Gemeinschaftsgärten
Wer schreibt, der bleibt. Zumindest dann, wenn das Geschriebene gedruckt bei einem renommierten Verlag erscheint. Das gilt in besonderem Maße für die Wissenschaft, wo Impact Factors und das Renommee einer Zeitschrift oder eines Verlags nicht selten über wissenschaftliche Karrieren entscheiden.
Für die großen Verlage ist das ein Milliardengeschäft und der Trend hin zu Open Access hat daran nichts geändert. Statt die Kosten nur auf die Leser*innen abzuwälzen, sind es zunehmend auch die Autor*innen, die in die Tasche greifen müssen, um überhaupt publizieren zu können. Für diese sogenannten Article Processing Charges haben Wissenschaftler*innen zwischen 2015 und 2018 schätzungsweise über eine Milliarde US-Dollar allein an die fünf großen Verlage Elsevier, Sage, Springer-Nature, Taylor & Francis und Wiley gezahlt. Hinzu kommt das Geschäft, das diese Verlage mit Subskriptionen, der Lizenzierung von Publikations-Workflows und dem Sammeln und Auswerten von Daten machen, wobei Letzteres nicht nur ein Problem für den Datenschutz, sondern auch für die Wissenschaftsfreiheit ist (s. hier, hier und hier). Wir finden hier eine Publikationslandschaft vor, in der es einige wenige sind, die sich das Terrain teilen und die Erwerbungsbudgets der Universitätsbibliotheken beanspruchen. Wer sich dagegen stellt – ob Wissenschaftler*in oder Bibliothekar*in –, arbeitet gegen die Gepflogenheiten, Gewohnheiten, Traditionen, Kulturen und Zwänge der Wissenschaft an – und beißt dabei oft genug auf Granit.
Dennoch gibt es abseits dieser ummauerten und abgegrasten Landschaft – der Walled Gardens, wie David Hunter sie nennt – Wissenschaftler*innen, die Teile des Bodens zurückerobern und kleine Community-Gärten hochziehen, zu denen jede*r Zutritt hat: keine Zugangsbeschränkungen, keine Subscription Fees, keine APCs. „Diamond OA“ nennt sich das, und es sind vor allem wissenschaftsgeleitete Publikationen, die sich weigern, künstliche Zugangsbarrieren zu errichten. Sie schätzen die Freiheit, die das verlagsunabhängige Publizieren mit sich bringt. Sie können mit Formaten und Schreibprozessen experimentieren und inhaltliche Schwerpunkte frei wählen, weil sie ihre Inhalte nicht verkaufen oder meistbietend vermarkten müssen. Sie machen sich weitgehend frei von wirtschaftlichen Zwängen, denen kommerzielle Verlage unterliegen und die mit wissenschaftlichen Werten oft unvereinbar sind. Hier endet die Offenheit der wissenschaftsgeleiteten Gemeinschaftgärten dann aber auch meistens, um sich von den großen, wirtschaftlich ausgerichteten Verlagen abzugrenzen und nicht vereinnahmen zu lassen.
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Doch auch Diamond OA hat seinen Preis. Wissenschaftliches Publizieren verursacht Kosten und macht einen Haufen Arbeit, die bezahlt werden muss. Und so spielt Geld am Ende doch wieder eine Rolle, denn wie lässt sich das finanzieren? Für viele lautet die Antwort: gar nicht. Ein Großteil der Diamond-OA-Zeitschriften lebt von der ehrenamtlichen Arbeit ihrer Wissenschaftler*innen. Sie sind eingebunden in Universitäten oder Forschungseinrichtungen, die ihnen mit Glück einige der Arbeiten abnehmen und Software und Server zur Verfügung stellen. Die genauen Kosten bleiben oft im Dunklen, Budgets werden zusammengeschustert, und irgendwie funktioniert das dann erstaunlich lange, bis es irgendwann vielleicht nicht mehr funktioniert.
Warum tun sich trotzdem so viele Menschen das an? Ein Teil der Antwort könnte in dem Selbstverständnis von Wissenschaftler*innen und ihrer Auseinandersetzung mit Verlagen oder Zeitschriften liegen. Sie selbst verfolgen als Wissenschaftler*innen keine kommerziellen Interessen, ihnen ist vor allem daran gelegen, dass die Ergebnisse ihrer Forschung möglichst breit publiziert und rezipiert werden. Die Vorstellung, dass wissenschaftliche Verlage oder Zeitschriften sich ebenfalls in dieser Rolle sehen, scheint angesichts der Realitäten im wissenschaftlichen Publikationswesen fast schon naiv. Dennoch ist es ein wissenschaftliches Ideal, das vermutlich viele teilen. Aber ist das Wissenschaftssystem überhaupt darauf ausgelegt, ein solches Verständnis des wertegeleiteten Publizierens nachhaltig umzusetzen? Und wenn ja, wie genau müsste ein Modell hierfür aussehen? Diese und übergeordnete Fragen wollen wir in den nächsten zwei Jahren in einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt bearbeiten.
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Geben und Nehmen
Im Verhältnis zum gesamten Publikationssystem ist der Markt für wissenschaftliche Publikationen überschaubar. Es sind vor allem Wissenschaftler*innen, die lesen, was da erscheint, und es sind vor allem wissenschaftliche Institutionen – i.d.R. Hochschulen und ihre Bibliotheken –, die das kaufen, lizenzieren und abonnieren.
In dieser Hinsicht ist die Welt der Bibliotheken in weiten Teilen einer Erwerbungslogik unterworfen, die wirtschaftlichen Kriterien folgt. Es geht um Austauschverhältnisse: Ich zahle dir Summe X, dafür bekomme ich ein Buch, eine Zeitschrift, einen Zeitschriftenartikel. Auch kollektive Finanzierungsmodelle entziehen sich dieser Logik nicht wirklich, sondern verteilen die Kosten für den Erwerb von Leistungen oder Produkten nur auf eine Vielzahl von Akteur*innen. Bei Open-Access-Publikationen ergibt das Sinn, denn schließlich können die Veröffentlichungen am Ende alle lesen und weiterverwenden: Die Gemeinschaft hat etwas davon, also sollten die Lasten auch auf die Gemeinschaft verteilt werden. Allerdings: Kommt nicht genug Geld zusammen, gibt es auch keine OA-Publikation.
Viele Diamond-OA-Publikationen funktionieren so aber nicht. Auch ohne gesicherte Finanzierung publizieren sie in der Regel trotzdem weiter, nur eben unbezahlt. Und gerade weil alles frei verfügbar ist, weil Aufsätze und Bücher ohne APC und Paywall veröffentlicht werden, vertreten manche Bibliotheken den Standpunkt, dass sie aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gebührenfreies Open Access gar nicht finanzieren dürfen. Ob das tatsächlich so gilt, weiß offenbar niemand genau. Eine vertiefte rechtliche Auseinandersetzung mit dieser Frage fehlt bislang. Diese Lücke möchten wir mit unserem Projekt schließen.
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Alternativen denken
Eine wissenschaftliche Publikation entsteht durch die Arbeit vieler: Wissenschaftler*innen, Bibliotheken, Verlage. Alle drei Gruppen sind aufeinander angewiesen. Ohne Wissenschaftler*innen keine Manuskripte und Qualitätskontrolle, ohne Verlage weniger (oder keine) Sichtbarkeit, ohne Bibliotheken keine geordneten Wissensbestände. Jede dieser Akteursgruppen hat Kenntnisse, Erfahrungen und Arbeitsabläufe, die, wenn sie zusammenkommen, zu einem richtig guten Ergebnis führen können. Allerdings stehen alle drei Gruppen oft lediglich nebeneinander, statt wirklich zusammen zu agieren und ein gemeinsames Ziel zu verfolgen: qualitativ hochwertige Publikationen zu fairen Bedingungen. Die Kriterien einer qualitativ hochwertigen Publikation und fairer Bedingungen auszuhandeln, ist ein Prozess, den die beteiligten Akteur*innen fortlaufend begleiten müssen.
Wie wäre es möglich, wissenschaftliches Publizieren als eine solche gemeinschaftliche Aufgabe zu praktizieren und die vorherrschende Erwerbungslogik zu hinterfragen? Braucht es dafür eine eigenständige Struktur? Wenn ja, in welcher Form? Wie müsste die Governance gestaltet werden? Um diese Fragen zu beantworten, werden wir uns in unserem neuen Projekt zunächst einen systematischen Überblick über gelungene Modelle gemeinschaftlichen Publizierens verschaffen. Daraus möchten wir Ideen entwickeln und mit den beteiligten Akteur*innen diskutieren. Wissenschaftler*innen, Bibliotheksmitarbeiter*innen und Verlage sind aufgerufen, mit uns über ein Organisationsmodell für eine gemeinschaftlich getragene Diamond-Open-Access-Publikationsinfrastruktur in Deutschland nachzudenken, die den Bedürfnissen aller an ihr Beteiligten gerecht wird. Nur so kann wissenschaftliches Publizieren wirklich zu einem Gemeinschaftsprojekt werden, das auf wissenschaftlichen Werten wie Kooperation und Offenheit gründet und bei dem kommerzielle Interessen in den Hintergrund treten.
Der Forschungsantrag mit detaillierten Informationen zum Projekt ist bei Zenodo veröffentlicht: 10.5281/zenodo.10409394.
Teile dieses Texts basieren auf einem Vortrag von Max Steinbeis und Evin Dalkilic auf der re:publica 2023.