Die Kehrseite der Rechtskraft
Zur rechtsstaatlichen Notwendigkeit eines wirkungsvollen Wiederaufnahmeverfahrens zugunsten von zu Unrecht Verurteilten
Wer in Deutschland zu Unrecht verurteilt wird, steht vor einem fast unüberwindbaren Problem: Fehlurteile lassen sich nur schwer korrigieren. Zwar garantiert § 359 StPO, abgeleitet aus Art. 103 Abs. 2 und Art. 20 Abs. 3 GG, ein Wiederaufnahmeverfahren zugunsten von Verurteilten, in der Praxis aber scheitern Betroffene häufig an hohen rechtlichen und finanziellen Hürden. Die Folgen sind dramatisch – für die Betroffenen selbst wie auch für das Vertrauen in den Rechtsstaat.
Wie träge die Korrekturmechanismen sind, zeigt der Fall von Manfred Genditzki. Mehr als 13 Jahre saß er unschuldig im Gefängnis, die Kosten für die Sachverständigengutachten musste er mit Unterstützung Dritter selbst aufbringen. Und obwohl neue Beweise vorlagen, wurde sein Wiederaufnahmeantrag zunächst als unzulässig abgelehnt. Erst der unermüdliche Einsatz seiner Rechtsanwältin Regina Rick führte dazu, dass das Verfahren schließlich neu aufgerollt und die Verurteilung aufgehoben wurde.
Auch der Fall Josephine R. veranschaulicht das: Mit frei erfundenen Vorwürfen sexualisierter Gewalt brachte sie zahlreiche Verfahrensbeteiligte dazu, ihre Schilderungen unkritisch zu übernehmen. Weder die Justiz noch andere Akteure (wohl aber die Kriminalpolizei!) stellten ihre Aussagen in der gebotenen Weise infrage. Erst im Revisionsverfahren konnten rechtskräftige Fehlverurteilungen mit langjährigen Haftstrafen und angeordneter Sicherungsverwahrung verhindert werden.
Solche Fälle verdeutlichen, wie wichtig ein sensibler Umgang mit möglichen Fehlurteilen ist. Sie zu korrigieren ist ein unverzichtbarer Ausdruck rechtsstaatlicher Verantwortung, weshalb das Wiederaufnahmeverfahren weit mehr sein muss als ein formales Versprechen. Zivilgesellschaftliches Engagement kann Barrieren auf dem Weg zur Wiederaufnahme überwinden. Damit solche Initiativen aber Wirkung entfalten können, braucht es institutionelle Offenheit und eine gelebte Fehlerkultur.
Zwischen Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit
Das Wiederaufnahmerecht im Strafverfahren ist Ausdruck eines in Art. 20 Abs. 3 GG angelegten Spannungsverhältnisses: Es vermittelt zwischen dem Schutz der Rechtssicherheit durch Rechtskraft einerseits und dem Anspruch auf materielle Gerechtigkeit andererseits (vgl. nur BVerfGE 22, 322, 328f.).
Die Rechtskraft beendet das Strafverfahren, schützt vor erneuter Strafverfolgung, entlastet die Justiz und sichert Rechtsfrieden. In ihrer idealtypischen Ausgestaltung garantiert sie den Bestand eines fehlerfreien Urteils. Kommt es jedoch zu einer Fehlentscheidung, gerät die Rechtskraft in Konflikt mit dem aus Menschenwürde und Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Schuldgrundsatz. Dieser verlangt, dass Verfahren der Wahrheitsfindung verpflichtet sind und dass keine Strafe ohne Schuld verhängt wird (statt vieler BVerfGE 133, 168 Rn. 102).
Wer den Schuldgrundsatz ernst nimmt, wird kaum bestreiten können, dass die Rechtskraft im Falle nachweislicher Fehlverurteilungen durchbrochen werden muss. Schwieriger wird die Lage hingegen, wenn zwar erhebliche Zweifel am Urteil bestehen, die Unschuld aber nicht eindeutig belegt werden kann. Mit zunehmendem zeitlichem Abstand wird die Aufklärung zusätzlich erschwert: Erinnerungen verblassen, Beweismittel gehen verloren, Zeug:innen stehen nicht mehr zur Verfügung. Dies verringert einerseits die Erfolgsaussichten einer Wiederaufnahme, erhöht andererseits das Risiko, dass ein späterer Freispruch nicht auf erwiesener Unschuld, sondern auf der Unaufklärbarkeit des Sachverhalts beruht. In solchen Fällen können sowohl eine voreilige Durchbrechung der Rechtskraft als auch ihr unbegründeter Fortbestand zu materiell fehlerhaften Ergebnissen führen.
Gesetzgeberischer Spielraum und verfassungsrechtliche Leitplanken
Die Entscheidung darüber, unter welchen Voraussetzungen rechtskräftige Urteile korrigiert werden dürfen, obliegt dem Gesetzgeber. Mit den §§ 359 ff. StPO hat er ein Instrument geschaffen, das in eng umgrenzten Ausnahmefällen eine Überprüfung abgeschlossener Verfahren ermöglicht – stets mit dem Ziel, grundsätzlich die Rechtssicherheit zu wahren und zugleich in jenen Konstellationen eine Korrektur zuzulassen, in denen das ursprüngliche Verfahren materielle Wahrheit und Gerechtigkeit nicht erreichte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.02.2019 – 2 BvR 2136/17 Rn. 20). Der praktisch bedeutsamste Wiederaufnahmegrund findet sich in § 359 Nr. 5 StPO: neue Tatsachen oder Beweismittel, die geeignet sind, zu einem milderen Urteil zu führen.
Das Bundesverfassungsgericht wiederum präzisiert die verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Wiederaufnahmerecht. Dass wichtige Entscheidungen hierzu aus Karlsruhe stammen, beruht vor allem auf der grundrechtlichen Tragweite der Materie – begünstigt durch den Umstand, dass der ordentliche Instanzenzug bei den Oberlandesgerichten endet und eine bundeseinheitliche Klärung zentraler Rechtsfragen durch den Bundesgerichtshof ausscheidet.
Anspruch auf ein wirkungsvolles Wiederaufnahmeverfahren
Auch Wiederaufnahmeverfahren unterliegen dem verfassungsrechtlichen Gebot effektiven Rechtsschutzes. Verengt das Wiederaufnahmegericht den Zugang zur Fehlerkorrektur in einer Weise, die dem Verurteilten die reale Chance auf eine gerechte Korrektur nimmt, liegt ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG vor (BVerfGK 11, 215 Rn. 38f.). Das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren setzt ferner voraus, dass das Gericht auch im Wiederaufnahmeverfahren seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nachkommt (BVerfG, Beschl. v. 23.12.2002, 2 BvR 1439/02 Rn. 21).
Daraus ergeben sich konkrete Anforderungen an die gerichtliche Praxis, insbesondere im Anwendungsbereich von § 359 Nr. 5 StPO. So gelten eine Tatsache oder ein Beweis als „neu“, wenn sie nicht bereits in die richterliche Überzeugungsbildung eingeflossen sind (BVerfG, Beschl. v. 19.7.2002, 2 BvR 76/02 Rn. 16). Das ist wichtig, weil sonst schon die bloße Möglichkeit früherer Kenntnis die Wiederaufnahme verhindern könnte. Im sogenannten Additionsverfahren, das ohne mündliche Verhandlung stattfindet, hat sich das Wiederaufnahmegericht zunächst auf eine Schlüssigkeitskontrolle zu beschränken und die Tatsachen, die der Wiederaufnahmeantrag behauptet, hypothetisch als zutreffend zu unterstellen. Nur insoweit, wie dies ohne förmliche Beweisaufnahme möglich ist, darf eine vorweggenommene Würdigung der Beweise erfolgen (sogenannte Beweisantizipation). Die Praxis toleriert jedoch eine sehr weitreichende vorweggenommene Beweiswürdigung. Außerdem dürfen die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit, mit der neue Tatsachen oder Beweismittel geeignet sind, die tragenden Feststellungen des Urteils zu erschüttern, nicht überspannt werden. Unzulässig ist es insbesondere, wenn das Gericht einen Wahrscheinlichkeitsgrad verlangt, der faktisch einer an Sicherheit grenzenden Überzeugung gleichkommt (BVerfGK 11, 215 Rn. 45f.).
Umgekehrt ist die gesetzlich nicht ausdrücklich geregelte, aber von den Fachgerichten entwickelte sogenannte erweiterte Darlegungslast in bestimmten Fallkonstellationen vom Bundesverfassungsgericht gebilligt worden (BVerfG, Beschl. v. 26.03.2002 – 2 BvR 357/02). Sie verpflichtet Antragsteller:innen, etwaige Widersprüche im eigenen Verhalten nachvollziehbar zu erklären, zum Beispiel den Widerruf eines Geständnisses. Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten sind solche gesetzlich an sich nicht vorgesehenen (noch) höheren Hürden eines erfolgreichen Wiederaufnahmeantrags nicht unproblematisch.
Verfahrensbedingte Hindernisse
Trotz der verfassungsrechtlich gesetzten Leitplanken müssen in der Praxis erhebliche Hürden überwunden werden, um eine Wiederaufnahme durchzusetzen. Dazu gehören umfangreiche Akten mit komplexer Beweislage, die zu durchdringen sehr aufwändig ist und nicht selten ergebnislos bleiben kann.
Besonders schwierig gestaltet sich die Wiederaufnahme bei den vielen Verfahren, die maßgeblich auf Zeug:innenaussagen beruhen, obwohl diese aufgrund von Erinnerungslücken, suggestiven Befragungen oder unbewussten Verwechslungen als besonders fehleranfällig gelten. Da der Verteidigung Zwangsbefugnisse fehlen und die Staatsanwaltschaft nicht verpflichtet ist, die Ermittlungen erneut aufzunehmen oder die Bemühungen der Verteidigung aktiv zu unterstützen, können Zeug:innen nicht erneut vernommen werden. War die Aussage im Ursprungsverfahren unzureichend erhoben, erhöht dies nicht nur das Risiko einer Fehlverurteilung, sondern erschwert auch nachträglich eine verlässliche Bewertung. Eine fundierte Einschätzung der Glaubhaftigkeit allein anhand der Akten ist dann kaum möglich (Diederichs, Zwischen Rechtskraft und Erkenntnisgrenzen – Zur Rolle der Aussagepsychologie bei Wiederaufnahmen im Sexualstrafrecht in: Tagungsband des 24. AK Psychologie im Strafverfahren, S. 63ff., im Erscheinen).
Wie der Fall Manfred Genditzki zeigt, können moderne kriminaltechnische Methoden ein wirksames Mittel zur Korrektur rechtskräftiger Urteile sein (Gubi-Kelm, May, Gundlach, Rick, Interdisziplinäre Betrachtung eines Mordes, den es nicht gab – der Fall Manfred G. in: Archiv für Kriminologie 253:30-75 [2024]). Oft bleibt ihr Einsatz jedoch versperrt, da Asservate nach Verfahrensende meist vernichtet werden oder sich der Betroffene derartige von ihm zu beauftragende Gutachten nicht leisten kann. Damit gehen potenzielle Erkenntnisquellen unwiederbringlich verloren, und eine spätere Untersuchung wird unmöglich.
Zudem gibt es keine Wiederaufnahme der Wiederaufnahme (vgl. MüKoStPO/Engländer/Zimmermann, 2. Aufl. 2024, StPO § 372 Rn. 18). Ein aus sachlichen Gründen abgelehnter Antrag entfaltet Sperrwirkung. Schlecht vorbereitete Anträge können daher irreversible Nachteile haben. Das führt zu einer bedenklich weiten Zurechnung anwaltlicher Versäumnisse.
Problematisch ist zudem, dass Staatsanwaltschaften und Gerichte in der Regel keine gesonderten Ressourcen für Wiederaufnahmeverfahren bereitgestellt bekommen. Zugleich sehen sich beide Institutionen regelmäßig mit einer Vielzahl wenig substanziierter oder unzureichend vorbereiteter Anträge konfrontiert. Dies trägt dazu bei, dass auch berechtigte Begehren nur zögerlich zugelassen werden. Sichtbar wird dies etwa an der häufig sehr weiten Auslegung der Beweisantizipation: Neue Ansätze werden bereits auf der Zulässigkeitsebene als wenig überzeugend bewertet und daher nicht weiterverfolgt.
Finanzielle Hürden
Die Vorbereitung eines Wiederaufnahmeantrags erfordert juristische Fachkenntnis, forensische Expertise, umfangreiche Recherchen, Zeit und erhebliche finanzielle Mittel. Vielen Antragsteller:innen, insbesondere Inhaftierten, fehlen jedoch die wirtschaftlichen Voraussetzungen. Zwar ermöglicht § 364b Abs. 1 StPO die Bestellung von Pflichtverteidiger:innen bereits für die Vorbereitung eines Wiederaufnahmeantrags. Die gesetzlich vorgesehene Vergütung reicht jedoch bei weitem nicht aus, um eine sachgerechte anwaltliche Bearbeitung dieser oft besonders komplexen und zeitintensiven Verfahren zu gewährleisten. Sind die Voraussetzungen der Pflichtverteidigung festgestellt, werden nach § 46 Abs. 3 RVG immerhin auch die Auslagen für vorbereitende Sachverständigengutachten erstattet. Diese Regelung kann im Einzelfall eine gewisse Entlastung schaffen, ersetzt jedoch keine wirksame Unterstützung durch eine:n Verteidiger:in.
Wiederaufnahme neu denken: Von rechtlichen Reformen zur verbesserten Rechtskultur
Vielversprechende Reformansätze setzen häufig bei der gesetzlichen Grundlage an. Das derzeitige Regelwerk stammt im Kern aus dem Jahr 1877. Es ist daher naheliegend zu fragen, ob es noch zeit- und sachgemäß ist. Entscheidend ist, wie künftig mit bestimmten Verfahrensfehlern umzugehen sein wird. Gemeint sind vor allem Konstellationen, in denen schwerwiegende Mängel den Verfahrensablauf so stark beeinträchtigt haben, dass das Urteil kaum noch als verlässlich gelten kann. Auch erhebliche Lücken in der Sachverhaltsaufklärung sollten als mögliche Gründe für eine Wiederaufnahme oder zumindest für erneute Ermittlungen stärker in den Fokus rücken.
Die Entwicklung einer echten Fehlerkultur kann jedoch nicht durch gesetzliche Reformen erreicht werden. Sie setzt einen Mentalitätswandel voraus, der nur im gemeinsamen Dialog aller Beteiligten entstehen kann. Eine zentrale Voraussetzung für den konstruktiven Umgang mit Fehlurteilen sind verlässliche Daten über deren Häufigkeit und Ursachen. Doch genau daran fehlt es bislang. Zwar veröffentlicht das Statistische Bundesamt Zahlen zu Verfahrensabschlüssen im Anschluss an Wiederaufnahmeverfahren. Es ist jedoch unklar, ob die Statistik alle Verfahren umfasst oder nur solche, die erfolgreich oder formell zulässig waren. Einen der wenigen empirisch fundierten Zugänge lieferte ein umfassendes Verbundprojekt unter Beteiligung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und der Psychologischen Hochschule Berlin. Untersucht wurden 1.103 Verfahren aus 14 Bundesländern. Die Auswertung zeigte, dass fast die Hälfte der Akten fälschlich als Wiederaufnahmeverfahren nach rechtskräftigem Urteil erfasst worden war. Stattdessen handelte es sich um andere Verfahrenskonstellationen, etwa um „Wiederaufnahmen“ im Anschluss an Einstellungen. Ferner berichteten die Projektbeteiligten von erheblichen Schwierigkeiten beim Zugang zu staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregistern sowie bei der Beschaffung der Akten. Konsequenterweise wich die Zahl der erhobenen Wiederaufnahmeverfahren nach rechtskräftigem Urteil deutlich von den statistisch erfassten Fällen ab. Die begrenzte Zahl der ausgewerteten Verfahrensakten schränkt die Aussagekraft der Ergebnisse zwar ein. Dennoch lassen sich wiederkehrende Konstellationen erfolgreicher Wiederaufnahmeverfahren erkennen. Hervorzuheben sind insbesondere Fälle unerkannter Schuldunfähigkeit in Strafbefehlsverfahren, die teils auch auf Initiative der Staatsanwaltschaft wiederaufgenommen wurden. Weitere festgestellte Fehlerquellen wie fehlerhafte Identifikationen, falsche Geständnisse oder Ermittlungsfehler sind aus der Fehlurteilsforschung bekannt und bestätigen bestehende Erkenntnisse für den deutschen Strafprozess.
Institutionelle Fehlurteilsbekämpfung
Um wirksame Fehlerkorrektur zu gewährleisten, braucht es Institutionen, die unabhängig arbeiten können und mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet sind. Ein Vorreiter auf diesem Gebiet ist das 1992 in New York gegründet Innocence Project. Es hat insbesondere durch den Einsatz von DNA-Analysen zahlreiche Fehlurteile aufgedeckt und damit das Bewusstsein für Justizirrtümer maßgeblich geschärft. Inzwischen haben sich weltweit über 70 Organisationen im Innocence Network zusammengeschlossen.
Ein vielbeachtetes Modell staatlicher Fehlerkorrektur ist ferner die britische Criminal Cases Review Commission (CCRC). Die unabhängige staatliche Einrichtung verfügt über umfassende Ermittlungsbefugnisse, kann Verfahren eigenverantwortlich prüfen sowie bei begründetem Verdacht die Wiederaufnahme durch Antrag an das zuständige Gericht anstoßen. In den USA existieren darüber hinaus vereinzelt staatsanwaltschaftliche Ermittlungseinheiten, die eine professionelle staatliche Fehlurteilskorrektur gewährleisten. Einen (wenn auch nicht vollständigen) Überblick über die Anzahl von Entlastungen und deren Ursachen bietet dort das National Registry of Exonerations, eine öffentlich zugängliche Datenbank, die mehr als 3.700 Entlastungen seit 1989 dokumentiert und detaillierte Informationen zu den jeweiligen Fehlerursachen liefert.
Das Innocence Project Deutschland knüpft an diese Vorbilder an. Der gemeinnützige Verein widmet sich der wissenschaftlich fundierten Überprüfung potenzieller Fehlurteile, begleitet Wiederaufnahmeverfahren und bringt interdisziplinäres Fachwissen in die Praxis ein. In Zusammenarbeit mit Anwältinnen und Anwälten, Sachverständigen und Universitäten unterstützt er nicht nur konkrete Verfahren, sondern fördert auch die Ausbildung von Studierenden sowie die fachliche Weiterbildung von Praktiker:innen durch Fortbildungsangebote. Durch die Auswertung von Verfahren will der Verein evidenzbasierte Impulse für rechtliche Reformen geben. Dabei versteht er sich ausdrücklich nicht als Gegenpol zur Justiz, sondern als konstruktiver Partner, der bestehende Lücken sichtbar macht, um langfristig die Integrität des Rechtsstaats zu stärken.
Der Weg zu einem wirkungsvollen Wiederaufnahmeverfahren ist kein leichter. Er verlangt rechtspolitischen Mut, wissenschaftliche Begleitung und institutionelle Offenheit. Vor allem aber erfordert er die Bereitschaft, Irrtümer nicht als Makel, sondern als Anlass zu Veränderung zu begreifen. Ein Staat und seine Gerichte können nicht unfehlbar sein. Sie zeichnen sich aber durch ihre Bereitschaft und Fähigkeit zur Selbstkorrektur aus.
Ich habe grobe Fehler gesehen bei der Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit in Bayern, die bei einer Facharbeit in der 13. Klasse (Abi 2002) nicht akzeptiert worden wären.
Als freier Mensch kann man sich dann gegen Fehlurteile zumindest bei der Presse beschweren oder selbst Fachaufsätze dazu schreiben. Im Strafrecht geht das nicht – mit viel härteren Konsequenzen. Es gibt ja, anders als in den USA, nicht mal Protokolle der Hauptverhandlung beim LG/OLG in Erster Instanz.