Wer ist „wir“?
Zur neuerlichen Debatte über die Debatte über Migrantenkriminalität
Elisa Hoven und Frauke Rostalski haben einen Nerv getroffen, als sie am 26. November 2025 in einem Gastbeitrag in der FAZ forderten, „wir“ müssten endlich ehrlicher über Migration und Kriminalität sprechen. Bei näherem Hinsehen bleibt aber vieles offen: Wer genau soll da endlich ehrlich sein – Politik, Medien, Wissenschaft? Tatsächlich ist der Diskurs des Jahres 2025 längst geprägt von Innenministern im Klartextmodus, kriminalstatistischen Sonderauswertungen im Monatstakt und Leitmedien, die Probleme benennen und dabei manchmal wie getrieben wirken von der Sorge, bei „Migrationsproblemen“ als zu unkritisch wahrgenommen zu werden. Zwischen Alarmismus und Abwiegeln gibt es zwar Fehlstellen, aber das Bild einer dominierenden Verharmlosungsneigung hält einer nüchternen Betrachtung kaum stand.
Die Konstruktion eines Debattenproblems
Zunächst: Elisa Hoven und Frauke Rostalski haben völlig recht, wenn sie fordern, dass Kriminalitätsprobleme im Zusammenhang mit Zuwanderung weder aufgebauscht noch kleingeredet werden sollten. Für das eine Ende des Spektrums, das heißt für Skandalisierung („alles wird immer schlimmer“), Pauschalisierung („die Messermigranten“) und Ethnisierung („weil sie Muslime sind“), liefern AfD, Nius & Co. täglich neues Anschauungsmaterial. Und auch das andere gibt es, Berührungsängste sowie die Sorge, etwas Falsches zu sagen und Minderheiten mit dem abwertenden Label der Kriminellen zu stigmatisieren. Eine solche Haltung äußert sich zuweilen darin, sich mit der Dekonstruktion von Kriminalstatistiken zu begnügen.
Zwar sind diese Statistiken zu amtlich erfassten Straftaten in höchstem Maße interpretationsbedürftig, und sie sprechen gerade beim Thema Migration eben nicht ohne Weiteres „für sich“. Damit gilt es verantwortungsvoll umzugehen. Eine Position des „das lässt sich gar nicht genau sagen“ oder „hier gibt es nichts zu sehen“ leistet jedoch in der Tat keinen ausreichenden Beitrag zu einer adäquaten Lagebeschreibung, geschweige denn zu Lösungen von Problemen, die es bei der Aufnahme und Integration von Migranten und Geflüchteten auch gibt. Und eine solche – nennen wir sie abwiegelnde – Position würde deutlich hinter den sehr differenzierten Forschungsstand zurückfallen. Die Frage ist aber: Ist das übermäßige Relativieren, das die Autorinnen beklagen, eine die Debatten des Jahres 2025 prägende Position in Politik, Medien oder der Wissenschaft?
Politik und Behörden
Die wesentlichen für den Umgang mit Kriminalität politisch verantwortlichen Akteure des Landes, Innenminister wie Alexander Dobrindt, Herbert Reul, Joachim Herrmann, Andy Grote oder Thomas Strobl, würden den Vorwurf der Herumdruckserei und Verharmlosung weit von sich weisen und haben das Klartext-Sprechen zum Teil zu ihrem Markenkern gemacht. Und die in deren Verantwortungsbereich angesiedelten Polizeibehörden haben in Kriminalstatistiken, Sonderauswertungen und speziellen Lagebildern die Erfassung und Information über migrationsbezogene Merkmale von Tatverdächtigen in den vergangenen zehn Jahren nicht etwa eingeschränkt, sondern erheblich ausgeweitet.
Migrationsmerkmale in der Polizeilichen Kriminalstatistik
In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) finden sich seit einigen Jahren, in Reaktion auf den starken Zuzug von Geflüchteten in den Jahren 2015/2016, auch gesonderte Angaben zu anerkannten Geflüchteten als Opfer und Tatverdächtige. Diese werden zudem, zusammen mit Asylbewerbern im laufenden Verfahren, Geduldeten und illegal Aufhältigen, nunmehr zusätzlich in der Tatverdächtigen-Kategorie der etwas missverständlich so genannten „Zuwanderer“ erfasst und in den PKS-Berichten und speziellen Lagebildern zu „Kriminalität im Kontext von Zuwanderung“ gesondert ausgewertet; all dies ist für jedermann auf den Webseiten der Polizeibehörden abrufbar.
Tatverdächtigenraten für die ausländische Bevölkerung
In diesem Frühjahr hat das Bundeskriminalamt zudem erstmals bundesweite Tatverdächtigenbelastungszahlen für die Bevölkerung ohne deutsche Staatsangehörigkeit veröffentlicht. Über die bloße absolute Zahl der ausländischen Tatverdächtigen hinaus lässt sich damit auch die für etwaige Gruppenvergleiche und Einordnungen über die Zeit wichtige relative Registrierungshäufigkeit erkennen, das heißt die Tatverdächtigenrate in der ausländischen Bevölkerung. Zwar waren Fachleuten die entsprechenden Größenordnungen auch zuvor bereits anhand von Kriminalstatistiken einiger Bundesländer oder aus regionalen Sonderauswertungen bekannt, und sie wurden auch kommuniziert. Nun liegen aber erstmals auch bundesweite „amtliche“ Zahlen dazu vor.
Inwieweit die so produzierten Tatverdächtigenraten hinreichend verlässlich sind, steht auf einem anderen Blatt und bedarf wohl noch einer eingehenderen Untersuchung. Die Crux ist hier schon immer, dass die Zahlen zur ausländischen Wohnbevölkerung in den entsprechenden amtlichen Daten (Zensus und Ausländerzentralregister) vergleichsweise ungenau sind und gerade in Jahren des starken Zuzugs den Stand nicht angemessen wiedergeben. Die so ermittelten Tatverdächtigenraten stehen auf umso wackeligerer Datengrundlage, je mehr man solche relativen Häufigkeiten dann auch noch für einzelne, zum Teil sehr kleine Staatsangehörigkeits-Gruppen errechnet: Dann können schon ein paar Tausend in der Bevölkerungsstatistik untererfasste Personen den Quotienten erheblich verzerren. Hat man in früheren Jahren die Ergebnisse aus zeitlich aufwändigen Sonderauswertungen und Studien abgewartet, um diesen methodischen Problemen zu begegnen, werden diese Ungenauigkeiten nun zugunsten eines offenkundig als vorrangig eingeschätzten Bedürfnisses nach schneller und kontinuierlicher, wenngleich weniger präziser Information hingenommen: Lieber eine ungenaue schnelle Zahl als erst einmal gar keine Zahl.
Herkunftsnennung in Pressemitteilungen der Polizei
Immer mehr Bundesländer sind schließlich dazu übergegangen, in Pressemitteilungen der Polizei stets die Staatsangehörigkeit von Verdächtigen zu benennen – ein wohl nur begrenzt aussichtsreicher Versuch, dem Agitationspotenzial des Themas für rechte Akteure zu begegnen. Die Begehrlichkeiten finden damit kein Ende, wie Fragen nach den Vornamen, früheren oder doppelten Staatsangehörigkeiten von Verdächtigen bezeugen.
Medien
Für die Behandlung des Themas Migration und Kriminalität in den Medien wird man ganz unterschiedliche Beispiele finden, in den weiten Welten von Social Media auch viel Undifferenziertes. Besonders relevant für den Beitrag von Hoven und Rostalski sollten allerdings wohl die Leitmedien sein, die den öffentlichen Diskurs nun einmal besonders prägen.
Printmedien
Den großen Tages- und Wochenzeitungen – als jeweils die Blattlinie bestimmend – eine Leugnung oder auch nur eine tendenziöse Relativierung von Kriminalitätsproblemen im Zusammenhang mit Zuwanderung vorzuhalten, erscheint eher fernliegend. FAZ, SZ und ZEIT berichten alljährlich umfassend, wenn im Frühjahr die PKS-Zahlen bekannt gegeben werden, und beleuchten das Thema auch zu anderen Anlässen. BILD und WELT befassen sich besonders häufig mit diesen Fragen, gerne auch mit (von wem eigentlich?) vor der Veröffentlichung der amtlichen Statistiken durchgestochenen Zahlen, mit denen man dann tagelang den Ton gesetzt hat. Dass überdies in der alltäglichen Kriminalitätsberichterstattung die etwaige ausländische Staatsangehörigkeit eines Beschuldigten weit überproportional genannt wird, ist gut belegt und allgemein bekannt.
TV-Berichterstattung
Was die Darstellung im klassischen Fernsehen betrifft, ist die Lage weniger übersichtlich. Versuchsweise lässt sich anführen, dass die Lage hier bunt ist. Spiegel-TV ist auf Clanstrukturen geradezu spezialisiert. WELT-TV bezieht seine Einordnungen bevorzugt von Manuel Ostermann, einem lautstarken Vertreter der Deutschen Polizeigewerkschaft, der mit Verweis auf die Zuwanderung ein besonders düsteres Bild von der Sicherheitslage zeichnet. Die öffentlich-rechtlichen Sender sehen sich hingegen generell eher dem Vorwurf einer gewissen Linkslastigkeit ausgesetzt – und versuchen gegenwärtig, diesem Eindruck mit zum Teil recht unbeholfen wirkenden, dezidiert konservativ-rechten Programmangeboten entgegenzutreten.
Die Kölner Silvesternacht ist zehn Jahre her.
Beim WDR grenzten diese Versuche zuletzt ein wenig an Selbstverleugnung, indem dem Thema Migration und Kriminalität unter dem Titel „Tanz ums Tabu“ eine halbstündige, wenig analytische und dafür umso mehr Stimmungen einfangende Reportage gewidmet worden ist. Und damit bei manchen womöglich der Eindruck bestärkt wurde, die Probleme seien bis dahin etwa in den hauseigenen Nachrichtenprogrammen nicht hinreichend deutlich angesprochen worden – was aber doch nachweisbar der Fall war. Seit der berüchtigten Kölner Silvesternacht 2015/2016, in deren Nachgang die Medien mit dem Vorwurf einer zu spät und zu zögerlich einsetzenden Berichterstattung konfrontiert waren, sind nun zehn Jahre vergangen.
Talkshows: kein Mangel an Debatten über Integrationsprobleme
Natürlich haben die politischen Magazine der öffentlich-rechtlichen Sender zum Teil etwas unterschiedliche Grundausrichtungen, ganz im Sinne des Meinungspluralismus und des Ringens um vernünftige Einordnungen und Lösungen. In den abendlichen Talkshows von ARD und ZDF wiederum kommen regelmäßig Gäste zu Wort, die deutlich auf Probleme der Integration oder des religiösen Fundamentalismus hinweisen. Natürlich finden sich bei alldem auch Beispiele, die den Autorinnen (und anderen) als zu relativierend vorgekommen sein mögen. Von anderer Seite werden hingegen die „migrationskritischen“ Stimmen zuweilen als zu einseitig und pauschalisierend empfunden. Hier empfiehlt sich wohl in alle Richtungen etwas mehr Entspanntheit im Umgang mit nicht genehmen Positionen. Die entscheidende Frage ist, ob übermäßig relativierende Beispiele diskursprägend sind, oder ob mit dem eigenen Debattenbeitrag nicht ein Zerrbild des öffentlichen Diskurses gezeichnet wird. Dieser Diskurs bewegt sich bei diesem komplexen und zugleich besonders instrumentalisierungsanfälligen Thema unweigerlich auf einem schmalen Grat.
Kriminologie
Und die Wissenschaft? Es entspricht nicht im Ansatz dem Stand der kriminologischen Forschung, wenn es so ankommt, als sei man bei der Diskussion um die längst gut bekannten Grenzen der Aussagekraft von Kriminalstatistiken stehen geblieben. Gleichwohl tut der Hinweis auf die Tücken der Statistik immer wieder Not, wenn zum Beispiel auch Hoven und Rostalski für Syrer und Afghanen Tatverdächtigenbelastungszahlen einschließlich Verstößen gegen ausländerrechtliche Bestimmungen anführen und zu denen von Deutschen in Beziehung setzen – Deutsche können solche Einreise- und Aufenthaltsverstöße nun einmal nicht begehen. Aber ja, auch das hat man schon erlebt und klarstellen müssen: Unterschiedliche Tatverdächtigenhäufigkeiten bei Gewaltdelikten beeinflusst dieser Aspekt naturgemäß nicht.
Werden Minderheitenangehörige häufiger angezeigt?
Eine Schwarz-Weiß-Debatte etwa um die Frage der Bedeutung unterschiedlicher Kriminalisierungswahrscheinlichkeiten von Mehrheits- und Minderheitsangehörigen, wie es sie bis in die 1990er Jahre zwischen Kritischer und traditioneller Kriminologie zum Teil noch gegeben hat, hat sich heute weitgehend zu einer weit differenzierteren Betrachtung weiterentwickelt. Vor dem Hintergrund der zahlreichen Befunde aus Täter- und Opferbefragungen zur Verbreitung der nicht offiziell erfassten Kriminalität wird heute kaum noch angeführt, dass erhöhte offizielle Kriminalitätsraten allein das Ergebnis einer größeren Anzeigehäufigkeit gegenüber Migranten sind. Der Aspekt gehört aber, vor allem bei den weiter verbreiteten leichteren Delikten, zum Gesamtbild dazu. Und es ist daher Aufgabe von Forschenden, auch darauf hinzuweisen – auch wenn es manche nicht mehr hören mögen.
Die Faktoren „jung und männlich“
Wenn die Autorinnen überdies darauf hinweisen, dass man auch mit der unterschiedlichen soziodemografischen Zusammensetzung der ausländischen Bevölkerung (höherer Anteil junger Männer) nicht alle Unterschiede erklären kann, haben sie recht. Nur: Diejenigen, die sich näher damit befassen, behaupten dies natürlich auch nicht. Es ist unglücklich, wenn dieser Eindruck erweckt wird, indem nicht genauer spezifizierte Adressaten des Appells in einen Topf geworfen werden. Der höhere Anteil junger Männer (und der geringere Anteil von Frauen im Seniorenalter) etwa unter den Geflüchteten spielt bei dem Vergleich der Kriminalitätsbeteiligung mit der der deutschen Bevölkerung selbstverständlich eine gewisse Rolle. Insgesamt reduzieren sich die Unterschiede bei den Tatverdächtigenbelastungszahlen von Deutschen und Ausländern, bezogen auf alle Delikte, durch die statistische Kontrolle von Alter und Geschlecht um vorsichtig geschätzt 25 bis 30 Prozent – nicht (viel) mehr, aber auch nicht weniger.
Kulturelle Einflüsse
Es ist Aufgabe der Wissenschaft, sich auch mit den schwierigen Aspekten des Themas zu befassen, also solchen, die in besonderem Maße anfällig sind für kulturrassistische Verallgemeinerungen und politische Instrumentalisierung. Rassismus und Rechtsruck gibt es ohnehin. Sie sind nicht angewiesen auf differenzierte Forschung, die im Übrigen allzu einfache und pauschalisierende Wahrheiten regelmäßig erschüttert. Und nur durch Forschung können auch etwaige Lösungsansätze entwickelt werden. Ohne hier für alle Wissenschaftszweige sprechen zu können, lässt sich zumindest für die hiesige Kriminologie sagen, dass seit Langem beispielsweise auch Gewalt- und Männlichkeitseinstellungen, tradierte Ehrbegriffe oder fundamentalistische Orientierungen unter Zugewanderten untersucht werden. Wer den Text von Hoven und Rostalski liest, kann den Eindruck gewinnen, die Kriminologie müsste mit Blick auf solche Themen erst noch wachgerüttelt werden.
Was bleibt?
Vielleicht dies: Wir, um das Personalpronomen aus der Überschrift der Autorinnen aufzugreifen, sollten nicht leichtfertig die Erzählung von Rechtsaußen nähren, „die da oben“ würden die Dinge verschweigen, indem wir ein Zerrbild der Debatte des Jahres 2025 zeichnen. Und ja, wir sollten uns immer wieder aufs Neue bemühen, zu einem möglichst realistischen Bild der Lage zu gelangen und konstruktiv um Lösungsansätze zu ringen.




Lieber Christian,
vielen Dank für deinen Beitrag! Es ist interessant, wie unterschiedlich Debatten wahrgenommen werden. Nur zwei Beispiele:
1)
https://www.tagesschau.de/faktenfinder/kontext/kriminalitaet-falsche-berechnungen-100.html –> Hier wird von einer “angeblich höheren” Kriminalitätsbelastung gesprochen – und diese Aussage in die Nähe zu Rechtspopulismus gesetzt.
2) https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/kriminalitaet-migration-100.html
“Migration steigert laut Studie nicht die Kriminalität” heißt es dort. Diese pauschale Aussage ist schlicht falsch, dient aber groß als Headline.
3) Lanz-Sendung
https://www.morgenpost.de/politik/article242072050/Debatte-um-Auslaender-Kriminalitaet-Da-platzt-Lanz-der-Kragen.html
–> Hier wurde sehr prominent von Seiten der Kriminologie ein Problem durch Migration und Kriminalität geleugnet…
Und noch eines: Die Überschrift des FAZ Artikels stammt natürlich nicht von uns. Es ist ja bekannt, dass AutorInnen keinen Einfluss auf Überschriften nehmen können.
Trotz meines Widerspruchs freue ich mich sehr über deinen Text. Denn in der Sache selbst sind wir uns offenbar einig. Und wenn in dieser differenzierten Weise Kriminologie betrieben und kommuniziert wird: wunderbar!
Lieber Herr Walburg,
vielen Dank für Ihre Ausführungen – im Kern besteht zwischen unseren Positionen immerhin Einigkeit, was den Zusammenhang zwischen Migration und Kriminalität und die Notwendigkeit angeht, hierauf angemessen zu reagieren. Dass Sie den Diskurs so viel offener wahrnehmen, überrascht mich zwar, stimmt mich aber natürlich hoffnungsfroh. Und das, obwohl es Ihnen in Ihrem eigenen Text wiederum nicht ganz gelungen ist, ohne die üblichen Schmähungen derjenigen auszukommen, die das Thema adressieren – denn schließlich verweisen Sie in Ihrem Schlussabsatz auch darauf, man solle nicht “leichtfertig” Narrative von “Rechtsaußen” “nähren” und meinen damit offenbar auch unseren Text, was schade ist – sowohl diskursiv als auch inhaltlich. Dass der Zusammenhang zwischen “Rechtspopulismus” und dem Hinweis auf Statistiken, die das von Elisa Hoven und mir adressierte Thema betreffen, durchaus besteht, ergibt übrigens bereits ein ganz kurzer Blick in die Medienlandschaft:
https://www.tagesschau.de/faktenfinder/kontext/kriminalitaet-nationalitaet-100.html
https://www.spiegel.de/kultur/wie-die-afd-im-bundestag-das-parlamentarische-fragerecht-missbraucht-kolumne-a-f474928e-cc21-4ed8-867a-264a20c2dddc
https://rp-online.de/politik/analyse-und-meinung/jan-boehmermann-und-andere-journalisten-kritisieren-die-pilotsendung-des-neuen-formats-klar_aid-126319119
(der Umgang mit der gesamten Sendung dürfte ein schönes Beispiel für das Debattenklima liefern…).
etc.etc.
Wollen wir hoffen, dass dies nur “Einzelfälle” der Berichterstattung sind und es sich im Gesamtbild so verhält, wie Sie es darstellen. Es ist wichtig, dass die Debatte geführt wird.
Herzliche Grüße
Frauke Rostalski
Liebe Elisa, liebe Frau Rostalski,
ja, die Behandlung des Themas in den Medien ist zuweilen in die eine oder andere Richtung verkürzt. Manchmal ist es auch nach meinem Geschmack zu einseitig Statistik-Dekonstruktion: Man beschreibt die Fehler, die bei der Interpretation gemacht werden (können), ohne auf die vorhandenen, differenzierten Forschungsbefunde einzugehen. Und umgekehrt gibt es Beispiele, in denen z.B. die Dunkelfeldproblematik einfach völlig ausgeblendet oder das Ganze nicht in den längerfristigen Trend und größere Zusammenhänge eingeordnet wird.
Konkret: In den tagesschau.de-Beiträgen werden einige Beispiele für fehlerhafte Berechnungen von Tatverdächigenquoten für die ausländische Bevölkerung oder einzelne Teilgruppen erläutert. Auch in den PKS-Berichten einzelner Bundesländer finden sich z.T. wirklich groteske Fehler. Darauf hinzuweisen ist sicherlich legitim und richtig. Dabei sollte man allerdings nicht stehenbleiben (das macht zumindest der eine von Euch zitierte Beitrag ja auch nicht), denn es gibt ja akkurate(re) Befunde und grobe Linien. Wie gesagt: Ein reines “da gibt es nichts zu sehen” ist nicht adäquat. Es gibt aber wirklich zahlreiche Gegenbeispiele für Medienberichte, in denen das Thema nach meinem Eindruck vernünftig und ausgewogen behandelt wird.
Vielleicht war der letzte Absatz etwas (zu) scharf. Ich bin aber schon der Ansicht, dass wir uns (als Gesellschaft) nicht unnötig einreden (lassen) sollten, man dürfe über dieses oder jenes nicht sprechen, oder die dafür Zuständigen täten dies nicht. Es ging mir darum, ein wenig geradezurücken, dass an vielen Stellen sehr ernsthaft und verantwortungsbewusst mit dem Thema umgegangen wird. Und dass es auch wirklich kein Problem ist, dazu zu forschen. Es gibt so gut wie keine kriminologische Studie der letzten zwei Jahrzehnte, ob zu Jugenddelinquenz oder zuletzt zu tödlicher Gewalt im sozialen Nahbereich, in denen die Migrationsaspekte nicht auch beleuchtet worden wären.
Mit der Aussagekraft der ifo-Studie müsste man sich an anderer Stelle ausführlicher auseinandersetzen. Bei deren Rezeption darf man es sich jedenfalls nicht zu leicht machen. Nur kurz: Solche Analysen zeigen, dass auch in Phasen hoher Zuwanderung die Gesamt-Kriminalitätsraten (auf die Gesamtbevölkerung berechnet) nicht ohne Weiteres “durch die Decke gehen” und nur leicht beeinflusst werden; alles andere ist auch rechnerisch nicht möglich. Sie widerlegen aber nicht die höhere Auffälligkeit (z.B. von Geflüchteten) als solche. Diese gibt es im Übrigen auch auf der Ebene einzelner Städte, es ist also kein reiner Stadt-Land-Effekt, als der er hier z.T. etwas verkürzt interpretiert worden ist.
Viele Grüße
Christian Walburg
Was wäre angestrebter Sinn und Zweck einer “ehrlicheren Debatte”? Vielleicht mehr Erkennntnisse für eine bessere Zuwanderungspolitk wie etwa klarere Gründe für eine stärkere Begrenzung von Zuwanderung zu entwickeln? Falls ja, wäre bekannt, in welchem Umfang Zuwanderung begrenzt werden müsste, damit sich dies in welchem Umfang günstiger auf eine Kriminalitätsrate auswirken kann? Wie wäre das im Verhältnis zu möglichen anderen Folgen zu sehen, wie etwa einem möglichen Anstieg von Opfern auf Zuwanderungswegen in der Folge oder eine Reduzierung von benötigten Arbeitskräften für die Wirtschaft usw.?
C.W.: “Die Kölner Silvesternacht ist zehn Jahre her.”
Rotherham (jahrelanger sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in großem Umfang) und Minneapolis (Sozialleistungsbetrug in Milliardenhöhe) wurden auch in Deutschland rezipiert. Skandalisiert werdenin diesem Zusammenhang nicht nur die Herkunft möglicher Täter, sondern auch das Verhalten der Behörden bei der Aufdeckung der Vorgänge. Bei einem Teil der Bevölkerung wurde Vertrauen in staatliches Handeln zerstört und man darf gespannt sein, ob überhaupt Interesse besteht, die Wiederherstellung des Vertrauens zu priorisieren.