Was sagt das Völkerrecht zu den Pager- und Walkie-Talkie-Explosionen?
Kaum waren die Pager und Walkie-Talkies der Hisbollah im Libanon explodiert, wurde bereits gefragt: Was sagt das Völkerrecht dazu? Die Medien reagierten auf die sozialen Netzwerke, wo schon wenige Minuten nach dem Geschehen die ersten rechtlichen Einschätzungen abgegeben wurden: klar völkerrechtswidrig, Staatsterrorismus, Verstoß gegen die Menschenrechte, Kriegsverbrechen, völkerrechtlich höchst problematisch, aber auch mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit kein Völkerrechtsverstoß oder ein Akt legitimer Selbstverteidigung.
Die Schwierigkeiten völkerrechtlicher Analyse
Das Völkerrecht hat Konjunktur. Jede Seite im politisch aufgeladenen und hoch emotionalisierten Nahostkonflikt beruft sich auf das Völkerrecht. Den einen dient es zur Gewissensberuhigung, dass auch größtes menschliches Leid und verheerende Folge für Leib und Leben zumindest vom Völkerrecht gedeckt sind. Den anderen dient das Völkerrecht als Kampfmittel zur Dämonisierung des Gegners, der außerhalb der Völkerrechtsordnung steht – ein völkerrechtlich Aussätziger. Beiden Seiten gemeinsam ist, dass das Ergebnis feststeht, noch bevor alle Fakten bekannt sind.
Oftmals erscheint es so, als ob jede Seite vom gewünschten Ergebnis her argumentiert. Der Ausgangspunkt der Analyse bestimmt das Ergebnis: Wird ein Angriff oder eine Aktion auf der Grundlage der Menschenrechte oder auf Grundlage des humanitären Völkerrechts bewertet? Wer auf das Menschenrecht auf Leben abstellt kommt regelmäßig zu anderen Ergebnissen als derjenige, der das kriegsvölkerrechtliche Privileg der Kombattanten, feindliche Kämpfer zu töten, in die Erwägungen mit einbezieht. Je nachdem, ob ein bewaffneter Konflikt als internationaler oder nicht-internationaler Konflikt eingestuft wird, kommen unterschiedliche Vorschriften zur Anwendung, was sich wiederum auf das Ergebnis auswirkt. Stellt man bei der Analyse der Getöteten und Verletzten ausschließlich auf Hisbollah-Kämpfer ab („Wenn es wirklich nur Kämpfer der Hisbollah waren … dann“) ist das Ergebnis ein anderes, als wenn es (auch) um Kinder und andere Zivilisten geht.
Auch die Fragen der Medien bestimmen die völkerrechtliche Analyse und damit deren Ergebnis. Geht es in der Berichterstattung bei den Toten und Verletzten um Zivilisten (Frauen, Kinder, medizinisches Personal, Botschafter) oder wird auf Hisbollah-Kämpfer abgestellt? Wird auf das Hisbollah-Mitglied im Supermarkt oder im Schützengraben abgestellt? Geht es um die Explosion während einer Beerdigung oder eine Explosion im Bunker? Je nach Szenario „könnte“ es sich um „Kriegsverbrechen“ oder um „rechtmäßige Kampfhandlungen“ handeln. Die Fragestellung bestimmt die Antwort und damit meist auch die Überschriften. Für Differenzierung ist meist weder Raum noch Zeit.
Auffällig ist, dass fast immer vom „Völkerrecht“ als einem monolithischen Block gesprochen wird. Das Völkerrecht ist in weiten Teilen jedoch keine objektive Rechtsordnung. Mit Ausnahme des Gewohnheitsrechts ist das Völkerrecht relativ. Völkerrecht beruht auf der Selbstbindung der Staaten. Vorschriften, die für Deutschland einschlägig sind, mögen für Israel oder Libanon nicht gelten und für die Hisbollah unerheblich sein. Völkerrechtliche Verpflichtungen sind daher immer vom Adressaten her zu bestimmen. Dass eine Bestimmung in einem völkerrechtlichen Vertrag ein bestimmtes Verhalten verbietet, bedeutet nicht, dass das Verhalten für alle Staaten verboten ist – das Verbot gilt nur für die und zwischen denjenigen Staaten, die sich durch den Vertrag gebunden haben und nur in dem Umfang, wie die Staaten der Verpflichtung zugestimmt haben. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die vertragliche Verpflichtung mit der Zeit zu Gewohnheitsrecht erstarkt ist. Selbst in diesem Fall kann es jedoch sein, dass sich ein Staat durch konstante Rechtsverwahrung der Verpflichtung entzogen hat. Die Relativität des Völkerrechts zeigt sich gerade daran, dass ein Völkerrechtsverstoß nur dann vorliegt, wenn ein Staat eine seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen verletzt.
In der Analyse wird zumeist nicht berücksichtigt, dass es sich beim Völkerrecht um ein Recht der Staaten für Staaten handelt. Es sind die Staaten, die das Recht machen und maßgeblich (meist in ihrem Interesse) interpretieren – nicht die Experten oder Kommentatoren in den sozialen Netzwerken. Beim humanitären Völkerrecht, mit seinen teilweise mehr als 100 Jahre alten Vorschriften, die früher auch als Kriegsrecht bezeichnet wurden, handelt es sich um ein realitätsgeprägtes und teilweise durchaus grausames Recht. Das humanitäre Völkerrecht dient zwar dem Schutz von Zivilisten und anderen geschützten Personen im bewaffneten Konflikt, doch ist dieser Schutz nicht absolut. Anders als bei den individualistischen Menschenrechten, geht es beim humanitären Völkerrecht um den „Schutz von Zivilpersonen“ generell, nicht notwendigerweise um den Schutz jedes Einzelnen. Das Recht akzeptiert auch Opfer unter den geschützten Personen; die Tötung und Verletzung von Kombattanten sowieso.
Vor diesem Hintergrund soll eine erste – vorsichtige und vorläufige – völkerrechtliche Einschätzung der Explosionen von elektronischen Pagern und Walkie-Talkies am 17./18. September 2024 im Libanon versucht werden. Bekannt ist, dass an diesen beiden Tagen mehrere Tausend dieser Kommunikationsgeräte, die von Mitgliedern der von Iran unterstützten Terrororganisation Hisbollah genutzt wurden, fast zeitgleich explodierten. Die Explosionen ereigneten sich im gesamten Gebiet des Libanon – in Stellungen der Hisbollah in Südlibanon ebenso wie in Supermärkten und auf Beerdigungen in Beirut. In den Geräten soll Sprengstoff verborgen gewesen sein, der durch ein elektronisches Signal in Form einer Nachricht an die Geräte zur Explosion gebracht wurde. Durch die Explosionen wurden 32 Personen, darunter zwei Kinder und medizinisches Personal, getötet und beinahe 3,500 Personen verletzt, darunter auch der iranische Botschafter im Libanon. Die Walkie-Talkies und 5,000 Pager waren erst fünf Monate zuvor von der Hisbollah für die interne Kommunikation angeschafft und unter den Mitgliedern verteilt worden, um Mobiltelefone zu ersetzen, die als ein zu großes Sicherheitsrisiko eingestuft wurden. Die Hisbollah hat Israel für die Explosionen verantwortlich gemacht – eine offizielle Bestätigung seitens Israels liegt jedoch nicht vor.
Anzuwendendes Völkerrecht
Die erste Frage, die sich stellt, ist welches Recht auf die Explosionen anzuwenden ist. Die Hisbollah und Israel befinden sich seit dem 8. Oktober 2023, als die Hisbollah begann, von Libanon und Syrien aus Ziele in Nordisrael zu beschießen, in einem bewaffneten Konflikt. Bei der Hisbollah handelt es sich um einen sogenannten nichtstaatlichen Akteur. Trotzdem dürfte im vorliegenden Fall aufgrund der grenzüberschreitenden Kampfhandlungen von einem internationalen bewaffneten Konflikt auszugehen sein, da Israel die Hisbollah auf libanesischem Staatsgebiet ohne Einverständnis der libanesischen Regierung bekämpft. Die Frage, ob das Handeln der Hisbollah dem Libanon oder Iran zuzurechnen ist, ist damit für die Einordnung des Konflikts hier nicht erforderlich. Wenn man die elektronisch ausgelösten Explosionen als Teil der Kampfhandlungen zwischen den Parteien ansieht, so ist auf diese das humanitäre Völkerrecht anzuwenden. Davon scheinen auch die meisten Experten auszugehen.
Daneben können grundsätzlich auch die Menschenrechte zur Anwendung kommen, soweit die betroffenen Personen unter der Herrschaftsgewalt der betreffenden Kriegspartei stehen und die Menschenrechte nicht durch Spezialvorschriften des humanitären Völkerrechts verdrängt werden. Das menschenrechtliche Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit erfährt hier insofern eine Einschränkung, als das humanitäre Völkerrecht rechtmäßige Kriegshandlungen mit Auswirkungen auf Leib und Leben erlaubt. So bestimmt zum Beispiel der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, dass niemand „willkürlich“ seines Lebens beraubt werden darf. Soweit eine Tötung in Übereinstimmung mit dem humanitären Völkerrecht erfolgt, wird diese nicht als willkürlich angesehen und verstößt deshalb nicht gegen die Menschenrechte. Die Aussage des Hochkommissars der Vereinten Nationen, dass die Explosionen gegen internationale Menschenrechtsvorschriften verstoßen oder auch die Behauptung von verschiedenen Menschenrechtsberichterstattern der Vereinten Nationen, dass „diese Angriffe das Menschenrecht auf Leben verletzen, wenn es keine Hinweise darauf gibt, dass die Opfer zum Zeitpunkt ihrer Tat eine unmittelbare tödliche Bedrohung für andere darstellten“, sind deshalb in dieser Absolutheit falsch, da beide von einer Anwendung der Menschenrechte in Friedenszeiten ausgehen, ohne zu berücksichtigen, dass die Menschenrechte im bewaffneten Konflikt vom humanitären Völkerrecht überlagert werden. Der gewählte Rechtsrahmen bestimmt – und verfälscht – hier das Ergebnis.
Im Zusammenhang mit der rechtlichen Bewertung der ferngesteuerten Explosion tausender Pager und Walkie-Talkies wird immer wieder auch von „Staatsterrorismus“ gesprochen, obwohl das Völkerrecht den Begriff des Staatsterrorismus überhaupt nicht kennt. Wie gesagt, handelt es sich beim Völkerrecht um ein von Staaten für Staaten gemachtes Recht, und die Staaten wollen sich nicht dem Vorwurf des „Terrorismus“ aussetzen. So nimmt zum Beispiel das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge die Tätigkeiten von Streitkräften während eines bewaffneten Konflikts sowie deren Tätigkeit in Erfüllung ihrer dienstlichen Pflichten ausdrücklich vom Anwendungsbereich des Vertrages aus.
Im Folgenden sollen die Explosionen zunächst am humanitären Völkerrecht gemessen werden. Soweit sie von diesem nicht gedeckt sind, läge zusätzlich ein Verstoß gegen verschiedene Menschenrechte vor.
Die Pager und Walkie-Talkies als militärisches Ziel
Bei der Explosion der mit Sprengstoff präparierten Pager und Walkie-Talkies der Hisbollah handelt es sich um eine neue – präzedenzlose – Art des Angriffs auf den Gegner im Rahmen eines bewaffneten Konflikts. Ein solcher Angriff ist im humanitären Völkerrecht nicht speziell geregelt. Es sind deshalb die allgemeinen Regeln auf dieses neue Mittel oder diese neue Methode der Kriegführung anzuwenden. Fragen betreffend die Mittel und Methoden der Kriegführung sind vor allem im Ersten Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen von 1977 geregelt. Hier beginnt jedoch schon das erste Problem. Das Erste Zusatzprotokoll gilt nicht für Israel, da es den Vertrag nie unterzeichnet und ratifiziert hat. Die Vorschriften des Ersten Zusatzprotokolls sind deshalb für Israel und andere Nichtvertragsparteien wie die Vereinigen Staaten von Amerika nur insoweit bindend als diese Völkergewohnheitsrecht darstellen. Dies ist aber für jede einzelne Vorschrift auf der Grundlage der Praxis und Rechtsüberzeugung der Staaten nachzuweisen. Dieser Schritt wird bei der völkerrechtlichen Bewertung meist einfach übergangen. Stattdessen wird, wenn das Problem überhaupt gesehen wird, einfach behauptet, dass es sich beim Ersten Zusatzprotokoll um Völkergewohnheitsrecht handelt. Dies ist jedoch für viele Vorschriften durchaus umstritten.
Das Völkergewohnheitsrecht definiert einen „Angriff“ im Rahmen eines bewaffneten Konflikts als jede offensive oder defensive Gewaltanwendung gegen den Gegner – sei es dessen Personal oder Material. Bei der durch ein elektronisches Signal ausgelösten Explosion der von der Hisbollah benutzten Pager und Walkie-Talkies handelt es sich also um einen Angriff im Sinne des humanitären Völkerrechts. Das humanitäre Völkerrecht findet auf jeden Angriff Anwendung, gleichviel in welchem Gebiet er stattfindet. Angriffe sind also nicht auf das unmittelbare Kampfgebiet beschränkt, sondern können auch im Hinterland des Gegners stattfinden.
Bei den Pagern und Walkie-Talkies handelt es sich zunächst einmal um zivile Objekte, die grundsätzlich nicht zum Gegenstand eines Angriffs gemacht werden dürfen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Geräte von einer an einem bewaffneten Konflikt beteiligten Partei beschafft wurden. Zivile Objekte, die auf Grund ihrer Zweckbestimmung oder ihrer Verwendung wirksam zu militärischen Handlungen beitragen, dürfen jedoch ausnahmsweise zum Gegenstand eines Angriffs gemacht werden, wenn deren Zerstörung unter den in dem betreffenden Zeitpunkt gegebenen Umständen einen eindeutigen militärischen Vorteil darstellt. Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Angriffs gegen die Geräte selbst, wäre also, dass diese für die militärische Kommunikation der Hisbollah benutzt wurden und deren Zerstörung unter den am 17./18. September 2024 gegebenen Umständen einen eindeutigen militärischen Vorteil für Israel darstellte. Soweit diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, wäre bereits die ferngesteuerte Explosion der Geräte als solche völkerrechtswidrig.
Pager und Walkie-Talkies als Mittel und Methoden der Kriegführung
Bei der Explosion der Pager und Walkie-Talkies geht es jedoch nicht nur um einen Angriff auf die Geräte selbst, sondern vielmehr darum, dass die Geräte zur Explosion gebracht wurden, um die Benutzer derselben zu töten oder zu verletzen. In einem bewaffneten Konflikt haben die am Konflikt beteiligten Parteien kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Methoden und Mittel der Kriegführung. Es stellt sich also die Frage, ob es sich bei der ferngesteuerten Explosion der Pager und Walkie-Talkies um eine zulässige Methode der Kriegführung handelt und die mit Sprengstoff präparierten Geräte als rechtmäßige Mittel der Kriegführung anzusehen sind. Die Staaten haben sich teilweise vertraglich verpflichtet, gewisse Mittel und Methoden der Kriegführung nicht anzuwenden; teilweise werden diese durch das Völkergewohnheitsrecht verboten.
In der Diskussion wurde geltend gemacht, dass es sich bei den mit Sprengstoff präparierten Geräten um sogenannte „Sprengfallen“ oder „andere Vorrichtungen“ handelt, deren Einsatz durch das Zweite Zusatzprotokoll zum Übereinkommen über konventioneller Waffen verboten oder beschränkt wird. Nach Artikel 7 Abs. 2 des Zweiten Zusatzprotokolls ist es insbesondere verboten, „Sprengfallen und andere Vorrichtungen in Form von scheinbar harmlosen beweglichen Gegenständen einzusetzen, die eigens dafür bestimmt und gebaut sind, Sprengstoff zu enthalten.“ Fraglich ist jedoch bereits, ob die nachträglich mit Sprengstoff präparierten Pager und Walkie-Talkies als Gegenstände gelten, die „eigens dafür bestimmt und gebaut sind, Sprengstoff zu enthalten.“ Israel ist zwar Vertragspartei dieses Zusatzprotokolls, nicht jedoch die Hisbollah, die dieses Protokoll auch nicht angenommen hat. Verträge begründen Verpflichtungen aber grundsätzlich nur zwischen den Parteien. Israel hat zudem die Anwendung des Übereinkommens und der Zusatzprotokolle durch spezielle Erklärung auf internationale bewaffnete Konflikte mit „Beteiligung regulärer Streitkräfte“ anderer Vertragsparteien sowie auf nicht-internationale bewaffnete Konflikte „auf dem Gebiet einer der Hohen Vertragsparteien“ beschränkt. Das Zweite Zusatzprotokoll ist somit auf den internationalen, grenzüberschreitenden bewaffneten Konflikt mit dem nichtstaatlichen Akteur Hisbollah gar nicht anwendbar. Mit bislang nur 96 Vertragsparteien kann auch nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die relevanten Vorschriften des Zweiten Zusatzprotokolls zu Völkergewohnheitsrecht geworden sind. Selbst wenn man vor dem Hintergrund der Zielsetzung des Vertrages – dem möglichst umfassenden Schutz der Zivilbevölkerung vor den Auswirkungen von Feindseligkeiten – von einer Anwendung im vorliegenden Fall ausgehen wollte, müssten die mit Sprengstoff präparierten Geräte die Voraussetzungen einer Sprengfalle oder einer anderen Vorrichtung erfüllen. Das Zusatzprotokoll definiert eine „Sprengfalle“ als „eine Vorrichtung oder einen Stoff, die dazu bestimmt, gebaut oder eingerichtet ist, zu töten oder zu verletzen, und die unerwartet in Tätigkeit tritt, wenn eine Person einen scheinbar harmlosen Gegenstand aus ihrer Lage bringt oder sich ihr nähert oder eine scheinbar ungefährliche Handlung vornimmt.“ Voraussetzung für eine Sprengfalle ist also, dass diese durch die getötete oder verletzte Person selbst ausgelöst wird. „Andere Vorrichtungen“, einschließlich behelfsmäßiger Sprengvorrichtungen, können dagegen auch durch den Gegner durch Fernbedienung ausgelöst werden. Es muss sich dabei jedoch um „handverlegte“ Vorrichtungen handeln. Generell geht das Zweite Zusatzprotokoll davon aus, dass Sprengfallen und andere Vorrichtungen „angebracht“, „verlegt“, „befestigt“ oder „verbunden“ werden. Die mit Sprengstoff präparierten Geräte, die von der Hisbollah auf dem Weltmarkt beschafft wurden und die durch eine elektronische Nachricht ohne weiteres Zutun der verletzten oder getöteten Person zur Explosion gebracht worden sein sollen, erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Ein völkerrechtswidriger Einsatz von Sprengfallen oder anderen Vorrichtungen liegt also nicht vor.
Das Völkergewohnheitsrecht verbietet es allen Staaten, Mittel oder Methoden der Kriegführung zu verwenden, die geeignet sind, überflüssige Verletzungen oder unnötige Leiden zu verursachen. Ob ein Mittel oder eine Methode „überflüssige“ Verletzungen oder „unnötige“ Leiden verursacht, bestimmt sich nach dem gewünschten militärischen Zweck – hier vermutlich der Ausschaltung gegnerischer Kommandeure und Kämpfer. Bei der Explosion der präparierten Pager und Walkie-Talkies kam es zu teils schwersten Gesichts- und Handverletzungen, bei denen die Verletzten Augen und Gliedmaßen verloren. Die Verletzungen wurden dabei durch eine Kombination von Sprengstoffexplosion und Splittern verursacht. So schrecklich diese Verletzungen im Einzelnen auch sein mögen, so wenig unterscheiden sie sich von der Wirkung anderer Waffen zur Ausschaltung gegnersicher Kombattanten, wie dem Einsatz von Granaten, Anti-Personenminen oder Sprengfallen. Diese Kriegsmittel sind jedoch bislang außerhalb bestehender Vertragsregime noch nicht allein aufgrund dadurch verursachter Leiden und Verletzungen verboten.
Die mittels elektronischem Signal ausgelösten Explosionen der Pager und Walkie-Talkies stellt mithin keine verbotenen Methoden oder Mittel der Kriegführung dar.
Die Einhaltung des Unterscheidungsgebots
Da bei den Explosionen der Pager und Walkie-Talkies nicht nur Kommandeure und Kämpfer der Hisbollah verletzt und getötet wurden, sondern auch Zivilisten, darunter zwei Kinder, stellt sich die Frage, ob die ferngesteuerte Explosion der Kommunikationsgeräte mit dem völkergewohnheitsrechtlich geltenden Unterscheidungsgebot vereinbar ist. Eine der Grundregeln des humanitären Völkerrechts ist es, dass die am Konflikt beteiligten Parteien jederzeit zwischen der Zivilbevölkerung und Kombattanten sowie zwischen zivilen Objekten und militärischen Zielen unterscheiden müssen, um den Schutz der Zivilbevölkerung und ziviler Objekte zu gewährleisten. Kriegshandlungen dürfen nur gegen militärische Ziele gerichtet werden. Nicht jedes Mitglied der Hisbollah ist automatisch allein aufgrund seiner Mitgliedschaft ein legitimes militärisches Ziel. Hisbollah-Mitglieder erfüllen die verschiedensten Aufgaben innerhalb der Organisation. So unterscheidet zum Beispiel die Europäische Union (EU) zwischen dem bewaffneten Flügel und der politischen Organisation der Hisbollah – nur Ersterer ist in der EU als Terrororganisation eingestuft. Nach eigenen Angaben hat die Hisbollah 100,000 ausgebildete Kämpfer. Nur diese Kämpfer sowie Hisbollah-Mitglieder und andere Zivilisten, die unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen, dürfen Ziel von Angriffen sein. Hisbollah-Kämpfer dürfen jedoch allein aufgrund ihres Status bzw. ihrer dauerhaften Kampffunktion Ziel von Angriffen sein, selbst dann, wenn sie sich weit ab der Frontlinie – im Supermarkt, im Bett oder bei einer Beerdigung – befinden.
Das Völkergewohnheitsrecht verbietet unterschiedslose Angriffe. Unterschiedslos sind Angriffe, die nicht gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet werden. Für die Rechtmäßigkeitsprüfung kommt es entscheidend darauf an, was im vorliegenden Fall als „Angriff“ anzusehen ist. Da die Pager und Walkie-Talkies jeweils weitgehend zeitgleich zur Explosion gebracht wurden, könnte hier von zwei Angriffen – einem Pager-Angriff am 17. September und einem Walkie-Talkie-Angriff am 18. September – ausgegangen werden. Alternativ könnte jedoch auch aufgrund der verschiedenen Zielpersonen jede einzelne Explosion als separater Angriff gewertet werden, so dass an den beiden Tagen mehrere Tausend Angriffe stattgefunden hätten. In letzterem Fall wäre für jeden einzelnen Angriff zu ermitteln, ob er sich gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet hat oder überhaupt gegen ein bestimmtes militärisches Ziel richten ließ. Wenn Israel nicht in der Lage gewesen sein sollte, die Explosionen einzeln zu steuern oder dies nicht getan hat, müssen die Angriffe als unterschiedslos angesehen werden, da Israel keinerlei Einfluss auf die Verteilung der Geräte hatte und nicht davon ausgehen konnte, dass diese sich ausschließlich in den Händen von Hisbollah-Kämpfern befanden. Die ferngesteuerte Explosion der Geräte wäre insofern vergleichbar mit dem Abschuss einer Granate auf einen Ort, bei dem die handelnde Kriegspartei nicht weiß, wer sich dort zum Zeitpunkt des Einschlags befindet – ein Kämpfer oder eine Zivilperson. War Israel dagegen in der Lage, die Explosionen einzeln zu steuern und hat Geräte in den Händen von Zivilpersonen nicht zur Explosion gebracht oder zumindest alles praktisch Mögliche getan, um sicherzugehen, dass Zivilpersonen nicht Ziel des Angriffs werden, so wäre dem Unterscheidungsgebot Rechnung getragen worden.
Fraglich ist, wie realitätsnah es ist, im vorliegenden Fall von mehreren Tausend Einzelangriffen auszugehen, weil die Pager und Walkie-Talkies eventuell einzeln zur Explosion hätten gebracht werden können. Auch beim Beschuss feindlicher Kombattanten wird man in der Regel nicht davon ausgehen, dass jede verschossene Granate oder jede abgefeuerte Kugel einen separaten Angriff darstellt, der den Anforderungen des Unterscheidungsgebots genügen muss. Vielmehr wird man von einem einheitlichen Angriff auf feindliche Kombattanten ausgehen.
Geht man von zwei großen Angriffen aus, so wäre Voraussetzung für deren Rechtsmäßigkeit, dass Hisbollah-Kämpfer generell Ziel der Angriffe waren. Erforderlich wäre weiter, dass die mit Sprengstoff präparierten Pager und Walkie-Talkies als Kampfmittel speziell gegen Hisbollah-Kämpfer gerichtet bzw. deren Wirkung auf Hisbollah-Kämpfer begrenzt werden konnten. Da Pager und Walkie-Talkies in der Regel direkt am Körper getragen werden, konnten diese als Kampfmittel zielgerichteter gegen einzelne Hisbollah-Kämper eingesetzt werden als zum Beispiel Bomben oder Raketen. Die in den Geräten verborgenen Sprengladungen waren zudem gering, so dass sich deren Wirkung auf die Hisbollah-Kämpfer und deren unmittelbares Umfeld begrenzen ließ. Voraussetzung wäre jedoch, dass sich die Geräte bzw. die große Mehrzahl der Geräte in den Händen von Hisbollah-Kämpfern befanden. Hier kommt es darauf an, über welche Geheimdienstinformationen Israel hinsichtlich der Verwendung und Verbreitung der Geräte innerhalb der Hisbollah verfügte und welche Vorsichtsmaßnahmen es ergriff, um Verluste unter der Zivilbevölkerung und die Verwundung von Zivilpersonen zu vermeiden. Israel musste keine Gewissheit haben, dass durch die beiden Angriffe ausschließlich Hisbollah-Kämpfer getötet oder verwundet werden. Ein gegen Hisbollah-Kämpfer gerichteter Angriff, bei dem auch Verluste an Menschenleben unter der Zivilbevölkerung und die Verwundung von Zivilpersonen verursacht werden, ist nur dann als unterschiedslos anzusehen, wenn die Folgen für Zivilisten in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen. Für die Verhältnismäßigkeitsprüfung kommt es darauf an, wie viele Zivilisten durch die Explosion der Pager und Walkie-Talkies getötet oder verwundet wurden, wie viele Hisbollah-Kämpfer durch die Angriffe ausgeschaltet wurden und welchen konkreten und unmittelbaren Vorteil Israel dadurch erzielte.
Was sagt das Völkerrecht?
Die breite Öffentlichkeit und vor allem die Medien erwarten eindeutige Antworten – möglichst wenige Stunden nach solch einem Ereignis wie den Pager- und Walkie-Talkie-Explosionen. Diese kann das Völkerrecht, können Völkerrechtler und Völkerrechtlerinnen jedoch nicht geben, da nicht alle Fakten bekannt sind. Dies führt zu Wenn-Dann-Analysen und Einschätzungen auf hypothetischer Grundlage, die in Medienberichten dann schnell als tatsächliche Bewertungen wiedergegeben und in den sozialen Medien als Gewissheiten weiterverbreitet werden. Wer kann aber zu diesem Zeitpunkt wirklich ernsthaft sagen, dass die ferngesteuerten Explosionen der Pager und Walkie-Talkies höchstwahrscheinlich einen unterschiedslosen Angriff und damit ein Kriegsverbrechen darstellen oder aber mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Völkerrechtsverstoß sind. Das Völkerrecht spricht durchaus, aber es sagt noch nichts – nichts Abschließendes.
Es ist natürlich wohlfeil festzustellen, dass mit Sprengstoff präparierte Pager keine Sprengfallen seien, weil die entsprechende Definition derartige Geräte nicht kennt. Und natürlich kann das Völkerrecht nur dort zur Anwendung kommen, wo die Kriegsparteien es zuvor auch anerkannt haben.
Leider geht der Artikel nicht näher auf den Vorwurf des „Staatsterrorismus“ ein, den das Völkerrecht ja auch nicht kennt. Nur weil das der Fall ist, ist dieser Vorwurf aber nicht sogleich unberechtigt. Er beschreibt eben jenen Fall, in dem sich ein Staat die Methoden von Terroristen zunutze macht, um „Angst und Schrecken“ zu verbreiten (eben die deutsche Übersetzung von „Terror“). Konkret gefragt: wenn derartige Aktionen keinen Bruch des Völkerrechts darstellen, dürfte dann Deutschland dieselben Methoden anwenden, um Terroristen unschädlich zu machen? Oder steht uns hier dann doch unser Grundgesetz im Weg?
Meines Erachtens wird jedenfalls Artikel 51 para 2 des I. Zusatzprotokolls zu überprüfen sein. Der Artikel verbietet “acts or threats of violence the primary purpose of which is to spread terror among the civilian population”.
Artikel 51 para 2 AP I GC reflektiert VGR, daher auch im NIAC anwendbar.
Fraglich ist natürlich, ob das mens rea Element (purpose) in der hier in Rede stehenden Situation tatsächlich vorgelegen hat.
“Konkret gefragt: wenn derartige Aktionen keinen Bruch des Völkerrechts darstellen, dürfte dann Deutschland dieselben Methoden anwenden, um Terroristen unschädlich zu machen?”
Anhand der im Blog erklärten Analyse-Methode des Völkerrechts geht diese Frage ja gerade in die falsche Richtung: Nur weil ein bestimmtes Verhalten Staat A nicht untersagt ist, heisst das nicht, dass für Staat B das selbe gilt. Man muss die Obligationen vom Völkerrechtssubjekt her denken (welche Verträge wurden abgeschlossen, welches völkergewohnheitsrechtliche Verhalten lässt sich feststellen?).
Ich finde die Konfliktklassifizierung durchaus interessant, weil das IKRK wahrscheinlich zu einer anderen Rechtsmeinung kommt. Nach einer anderen als der hier im Text vertretenen Ansicht, bestehen eigentlich zwei bewaffnete Konflikte:
1) Israel – Hisbollah : nicht-internationaler bewaffneter Konflikt
2) Israel – Libanon (weil Libanon den Kampfhandlungen Israels auf libanesischem Gebiet nicht zugestimmt hat) : internationaler bewaffneter Konflikt
Protokoll II CCW ist mE daher auch jedenfalls auf Israel iVz Hisbollah anwendbar. Siehe dazu auch William Boothby auf Lieber Westpoint.