Assistententagung 2012: Grund und Grenzen juristischer Debatten
Von (dem Autor_innenkollektiv) HANNAH BIRKENKÖTTER, MICHAEL VON LANDENBERG-ROBERG, SABINE MÜLLER-MALL, ALEXANDER TISCHBIREK und TIM WIHL
Um die Thesen und ihre Begründungen, die weit in theoretische Tiefen reichen oder bloße Darstellungen positiven Rechts bleiben können, ist es in juristischen Debatten ja höchst unterschiedlich bestellt. Als bloße Darstellungen erweitern sie in manchen Fällen Horizonte, informieren oder liefern Perspektiven, in anderen Fällen aber provozieren sie Fragen: jene nach dem warum und woher, nach ihrem Grund und ihren Grenzen.
An diesem Vormittag der Assistententagung wurden solche Fragen gestellt, zahlreich und mit einiger Vehemenz, wie es eine rege Debatte auszeichnet: Könnte es sein, dass das Solidaritätsprinzip im deutschen Recht kein Rechtsprinzip im eigentlichen Sinne ist, das Rechtsfolgen mit sich bringt, sondern eher beschreibend verwendet wird? Und wenn es im europäischen Recht, anders als im deutschen Recht, positiv verankert ist, wo kommt es eigentlich her? Warum kann man keine Pflicht zum Vorrang des europäischen Gemeinwohls aus diesem Solidaritätsprinzip ableiten? Gibt es vielleicht Herleitungen des Solidaritätsprinzips im Europarecht, die an solche Prinzipien in anderen europäischen Rechtsordnungen anknüpfen können?
Von (dem Autor_innenkollektiv) HANNAH BIRKENKÖTTER, MICHAEL VON LANDENBERG-ROBERG, SABINE MÜLLER-MALL, ALEXANDER TISCHBIREK und TIM WIHL
Um die Thesen und ihre Begründungen, die weit in theoretische Tiefen reichen oder bloße Darstellungen positiven Rechts bleiben können, ist es in juristischen Debatten ja höchst unterschiedlich bestellt. Als bloße Darstellungen erweitern sie in manchen Fällen Horizonte, informieren oder liefern Perspektiven, in anderen Fällen aber provozieren sie Fragen: jene nach dem warum und woher, nach ihrem Grund und ihren Grenzen.
An diesem Vormittag der Assistententagung wurden solche Fragen gestellt, zahlreich und mit einiger Vehemenz, wie es eine rege Debatte auszeichnet: Könnte es sein, dass das Solidaritätsprinzip im deutschen Recht kein Rechtsprinzip im eigentlichen Sinne ist, das Rechtsfolgen mit sich bringt, sondern eher beschreibend verwendet wird? Und wenn es im europäischen Recht, anders als im deutschen Recht, positiv verankert ist, wo kommt es eigentlich her? Warum kann man keine Pflicht zum Vorrang des europäischen Gemeinwohls aus diesem Solidaritätsprinzip ableiten? Gibt es vielleicht Herleitungen des Solidaritätsprinzips im Europarecht, die an solche Prinzipien in anderen europäischen Rechtsordnungen anknüpfen können?
Es ging also um das Prinzip der Solidarität an diesem Morgen, zwar nicht um die Frage, wie Solidarität und Kollektivität begrifflich zusammenhängen können, aber doch um ein Kernthema dieser Tagung: die Verbundenheit von Gruppen, deren rechtliche Grundlagen und Folgen – dies betrifft die innere Seite der Kollektivität, die über eine bloße Sammlung hinausweist.
Peter Haversath referierte über „Das Solidaritätsprinzip im Recht: Gegenseitige Verbundenheit als Grund und Grenze hoheitlichen Handelns“. Solidaritätspflichten resultierten, philosophisch betrachtet, aus allseits unverschuldeten Notlagen innerhalb einer Solidargemeinschaft von Gleichen. Im deutschen Verfassungsrecht sei das Solidaritätsprinzip in Einzelgewährleistungen ausgestaltet; darüber hinaus gebe es jedoch kein Bedürfnis, ein allgemeines Solidaritätsprinzip als Rechtsprinzip mit Eingriffscharakter in das Grundgesetz hineinzulesen. Demgegenüber stehe auf europäischer Ebene ein positiviertes Solidaritätsprinzip. Dieses sei, so Haversath, streng auf Solidarfälle nach der eingangs entwickelten Definition zu begrenzen. Damit war das Feld für die Diskussion abgesteckt: Wie lässt sich das philosophische Kriterium des Verschuldens rechtlich handhaben?
Insbesondere die Anwendung auf den Fall Griechenland wurde anschließend kontrovers diskutiert: Anders als der Referent, der ein juristisches Verantwortlichkeitskriterium auf den engen philosophischen Verschuldensbegriff reduziert wissen wollte, plädierten manche Diskutant_innen dafür, Pflichten aus Ingerenz oder eine weiter verteilte ökonomische Verantwortlichkeit zu berücksichtigen. Die Gleichsetzung von Verschulden und Verschuldung ist vielleicht vor allem sprachästhetisch nahe liegend.
Da Debatten unter anderem auch zeitlichen Grenzen unterliegen, blieben manche Fragen heute unausgesprochen. Etwa jene nach den historischen und soziologischen Kontexten philosophischer Begründungsstrategien. Es ist schließlich keineswegs ausgemacht, dass sich dem Solidaritätsgedanken unter Bedingungen der im Vortrag gestreiften organischen Solidarität „prohibitiv-normative“ (Haversath) Gehalte entnehmen lassen. Und noch umstrittener dürfte sein, ob der Fall der Griechenlandkrise tatsächlich geeignet ist, den Tatbestand des Selbstverschuldens als Grenze dieser Solidarität zu veranschaulichen. Gerade hier mochte der Referent keine nennenswerte Begründungslast erkennen.
Es ging also um das Prinzip der Solidarität an diesem Morgen, zwar nicht um die Frage, wie Solidarität und Kollektivität begrifflich zusammenhängen können, aber doch um ein Kernthema dieser Tagung: die Verbundenheit von Gruppen, deren rechtliche Grundlagen und Folgen – dies betrifft die innere Seite der Kollektivität, die über eine bloße Sammlung hinausweist.
Peter Haversath referierte über „Das Solidaritätsprinzip im Recht: Gegenseitige Verbundenheit als Grund und Grenze hoheitlichen Handelns“. Solidaritätspflichten resultierten, philosophisch betrachtet, aus allseits unverschuldeten Notlagen innerhalb einer Solidargemeinschaft von Gleichen. Im deutschen Verfassungsrecht sei das Solidaritätsprinzip in Einzelgewährleistungen ausgestaltet; darüber hinaus gebe es jedoch kein Bedürfnis, ein allgemeines Solidaritätsprinzip als Rechtsprinzip mit Eingriffscharakter in das Grundgesetz hineinzulesen. Demgegenüber stehe auf europäischer Ebene ein positiviertes Solidaritätsprinzip. Dieses sei, so Haversath, streng auf Solidarfälle nach der eingangs entwickelten Definition zu begrenzen. Damit war das Feld für die Diskussion abgesteckt: Wie lässt sich das philosophische Kriterium des Verschuldens rechtlich handhaben?
Insbesondere die Anwendung auf den Fall Griechenland wurde anschließend kontrovers diskutiert: Anders als der Referent, der ein juristisches Verantwortlichkeitskriterium auf den engen philosophischen Verschuldensbegriff reduziert wissen wollte, plädierten manche Diskutant_innen dafür, Pflichten aus Ingerenz oder eine weiter verteilte ökonomische Verantwortlichkeit zu berücksichtigen. Die Gleichsetzung von Verschulden und Verschuldung ist vielleicht vor allem sprachästhetisch nahe liegend.
Da Debatten unter anderem auch zeitlichen Grenzen unterliegen, blieben manche Fragen heute unausgesprochen. Etwa jene nach den historischen und soziologischen Kontexten philosophischer Begründungsstrategien. Es ist schließlich keineswegs ausgemacht, dass sich dem Solidaritätsgedanken unter Bedingungen der im Vortrag gestreiften organischen Solidarität „prohibitiv-normative“ (Haversath) Gehalte entnehmen lassen. Und noch umstrittener dürfte sein, ob der Fall der Griechenlandkrise tatsächlich geeignet ist, den Tatbestand des Selbstverschuldens als Grenze dieser Solidarität zu veranschaulichen. Gerade hier mochte der Referent keine nennenswerte Begründungslast erkennen.