Völkerrechtsverbrechen in Gaza. Auch die IStGH-Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant basieren auf Belegen für den Einsatz von Hunger als Kriegswaffe. Die umfassende Unterstützung Israels durch die Bundesregierung steht in klarem Widerspruch zum Völkerrecht und schwächt die internationalen Institutionen. Der Brief hätte dies ansprechen und die Politik ermahnen müssen. Zudem wird die Klage Nicaraguas gegen Deutschland beim IGH nicht erwähnt.
Mit der Auslassung der IGH-Entscheidungen im Fall Südafrika vs. Israel zeigt der Brief eine eklatante Diskrepanz zwischen Völkerrechtler:innen außerhalb Deutschlands und ihren Kolleg:innen hierzulande, auch wenn es unter letzteren Ausnahmen gibt. In anderen Ländern drängen Völkerrechtler:innen auf die Umsetzung der IGH-Maßnahmen. Sie verurteilen, dass Israel seit dem 2. März 2025 erneut humanitäre Güter nach Gaza vollständig blockiert, am 9. März 2025 die Stromversorgung einer Trinkwasserentsalzungsanlage kappte und am 18. März 2025 die vereinbarte Waffenruhe brach. Internationale Völkerrechtler fordern auch den IGH auf, weitere einstweilige Maßnahmen zu erlassen, um die vollständige Auslöschung und Vertreibung der Menschen in Gaza zu verhindern. Direkt nach Ende der Waffenruhe beging Israels Armee laut der israelischen Zeitung Haaretz das größte Massaker an Kindern in seiner Geschichte. Über 400 Palästinenser:innen wurden an einem Tag getötet, darunter 200 Kinder. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Briefes macht auch die Diskrepanz zwischen dem Stand der deutschen Debatte und der Realität vor Ort deutlich.
Der Brief der 77 Völkerrechtler lässt zentrale Aspekte unberücksichtigt, insbesondere Deutschlands völkerrechtliche Pflicht zur Verhinderung von Völkermord, die IGH-Entscheidungen im Fall Südafrika vs. Israel, sowie die Notwendigkeit, Gaza und Palästina namentlich zu nennen. Er bekräftigt jedoch die Verbindlichkeit des Völkerrechts. Auf dieser Grundlage sollte nun endlich in Deutschland ein ernsthafter Diskurs über Israels Verstöße gegen die Völkermordkonvention sowie Deutschlands aktive Unterstützung und die pflichtwidrige Unterlassung der Verhinderung von Völkermord an den Palästinenser:innen geführt werden. Zudem muss diskutiert werden, welche Maßnahmen (z.B. Sanktionen, ein vollständiges Waffenembargo) von Deutschland und anderen Drittstaaten zu ergreifen sind, damit Israel die weitere Vernichtung palästinensischen Lebens in Gaza und in der West Bank (einschließlich Ost-Jerusalems) stoppt und die völkerrechtswidrige Besatzung beendet.