Reden ist Gold
Bürgerräte als Format und als Gegenstand von Kommunikation
Konflikte sind in einer pluralistischen Gesellschaft normal. Menschen haben unterschiedliche Werte, Interessen und Einstellungen. Umso wichtiger ist es, dass diese Interessen gehört werden, bevor eine gesamtgesellschaftlich verbindliche Entscheidung getroffen wird. Die Auffassung der Mehrheit der Bevölkerung dazu ist eindeutig: Bei wichtigen politischen Themen wünschen sich etwa zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, dass die gewählten Repräsentanten (Mitglieder des Deutschen Bundestags, der Landtage bzw. der Gemeinderäte) die Entscheidungen treffen, nachdem sie zuvor einen ernstgemeinten Dialog mit der Bevölkerung geführt haben (Vetter/Brettschneider 2023).
Bürgerräte sind ein geeignetes Instrument, um gesellschaftlich tragfähige Lösungen zu derartigen Konflikten zu finden und sie den gewählten Repräsentantinnen und Repräsentanten vorzuschlagen. Dafür müssen sie gut durchgeführt werden. Und sie müssen gut kommuniziert werden – vor, während und nach der Durchführung des Bürgerrates. Formate für solche Bürgerdialoge gibt es viele (u. a. Nanz/Fritsche 2012; VDI-Richtlinie MT 7001; Vetter/Remer-Bollow 2017), vor allem auf der kommunalen Ebene des politischen Systems. Die gebräuchlichsten dieser Formate – etwa eine Bürgerversammlung im Rathaus oder in der Stadthalle – haben jedoch ein Manko: Die Teilnehmenden sind nicht repräsentativ für die Bevölkerung. Es überwiegen meist die Älteren, die Männer und Menschen, die ihre Interessen zu artikulieren verstehen. Die „Leisen“ hingegen nehmen entweder nicht teil oder sie werden in der Diskussion kaum wahrgenommen (u. a. Peters/Krause 2024). Um dieses Problem zu lösen, werden zunehmend Bürgerräte als demokratische Innovation eingesetzt und durchgeführt (Mehr Demokratie e. V. a und b; Remschel et al. 2024).
Bürgerräte sind aber nicht nur ein Kommunikationsformat, sondern sie sind auch selbst Gegenstand von Kommunikation in der politischen Diskussion. Dabei ist zwischen drei Phasen zu unterscheiden: die Kommunikation über den Bürgerrat, bevor er seine Arbeit aufnimmt, die Kommunikation über den Bürgerrat, während er arbeitet, und die Kommunikation über den Bürgerrat, nachdem er seine Arbeit abgeschlossen hat. In jeder Phase sind für eine ideale Kommunikation unterschiedliche Schwerpunkte zu setzen.
Formate und Modalitäten
Das für Bürgerräte übliche Format ist, dass die Teilnehmenden zufällig aus dem Einwohnermelderegister ausgewählt werden. Meist werden diejenigen Menschen, die kontaktiert wurden und die zu einer Teilnahme bereit sind (meist um die 5 % der Kontaktierten), noch nach Alter, Geschlecht und ggf. Bildung „quotiert“. Im statistischen Sinne repräsentativ ist ein Bürgerrat dennoch nicht. Aber er ist „vielfältig“, denn in ihm sind zahlreiche und heterogene Perspektiven aus verschiedenen Lebenswirklichkeiten vertreten.
Die Zahl der Teilnehmenden variiert je nach politischer Ebene: Auf Bundesebene besteht ein Bürgerrat in der Regel aus ca. 160 Personen, auf Landesebene oft aus 40 bis 50 Personen und auf kommunaler Ebene aus 20 bis 40 Personen. Damit nicht nur die Teilnehmenden eines Bürgerrates ihre Sichtweise artikulieren können, wird dieses Format im Beteiligungsprozess mit anderen Formaten kombiniert: meist mit a) Informationsveranstaltungen und b) mit einer Online-Beteiligung für alle. Ferner sollen auch Bürgerinitiativen und andere Interessengruppen nicht ausgeschlossen werden. Sie sind zwar nicht ständige Teilnehmende am Bürgerrat, aber sie werden vom Bürgerrat angehört – neben Expertinnen und Experten. Dies stellt für die zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürger des Bürgerrates eine breite Informationsbasis sicher (Brettschneider 20251); Brettschneider/Ulmer 20252)).
Wichtig ist: Die Ergebnisse des Bürgerrates – beispielsweise Empfehlungen – sind nicht bindend. Der Bürgerrat berät Entscheider. So, wie es Interessengruppen, Fachleute etc. auch tun, nur aus einer anderen Perspektive. Die Empfehlungen sind zwar nicht bindend, dennoch sollte auf sie eingegangen werden: Welchen Empfehlungen wird gefolgt? Welchen nicht – und warum nicht? Bürgerräte sind also ein wichtiges Dialogformat für den Austausch zwischen Vorhabenträgern, Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft sowie Bürgerinnen und Bürgern. Sie sind mithin Bestandteil einer Kommunikation, die bei potenziell umstrittenen Themen zu einer gesellschaftlich tragfähigen Lösung beitragen soll.
Phase 1: Kommunikation, bevor der Bürgerrat seine Arbeit aufnimmt
Bevor der Bürgerrat bei einer konkreten Sachfrage seine Arbeit aufnimmt, sind einige kommunikative Aspekte zu berücksichtigen: Einige Akteure stehen dem Begriff „Bürgerrat“ kritisch gegenüber. In Baden-Württemberg wird daher von „Bürgerforen“ gesprochen. So lautet auch die offizielle Bezeichnung im Gesetz über die dialogische Bürgerbeteiligung (Dialogische-Bürgerbeteiligungs-Gesetz – DBG) des Landes Baden-Württemberg vom 4. Februar 2021. Diese Formulierung soll Verwechslungen mit „Gemeinderäten“ sowie Assoziationen mit „Räterepublik“ vermeiden helfen (Arndt 2021).
Zunächst ist Politik, Verwaltung, Bürgerinitiativen und Öffentlichkeit zu vermitteln, dass es sich bei einem Bürgerrat um ein Dialogformat handelt, das dazu beitragen kann, bei einer konkreten Frage eine gesellschaftlich tragfähige Lösung zu finden. Dabei helfen Beispiele vorheriger Bürgerräte. So geben etwa Vorhabenträger im Jahr 2024 Bürgerräte als das Kommunikationsinstrument an, das für ihren Projekterfolg am nützlichsten war (Brettschneider/Langer 2025). Diejenigen Akteure, die ihre Position durch einen Bürgerrat bedroht sehen, werden ihn dennoch ablehnen und wahrscheinlich auch durch Falschbehauptungen zu diskreditieren versuchen. Dem muss dann durch Information entgegengewirkt werden. Bevor der Bürgerrat seine Arbeit aufnimmt, sollte ein präzises Erwartungsmanagement betrieben werden. Dazu gehört die unmissverständliche Kommunikation des Mandats: Beratung, nicht Entscheidung. Auch diese Kommunikation richtet sich an die gesamte Öffentlichkeit. Ferner muss der Öffentlichkeit kommuniziert werden, dass sie nicht von der Mitwirkung an der Diskussion über ein Thema ausgeschlossen wird. Daher sollte es neben dem Bürgerrat auch eine Online-Beteiligung geben, in der alle Bürgerinnen und Bürger ihre Anregungen einbringen können. Im besten Fall werden diese Anregungen als Input in den Bürgerrat eingespeist. Die Akzeptanz des Verfahrens hängt wesentlich davon ab, wie die Teilnehmenden ausgewählt werden. Daher ist auch dieser Prozess verständlich und transparent darzustellen. Tut man dies nicht, werden schnell Behauptungen die Runde machen, bei der Auswahl werde „manipuliert“.
Eine besondere Bedeutung hat die Kommunikation mit den zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern. Sie müssen im ersten Anschreiben zum einen freundlich eingeladen werden, an dem Bürgerrat mitzuwirken. Dieses Einladungsschreiben sollte nicht wie ein „Schreiben vom Amt“ daherkommen, womöglich in bürokratischer Sprache verfasst und mit Formulierungen gespickt wie: „Wir gestatten Ihnen, zum Thema XY Ihre Meinung einzubringen…“ Sinnvoll ist es, wenn der Bürgermeister oder die Bürgermeisterin um die Teilnahme bittet: „Wir sind auf Ihre Hilfe angewiesen. Wir möchten Sie bitten, Ihre Sicht der Dinge zu Thema XY einzubringen…“. Das Einladungsschreiben sollte auch nicht namenlos „unterschrieben“ sein.
Phase 2: Kommunikation, wenn der Bürgerrat seine Arbeit aufnimmt
Wenn der Bürgerrat seine Arbeit aufnimmt, sind ebenfalls ein paar kommunikative Aspekte zu bedenken: In der ersten Sitzung ist zwischen Moderation und Teilnehmenden zu klären, wer über den Bürgerrat bis zur Fertigstellung der Empfehlungen kommuniziert und was kommuniziert wird. In der Regel verständigt man sich darauf, dass über den Verlauf der Beratungen erst am Ende des Bürgerrates berichtet wird und keine „Wasserstandsmeldungen“ aus den laufenden Beratungen nach außen dringen. Die Moderation fertigt aber ein Protokoll der Sitzungen an, das sie mit den Teilnehmenden abstimmt. Die Moderation kann auch die Öffentlichkeit informieren, worüber in den einzelnen Sitzungen gesprochen wird und welche Expertinnen und Experten vom Bürgerrat gehört werden.
Um die interessierte Öffentlichkeit auf dem Laufenden zu halten, ist eine Webseite zum Bürgerrat sinnvoll. Dort sollten so viele Unterlagen wie möglich bereitgestellt werden: Einladungsschreiben, Themenlandkarten, Liste der Expertinnen und Experten, Präsentationen etc. Diese Transparenz trägt zur Akzeptanz des Verfahrens bei und beugt dem Erfolg einer Diskreditierung von interessierter Seite vor. Mustergültig finden solche Dokumentationen auf der Seite der Servicestelle für dialogische Beteiligung des Landes Baden-Württemberg statt.
Phase 3: Kommunikation nach Abschluss der Arbeit
Der Bürgerrat schließt seine Arbeit mit einer Empfehlung an den Gemeinderat, den Kreistag, den Landtag, die Landesregierung, den Bundestag oder die Bundesregierung ab – je nachdem, auf welcher Ebene er stattgefunden hat und welche Institution der Auftraggeber war.
Der Empfehlungsbericht des Bürgerrates sollte dabei nicht nur auf der Webseite veröffentlicht werden. Er sollte vor allem dem Auftraggeber öffentlich übergeben werden – etwa in einer Gemeinderatssitzung. Dabei sollte der Bericht aus den Reihen der Teilnehmenden vorgestellt werden – nicht von der Moderation. Auch ist ein Pressegespräch der Teilnehmenden mit den klassischen Massenmedien sinnvoll. Ziel ist es unter anderem, dass die breite Öffentlichkeit davon erfährt, dass es diesen Bürgerrat gegeben hat und welche Empfehlungen er ausspricht.
Von Seiten des Auftraggebers sollte klar kommuniziert werden, wie er mit den Empfehlungen umzugehen gedenkt. Sinnvoll ist hier eine regelmäßige Berichterstattung mit Updates: Welche Empfehlungen wurden bereits geprüft? Welche Empfehlungen werden umgesetzt – und wann? Welche Empfehlungen können nicht umgesetzt werden – und wieso nicht? Dieses Update sollte ebenfalls öffentlich erfolgen. Dafür ist zusätzlich zur Webseite auch eine Pressemitteilung geeignet.
Der Auftraggeber sollte zudem auch die Kommunikation mit den Teilnehmenden am Bürgerrat aufrechterhalten. Diejenigen Teilnehmenden, die das wollen, sollten regelmäßig persönlich über den aktuellen Stand der Prüfung und Umsetzung informiert werden. Dafür eignen sich Newsletter, E-Mails oder persönliche Schreiben etwa der Bürgermeisterin oder des Bürgermeisters. Eine solche Kommunikation ist nicht nur wertschätzend, sondern sie stärkt das Vertrauen in die institutionellen Akteure und das Verfahren insgesamt.
Hat der Bürgerrat über ein Bau- oder Infrastrukturprojekt beraten, sollten die Teilnehmenden zur Einweihungsfeier eingeladen werden. Dabei sollte auch ihr Beitrag zum Finden einer gesellschaftlich tragfähigen Lösung erwähnt und hervorgehoben werden. Auch dies ist wertschätzend und stärkt das Vertrauen.
Somit kann Kommunikation vor, während und nach einem Bürgerrat nicht nur zu seinem Erfolg beitragen, sondern sie schafft die Grundlage für die Akzeptanz des Verfahrens bei künftigen Versuchen, gesellschaftliche Konflikte konstruktiv zu lösen. Im Ergebnis stärken sowohl das Dialogformat „Bürgerrat“ als auch die Kommunikation darüber die repräsentative Demokratie selbst.
References
↑1 | Brettschneider, Frank: Bürgerräte in den Ländern: G8/G9-Bürgerforum zur Dauer des allgemeinbildenden Gymnasiums in Baden-Württemberg. In: Patze-Diordiychuk, Peter (Hrsg.): Bürgerräte – Mehr Beteiligung und Repräsentativität bei Grundsatzfragen. Wiesbaden: Kommunal- und Schul-Verlag, 2025 (im Erscheinen). |
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↑2 | Brettschneider, Frank; Ulmer, Frank: Bürgerräte auf Landkreisebene: „Zukunftskonzept Kliniken Ostalb“. In: Patze-Diordiychuk, Peter (Hrsg.): Bürgerräte – Mehr Beteiligung und Repräsentativität bei Grundsatzfragen. Wiesbaden: Kommunal- und Schul-Verlag, 2025 (im Erscheinen). |