Zwischen Symbol und Status
Die Anerkennung Palästinas und ihre (aufenthalts-)rechtlichen Folgen für in Deutschland lebende Palästinenser:innen
Nach Monaten verheerender Gewalt im Gazastreifen erkennen nun mehrere westliche Staaten Palästina als Staat an, unter anderem Frankreich, Portugal oder Kanada. Die deutsche Bundesregierung spricht sich nach wie vor gegen diesen außenpolitischen Schritt aus, da sie ihn erst am „Ende“ einer Zweistaatenlösung sieht. Gerade in Deutschland, wo mit über 200.000 Angehörigen die größte palästinensische Diaspora in Europa lebt, wirft eine mögliche Anerkennung aber auch aufenthaltsrechtliche Fragen auf. Sie wäre politisch vor allem symbolisch, würde aber nicht die rechtlichen Probleme der palästinensischen Diaspora lösen – sondern diese möglicherweise sogar verschärfen.
Nicht einmal staatenlos
Weil Deutschland Palästina bislang nicht anerkennt, werden palästinensische Volkszugehörige von deutschen (Ausländer-)Behörden als Staatenlose i.S.d. Staatenlosenübereinkommen von 1954 (StaatenlÜBK 1954) angesehen und genießen damit besondere Schutzrechte. Doch wer „palästinensisch“ ist, ist unklar: Zum einen besteht bis heute kein einheitlich geregeltes palästinensisches Staatsangehörigkeitsrecht, das definiert, wer Staatsangehörige:r ist und wer nicht. Zum anderen sind nur die wenigsten der in Deutschland lebenden palästinensischen Volkszugehörigen in den letzten Jahren direkt aus Gaza oder dem Westjordanland nach Deutschland geflohen. Viele von ihnen gehören bereits zur dritten Generation von Geflüchteten seit der Nakba. Die überwiegende Mehrheit ist somit gar nicht in den Autonomiegebieten des Westjordanlands oder Gaza geboren, geschweige denn aufgewachsen, sondern in einem der anliegenden Aufnahmestaaten. Daher gelten diese Personen in Deutschland nur als Palästinenser:innen und folglich als Staatenlose, soweit sie (1) palästinensisch sind und (2) nicht eine andere Staatsangehörigkeit erworben haben.
Die palästinensische Volkszugehörigkeit müssen die Betroffenen aufgrund ihrer Mitwirkungspflichten (vgl. u.a. § 15 AsylG; § 82 AufenthG) selbst nachweisen. Ob sie hingegen eine weitere Staatsangehörigkeit (also meist aus einem der Aufnahmestaaten) erworben haben, müssen die Ausländerbehörden im Rahmen einer Einzelfallprüfung feststellen. Diese Prüfung ist komplex: In den verschiedenen arabischen Aufnahmestaaten haben sich über die Jahre Statuskategorien entwickelt, die sehr unterschiedlich ausgestaltet sind.
Wie beweise ich, dass ich palästinensisch bin?
Um grundsätzlich seine Staatsangehörigkeit in einem aufenthaltsrechtlichen Verfahren nachzuweisen, ist der üblichste Weg, einen anerkannten Reisepass vorzulegen. Gemäß den Osloer Übereinkünften aus den 1990er-Jahren können sich aber lediglich Menschen, die in den palästinensischen Autonomiegebieten gelebt haben, einen palästinensischen Reisepass ausstellen lassen. Die Beantragung ist auch aus Deutschland über Stellvertreter:innen vor Ort möglich (sog. Proxy-Pässe); aktuell wohl aber nur theoretisch. Eine Einschränkung besteht nach der Allgemeinverfügung des BMI über die Anerkennung eines ausländischen Passes oder Passersatzes vom 13. Oktober 2022 jedoch dahingehend, dass nur palästinensische (Proxy-)Pässe, deren Identitätsnummern mit den Ziffern 4, 8 oder 9 beginnen, anerkannt und somit zur Erfüllung der Passpflicht gemäß § 3 Abs. 1 AufenthG bzw. zur Identitätsklärung im Allgemeinen geeignet sind. Denn lediglich diese Ziffern bescheinigen, dass die Person auch tatsächlich im Autonomiegebiet gelebt hat.
Für Geflüchtete, die aus einem anderen Staat nach Deutschland gekommen sind, ist die Lage noch komplizierter: Die Staaten der Arabischen Liga – unter anderem Jordanien, Ägypten, Syrien und der Libanon – haben sich im Casablanca-Protokoll von 1965 darauf verständigt, palästinensischen Geflüchteten nicht ihre jeweiligen Staatsangehörigkeiten zu verleihen, um damit das Recht auf Rückkehr des palästinensischen Volkes zu stärken. Seit Verabschiedung dieses Protokolls sind einige Staaten jedoch von dieser Praxis abgewichen, sodass die Palästinenser:innen in den arabischen Ländern unterschiedlich geschützt sind. Vor allem im Falle von palästinensischen Volkszugehörigen aus Syrien und dem Libanon geht das Bundesinnenministerium (BMI) davon aus, dass sie staatenlos sind, sofern sie gewisse Dokumente vorlegen können und keine Zweifel an deren Echtheit bestehen. Zu den Dokumenten zählen u.a. ein syrischer bzw. libanesischer Reiseausweis für Palästinenser:innen, eine Registrierungsnummer des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA), ein Familienregisterauszug aus Syrien oder dem Libanon, Geburtsurkunden und eine Bestätigung der Palästinensischen Mission Berlin über die Volkszugehörigkeit – Unterlagen, die bei Flucht und Vertreibung oft nicht verfügbar sind.
Die rechtliche Relevanz des UNRWA
Bei dem Schutz palästinensischer Geflüchteter spielt auch das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) eine bedeutende Rolle: Als 1954 die Vereinten Nationen das Staatenlosenübereinkommen schufen, räumten sie palästinensischen Geflüchteten eine besondere rechtliche Stellung ein. Gemäß Art. 1 Nr. 2 Var. 1 StaatenlÜBK – der Art. 1D der Genfer Flüchtlingskonvention nachgebildet ist – fallen sie nicht unter den Anwendungsbereich des Staatenlosenübereinkommens, soweit – und das ist der entscheidende Punkt – sie bereits Schutz oder Beistand eines Hilfswerks genießen (in diesem Falle des UNRWA). Das BMI erkennt eine Versagung dieses Schutzes bisher jedoch nur für die Operationsgebiete in Syrien und dem Libanon an. Allerdings ist die Funktionsfähigkeit des UNRWA seit dem Überfall der Hamas in allen Einsatzgebieten mehr als nur zweifelhaft.1)
Insbesondere die Situation von palästinensischen Geflüchteten aus Jordanien ist prekär: Jordanien unterscheidet historisch bedingt zwischen fünf (!) verschiedenen Kategorien von Aufenthaltstiteln, die in den letzten 50 Jahren ausgestellt wurden. Hiervon ist, soweit ersichtlich, kein einziger in Deutschland anerkannt, was wiederum eine Anerkennung als Palästinenser:in nahezu vollständig ausschließt. Damit drängt sich in diesen Fällen die Frage auf, in welche aufenthaltsrechtliche Kategorie Betroffene dann fallen.
Der „Arbeitsbegriff der ungeklärten Staatsangehörigkeit“
Gelingt der Nachweis der palästinensischen Volkszugehörigkeit nicht, wird hierzulande in der Regel eine „ungeklärte Staatsangehörigkeit“ attestiert. Dabei handelt es sich um einen vom BAMF nur für die „vorübergehende“ Verwendung geeigneten Arbeitsbegriff, der voraussetzt, „dass weder die Staatsangehörigkeit noch das Herkunftsland des Antragstellers bestimmt werden können und nicht vom Fall einer nachgewiesenen Staatenlosigkeit auszugehen ist.“ Wie flexibel dabei einige Ausländerbehörden den Begriff „vorübergehend“ verstehen, zeigt die Lebensrealität vieler Betroffener, die teilweise mehrere Jahrzehnte mit diesem „Arbeitsbegriff“ leben müssen.
Vor allem bei Geflüchteten aus Jordanien wird hierdurch die prekäre Ausgangslage verschärft: Mangels anerkannter Ausweisdokumente können sie rechtlich überhaupt nicht nachweisen, dass sie palästinensisch sind. So fallen sie aus allen denkbaren Schutzkategorien heraus und bleiben in einer prekären rechtlichen Situation, aus der es momentan keinen (legalen) Ausweg gibt.
Anerkennung „Made in Germany“ – und dann?
Würde die Bundesrepublik nun den Staat Palästina anerkennen, käme das den Menschen hier, zumindest aktuell, nicht unbedingt zugute – einigen könnte es sogar schaden.
Das liegt insbesondere daran, dass die völkerrechtliche Anerkennung eines Staates zwar Voraussetzung für die Respektierung seines Staatsangehörigkeitsrechts ist.2) Ob eine Person aber tatsächlich die palästinensische Staatsangehörigkeit besitzt, würde sich nach der völkerrechtlichen Anerkennung grundsätzlich allein nach palästinensischem Recht bestimmen. Da bislang jedoch kein konsistentes palästinensisches Staatsangehörigkeitsrecht – geschweige denn ein funktionsfähiger palästinensischer Staat – existiert, würde Deutschland nicht automatisch auch eine palästinensische Staatsangehörigkeit anerkennen (können). Durch die völkerrechtliche Anerkennung würden sich die benötigten Nachweise über die Volkszugehörigkeit also nicht ändern. Die völkerrechtliche Anerkennung eines Staates ist somit notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung dafür, dessen Staatsangehörigkeitsrecht zu respektieren.
Für die Betroffenen bedeutet diese Ausgangslage Folgendes: Denjenigen, denen schon heute der Nachweis der Volkszugehörigkeit nicht gelingt, wäre auch mit einer völkerrechtlichen Anerkennung Palästinas in den hiesigen aufenthaltsrechtlichen Verfahren nicht geholfen, da die eigentliche Hürde nicht die fehlende Anerkennung ihres Heimatstaates ist, sondern die – im Zweifel unveränderten – Nachweisanforderungen an ihre palästinensische Volkszugehörigkeit. Ihre Situation würde sich somit unmittelbar weder positiv noch negativ verändern, vielmehr „gleich schlecht“ bleiben.
Wer aber hingegen seine Zugehörigkeit belegen kann, dem droht eine rechtliche Schutzlücke: Wer als staatenlos anerkannt wird, bestimmt nämlich stets der Staat des Aufenthalts. Die bisher anerkannt staatenlosen Palästinenser:innen – man spricht auch von „de iure Staatenlosen“ – könnten durch ihre neue Zugehörigkeit den besonderen Schutzstatus und damit einhergehend ihre Rechte aus dem StaatenlÜBK verlieren.3) Zu diesen besonderen Rechten zählen unter anderem das Ausweisungsverbot aus Art. 31 Nr.1 oder der erleichterte Zugang zur Einbürgerung nach Art. 32 StaatenlÜBK. Gerade Letzteres stellt für viele die einzig realistische Perspektive auf eine rechtlich gesicherte Zukunft dar.
Zugleich existiert noch kein funktionierendes palästinensisches Staatswesen, das im Zweifelsfall für diplomatischen Schutz sorgen könnte. Im Ergebnis droht somit eine Degradierung zu sogenannten „de facto Staatenlosen“4) – also Personen, die völkerrechtlich zwar einem Staat angehören, faktisch jedoch keinerlei staatsbürgerliche Rechte genießen.
So wichtig die Anerkennung damit symbolisch auch wäre, könnte sie einen erheblichen Verlust rechtlichen Schutzes bedeuten.
Was tun?
Im Falle einer Anerkennung wäre es zunächst notwendig, Palästinenser:innen rechtlich weiterhin als Staatenlose zu behandeln, solange kein funktionierendes Staatswesen besteht. Dies entspricht den Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts: In seiner Rechtsprechung zum ehemaligen § 25 RuStAG verlangte das Gericht für den Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft infolge des Erwerbs einer anderen, dass eine ausländische Staatsangehörigkeit in Effektivität, Sicherheit und Dauerhaftigkeit der deutschen vergleichbar sein muss (Urteil vom 28.09.1993 – 1 C 25/92). Fehlt es hieran, etwa weil kein funktionsfähiges Staatsangehörigkeitsrecht und keine verlässliche staatliche Autorität existieren, liegt keine der deutschen in ihren Wirkungen vergleichbare Staatsangehörigkeit vor. Überträgt man diese Maßstäbe, wäre bei palästinensischen Geflüchteten, denen der Nachweis der Zugehörigkeit gelingt, in Deutschland aufenthaltsrechtlich weiterhin Staatenlosigkeit anzunehmen – so lange, wie die palästinensische Staatsangehörigkeit nicht vergleichbar ist.
Um die Situation aller Betroffenen auch nachhaltig zu verbessern, muss Deutschland die statusrechtliche Situation der Geflüchteten in den umliegenden arabischen Staaten klären – insbesondere, welche aufenthaltsrechtlichen Kategorien und Aufenthaltstitel in den Aufnahmestaaten bestehen. Entsprechend sollte das BMI deutlich mehr identitätsbestätigende Dokumente anerkennen, etwa die unterschiedlichen Aufenthaltstitel aus Jordanien oder Passersatzdokumente speziell für Geflüchtete aus Palästina, die andere Länder (u.a. Ägypten) ausstellen. Damit würde die Bundesrepublik auch den Maßstäben des UN-Menschenrechtsausschusses aus dem Fall Zhao/The Netherlands (2020, Rn. 10) gerecht werden, wonach Staaten verpflichtet seien, die praktische Zugänglichkeit von Staatsangehörigkeitsrechten zu berücksichtigen. Auf diese Weise ließen sich Schutzlücken schließen und verhindern, dass Rechte allein an der faktischen Unerreichbarkeit offizieller Dokumente scheitern.
Darüber hinaus ist es längst überfällig, dem UNRWA in allen Operationsgebieten eine fehlende Funktions- und Schutzfähigkeit zu attestieren. So würde die Bereichsausnahme des Staatenlosenübereinkommens nicht mehr greifen und deutlich mehr Personen als Staatenlose anerkannt. Schon vor dem 7. Oktober 2023 war das Hilfswerk chronisch unterfinanziert; seit den Terroranschuldigungen gegen einzelne Mitarbeitende und der teilweisen Aussetzung von Geberzahlungen – zuletzt auch durch Deutschland – gerät die Organisation zunehmend unter Druck. Dass Deutschland in der Vorabstimmung einer Mandatsverlängerung nicht zugestimmt und Außenminister Wadephul betont hat, dies nur unter Nachweis „konsequenter und überprüfbarer Reformen“ zu tun, bescheinigt zudem, dass die Bundesregierung selbst die Schutz- und Funktionsfähigkeit von UNRWA stark anzweifelt.
Alternativ ist es denkbar, die Staatenlosen aus Palästina als Flüchtlinge anzuerkennen. Dann würden diese die wesentlich besser ausgestalteten Schutzrechte aus der Genfer Flüchtlingskonvention genießen. Jedoch könnte dieser Schritt nur in asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren weiterhelfen; spätestens bei einer möglichen Einbürgerung wären die Betroffenen wieder dem Nachweischaos ausgesetzt. Denn das Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) kennt keine dem § 5 Abs. 3 S.1, 2 AufenthG vergleichbare Norm, sodass bei der Einbürgerung nicht von einer geklärten Identität und Staatsangehörigkeit abgesehen werden kann.
Letztlich lässt sich das bestehende Chaos um Nachweise über die Volkszugehörigkeit nur mit einer Kombination dieser Maßnahmen beseitigen. Eine echte Anerkennung Palästinas läge daher weniger in einer symbolisch-politischen Erklärung, sondern in der rechtlichen Absicherung von Menschen, die ihren Heimatstaat längst verloren haben.
References
| ↑1 | Lesenswert dazu Al-Ali, “Flüchtlingsschutz für Palästinenser*innen”, InfAuslR (1) 2025, 7 ff. |
|---|---|
| ↑2 | Vgl. Makarov, Allgemeine Lehren des Staatsangehörigkeitsrechts, 1962, S. 177 ff. |
| ↑3 | Nach herrschender Ansicht werden nur rechtlich anerkannte Staatenlose (de iure) von der Definition des Art. 1 Abs.1 StaatenlÜBK umfasst, vgl. dazu Hailbronner, Staatsangehörigkeitsrecht, 7. Aufl. 2022, Teil I. F. Rn. 402. |
| ↑4 | Mehr zur Entwicklung dieses Begriffs bei Hugh Massey, UNHCR and De Facto Statelessness, LPPR/2010/01, April 2010. |




Es sollen sich laut dem Artikel Betroffene palästinensischer Volkszugehörigkeit, welche in Autonomiegebieten gelebt haben, grundsätzlich einen palästinensichen Reisepass ausstellen lassen können, zum Nachweis ihrer palästinensischen Volkszugehörigkeit, oder so ähnlich. Wäre es denkbar, dass bei einer Anerkennung eines Staates Palästinas alle Betroffenen, welche ihre palästinensische Staatsangehörigkeit nachweisen können, einen palästinensischen Reisepass ausstellen lassen können, um ihre palästinensische Staatsangehörigkeit nachzuweisen? Ein Nachweis über die palästinensische Volkszugehörigkeit müsste wohl ohnehin erbracht werden. Wenn die Ausstellung eines palästinensischen Reisepasses zum Nachweis einer palästinensischen Staatsangehörigkeit in Betracht kommen sollte, wäre eventuell eine Schlechterstellung gegenüber einer Nichtanerkennung eines Staates Palästina weniger gegeben?