Google zähmen
Das Bundeskartellamt wird seiner Vorreiterrolle gerecht
Das Bundeskartellamt (BKartA) versucht sich an der Zähmung des Datenkraken Google und zeigt, dass es trotz europäischer Regulierung weiterhin eine Vorreiterrolle im Kampf gegen die großen Digitalunternehmen einnehmen wird. Auf Grundlage des bisher kaum erprobten § 19a Abs. 2 GWB sollen Alphabet und Google Verbraucher*innen mehr Wahlmöglichkeiten bei der Einwilligung in das „Superprofiling“ geben. Damit zielt das BKartA in das Herz des Geschäftsmodells der digitalen Giganten. Ob das gelingt, hängt maßgeblich davon ab, ob der für diesen Zweck geschaffene § 19a GWB in der Anwendung schlagkräftiger ist als das „alte“ Kartellrecht.
Die Premiere: § 19a Abs. 2 GWB in der Anwendung
Am 11.01.2023 machte das BKartA öffentlich, dass es Alphabet und Google Germany schon Ende letzten Jahres eine „Abmahnung“ übermittelt hat. Das BKartA rügt in einer vorläufigen rechtlichen Einschätzung die fehlende Wahlmöglichkeit von Nutzer*innen der Google-Dienste bei der Einwilligung zur Datenverarbeitung. Der Text der Abmahnung ist nicht öffentlich. Damit erreicht ein erstes Verfahren zur neuen Regelung des § 19a Abs. 2 GWB diesen wichtigen Meilenstein. Lenkt Google nicht ein, ist noch dieses Jahr mit einer Entscheidung des BKartA zu rechnen.
Der Gesetzgeber hat § 19a GWB mit der 10. GWB-Novelle 2021 eingeführt. Die Norm soll die Marktmacht der großen Plattformunternehmen adressieren. Ihre Durchsetzung erfolgt in zwei Schritten. Zunächst stellt das BKartA fest, dass einem Unternehmen, das auf mehrseitigen Märkten tätig ist, eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Nach oder mit dieser Feststellung kann es dem Unternehmen besonders schädliche Verhaltensweisen untersagen, die in § 19a Abs. 2 GWB abschließend aufgeführt sind. Bisher hat das BKartA Alphabet/Google, Meta (vormals Facebook) und Amazon als Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung eingestuft. Das Verfahren gegen Apple läuft noch. Amazon geht gegen die Feststellung gerichtlich vor. Das Bundeskartellamt führt eine Reihe von Anschlussverfahren nach § 19a Abs. 2 GWB.
Laut BKartA lässt sich Google das Recht einräumen, Daten aus verschiedenen Diensten zu kombinieren. Neben der Google-Suche sind das Daten aus YouTube, Google Play, Google Maps, Google Assistant und weiteren Apps und Webseiten Dritter. Mit den so erstellten detaillierteren Profilen über Verbraucher*innen („Superprofiling“) kann Google sein Werbeangebot verbessern und hat bessere Trainingsdaten für die eigenen Dienste. Die damit erlangte Datenmacht ist der Kern des Geschäftsmodells von Google. Das Verfahren könnte Google also an einer empfindlichen Stelle treffen.
Das BKartA rügt, dass die Verbraucher*innen keine ausreichenden Wahlmöglichkeiten haben, wenn Google die nötige Einwilligung zum „Superprofiling“ einholt. Die bisherigen Wahlmöglichkeiten seien – soweit überhaupt vorhanden – zu intransparent und pauschal. Das BKartA beanstandet außerdem eine präventiv erfolgende flächendeckende dienstübergreifende Vorratsdatenverarbeitung.
Erst Facebook, jetzt Google
Beim Lesen drängt sich auf: Das kennen wir doch schon alles aus dem Facebook-Fall? Korrekt. Mit der Entscheidung vom 6. Februar 2019 untersagte das BKartA Facebook, die Nutzerdaten von Facebook.com ohne freiwillige Einwilligung mit Daten aus den Facebook-Diensten WhatsApp und Instagram, sowie sogenannten „off-Facebook-Daten“ zu kombinieren. Es ging also auch um Superprofiling. Für das BKartA war damals mitentscheidend, dass Meta gegen die DSGVO verstoßen habe. Darin sah es einen Ausbeutungsmissbrauch und eine Behinderung des Wettbewerbs.
Die Entscheidung war aufsehenerregend – auch international. Das Verfahren ist komplex. Die Entscheidung umfasst über 300 Seiten. Die Begründung ist – je nach Sichtweise – neuartig. Im Eilrechtsschutz hat das OLG Düsseldorf sie nicht geteilt. Auch der BGH war nicht überzeugt, hielt die Entscheidung dennoch, wenn auch mit anderer Begründung. Im Hauptsacheverfahren ist noch kein Ende in Sicht. Das OLG Düsseldorf hat dem EuGH mehrere Fragen vorgelegt. Dabei geht es um die Frage, ob das BKartA europäisches Datenschutzrecht prüfen durfte, obwohl doch die irische Datenschutzbehörde zuständig ist. Auch hier steht die Entscheidung noch aus. Der Schlussantrag des Generalanwalts Rantos liegt mittlerweile vor.
Die Missbrauchsverfahren in der digitalen Ökonomie sind komplex. Der Nachweis eines Verstoßes ist schwierig, da es sich oft um neuartige Verhaltensweisen handelt. Die Verfahren ziehen sich in die Länge, ohne dass Abhilfe geschaffen wird. So auch im Facebook-Verfahren. Das Bundeskartellamt setzt die Entscheidung nicht durch, obwohl sie vollstreckbar wäre. Es bleibt also bei dem mutmaßlichen Kartellrechtsverstoß. § 19a GWB sollte die Lösung dieser Probleme sein. Die Facebook-Entscheidung stützte das BKartA noch auf § 19 Abs. 1 GWB. Das Verfahren gegen Google ist nun der perfekte Test für die neue Vorschrift, da es um einen sehr ähnlichen Verstoß geht. Der Vergleich der beiden Verfahren wird zeigen, ob § 19a GWB die Erwartungen erfüllen kann und endlich effektive Abhilfe schafft.
Richtig schnell geht es auch mit § 19a GWB nicht. Das Bundeskartellamt hat das Verfahren schon am 25. Mai 2021 eingeleitet. Die Entscheidung wird frühestens zwei Jahre nach Einleitung ergehen. Im Facebook-Verfahren waren es knapp drei Jahre nach Einleitung. Die Gerichtsverfahren schließen sich noch an. Hier dürfte es schneller gehen als bei Facebook. Bei § 19a GWB geht es unter einer gewagten Verkürzung des Instanzenzugs gemäß § 73 Abs. 5 GWG direkt zum BGH.
Etwas stutzig macht eine Formulierung aus der Pressemitteilung. Das BKartA hat danach eine „ausführlich begründete Abmahnung“ übermittelt. Man kann nur hoffen, dass die Entscheidung nicht ganz so ausführlich und aufwändig ausfällt wie im Facebook-Verfahren, da sonst die Erleichterungen des § 19a GWB ins Leere gehen würden. Schwierigkeiten könnte bereiten, dass das BKartA nachweisen muss, dass Google den Verbraucher*innen keine ausreichende Wahlmöglichkeit bei der Einwilligung eingeräumt hat.
Consumer Choice
Das Wort „Wahlmöglichkeiten“ findet sich besonders häufig in der Pressemitteilung. Es geht um den Schutz der Wahlmöglichkeiten der Verbraucher*innen und damit um den Kern des Wettbewerbs. Die Verbraucher*innen sind diejenigen, die entscheiden sollten, welcher Dienst und welches Produkt sich im Wettbewerb durchsetzt. Sie werden zu Schiedsrichtern, indem sie in eigener Sache entscheiden. Das setzt voraus, dass sie überhaupt entscheiden können. Wie aber sollen sie entscheiden, wenn die Marktgegenseite von einem Unternehmen dominiert wird, das nur sehr eingeschränkte Wahlmöglichkeiten eröffnet? In dieser Situation können die autonome Entscheidung der Verbraucher*innen, der Auswahlprozess und damit der Wettbewerb ausgeschaltet werden.
Da mag es selbstverständlich wirken, die Wahlmöglichkeiten zu schützen. International ist das aber hochumstritten. Die sogenannte Chicago School propagierte eine Fixierung der Wettbewerbspolitik auf die Verbraucherwohlfahrt. In Europa ist dies seit der Jahrtausendwende als ‚more economic approach‘ bekannt. Sieht man eine Maximierung der Verbraucherwohlfahrt als Ziel des Wettbewerbs und des Kartellrechts, ist es im Ergebnis unerheblich, ob Verbraucher*innen ausreichende Wahlmöglichkeiten haben. Es kommt allein darauf an, ob Effizienzen weitergereicht werden. Bei niedrigen Preisen und guten Produkten wäre also ein behördliches Eingreifen nicht gerechtfertigt – auch wenn die Unternehmen die Wahlmöglichkeiten massiv einschränken. Das verkennt aber die Bedeutung des dezentralen Koordinierungsprozesses, der nur von autonom entscheidenden Individuen geleistet werden kann.
Die Fokussierung des BKartA auf die Wahlmöglichkeiten rührt zunächst aus dem Gesetzestext: § 19a Abs. 2 Nr. 4a GWB sieht diese als maßgeblich an. Der BGH hat im Facebook-Verfahren ebenfalls die freie und unabhängige Entscheidung der mündigen Verbraucher*innen in den Mittelpunkt gestellt – darin lag die Abkehr von der Kartellamtsbegründung, die noch viel stärker auf den DSGVO-Verstoß ausgerichtet war, statt auf den Schutz des Wettbewerbsprozesses.
Wann ausreichende Wahlmöglichkeiten zur Verfügung stehen, könnte sich nun aber wiederum aus der DSGVO ergeben. Der europäische Verordnungsgeber hat festgelegt, welche Anforderungen an eine Einwilligung zu stellen sind und wie die Daten verarbeitet werden dürfen. Es folgen dann aber die Probleme, die wir schon aus dem Facebook-Verfahren kennen: Darf das BKartA Datenschutzrecht prüfen? Wie kann man eine einheitliche Anwendung der DSGVO sicherstellen? Hier ist das Urteil des EuGH abzuwarten.
Das war erst der Anfang
Das Bundeskartellamt wird weiterhin seiner Vorreiterrolle im Kampf gegen die großen Digitalunternehmen gerecht. Da drängt sich die Frage auf, ob das überhaupt noch möglich und nötig ist. Mit dem Digital Markets Act (DMA) ist Ende letzten Jahres ein europäischer Rechtsakt in Kraft getreten, der – wie der Name schon sagt – die digitalen Märkte fair und bestreitbar machen soll. Die EU hat sich damit ein Internet-Regulierungsrecht gegeben, das bewusst die Durchsetzungsschwächen des Kartellrechts ausgleichen soll.
Ein Tätigwerden des Bundeskartellamts ist und bleibt dennoch möglich. Nach Art. 1 Abs. 6 lit. b DMA bleiben nationale Wettbewerbsvorschriften unberührt, soweit sie nicht auf Gatekeeper nach Art. 3 DMA angewendet werden oder Gatekeepern weitere Verpflichtungen auferlegen. Die Gatekeeper müssen aber erst noch benannt werden. Nach der Timeline der DG Comp zum DMA geschieht dies frühestens Mitte des Jahres, spätestens am 6. September 2023. Bis dahin ergibt sich kein Konflikt. Auch danach wird es noch neue Verfahren auf Grundlage von § 19a Abs. 2 GWB geben. Dessen Tatbestände sind offener formuliert als der Pflichtenkatalog des DMA. Hieraus können sich Abweichungen und damit „weitere Verpflichtungen“ ergeben. Relevant wird das insbesondere bei neuartigen Verhaltensweisen, die der DMA noch nicht erfasst.
Das Bundeskartellamt hat die Europäische Kommission vor sich hergetrieben. Es wird sich nicht an den Rand drängen lassen, wenn der DMA greift. Dafür ist das Verfahren gegen Googles Datenpraktiken ein machtvolles Signal. In der Pipeline sind weitere Verfahren auf Grundlage von § 19a GWB. So sollen Google Maps, die Preiskontrolle von Amazon und sein sogenanntes „Brandgating“, das App-Tracking-Transparency-Framework von Apple und die Datenverarbeitung von Meta bei der Nutzung von VR-Brillen im Fokus stehen. Vom BKartA gehen wichtige Impulse für die Zähmung der digitalen Giganten aus. Ohne das Verfahren gegen Facebook hätte es keinen § 19a GWB gegeben und in der Folge auch den DMA nicht in seiner jetzigen Form. Wie die Enforcement-Aktivitäten von Datenschutz-, Kartell- und Internetregulierungsbehörden künftig koordiniert werden, bleibt eine offene Frage. Vielleicht braucht es aber all diese Hebel, um überhaupt die mächtigen Digitalkonzerne noch rechtlich zähmen zu können.