Der Ball rollt wieder –Lobbyarbeit oder Grundgesetz?
In den letzten Wochen wurden in den Polit-Talkshows dieses Landes und andernorts viele Lockerungen im Zuge der Corona-Pandemie diskutiert. Eine ausgeprägte Voreingenommenheit mancher Diskussionsteilnehmer kam in besonderem Maße zum Vorschein, wenn über den sogenannten ReStart der Fußball-Bundesligen diskutiert wurde. Die Fähigkeit zur Abstraktion scheint im Zusammenhang mit einer emotional aufgeladenen Angelegenheit wie dem Profifußball mitunter außer Kraft gesetzt. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Interview mit Ruder-Weltmeister Oliver Zeidler. Er äußert sich darin zur Fortsetzung der Bundesligen und schimpft über eine vermeintliche Sonderstellung des Fußballs. Es gehe bei der Wiederaufnahme des Spielbetriebs „einfach nur ums Geld“. Daneben sei es unverhältnismäßig, wenn zur selben Zeit „Gastronomen ihre Kapazitäten nicht ausnutzen können“ und „kleine Kinder, die Fußball spielen wollen“, dies nicht dürfen. Der vorliegende Beitrag beabsichtigt, diese und weitere Aspekte näher zu beleuchten und einer differenzierten Betrachtung zuzuführen. Den Rahmen hierfür bildet die Frage, inwiefern eine fortgesetzte Untersagung des Spielbetriebs mit dem Grundgesetz und der in Art. 12 Abs. 1 normierten Berufsfreiheit zu vereinbaren wäre.
Das Hygienekonzept der DFL
Nachdem die Fußball-Bundesligen zunächst durch die Corona-Verordnungen der Landesregierungen in die Zwangspause geschickt wurden, rollt der Ball wieder. Möglich gemacht haben das entsprechende Änderungen. Nordrhein-Westfalen hat seine Regelung weit gefasst und erklärt ganz allgemein „Wettbewerbe in Profiligen“ für ausnahmsweise zulässig. Explizit auf den „Spiel- und Wettkampfbetrieb der 1. und 2. Fußball-Bundesliga“ bezieht sich dagegen die bayerische Regelung. Ist dies nun als Geschenk an die Vereine der Bundesligen zu werten? Oder berücksichtigen die Politiker an dieser Stelle das umfangreiche Hygienekonzept der DFL?
Um diese Fragen zu beantworten, ist zunächst ein näherer Blick auf das Hygienekonzept zu werfen. Auf 51 Seiten legt die DFL im Detail spezifische Vorgaben für verschiedene Bereiche wie den Trainings- und Spielbetrieb, Sicherheitsmaßnahmen im Stadion oder der An- und Abreise zu Spielen fest. Das Ausmaß der getroffenen Maßnahmen lässt sich an einigen Beispielen zeigen: Die Vereine müssen in regelmäßigen, eng abgesteckten Abständen alle am Trainings- und Spielbetrieb beteiligten Personen auf das Corona-Virus testen. Zur Organisation des Spielbetriebs ist eine größtmögliche Reduzierung der am Ablauf Beteiligten erforderlich. Im Normalbetrieb stellt allein Sky bis zu 150 Personen ab, die im jeweiligen Stadion an der Übertragung des Spiels mitarbeiten. Nach dem Hygienekonzept dürfen sich während des Spielbetriebs nunmehr maximal 300 Personen zeitgleich auf dem Stadiongelände befinden. Bei der An- und Abreise ins Hotel oder zum Spiel haben die Beteiligten den Mindestabstand von 1,5 Metern zu wahren. Die praktische Umsetzung erfordert dann das Chartern mehrerer Flugzeuge oder das Mieten von Bussen. Zur individuellen Anreise von Spielern der Heimmannschaft dürfen keine Fahrgemeinschaften genutzt werden. Auch im Bereich der privaten Hygiene wird den Mitarbeitern eine Vielzahl an Verhaltensregeln vorgegeben. So soll der Kontakt zu außenstehenden Personen komplett gemieden werden. Sofern Einkäufe unbedingt nötig sind, sollen diese durch andere Personen des Haushalts erledigt werden. Die DFL schafft hierdurch – die Einhaltung der Vorgaben einmal vorausgesetzt – eine erhebliche Reduzierung des Infektions- und vor allem eines unbemerkten Übertragungsrisikos.
Schutz vor einem „Kollabieren des staatlichen Gesundheitssystems“
In Anbetracht des Hygienekonzepts stellt sich die Frage, ob eine fortdauernde Unterbrechung des Spielbetriebs im Lichte der Berufsfreiheit der Vereine überhaupt angemessen gewesen wäre. Hierfür sind alle betroffenen Rechte und Interessen hinreichend zu berücksichtigen. Gerade für die Spieler besteht ein erhöhtes Ansteckungsrisiko. Bei einer sportlichen Betätigung wie dem Fußballspielen kommt es immer wieder zu engem Körperkontakt und zu Situationen, in denen Erreger übertragen werden können. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass bei schnellem (Hinterher-)Laufen mit Blick auf umherfliegende Tröpfchen eigentlich ein größerer Abstand gewahrt werden sollte und dass die tiefe Atmung beim Sport ein weiterer risikoerhöhender Faktor sein kann. Neben dem individuellen Gesundheitsschutz der Spieler und der weiteren beteiligten Mitarbeiter ist das über diesen Personenkreis hinausgehende Ansteckungsrisiko bedeutend. Niko Härting weist zurecht darauf hin, dass der Zweck der in den Corona-Verordnungen getroffenen Maßnahmen nicht auf den bloßen Gesundheitsschutz der Bürger beschränkt ist. Mit Verweis auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. April sei davon auszugehen, dass es sich vorrangig um eine Vorsorgemaßnahme handele. Die Geschwindigkeit, mit welcher sich die Corona-Pandemie nach anfänglichem „Anlaufnehmen“ entwickelte, sollte gedrosselt werden. Das Ganze bezweckte laut Bundesverfassungsgericht, ein „Kollabieren des staatlichen Gesundheitssystems mit zahlreichen Todesfällen zu vermeiden.“ Die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems ist auch nach kleineren „Zwischenerfolgen“ wie der Stabilisierung der Fallzahlen weiterhin vorhanden. Beispiele aus anderen Ländern zeigen, wie schnell ein Zustand entstehen kann, in dem eine ausreichende medizinische Versorgung nicht mehr möglich ist. Dennoch erfordert das in der Verfassung verankerte Verständnis grundrechtlicher Freiheiten, dass die getroffenen Maßnahmen fortlaufend auf ihre Berechtigung hin überprüft werden.
Die Abhängigkeit von den TV-Millionen
Der DFL und den Vereinen wird häufig vorgehalten, dass es bei der Wiederaufnahme des Spielbetriebs einzig und allein um wirtschaftliche Interessen gehe. Und ja – dem ist zuzustimmen. Aber anders als vielerorts suggeriert wird, ist dies keinesfalls verwerflich. Wenn man die Bundesligen für einen flüchtigen Moment ihrer fußball-romantischen Verkleidung entledigt, so fällt der Blick auf 36 Unternehmen. Für diese gelten keine anderen wirtschaftlichen Grundsätze als für Einzelhandel, Gastronomie oder produzierendes Gewerbe. Auch im deutschen Profifußball ist die Existenzbedrohung real, 13 der 36 Profivereinen droht die Insolvenz noch in dieser Saison. Fernsehgelder sowie Einnahmen aus dem Ticketverkauf sind nun mal an den Spielbetrieb geknüpft. An den Einnahmen aus den Übertragungen lässt sich die Abhängigkeit anschaulich darstellen. Die Gelder fließen von den jeweiligen Streaming-Diensten und TV-Sendern zunächst an die DFL und werden von dort aus an die Vereine weitergeleitet. Dies vollzieht sich anhand eines Verteilerschlüssels. Im Wesentlichen richtet sich die Verteilung nach den Platzierungen, die die Vereine in den letzten fünf Spielzeiten erreicht haben. Demnach erhält der FC Bayern München in der laufenden Saison mit 67,92 Millionen am meisten Geld. Für alle Vereine der 1. Bundesliga ergibt sich ein Gesamtbetrag – allein aus den nationalen TV-Einnahmen – von fast einer Milliarde. Die Fernsehgelder werden in Raten über die Spielzeit verteilt ausgezahlt und die letzte Rate stand zum Zeitpunkt der Saisonunterbrechung noch aus. Die Medienpartner der DFL sahen aufgrund der Ungewissheit einer Fortsetzung des Spielbetriebs zunächst von Zahlungen ab. Nach zähen Verhandlungen konnten die Gelder mittlerweile ausgezahlt werden. Dies steht aber unter dem Vorbehalt, dass die Saison beendet wird und die Spiele somit wie vereinbart übertragen werden können. Insofern könnte ein Saisonabbruch die Vereine zu schwerwiegenden Rückzahlungen veranlassen. Die Einbußen bei den Sponsorengeldern dürften im Vergleich dazu zwar deutlich geringer ausfallen. Doch auch hier gäbe es Verluste. Wo der Ball nicht rollt, wird keine Bandenwerbung präsentiert. Es ist dabei zu berücksichtigen, dass der deutsche Profifußball circa 56.000 Mitarbeiter beschäftigt. Von den Spielern und Trainern einmal abgesehen würde eine mögliche Arbeitslosigkeit infolge von Insolvenzen viele Mitarbeiter sicherlich in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten bringen.
Kein „Durchgangsverkehr“ und fortlaufende Testungen
Was eine unkontrollierbare Ausbreitung des Corona-Virus anbelangt, so besteht zwischen dem Hygienekonzept der DFL und anderen Branchen ein nicht unbedeutender Unterschied: Anders als es in Buchhandlungen oder Gastronomiebetrieben der Fall ist, schafft der Bundesliga-Fußball im Zuge von „Geisterspielen“ keinen „Durchgangsverkehr“. Die Möglichkeit der gezielten Nachverfolgung von bekannt gewordenen Fällen ist deutlich höher als in den beiden anderen Beispielen. Insofern kann eine über die am Spielbetrieb Beteiligten hinausgehende Ausbreitung von Infektionen auf einem vertretbaren Level einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit gehalten werden. Gerade vor dem Hintergrund des Zwecks, das Gesundheitssystem vor einer Überlastung zu bewahren, muss dies bei der Frage nach der Angemessenheit berücksichtigt werden.
Möglichen Bedenken von Seiten der Spieler mit Blick auf eine Ansteckungsgefahr beim Spielbetrieb sollte auf jeden Fall Verständnis entgegengebracht werden. Dies gilt vor allem für Personen aus Risikogruppen (wovon es sicherlich auch unter den Spielern selbst einige gibt). Um etwaige Infektionen zügig erkennen zu können, setzt die DFL die eng getaktete und symptomunabhängige Testung von Spielern und Mitarbeitern voraus. Diese Testungen erfolgen auf eigene Kosten und nur, soweit die erforderlichen Kapazitäten nicht andernorts vorrangig beansprucht werden müssen. Die Ansicht, dass die Bundesligen der breiten Bevölkerung die Testmöglichkeiten entziehen könnten, ist angesichts der zurzeit verfügbaren Kapazitäten als unzutreffend zurückzuweisen.
Die Unterschiede zwischen den Sportarten
Kritiker der Wiederaufnahme des Spielbetriebs warten mit weiteren – mal mehr, mal weniger rechtlich relevanten – Argumenten auf. Neben Ruder-Weltmeister Zeidler gibt es leider (zu) viele Journalisten, die ebenfalls die Kinder und Erwachsenen, die so gerne wieder „kicken“ würden, ins Feld führen. Nur wiegt für diese eben nicht die Berufsfreiheit und das damit einhergehende verfassungsrechtliche Gewicht. Man kann den Eindruck gewinnen, dass gerade diesem „Argument“ eine grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber dem Fußballgeschäft zu entnehmen ist. Es gibt zumindest erstaunlich wenig Berichte, in denen gegen die Öffnung von Restaurants argumentiert wird, „weil man den Leuten nicht erklären kann, weshalb Gastronomen andere bekochen dürfen, man selber aber nicht all seine Freunde und Verwandte zum Dinner ins heimische Wohnzimmer einladen darf“.
Verständlicher, aber ebenso undifferenziert, kommen die Vergleiche mit anderen Sportarten daher. Während die Basketball-Bundesliga der Herren gerade intensiv an einer Fortsetzung der Saison arbeitet, sind die Spielzeiten in vielen anderen Sportarten vorzeitig beendet worden. Dies liegt in erster Linie aber nicht an einer Sonderbehandlung, die der Fußball erfährt, sondern vielmehr an dem zugrundeliegenden Geschäftsmodell. Es ist für die Vereine der Bundesligen wirtschaftlich von teils existenzieller Bedeutung, die Saison zu Ende zu führen und hierdurch die Zahlungen aus den TV-Übertragungen zu erhalten. Denn der Profifußball ist wie keine andere Sportart in Deutschland abhängig von diesen Einnahmen. Diesen Umstand an sich kann man – wie es vor allem viele Ultra-Gruppierungen der Vereine tun – kritisieren. Nur ist er für die vorliegende Frage von entscheidender Bedeutung und macht einen Unterschied aus zu anderen Sportarten oder auch etwa zur 3. Fußball-Liga. Dort würde die Durchführung von „Geisterspielen“ angesichts geringerer TV-Einnahmen und der großen Bedeutung von Einnahmen durch den Kartenverkauf nach Angabe einiger Vereine zu möglichen Insolvenzen führen. Ein Saisonabbruch würde demgegenüber die Möglichkeit bieten, die Angestellten in Kurzarbeit zu beschäftigen und sich finanziellen Spielraum zu verschaffen. Ähnlich ist die Situation bei anderen Sportarten wie Handball oder Volleyball. Anders als in den Fußballbundesligen stellen die Fernsehgelder einen unbedeutenden Geschäftsposten dar. Der Spielbetrieb verursacht Kosten, die ohne ausgleichende Einnahmen aus Ticketverkäufen wohl nicht zu stemmen wären.
Darüber hinaus muss der finanzielle Aufwand, den ein erforderliches Hygienekonzept mit sich bringt, berücksichtigt werden. Charterflüge, Anstellung eines Hygienebeauftragten, Testungen oder auch die Hotelaufenthalte – für Teams der 3. Fußball-Liga dürfte dies ebenso wie für die meisten Vereine anderer Sportarten eine finanziell kaum machbare Herausforderung darstellen. Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass dieser Aspekt auch für einen Vergleich zwischen den Fußball-Bundesligen und anderen Bereichen wie Tanzklubs oder Schauspielhäusern von Bedeutung ist.
Fazit
An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass das Hygienekonzept der DFL in seiner noch sehr jungen Geschichte schon so manches Mal unberücksichtigt blieb. Es sei nur beispielhaft auf die Missachtung von Abstandsregelungen bei Hertha BSC Berlin oder den in selbst auferlegter Quarantäne getätigten Zahnpasta-Einkauf von Heiko Herrlich verwiesen. Sollte sich zeigen, dass das Hygienekonzept in erheblichem Ausmaß nicht beachtet wird, könnte dies Folgen haben. Die erforderliche präventive Wirkung, die das Konzept abstrakt betrachtet mit sich bringt und die in der Angemessenheitsprüfung zu berücksichtigen ist, muss durch entsprechendes Verhalten auch wirklich hergestellt werden. Die Politik wird auf jeden Fall mit Argusaugen über die Einhaltung wachen. Was bleibt nach dieser Abwägung? Die Fortsetzung der Bundesligen wird von einigen als Erfolg toller Lobbyarbeit der DFL gewertet. Diese Sicht ist legitim und soll durch diesen Beitrag auch niemandem genommen werden. Man kann das Ganze aber auch anders einordnen: Als eine durch die Verfassung gebotene und in Anbetracht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG aufgrund des Hygienekonzepts verhältnismäßige wirtschaftliche Betätigung von Unternehmen.