04 Juni 2023

Ist der Umgang mit Klimaprotesten in Deutschland menschenrechtswidrig?

Wegen der in vielen Staaten der Welt zunehmenden Repressionen gegenüber friedfertigen Protestbewegungen, die vor allem auf Sitzblockaden zurückgreifen, hatten der UN-Menschenrechtsausschuss und auch der UN-Sonderberichterstatter sich in den letzten beiden Jahren wiederholt zu den menschenrechtlichen Standards im Umgang mit störenden Protestformen geäußert. Die dort identifizierten Gefahren für das Menschenrecht auf Versammlungsfreiheit sind auch für die deutsche Situation aufschlussreich.

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02 Juni 2023

Kollektive Unfriedlichkeit

Seit mehreren Wochen haben linke Gruppierungen für den Tag der Urteilsverkündung im Strafverfahren gegen Lina E. und drei andere Angeklagte vor dem OLG Dresden und das darauffolgende Wochenende Protestveranstaltungen angekündigt. Die Stadt Leipzig hat daraufhin für das Wochenende Versammlungen zum Thema im Stadtgebiet verboten. Neben der rechtlich angreifbaren Pauschalität wird das Verbot auch faktisch seinen Zweck verfehlen. Das Bedürfnis nach öffentlicher Auseinandersetzung mit dem Urteil lässt sich bestenfalls nur lenken. Ein Verbot hingegen dürfte eskalationssteigernd wirken.

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Gesetz ist Gesetz?

Seit den Hausdurchsuchungen in 15 Wohnungen von Mitgliedern der „Letzten Generation“ hat sich die öffentliche Diskussion um die Aktionen der Gruppe noch einmal intensiviert. Im Zentrum steht dabei der Begriff des „Zivilen Ungehorsams“. Obwohl das dahinterstehende Konzept auf viel, auch auf viel berechtigte, Kritik stößt, möchte ich zeigen, dass „ungehorsames“ Protestverhalten die Funktion erfüllt, Ungleichgewichte in den Möglichkeiten politischer Einflussnahme auszugleichen. Ziviler Ungehorsam kann dabei eine integrative Funktion erfüllen; er kann aber auch die diskursiven Verhältnisse aufbrechen und zu gesellschaftlichen und politischen Veränderungen anstoßen. Zudem zeichnet er sich dadurch aus, dass er Visionen einer normativen Zukunft entwickelt und insofern einen Beitrag zur Entwicklung der politischen Gemeinschaft und ihrer Verfassung leistet. Die weltweit zunehmende Kriminalisierung von Protestaktionen missachtet diese demokratische und rechtsstaatliche Bedeutung zivilen Ungehorsams.

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31 Mai 2023

Selbstbestimmt, aber ausgeschlossen?

Am 5. Mai 2023 legte das BMFSJ den Referentenentwurf (RefE) zum neuen Selbstbestimmungsgesetz vor, der vorsieht, das Verfahren zur Änderung des Geschlechtseintrags im Personenstandsregister zu vereinfachen. Die Resonanz unter Betroffenenverbänden auf diese epochale Neuerung ist im Grundsatz positiv. Der vorliegende Beitrag mahnt daher auch eine unzureichende Reflexion der Geschlechtergleichheit an, die in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG statuiert und in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausdifferenziert ist. Dem gleichheitsdogmatischen Umwälzungspotential, das der Marge zwischen Vulnerabilitätsdoktrin und Förderauftrag erwächst, wird der RefE jedoch nicht gerecht. Bedenklich sind die §§ 6 und 7 SBBG-RefE, die nicht-binäre Personen von positiven Maßnahmen ausnehmen.

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30 Mai 2023

Von Brokdorf nach Neukölln

Die Räume für zivilgesellschaftlichen Protest scheinen sich zunehmend zu verengen. Vor diesem Hintergrund besorgniserregend ist auch das Verbot zweier pro-palästinensischer Versammlungen in Berlin. Die Verbote beruhen nicht nur auf einer Gefahrenprognose, welche die hohen Anforderungen, die Art. 8 GG an ein präventives Versammlungsverbot stellt, grundsätzlich verkennt. Vielmehr stützen die Bescheide diese Gefahrenprognose auch maßgeblich auf rassistische Zuschreibungen.

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Aus der Mottenkiste politischer Theorie

Die aus der Mottenkiste der politischen Theorie entliehene Figur des „zivilen Ungehorsams“ in ihrer schillernden Unbestimmtheit ist kein grundrechtsdogmatisch plausibles Argument. Es gibt keine habermaskonforme Auslegung des Grundgesetzes. Ein dysfunktionales Einsickern in das Vokabular der Verhältnismäßigkeit wäre folgenreich und hat das Potential, die Mechaniken angemessenen Interessenausgleichs auszuhebeln, auf den wir alle gerade dann angewiesen sind, wenn wir erfolgreich die Wende in die Klimaneutralität organisieren wollen. In Zeiten, in denen sich die Institutionen des liberal-demokratischen Rechtsstaats immer aggressiveren Anfechtungen ausgesetzt sehen und sich robust behaupten müssen, wird die durchsetzbare Verpflichtung aller Akteure auf die demokratische Legalität zu einem kostbaren Gut. Man sollte es keinem autoritären Illegalismus opfern.

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27 Mai 2023

Deutschlands goldener Pass?

In Deutschland entscheidet der Geldbeutel nicht alleine über die Einbürgerung, aber auch hier können finanzielle Ressourcen eine wichtige Rolle im Einbürgerungsprozess spielen. Der vor wenigen Tagen veröffentlichte Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts verschärft dies und trifft auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken.

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26 Mai 2023

Manövrieren an den Grenzen des § 129 StGB

Die Ermittlungen wegen § 129 StGB gegen die Letzte Generation haben zu einem sehr frühen Zeitpunkt begonnen und stehen auf einer rechtlich alles andere als sicheren Grundlage. Die Strafverfolgungsbehörden manövrieren an der Grenze des Tatbestandes. Dies heißt aber auch, dass alle, die die Letzte Generation als Mitglied unterstützen, sich der Gefahr von Ermittlungsmaßnahmen aussetzen, also an der Grenze dessen agieren, was man sich selbst guten Gewissens zumuten möchte und kann. Schon die Ermittlungen wegen § 129 StGB haben damit eine prohibitive Wirkung.

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Soviel zum Thema Interkulturelle Kompetenz

Wir wissen aus aktuellen Studien, dass das anfänglich hohe Vertrauen von Migranten in die Polizei mit der Dauer ihres Aufenthalts im Gastland abnimmt. Dabei spielen erfahrene Diskriminierungen eine entscheidende Rolle. Die Hochschule hat mit ihrer überzogenen, voreiligen Reaktion im Fall Bahar Aslan ein weiteres, negatives Beispiel für solche Diskriminierungen geschaffen.

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Verhältnismäßigkeit, Normenklarheit und § 129 StGB

Der Anwendungsbereich von § 129 StGB wirft mehr Fragen auf, als er klare Antworten gibt; dabei kreist die strafrechtliche Diskussion erkennbar um das „Ob“ und „Wie“ der Begrenzung eines zu weit geratenen oder jedenfalls als zu weit empfundenen Tatbestands. Daraus resultiert offenbar auch, dass die Frage, inwieweit die Unterbrechung von Routinen und täglichen Abläufen durch Aktionen der „Letzten Generation“ sich unter diese Norm subsumieren lässt, allgemein als offen angesehen wird. Schon diese Gegebenheiten legen jedoch nahe, dass es geboten ist, den gordischen Knoten strafrechtsdogmatischer Erwägungen mit dem scharfen Schwert des Verfassungsrechts zu durchschneiden: § 129 StGB ist in seiner derzeitigen Form verfassungswidrig!

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„Ein Verdacht ist ein Verdacht ist ein Verdacht“

Mit dieser Wendung fasste Erol Pohlreich, Bevollmächtigter für die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und die FDP, das Dilemma um die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zuungunsten des Freigesprochenen treffend zusammen. Wie sehr wir uns auch in den Dienst der Wahrheitsfindung stellen, um „materielle Gerechtigkeit“ herzustellen, es bleibt ein Risiko. Dieser Beitrag berichtet frisch von der mündlichen Verhandlung aus Karlsruhe zum Thema.

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25 Mai 2023

„Ziviler Ungehorsam – Testfall für den demokratischen Rechtsstaat“

… so lautet der Titel eines Aufsatzes von Habermas, erschienen 1983. Genau diesen Testfall erleben wir derzeit. Es scheint, als ob „der Rechtsstaat“ – nach Wochen des intensiven Protests durch die „Letzte Generation“ in Berlin – nun „andere Saiten aufziehen“ möchte, und erneut nach dem Strafrecht greift, genauer gesprochen nach einem Tatbestand des ohnehin nicht unproblematischen Präventivstrafrechts. Meine These ist jedoch, dass der Versuch, die Klimaproteste „wegzustrafen“, den Rechtsstaat zwangsläufig schwächt, anstatt ihn zu stärken. Da politischer Protest im Ausgangspunkt als wesentliches Element einer demokratischen Kultur ausgehalten werden muss, ist auch der Umgang mit unter Umständen strafbaren Aktionen im Zuge des politischen Protests - freilich im Rahmen des Legalitätsprinzips - mit Augenmaß zu wählen, um diesen Grundsatz nicht zu konterkarieren.

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Organisierte „Klimakleber“ als kriminelle Vereinigung?

Die freie öffentliche Auseinandersetzung über Ziele der Politik ist nur möglich, wenn sich diese auf kommunikative Mittel beschränkt und nicht Rechte anderer verletzt. Freiheit ist in einer Rechtsgemeinschaft immer konditioniert, auch die politische. Illegale Druckmittel und Emphasizer symbolisch einzusetzen, um dem eigenen Anliegen ersehnte schnelle Sichtbarkeit zu verschaffen, ist gerade ein Angriff auf die Kommunikationsstruktur des demokratischen Prozesses, der erst die politische Gestaltung des Miteinanders auf der Grundlage der gleichen Freiheit aller sichert. Die Selbstprivilegierung, sich kraft erfühlter höherer Einsicht oder aus narzisstischem Sendungsbewusstsein über die gleiche Freiheit der anderen zu stellen, die für ihre – zunächst einmal ebenfalls legitimen – Anliegen um Mehrheiten werben müssen, ist anti-demokratisch, anti-egalitär und letztlich autoritär. Weder Gesetzgeber noch Strafverfolgungsbehörden und Gerichte sind verfassungsrechtlich in der Pflicht, dies im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu honorieren.

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Showdown zur Asylpolitik in Brüssel

In Brüssel beginnt in Kürze der Endspurt für die EU-Asylrechtsreform. Heftige Kritik erfährt hierbei die deutsche Verhandlungsposition. Nun könnte man die rhetorische Eskalation als typisches Phänomen des Twitter-Zeitalters abtun und meine Einwände – „BVerfG sieht es anders“ – als professorale Besserwisserei. Doch es geht um mehr: Die politische Mitte darf nicht die Fähigkeit verlieren, in der Migrationspolitik widerstreitende Zielvorgaben auszugleichen. Die pragmatische Lösungssuche droht zwischen den binären Alternativen faktisch offener Grenzen und einer gewaltsamen Abschottungspolitik zerrieben zu werden.

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24 Mai 2023

Wie man eine kriminelle Vereinigung macht

Mit den bundesweiten Hausdurchsuchungen gegen Mitglieder von „Letzte Generation“ erreicht der gesellschaftliche Konflikt um die Klima-Proteste nach der Verurteilung erster Aktivist*innen zu Freiheitsstrafen ohne Bewährung die nächste Eskalationsstufe. Nicht mehr nur die Einzelaktionen werden als strafbares Verhalten delegitimiert, sondern die Klima-Gerechtigkeitsbewegung im Ganzen, soweit sie sich in Zusammenschlüssen organisiert, die auf zivilen Ungehorsam als Protestform setzen. Das „Feindbild Klimaaktivismus“, es nimmt mehr und mehr Kontur an.

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23 Mai 2023

Progressive Reform mit regressiven Untertönen

Die Passagen im Koalitionsvertrag der Ampel zum Staatsangehörigkeitsrecht ließen aufhorchen. Schickt sich die Ampel hier an, die unter Rot-Grün begonnene, aber dann doch nur halb durchgeführte Staatsangehörigkeitsreform zu vollenden? Nach Lektüre des kürzlich veröffentlichten Referentenentwurfs des Gesetzes zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts lautet die Antwort: Vieles wird besser, manches wird schlechter, und von einem Staatsangehörigkeitsrecht, das den Realitäten der Postmigrantionsgesellschaft gerecht wird, kann immer noch keine Rede sein.

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Es steht ein Pferd auf dem Flur

Der Referentenentwurf zum Selbstbestimmungsgesetz ist da und befindet sich derzeit in der Verbände-Diskussion. Das Gesetz soll die personenstandsrechtliche Geschlechts- und Vornamensänderung erleichtern. Der Entwurf sieht auch Änderungen des Abstammungsrechts vor, die ausweislich der Gesetzesbegründung lediglich eine „Interimslösung“ sein sollen. Bei genauerer Betrachtung entpuppt sich die „Interimslösung“ jedoch als vorweggenommene Teilreform des Abstammungsrechts, mit der die Eltern-Kind-Zuordnung für queere Personen zukünftig nicht leichter, sondern schwerer, komplizierter und teurer werden würde. Es steht ein Pferd auf dem Flur – und es ist möglicherweise ein trojanisches.

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18 Mai 2023

Föderale Entscheidungssperre für Landesstaatsrecht

Das Bundesverfassungsgericht hat, wie wir erst jetzt wissen, am 25. Januar 2023 eine Grundsatzentscheidung zu den Verfassungs- und Verfassungsgerichtsbarkeitsräumen im deutschen Bundesstaat getroffen. An diesen Tag lehnte es einen Eilantrag ab, mit dem die vom Verfassungsgerichtshof Berlin verfügte vollständige Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus ausgesetzt werden sollte. Die in ihrem Kern überzeugenden Gründe der Ablehnung wurden erst gestern bekanntgegeben, sie werden hier kurz erläutert, kommentiert und eingeordnet.

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17 Mai 2023

Was lange währt, wird endlich gut?

Nach langem Ringen haben das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie das Bundesministerium der Justiz am 9. Mai 2023 ihren Referentenentwurf zum Selbstbestimmungsgesetz (SBBG) veröffentlicht. Die Bundesregierung hatte bereits im Koalitionsvertrag (S. 95) angekündigt, das veraltete Transsexuellengesetz (TSG) durch ein Selbstbestimmungsgesetz zu ersetzen. Die ersten Eckpunkte wurden am 20. Juni 2022 vorgestellt. Seitdem ist nun fast ein Jahr vergangen, in dem eine langwierige und teils schmerzhafte Debatte über das Reformvorhaben geführt wurde. Diese wirkt nun auch in dem vorgelegten Entwurf nach: Denn unter den Grundsound der Selbstbestimmung mischen sich einige Misstöne, in denen Paternalismus und diffuse Missbrauchsbefürchtungen widerhallen.

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15 Mai 2023

Europas Werk und Deutschlands Beitrag

Menschenrechte werden in stürmischen Zeiten erkämpft. Und bleiben umkämpft. Wir sind aktuell Zeug:innen davon, wie in der Flüchtlingspolitik – wieder einmal - menschenrechtlich erkämpfte Prinzipien in rasanter Geschwindigkeit offen infrage gestellt werden. Als SPD, Grüne und FDP 2021 ihren Koalitionsvertrag unterzeichneten, wollten sie das »Leid an den Außengrenzen« beenden. Nichts weniger als einen »Paradigmenwechsel« versprach die Ampel. Seit kurzer Zeit ist nun bekannt, dass die Bundesregierung von diesem Vorhaben entschieden abgerückt ist. In einem ersten Schritt hat sie eine äußerst restriktive Verhandlungsposition zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) eingenommen, die Anfang Juni im Rat der Europäischen Union debattiert wird.

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13 Mai 2023

Nun sag’, wie hast du’s mit Kaiserreich und Kolonialismus?

Einmal mehr stehen die sogenannten Benin-Bronzen im Mittelpunkt kulturpolitischer Streitgespräche. Die Feuilletons der beiden größten deutschen Tageszeitungen schlugen unabhängig voneinander einen Bogen von Benin City nach Berlin, indem sie die Frage der Rückgabe der Benin-Bronzen mit den Forderungen nach Ausgleichsleistungen der vormals das Königreich Preußen regierenden Familie in Verbindung brachten. Diese Verknüpfung der beiden womöglich am kontroversesten diskutierten Restitutionsfälle der jüngeren deutschen Geschichte wirft eine handvoll Fragen auf.

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Restitution, light?

Wieder einmal wird über die sogenannten Benin-Bronzen debattiert. Die problematische Herkunft der in einem kolonialen Raubzug erbeuteten Kunstartefakte und die Frage ihrer Restitution sorgten bereits in der Vergangenheit für Diskussionen. Als die Bundesregierung letztes Jahr schließlich die ersten Bronzen an den nigerianischen Staat übergab, schien die Auseinandersetzung beendet. Happy End für alle: Die Deutschen wagen einen Schritt Richtung kolonialer Wiedergutmachung und die Nigerianer erhalten wertvolles Kulturerbe zurück. Nun aber bekommt das Bild der Win-Win-Situation Risse.

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11 Mai 2023

Versammlungskontrolle und Versammlungsfreiheit

Der 1. Mai bietet jedes Jahr die Möglichkeit, auf dynamische Versammlungsgeschehen ausgerichtete polizeiliche Einsatzkonzepte wie unter dem Brennglas zu analysieren. Dabei hat sich in den letzten Jahren die Polizeitaktik der „Demobegleitung“ als Teil des sog. Deeskalationsprinzips durchgesetzt. In der Praxis zeichnet sich dieses Konzept durch eine starke polizeiliche Präsenz und frühzeitiges Einschreiten aus. Entsprechende Einsatzkonzepte werden weithin akzeptiert und lediglich einzelne überschießende Maßnahmen kritisiert. Doch mit Blick auf die Wirkungen des Einsatzkonzepts, insbesondere auf die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 I GG, ist die Ausweitung jener Praxis hoch problematisch. Denn von der Versammlungsfreiheit bleibt wenig übrig, wenn faktisch die Polizei die Demonstration veranstaltet.

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04 Mai 2023

JA, sie ist rechtsextrem

Seit 2019 wurde die „Junge Alternative“ als Verdachtsfall geführt. Nun hat das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) neben dem „Institut für Staatspolitik“ und dem Verein „Ein Prozent“ auch die Jugendorganisation der AfD als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Die Einstufung hat unmittelbare Konsequenzen für die „Junge Alternative“ und mittelbare Auswirkungen auf die AfD. Einen erheblichen Schaden wird die Partei aber nicht davontragen.

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Die stille Transformation

Während sich die Republik über angebliche Heizungs-  und Verbrenner-Verbote zerfleischt, fielen in Brüssel Entscheidungen: Am 25. April 2023 hat nach der finalen Abstimmung im Europäischen Parlament auch der Rat einer umfassenden Änderung der Emissionshandelsrichtlinie 2003/87/EG (EHRL) zugestimmt und Reichweite wie Ambitionsniveau des Emissionshandels noch einmal deutlich gestärkt. Die Erweiterungen des Instruments bei gleichzeitiger drastischer Verknappung der verfügbaren Emissionen werden sehr schnell tiefgreifende Verhaltensänderungen nicht nur von Unternehmen, sondern auch von Verbrauchern auslösen. Allein die jährlichen Verknappungen um mehr als 5% bei Gebäude und Verkehr führen sehr schnell zu einer Angebotsverknappung, die in drastisch steigende Preise münden muss.

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03 Mai 2023
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Mehrfach befristet, doppelt rechtswidrig

Die Ampelkoalition hat vereinbart, das Hochschulbefristungsrecht auf den Prüfstand zu stellen. Das Ziel: Planbarkeit und Verlässlichkeit wissenschaftlicher Karrierewege verbessern und frühzeitige Perspektiven für alternative Karrieren schaffen. Nachdem ein erster Vorschlag nach zahlreichen Protesten zurück genommen wurde, droht nun die Gefahr, dass das Reformvorhaben endgültig scheitert - und der Status quo erhalten bleibt. Das ist jedoch keine Option. Denn der status quo ist hinsichtlich der Befristung von PostDocs nicht nur europarechtswidrig, sondern wegen Verletzung der Arbeitsvertragsfreiheit auch verfassungswidrig.

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Landesrecht bricht Bundesrecht

Der von der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag beantragte Cum-Ex-Untersuchungsausschuss soll das Handeln von Bundeskanzler Scholz als Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg bei der Anwendung von Bundesrecht prüfen. Das wirft zwei grundsätzliche Fragen auf: Ist eine Landesregierung für ihr Handeln bei der Anwendung von Bundesrecht dem Bundestag verantwortlich? Darf der Bundestag das Handeln einer Landesregierung kontrollieren? Beide Fragen sind im Bundesstaat des Grundgesetzes mit Nein zu beantworten.

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02 Mai 2023
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Warum Haftstrafen für „Klima-Kleber“ die falsche Antwort sind

Vergangene Woche hat das Amtsgericht Tiergarten die 24-jährige Aktivistin Maja zu einer viermonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, ohne diese zur Bewährung auszusetzen. Der Aktivistin wurde vorgeworfen, sich im August 2022 an einem Gemälde festgeklebt zu haben. Bereits Anfang März 2023 wurden zwei Aktivisten vom Amtsgericht Heilbronn zu kurzen Freiheitsstrafen verurteilt. Mit der Verurteilung zu kurzen Freiheitsstrafen gehen die beiden Amtsgerichte nicht nur zum Äußersten, was das Strafrecht an Sanktionsform hergibt, um Aktivisten von der Straße zu holen. Die Tendenz härterer Sanktionierung klimaaktivistischer Straftaten durch Verhängung kurzer Freiheitsstrafen ohne Bewährung verkennt auch die die Konfliktstruktur der Klima-Proteste.

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26 April 2023

Environmental Intelligence and the Need to Collect it

Current studies by biologists attest that Earth’s overall biodiversity is “crashing”. The most recent IPCC findings are no less dire. Multilateral deals aimed at preserving the environment are coming and going without having anything close to adequate results on the ground. States worldwide are currently missing not just a quickly receding opportunity to change things for the better, but also the rapidly growing and truly unprecedented threat which broad-scale anthropogenic ecological decline represents. But we are pragmatically and ethically obliged not to give up on the prospect of renovating and revitalizing the state so that it might become, over time, a more beneficial and truly survival-interested form of itself. One part of the inner power structure of almost all countries globally which recommends itself for a new role in this context is the national intelligence agency.

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Cannabis-Legalisierung light in Deutschland

Kurz nach Ostern 2023 hat der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Pläne zur Cannabis-Legalisierung der Regierungskoalition vorgestellt. Von der im Koalitionsvertrag vereinbarten Total-Legalisierung ist nicht viel übriggeblieben. Waren die Legalisierungsdebatte und die entsprechenden Konzepte bis dahin durch eine bemerkenswerte Ignoranz gegenüber der EU und ihren Vorgaben geprägt, wurden die neuen Pläne einem europarechtlichen Realitätscheck unterzogen. Das ist gut so. Trotzdem ist Lauterbachs Konzept weiterhin extrem ambitioniert und unionsrechtlich auf Kante genäht.

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25 April 2023
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Notkredite immer und überall?

Spätestens seit der Corona-Krise und den damit verbundenen Haushaltspaketen von Bazooka bis Booster scheinen großangelegte Investitionsprogramme zum (haushalts-)politischen Alltag zu gehören. Zur Bewältigung kostspieliger Aufgaben entdeckten zunächst der Bund und nunmehr die Länder neue Instrumente für sich, um sich trotz der bestehenden Schuldenbremse Zugang zu Krediten zu verschaffen. Letzte Woche ist auf diesem Blog ein Beitrag von Joachim Wieland erschienen, der die Ansicht vertritt, die Klimakrise sei eine derartige Ausnahmesituation. Auch wenn diese Auffassung vom Ergebnis her wünschenswert erscheint, ist die finanzverfassungsrechtliche Legitimität entsprechender Notkredite auf Landesebene zumindest zweifelhaft.

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21 April 2023

Klimakrise und Schuldenbremse

Klimaschutz kostet Geld, viel Geld. Klimaneutralität ist ein großangelegtes Investitionsprogramm. Das können viele Länder und Kommunen aus ihren laufenden Einnahmen nicht finanzieren. Die Aufnahme von Krediten ist ihnen zwar durch die Schuldenbremse in Art. 109 Abs. 3 GG grundsätzlich verboten. Die Grundrechte und Art. 20a GG verpflichten sie aber zu sofortigem Handeln.

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20 April 2023
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Anti-Antisemitismus qua Verfassung

Mehrere Bundesländer haben kürzlich sog. Antisemitismus-Klauseln in ihre Verfassungen aufgenommen, so jüngst die Hansestadt Hamburg (kritisch hier; allgemein hier). In der Rechtswissenschaft und auch in der breiteren öffentlichen Diskussion wurden entsprechende Verfassungsänderungen im Gegensatz zu den Vorgängen auf der documenta fifteen oder dem BGH-Urteil zum Wittenberger Sandsteinrelief nur begrenzt rezipiert. Dem folgenden Beitrag liegt die Annahme zugrunde, dass das Anliegen effektiver (rechts-)staatlicher Antisemitismusbekämpfung den geltenden deutschen Verfassungen immanent ist. Seine durchaus begrüßenswerte explizite Verankerung in Landesverfassungen wirft aber einige rechtliche Fragen auf, die nicht ohne Weiteres als geklärt gelten können.

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Intersectionality in Climate Litigation

The ECtHR held a hearing in the case KlimaSeniorinnen v Switzerland. It is one of the first gender-based climate cases worldwide. The case offers novel perspectives on a range of issues. Crucially, it highlights new potential avenues for standing in human rights cases and pinpoints how age, health, gender, and climate change intersect.

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19 April 2023
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Wann ist das Wahlrecht klar genug?

Am gestrigen Dienstag verhandelte der Zweite Senat des BVerfG über die „kleine“ Wahlrechtsreform von 2020. Die mündliche Verhandlung wirft große Schatten voraus, weil mit einer grundlegenden Aussage zur Normenklarheit im Wahlrecht zu rechnen ist: Was muss der Wähler vom Wahlrecht verstehen? Allein das Grundgerüst der Wahl oder detaillierte Kenntnisse, wie genau ein Mandat entsteht und verrechnet wird? Gleicht das Wahlrecht bald nur noch einer mathematischen Formelsammlung? Das Urteil darf mit Spannung erwartet werden.

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14 April 2023

Attention Is All You Need

Das Verbot ChatGPTs durch die italienische Datenschutzbehörde bietet Gelegenheit einen Klassiker neu aufzulegen: Eine bahnbrechende, Technologie aus dem Silicon Valley zerschellt am harten Beton des Brüsseler Datenschutzregimes. Während einige technikkritische Stimmen laut applaudieren, prügeln andere auf das vermeintlich innovationsfeindliche Datenschutzrecht ein. Doch gibt ChatGPT tatsächlich Anlass für derart fundamentale datenschutzrechtliche Bedenken im Hinblick auf generative KIs?

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13 April 2023

Verfassungsfeindliches Verhalten im öffentlichen Dienst

In den letzten Wochen und Monaten rückten verfassungsfeindliche Verhaltensweisen von Staatsdiener:innen wieder in verstärktem Maße in das Blickfeld der öffentlichen Wahrnehmung. Die MEGAVO-Studie hat am 4.4.2023 ihren Zwischenbericht vorgelegt. Danach finde sich im Bereich der Polizei „allenfalls eine kleine Anzahl von Personen, die ein konsistent menschen- und demokratiefeindliches Weltbild aufweist“. Allerdings seien „durchaus mehr als nur Einzelfälle“ gegeben, „bei denen die individuelle Einstellung kaum mit den Leitbildern der Polizei in Einklang zu bringen ist“. Jedenfalls vor dem Hintergrund des aktuellen Sachstands in der Forschung kann allerdings dieser Befund gegenwärtig kaum weiterführende Erkenntnisse auf institutionellen Rassismus oder gar Rechtsextremismus in deutschen Behörden liefern.

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12 April 2023

Nordrhein-Westfalens menschenunwürdige Taschengeldpraxis

Dreißig Jahre gibt es das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) nun. Zu diesem Anlass werden vom 20. bis 26. Mai 2023 einige Nichtregierungsorganisationen in der Aktionswoche gegen das AsylbLG darauf aufmerksam machen, dass das Gesetz dringend reformbedürftig ist. Das Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen verletzt seine Fürsorgepflicht für Geflüchtete mittels eines 'Runderlasses zur Auszahlung des Bargeldbedarfs zur Deckung des notwendigen persönlichen Bedarfs nach dem Asylbewerberleistungsgesetz'. Teile dieses Runderlasses zur Auszahlung des Bargeldbedarfs sind nach der hier vertretenen Auffassung rechtswidrig.

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06 April 2023

Dünnes Eis für die 5%-Sperrklausel

Kaum war das Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes am 17. März beschlossen, wurden die ersten Stimmen laut, die sich wahlweise der Verfassungswidrigkeit oder der Verfassungskonformität des neuen Wahlrechts überaus sicher zeigten. Während an der grundlegenden Umstellung des Wahlsystems, das künftig den Verhältniswahlelementen Vorrang einräumt, kaum ernsthafte verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, wird mit guten Gründen Anstoß genommen am Wegfall der Grundmandatsklausel – Lebensversicherung der CSU und Notnagel der Partei DIE LINKE. Plötzlich tritt ein bislang kaum sichtbares Spannungsfeld zwischen Grundmandatsklausel, 5%-Hürde und der Integrationsfunktion von Wahlen in regionaler Hinsicht zutage.

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Viel Grau, wenig Grün

Der Koalitionsausschuss hat sich letzte Woche auf eine „Weiterentwicklung“ des Klimaschutzgesetzes sowie auf die Festschreibung eines „überragenden öffentlichen Interesses“ zur Beschleunigung zahlreicher Autobahnprojekte geeinigt. Beschleunigt werden soll aber auch im Bereich des Naturschutzes. Allerdings ist fragwürdig, ob mit den vorgeschlagenen Maßnahmen nur das Tempo bei der Umsetzung verschiedener Infrastrukturvorhaben auf Kosten der Natur erhöht wird, oder ob damit – wie auf dem Papier angestrebt – auch eine echte Effektivierung des Naturschutzes einhergehen kann. Bislang setzen die Reformvorschläge der Koalition auf möglichst wenig Konfrontation mit konkurrierenden Flächenansprüchen – damit wird sich ein effektiver Schutz der Biodiversität nicht erreichen lassen.

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03 April 2023

Der Gesetzgeber ist zu weit gegangen

Am 29. März 2023, veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht seine lang erwartete Entscheidung zum Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen. Kritiker des Gesetzes werden sich durch die Entscheidung bestätigt sehen, wenn auch nicht vollständig. Denn während das Gericht die Rechtsfolgen kritisiert, bestätigt es im Wesentlichen die Statusentscheidung des Gesetzgebers, Kinderehen, die vor dem sechzehnten Lebensjahr geschlossen wurden, für unwirksam zu erklären.

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Die private Durchsetzung des Unionsrechts

Welche Ansprüche bestehen bei Verstoß gegen unionsrechtlich fundierte Normen, die keine eigenen Rechtsfolgenanordnungen vorsehen – diese Frage ist seit einigen Jahren zu einem zentralen Thema (auch) des Privatrechts geworden. Im Kern geht es um ein Problem, das sich in allen föderal organisierten oder supranational beeinflussten Rechtsordnungen stellt: Wie kann trotz der Ebenentrennung von (unionalen) Rechten („rights“) und (nationaler) Rechtsdurchsetzung („remedies“) eine wirksame Durchsetzung der Regeln der höheren Ebene durch die niedrigere Ebene gewährleistet werden – und welche Rolle spielt in diesem System das Privatrecht? Die Diesel-Entscheidung C-100/21 der Großen Kammer des EuGH gibt neue Impulse für eine Debatte, die das Privatrecht noch lange beschäftigen wird.

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31 März 2023

Good Things Take Human Rights

Die Tötung von Luisa aus Freudenberg am 11. März durch zwei geständige Freundinnen im Alter von 12 und 13 Jahren hat zu Forderungen aus der Politik geführt, das Mindestalter strafrechtlicher Verantwortlichkeit herabzusetzen. Seitdem berichten verschiedene Medien verstärkt über Straftaten, insbesondere Gewaltdelikte, minderjähriger Täter*innen. Es ist also mit einer Rückkehr dieses Themas in die Diskussion zu rechnen. Wäre die Herabsetzung der Strafmündigkeit überhaupt mit den internationalen Verpflichtungen Deutschlands, insbesondere aus dem UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes (CRC), vereinbar?

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