09 April 2014
EuGH und Vorratsdatenspeicherung: Emergenz eines Grundrechts auf Sicherheit?
An einer Stelle seines gestrigen Urteils zur Vorratsdatenspeicherung verweist der EuGH auf Art. 6 GRCh, nach dem „jeder Mensch nicht nur das Recht auf Freiheit, sondern auch auf Sicherheit hat“. Diese Feststellung ist bemerkenswert. Nimmt man die Formulierung ernst, wäre es künftig durchaus denkbar, sich in der EU auf ein Grundrecht auf Sicherheit zu berufen. Was könnte damit gemeint sein? Hätten Individuen dann Anspruch auf die Vornahme bestimmter Sicherheitsmaßnahmen durch die Europäische Union? Wurde hier der Grundstein für künftige mögliche subjektiv-grundrechtliche Schutzpflichten auf europäischer Ebene gelegt? Oder erwächst aus diesem Grundrecht zumindest eine objektiv- aber dennoch explizit grundrechtliche Pflicht der EU zur Vornahme von Sicherheitsmaßnahmen? Wäre es, provokant gefragt, gar denkbar, die Schaffung einer neuen Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie, die den Anforderungen des EuGH genügt, grundrechtlich zu begründen? In its data retention judgment the CJEU mentions a right of any person "not only to liberty, but also to security". This finding is remarkable in several ways. Continue reading >>
0
Wider die Mär vom Grundrechtsblinden: Der EuGH und die Vorratsdatenspeicherung
Er kann es also doch. Dieser Gedanke mag zahlreichen Beobachtern in aufatmender Erleichterung durch den Kopf gegangen sein, als der Europäische Gerichtshof gestern Vormittag die Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung in einem lange erwarteten Grundsatzurteil für nichtig erklärte. Das Urteil ist ein Meilenstein für den europäischen Grundrechtsschutz. Mit ihm tritt die Große Kammer dem Narrativ vom grundrechtsblinden EuGH entgegen. Continue reading >>
0
Auf Facebookstreife: polizeiliche Maßnahmen in sozialen Netzwerken als mittelbare Grundrechtseingriffe?
“Facebookstreifen“, bei denen die Beamten mit den eigenen oder auch mit Fake-Accounts die netzwerk-öffentlichen Postings für sie interessanter Personen im Netzwerk durchforsten, gehören längst zur alltäglichen polizeilichen Praxis. Nach bisher vorherrschender Ansicht stellen derartige Maßnahmen keinen Grundrechtseingriff dar – zumindest solange keine besonderen Zugangshürden überwunden werden. Die Online-Streife kann demnach also einfach auf die Generalklauseln der Polizeigesetze der Länder und entsprechende Online-Ermittlungen auf die Generalklauseln der StPO gestützt werden. Dass hier eventuell ein Eingriff vorliegt, wird deswegen abgelehnt, weil nicht ersichtlich sein soll, wie Entfaltungs- und Selbstbestimmungsmöglichkeiten oder Handlungsfreiheiten des Bürgers durch solche zunächst eher ungezielten Maßnahmen auch nur mittelbar beeinträchtigt werden können. Doch hierbei stehenzubleiben, wäre zu kurz gesprungen. Continue reading >>
0
07 April 2014
US Supreme Court zu Wahlkampfspenden: May Deep Pockets Rule!
Das Recht der Wahlkampffinanzierung ist ein zentrales Element dessen, was die amerikanische Verfassungslehre seit etwa 20 Jahren als The Law of Democracy untersucht: das Recht, das die demokratische Willensbildung konstituiert, organisiert, strukturiert und determiniert. Das Recht der Wahlkampffinanzierung ist, so gesehen, ein Rechtsgebiet, das die amerikanische Demokratie verfasst und über ihre Funktionsfähigkeit mitentscheidet. Dieses Rechtsgebiet ist geprägt von der Dynamik eines stetigen regulativen Hin und Her: Der Kongress begrenzt per Gesetz eine der vielfältigen Formen der privaten Finanzierung von Wahlkämpfen. Reiche Spender reagieren darauf mit Umgehungsstrategien und Resilienz: Sie ziehen vor Gericht. Es folgt in letzter Instanz regelmäßig eine Intervention des Supreme Court zugunsten der privaten Spender. Der Gesetzgeber bemüht sich dann – sofern es die Mehrheitsverhältnisse zulassen – sein regulatives Konzept wiederherzustellen oder aufrechtzuerhalten. Der US Supreme Court hat in der vergangenen Woche nun einen weiteren Zug in diesem Spiel gemacht: Continue reading >>
0
04 April 2014
Blogschau // Debatten der Woche // 29.03 – 04.04
Wahlkampfspenden in den USA, Wale in Japan, Senatsreform in Italien: Was diese Woche die rechtswissenschaftliche Bloglandschaft alles spannend fand. Continue reading >>
0
02 April 2014
The Legal Status and Modern History of Crimean Autonomy
Over the past weeks, much has been said about the Republic of Crimea’s secession/annexation to the Russian Federation and on its illegality (see on this blog here) and I personally agree with these statements. At the same time, I believe that the Crimean problem is much more complex at its roots and that some of Crimea’s history and its struggle for independence in the past have been overlooked in most of the recent discussion. I will provide some historical overview of the Crimean struggle for independence. It will dispel the widespread myth that Crimea for centuries had been part of Russia and was “gifted” to Ukraine and illustrate that yet another annexation of Crimea by Russia does not solve the Crimean problem.Over the past weeks, much has been said about the Republic of Crimea’s secession/annexation to the Russian Federation and on its illegality, and I personally agree with these statements. At the same time, I believe that the Crimean problem is much more complex at its roots and that some of Crimea’s history and its struggle for independence in the past have been overlooked in most of the recent discussion. I will provide some historical overview of the Crimean struggle for independence. It will dispel the widespread myth that Crimea for centuries had been part of Russia and was “gifted” to Ukraine and illustrate that yet another annexation of Crimea by Russia does not solve the Crimean problem. Continue reading >>
0
27 March 2014
GASP: Reden oder Angst haben?
Wie einst Lyndon B. Johnsohn behauptet die EU, in ihrer Außenpolitik auf die Eroberung der Herzen zu setzen. Sie positioniert sich als Wertegemeinschaft und transferiert und implementiert ihre (exklusiven und richtigen) Werte auch in die Welt, denn diese sind übertragungsfähig und befolgungswürdig, sie machen das Leben der Völker weltweit besser und die Missionare dieser Werte zu besseren Menschen. Dabei bleibt leider die Frage offen, ob diese Werte wirkungsvoll in der empirischen Realität einer höchst heterogenen Gesellschaft implementiert werden können. Like Lyndon B. Johnsohn, the EU claims to struggle with its foreign policy for the "hearts and minds" of people. It itself as a community of shared values that is exporting its (exclusive and universally valid) values to the entire world. This export is the “thing to do” because these European values (are likely to?) improve the living conditions of people worldwide and at the same time morally perfect the missionaries of the right. Still the question remains whether it is empirically possible to realise such noble ideas within the deeply heterogenous Ukranian enviroment. Continue reading >>26 March 2014
All for one? EU’s toothless mutual defence clause
The current crisis has put the spotlight on a source of threat that already seemed forgotten in the European context: aggression against states on their own territory. Not just NATO, but also the EU has a clause in place, which specifically refers to cases in which one of the member states would fall victim to an armed attack. EU member states introduced the so called ‘mutual defence clause’ with the Lisbon Treaty as a carefully worded compromise. Since then, the clause has remained merely symbolic with little political, let alone operational, relevance. However, the current crisis raises the question whether the ‘mutual defence clause’ could receive new political or even practical significance in the development of Europe’s common security and defence policy.The current crisis has put the spotlight on a source of threat that already seemed forgotten in the European context: aggression against states on their own territory. Not just NATO, but also the EU has a clause in place, which specifically refers to cases in which one of the member states would fall victim to an armed attack. EU member states introduced the so called ‘mutual defence clause’ with the Lisbon Treaty as a carefully worded compromise. Since then, the clause has remained merely symbolic with little political, let alone operational, relevance. However, the current crisis raises the question whether the ‘mutual defence clause’ could receive new political or even practical significance in the development of Europe’s common security and defence policy. Continue reading >>
0
21 March 2014
Blogschau // Debatten der Woche // 15.03 – 21.03
Krim-Krise, ESM-Urteil, Rechtsstaatlichkeitskontrolle der EU-Kommission: Was die rechtswissenschaftlichen Blogs in dieser Woche beschäftigt hat. Continue reading >>
0
18 March 2014
The ECtHR – torn between Russia and Ukraine?
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat vor wenigen Tagen im Wege einer vorläufigen Maßnahme gem. Art. 39 der Verfahrensordnung in den laufenden Konflikt zwischen Russland und der Ukraine eingegriffen (vgl. Pressemitteilung ECHR 073 (2014)). Man mag fragen: Warum mutet sich der EGMR das zu? Oder auch: Was maßt sich der Gerichtshof an? Glaubt er wirklich, im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes einen internationalen Konflikt befrieden zu können, an dem sich die internationale Diplomatie die Zähne ausbeißt? Der Versuch einer Standortbestimmung.On 13th March 2014, the European Court of Human Rights (ECtHR) has intervened in the ongoing conflict between Russia and Ukraine by indicating provisional measures under Rule 39 of the Rules of Court (cf. Press Release ECHR 073 (2014)). One might ask: Why does the Court undergo such a burden? Or, seen from another perspective: Why is the Court attributing itself such a power? Do the judges really belief that they can pacify an international conflict, which international diplomacy is unable to solve, just by means of an interim injunction? The attempt of defining a position. Continue reading >>Der EGMR, zerrieben im Konflikt Russland-Ukraine?
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat vor wenigen Tagen im Wege einer vorläufigen Maßnahme gem. Art. 39 der Verfahrensordnung in den laufenden Konflikt zwischen Russland und der Ukraine eingegriffen (vgl. Pressemitteilung ECHR 073 (2014)). Man mag fragen: Warum mutet sich der EGMR das zu? Oder auch: Was maßt sich der Gerichtshof an? Glaubt er wirklich, im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes einen internationalen Konflikt befrieden zu können, an dem sich die internationale Diplomatie die Zähne ausbeißt? Der Versuch einer Standortbestimmung.On 13th March 2014, the European Court of Human Rights (ECtHR) has intervened in the ongoing conflict between Russia and Ukraine by indicating provisional measures under Rule 39 of the Rules of Court (cf. Press Release ECHR 073 (2014)). One might ask: Why does the Court undergo such a burden? Or, seen from another perspective: Why is the Court attributing itself such a power? Do the judges really belief that they can pacify an international conflict, which international diplomacy is unable to solve, just by means of an interim injunction? The attempt of defining a position. Continue reading >>
0
15 March 2014
The Commission gets the point – but not necessarily the instruments
This week the European Commission issued a Communication about a new framework for protecting the rule of law within EU Member States.[1] Is this the long hoped for mechanism that allows the EU to deal with internal threats to liberal democracy (the democratic deficits within Member States, so to speak) effectively? The clear-cut answer is: yes and no. This week the European Commission issued a Communication about a new framework for protecting the rule of law within EU Member States.[1] Is this the long hoped for mechanism that allows the EU to deal with internal threats to liberal democracy (the democratic deficits within Member States, so to speak) effectively? The clear-cut answer is: yes and no. Continue reading >>14 March 2014
Das neue italienische Wahlrecht: immer noch verfassungsrechtlich fragwürdig?
Silvio Berlusconis "porcellum" genanntes Wahlgesetz hat der italienische Verfassungsgerichtshof für verfassungswidrig erklärt. Der neue italienische Ministerpräsident Matteo Renzi hat im Bund mit Berlusconi ein neues Gesetz vorgelegt, das die Verfassungsprobleme aber nur unzureichend löst und sogar noch neue schafft. In January, Silvio Berlusconi's electoral law "porcellum" had been declared unconstitutional by the Italian Constitutional Court. The new Prime Minister Matteo Renzi is now, along with Berlusconi, trying to push a new law through parliament that fails to solve the problems adressed by the Constitutional Court and introduces even new ones. Continue reading >>
0
Blogschau // Debatten der Woche // 08.03 – 14.03
Krim-Krise, Kinderrechte, Neuseeland: Was diese Woche in den rechtswissenschaftlichen Blogs der Welt los war. Continue reading >>
0
12 March 2014
Frankreichs Verfassungsrat setzt Ämterhäufung bei Parlamentariern ein Ende
Mitte Februar hat der französische Verfassungsrat das Schlusskapitel eines Politik- und Verfassungskrimis geschrieben, der seit drei Jahrzehnten andauert: Die Weisen haben das verfassungsausführende Gesetz (loi organique) zum Verbot der Ämterhäufung bei Parlamentariern (cumul des mandats) – eine in Frankreich beliebte Praxis – für weitestgehend verfassungskonform erklärt. Aufgrund der neuen Bestimmungen wird es den Mitgliedern des nationalen Parlaments, bestehend aus Assemblée Nationale und Sénat, ab 2017 nicht mehr möglich sein, neben ihrem Parlamentsmandat ein lokales Exekutivamt auszuüben. Diese Neuerungen, welche im Vorfeld zu hitzigen Debatten und zu einem Zerwürfnis der beiden Kammern des Parlaments geführt hatten, dürften das institutionelle Gefüge der Legislative und somit den Politikbetrieb der Republik in naher Zukunft auf den Kopf stellen.A month ago, the French Constitutional Council conducted the final episode of a political and constitutional saga which has lasted for three decades: The judges declared largely constitutional an Institutional Act (loi organique) prohibiting the plurality of offices (cumul des mandats) with national MPs, that is to say members of the Assemblée Nationale and the Sénat. According to the new provisions, MPs will from 2017 onwards no longer be permitted to hold a local public office of executive nature in parallel to their parliamentary mandate – which is a widespread practice in France. It is expected that the reform, which had led to heated public debate and to a discord of the two chambers of Parliament, will profoundly alter the institutional landscape of the legislative branch and, hence, French politics. Continue reading >>
0
10 March 2014
Evident daneben: eine Antwort auf Holm Putzke
Wenn Juristen überhaupt auf die empirischen Wissenschaften zurückgreifen, tun sie […] Continue reading >>
0
Eine kurze Geschichte des ukrainischen Verfassungsrechts
Ein starker Präsident oder ein starkes Parlament? Zwischen diesen beiden Polen ist die ukrainische Verfassung in den letzten 20 Jahren mehrfach hin- und heroszilliert. Anastasiia Tatarenko liefert einen Überblick über den Verfassungswandel in der Ukraine vom Fall der Sowjetunion bis heute. A strong president or a strong parliament? The Ukrainian constitution has oscillated back and forth between these two poles several times during the last 20 years. Anastasiia Tatarenko provides an overview on Ukrainian constitutional changes from the fall of the Soviet Union till today. Continue reading >>
0
09 March 2014
Wahlrechtsausschluss für Entmündigte: Auf Polen kommt Ärger zu
Am 25. Mai 2014 wird auch in Polen die Wahl zum Europaparlament abgehalten. Menschen, die unter Vormundschaft stehen, dürfen nicht teilnehmen, weil das vom Parlament beschlossene polnische Wahlgesetz sie illegalerweise vom Wahlrecht ausschließt. Das könnte für Polen teuer werden.President of Poland Bronisław Komorowski has recently announced that the European Parliament elections would be held on 25 May 2014. Incapacitated persons won’t be able to cast their votes because the Electoral Code statute adopted by Polish Parliament has illegally deprived them of their voting rights. This may cost Poland a lot of money. Continue reading >>
0
07 March 2014
Blogschau // Debatten der Woche // 01.03 – 07.03
Krise in der Krim, Beamtenstreikrecht, Kroatien vs. Serbien: Was die rechtswissenschaftliche Blogosphäre in dieser Woche beschäftigt hat. Continue reading >>
0
28 February 2014
Streikverbot vor dem Bundesverwaltungsgericht: Auf dem Weg zur supranationalen EMRK?
Beamte dürfen nur noch für eine Übergangszeit generell vom Streikrecht ausgeschlossen werden. Das hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 27.02.2014 unter Berufung auf die EMRK und die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) entschieden (Az. 2 C 1.13). Damit wird nicht nur eine über hundertjährige Tradition in Deutschland gekippt. Das Urteil aus Leipzig dokumentiert auch einen Bedeutungsverlust des Bundesverfassungsgerichts, der den Richtern in Karlsruhe alles andere als gleichgültig sein dürfte. Sie sind die eigentlichen Verlierer im institutionellen Dreiecksverhältnis zwischen Leipzig, Karlsruhe und Straßburg. Continue reading >>
0