Reproduktive Autonomie auf Eis?
Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Social Egg Freezing in Österreich
Das sogenannte „Social Egg Freezing“ ist in Europa zu einer Form reproduktiver Selbstbestimmung geworden.1) Dabei werden unbefruchtete Eizellen ohne medizinische Indikation vorsorglich entnommen und in flüssigem Stickstoff bei extrem niedrigen Temperaturen konserviert (sog. Kryokonservierung). In vielen europäischen Staaten – darunter Spanien, Belgien und Dänemark – ist Social Egg Freezing rechtlich zulässig, wenn auch unter variierenden Rahmenbedingungen (ausführlich dazu Rimon-Zarfaty et al.). Österreich bildete bis vor Kurzem eine Ausnahme: Nach § 2b Abs. 1 Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) waren die Entnahme und Lagerung unbefruchteter Eizellen ohne medizinische Indikation ausdrücklich untersagt. Im Oktober 2025 hat der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) dieses Verbot nun aufgehoben. Mit dieser Entscheidung stärkt der VfGH das Grundrecht auf reproduktive Selbstbestimmung und stellt die Weichen für eine gesetzgeberische Neuregelung des FMedG.
Soziale Bedingungen
Empirische Befunde weisen darauf hin, dass die Entscheidung für Social Egg Freezing weniger auf individuellen Lebensstilpräferenzen beruht als auf gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Während frühere Literatur annahm, Frauen würden ihre Mutterschaft bewusst aufschieben, um berufliche und bildungsbezogene Ziele zu verfolgen und ihre reproduktive Autonomie zu stärken (Mills et al., Goldman & Grifo, Argyle et al., Cobo & García-Velasco), verweisen jüngere empirische Studien auf andere zentrale Beweggründe – insbesondere auf das Fehlen eines geeigneten Partners (Inhorn et al., Baldwin et al.). Der Wunsch nach reproduktiver Sicherheit entsteht demnach weniger aus strategischer Karriereplanung als aus dem Bedürfnis, biologische Mutterschaft in einem passenden sozialen und partnerschaftlichen Kontext zu realisieren (Baldwin et al.). Social Egg Freezing dient damit zunehmend als „reproduktive Versicherung“, die biografische Kontingenzen abfedert und reproduktive Optionen über den natürlichen Fertilitätshorizont hinaus offenhält.
Gegenstand des Verfahrens und rechtlicher Hintergrund
§ 2b Abs. 1 FMedG regelte ursprünglich die Entnahme und Kryokonservierung von Keimzellen im Rahmen der medizinisch unterstützten Fortpflanzung (Medical Freezing). Diese Bestimmung zielte auf Konstellationen ab, in denen eine krankheitsbedingte oder therapieinduzierte Beeinträchtigung der Fortpflanzungsfähigkeit zu erwarten war, etwa bei malignen Erkrankungen. Die Zulässigkeit beruhte dabei auf einer konkreten medizinischen Indikation, die Sicherung der Fertilität galt als therapeutische Begleitmaßnahme.2)
Vom Anwendungsbereich des § 2b FMedG ausgenommen blieb Social Egg Freezing, also die vorsorgliche Konservierung unbefruchteter Eizellen gesunder Frauen ohne medizinische Indikation. Daraus wurde im Umkehrschluss ein gesetzliches Verbot abgeleitet. Kopetzki führt hierzu bereits 2014 aus: „[Es] ist nicht ersichtlich, welche Schutzgüter des Art 8 Abs 2 EMRK einen solchen Eingriff in die grundrechtlich geschützte reproduktive Autonomie der Frauen legitimieren könnten, zumal die Eizellkonservierung [Social Egg Freezing] weder die Gesundheit von Frau und Kind noch sonstige Rechte zu beeinträchtigen vermag.“3)
Diese gesetzgeberische Differenzierung zwischen Medical und Social Freezing hat die Novelle des FMedG 2015 noch verschärft, indem durch die Zulassung der Eizellenspende ein Wertungswiderspruch entstand: Während das FMedRÄG 2015 die Eizellenspende für Dritte erlaubte, blieb die Eigenspende iSd Social Egg Freezing unzulässig. Frauen durften damit zwar Eizellen für Dritte spenden, nicht aber für den eigenen späteren Gebrauch konservieren – ein gesetzgeberischer Widerspruch, der keine sachliche Rechtfertigung in den entsprechenden Gesetzesmaterialien fand.4)
Vor diesem Hintergrund initiierte die Bürgerinitiative „Zukunft Kinder! – für eine selbstbestimmte Familienplanung“ im Jahr 2023 eine Petition, die eine Änderung des FMedG forderte: Frauen sollten eigene Eizellen auch ohne medizinische Indikation (und auf eigene Kosten) einfrieren lassen dürfen. Der Petitionsausschuss des österreichischen Nationalrats ersuchte daraufhin die Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt um eine fachliche Stellungnahme. In ihrer im September 2023 veröffentlichten Stellungnahme befürwortete die österreichische Bioethikkommission eine verfassungsrechtliche Öffnung des Social Egg Freezings. Das bestehende Verbot greife, so die Kommission, unverhältnismäßig in die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen ein und sei mit Art. 8 EMRK nur schwer vereinbar.
An diese rechtspolitische Debatte knüpfte der Individualantrag an den österreichischen VfGH an, der im Oktober 2025 schließlich zum Erkenntnis G 52/2024 führte. Die Antragstellerin, eine 36-jährige, gesunde österreichische Staatsbürgerin, wollte vorsorglich Eizellen einfrieren lassen, um sich eine spätere medizinisch unterstützte Fortpflanzung mit eigenen Keimzellen offen zu halten. Zum Zeitpunkt des Antrags bestand weder ein akuter Kinderwunsch noch eine medizinische Indikation im Sinne des § 2b Abs. 1 FMedG. Gleichwohl wollte die Antragstellerin bereits zu diesem Zeitpunkt Social Egg Freezing nutzen, um der altersbedingten Abnahme der Fruchtbarkeit präventiv zu begegnen. Der behandelnde Arzt erklärte sich zur Durchführung des Eingriffs bereit, sah sich jedoch durch das geltende gesetzliche Verbot daran gehindert. Da die damalige Rechtslage eine Zellentnahme ausschließlich bei Vorliegen eines körperlichen Leidens oder einer entsprechenden medizinischen Behandlung erlaubte, blieb der Antragstellerin die gewünschte Behandlung verwehrt. Sie sah sich dadurch in ihren gemäß Art. 8 EMRK verfassungsrechtlich geschützten Rechten verletzt und stellte einen Antrag auf Normprüfungskontrolle beim VfGH.
Der VfGH hielt den Individualantrag gemäß Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. c B‑VG für zulässig und erklärte das in § 2b Abs. 1 FMedG normierte Verbot des Social Egg Freezings schließlich für verfassungswidrig. Der Gerichtshof erkennt darin einen unzulässigen Eingriff in die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen im Lichte des Art. 8 EMRK.
Eingriff in Artikel 8 EMRK
Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR schützt Art. 8 EMRK nicht nur das Privat- und Familienleben, sondern auch „das Recht auf freie Gestaltung der Lebensführung“ (Bigaeva v. Greece, Rz 22). Geschützt ist damit das Recht, das eigene Leben zu gestalten, ohne dass der Staat auf den individuellen Entscheidungsprozess einwirkt. Der VfGH leitet daraus ab, dass die Behandlungsmethode des Social Egg Freezings in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK fällt (vgl. ausführlich dazu Bigaeva, Rz 27 ff). Die Methode diene der Vorsorge gegen spätere altersbedingte Unfruchtbarkeit und bewahre die Chance auf ein genetisch eigenes Kind, zumal Eizellspenden rar seien. Da Kinderwunsch und die Nutzung natürlicher wie auch medizinisch unterstützter Fortpflanzungsmethoden vom Schutzbereich des Privatlebens erfasst seien und die IVF (mit eigenen oder gespendeten Gameten) bereits in Rechtsprechung und Lehre unstrittig als geschützt gelte, müsse dies auch für eine IVF mit zuvor entnommenen eigenen Eizellen gelten (siehe dazu VfSlg. 15.632/1999, 19.824/2013, 20.554/2022; EGMR, S.H. and others v. Austria). Die einzelnen Schritte des Social Egg Freezings bildeten dabei einen untrennbaren Vorgang und fielen insgesamt als Methode in den Anwendungsbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens. Zusammenfassend hält der VfGH fest:
„Frauen [wird] mit dem Verbot des Einfrierens von Eizellen in jungen Jahren das Recht genommen, die verfassungsrechtlichen abgesicherten Methoden der medizinisch unterstützten Fortpflanzung in Anspruch zu nehmen“ (Punkt 6.4.2.).
Fehlendes legitimes Ziel eines Verbots
Damit fällt laut VfGH auch Social Egg Freezing als reproduktive Vorsorgemaßnahme in den Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens. Das in § 2b Abs. 1 FMedG normierte Verbot des Social Egg Freezings stelle einen Eingriff in dieses Grundrecht dar, der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nur zulässig wäre, wenn er gesetzlich vorgesehen ist und einem der dort genannten legitimen Ziele dient. In seiner bisherigen Rechtsprechung hat der VfGH wiederholt betont, dass gesetzliche Beschränkungen der Reproduktionsmedizin legitimen Zielen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK dienen können (vgl. VfSlg. 15.632/1999; 19.824/2013). Der Gerichtshof hält jedoch im gegenständlichen Urteil ausdrücklich fest, dass „weder das FMedG an sich noch die Materialien […] Gründe anführen, weshalb Social Egg Freezing in Österreich verboten ist“ (Punkt 6.4.4). Das Verbot sei eine „Verbotsnorm, die kein deklariertes Ziel verfolgt“ und es lasse sich „nicht erkennen, welche Güter des Art. 8 Abs. 2 EMRK durch die Verbotsnorm geschützt werden sollen“ (Punkt 6.4.4).
Auch eine nachträgliche Rekonstruktion möglicher Rechtfertigungsziele überzeugt den VfGH nicht (siehe auch Rz 32 ff.). Die Annahme, junge Frauen müssten vor der Entscheidung geschützt werden, ihren Kinderwunsch „zugunsten der Karriere oder sonstiger Formen der Selbstverwirklichung aufzuschieben“, sei gesellschaftspolitisch möglicherweise diskutabel, stelle jedoch „kein legitimes Ziel iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK“ dar (Punkt 6.4.4 a). Ebenso wenig könne der „Schutz der Gesundheit“ oder des „Kindeswohls“ ein generelles Verbot rechtfertigen, da „etwaige Gefährdungen der Gesundheit durch entsprechende Beratungs- und Aufklärungspflichten wirksam begegnet werden kann“. Wenn eine Frau „in voller Kenntnis der Risiken in die Behandlung [einwilligt]“, sei es nicht gerechtfertigt, ihr diese zu verwehren (Punkt 6.4.4.c & e). Auch ein vermeintlicher Schutz der Gesundheit eines (noch nicht existierenden) Kindes greife hier nicht, da beim Social Egg Freezing lediglich einzelne unbefruchtete Eizellen entnommen würden und ein potenziell später geborenes Kind dadurch nicht berührt werde (vgl. Punkt 6.4.4 lit. b und e).
Inkohärenz und mangelnde Effektivität
Der VfGH identifiziert zudem den bereits erwähnten eklatanten Wertungswiderspruch im FMedG: Frauen dürfen bis zum 30. Lebensjahr Eizellen für Dritte spenden (§ 2b Abs. 2 FMedG) und bis zum 45. Lebensjahr gespendete Eizellen annehmen (§ 3 Abs. 3 FMedG), nicht jedoch eigene Eizellen für die spätere Verwendung einfrieren lassen. Dies sei „mit der Grundrechtsordnung nicht vereinbar“, weil es sachlich nicht nachvollziehbar sei, „warum es einer Frau verwehrt sein sollte, sich selbst in späteren Jahren Eizellen zu spenden“. Ein solches Verbot verletze die reproduktive Selbstbestimmung und führe zu einer „nicht zu rechtfertigenden Bevormundung“ (Punkt 6.4.4.d und 6.5.). Auch die Effektivität des österreichischen Verbots sieht der Gerichtshof als begrenzt und verweist darauf, dass Frauen „das Angebot des Social Egg Freezing […] relativ problemlos in folgenden Europäischen Ländern [in Anspruch nehmen können]: Schweden, Norwegen, Dänemark, Großbritannien, Spanien, Belgien“, und das Verbot somit „keinen sinnvollen Regelungsgehalt“ habe und „völlig ungeeignet“ sei, Social Egg Freezing in der Praxis tatsächlich zu verhindern (Punkt 6.5.1.).
Entscheidung des VfGH
Das VfGH-Erkenntnis hat § 2b Abs. 1 FMedG und das damit normierte Verbot des Social Egg Freezing als verfassungswidrig aufgehoben. Zwar bleibt die Bestimmung aufgrund der vom Gericht eingeräumten Frist noch bis zum 31. März 2027 in Kraft, doch ist der Gesetzgeber gefordert, die verfassungsrechtlichen Vorgaben umzusetzen und damit das FMedG (erneut) zu reformieren. Dabei steht es dem Gesetzgeber laut VfGH offen, flankierende Regelungen vorzusehen, etwa in Form von Altersgrenzen oder Beratungspflichten. Ein ausnahmsloses Verbot der Methode lasse sich hingegen mit den verfassungsrechtlich garantierten Grundrechten im Sinne des Art. 8 EMRK nicht mehr rechtfertigen (Punkt 2.8.4., Rz. 43f.).
Bewertung und Ausblick
Die Entscheidung des VfGH wirkt einmal mehr als Motor einer längst fälligen Weiterentwicklung des FMedG und bestätigt damit die von Wendehorst bereits 2014 diagnostizierte legislatorische Trägheit im Kontext des FMedG. Der VfGH konfrontiert den Gesetzgeber mit einer erneuten (erzwungenen) Liberalisierung des Fortpflanzungsmedizinrechts, die die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen stärkt und einen zentralen Wertungswiderspruch im österreichischen Fortpflanzungsmedizinrecht beseitigt. Damit setzt der Gerichtshof nicht nur ein deutliches Signal für eine dynamische Auslegung von Grundrechten im Lichte gesellschaftlicher Entwicklungen, sondern erhöht zugleich die Systemkohärenz des Fortpflanzungsmedizingesetzes.
Aus rechtspolitischer Sicht wird nun entscheidend sein, wie der Gesetzgeber den Auftrag des VfGH umsetzt und welche Rahmenbedingungen er künftig für Social Egg Freezing schafft. Orientierung bietet dabei ein Blick auf vergleichbare Regelungen in anderen europäischen Staaten, die bereits seit längerem konsistente und praxistaugliche Modelle etabliert haben (siehe auch Rimon-Zarfaty et al.)
Schon jetzt ist absehbar, dass die nächste verfassungsrechtliche Frage den Zugang alleinstehender Frauen zur Fortpflanzungsmedizin in Österreich betreffen wird. Derzeit stehen reproduktionsmedizinische Maßnahmen gemäß FMedG ausschließlich Paaren offen (ausführlich dazu Schranz & Stanic, 2022). Vor diesem Hintergrund haben im Oktober 2025 mehrere betroffene Frauen („Solomütter by Choice“) einen Individualantrag an den VfGH gestellt, mit dem sie auf die Öffnung der Fortpflanzungsmedizin auch für alleinstehende Frauen abzielen.
References
| ↑1 | Der Begriff Social Egg Freezing wird in der internationalen Fachliteratur zunehmend kritisch diskutiert, da er keine soziale Handlung im altruistischen Sinne beschreibt (vgl. u. a. Borovecki et al.). Für die Debatte um alternativ vorgeschlagene Bezeichnungen wie elective oocyte cryopreservation oder non-medical egg freezing, siehe auch Rimon-Zarfaty et al. |
|---|---|
| ↑2 | Ausführlich dazu Flatscher-Thöni M, Voithofer C, Böttcher B,Werner-Felmayer G. § 2b FMedG, in: Flatscher-Thöni M, Voithofer J (Hrsg.) FMedG und IVF-FondsG. Wien: Verlag Österreich; 2019. |
| ↑3 | Kopetzki C. Social Egg Freezing, RdM 2014/204, 309. So auch Bernat E. Das Recht der Fortpflanzungsmedizin im Wandel, JAP 2015/2016, 45-50, und Czech P. Zur Grundrechtskonformität des neuen Fortpflanzungsmedizinrechts, NLMR 2015, 297–304. |
| ↑4 | Siehe auch Flatscher-Thöni et al. (2019). |



