Die geschlechtsbezogene Schaustellung von Personen unter dem ProstSchG
Neben dem für die Sexarbeit zentralen ProstSchG findet sich in der Gewerbeordnung mit § 33a eine Norm, die die geschlechtsbezogene „Schaustellung von Personen“ ordnungsrechtlich strukturiert. Sie verdient in der Debatte um die Regulierung von Sexarbeit Beachtung, weil sie illustriert, wie ein unbestimmter Rechtsbegriff zum Austragungsort der moralisch aufgeladenen Debatte um Sexarbeit werden kann.
Einfallstor für moralisch-sittliche Wertungen im Gewerberecht
33a GewO stellt die sog. Schaustellung von Personen unter Erlaubnisvorbehalt. Zwar ist die Schaustellung von Personen nach Art. 74 I Nr. 11 GG im Zuge der Föderalismusreform in die Landeskompetenz übergegangen, die Norm gilt aber als Bundesrecht fort, soweit die Bundesländer keine eigenen Regelungen getroffen haben (Art. 125a I GG).
Doch was meint „Schaustellung von Personen“? Die Norm hat ihren Ursprung im Jahr 1883. Zu dieser Zeit wurde mit ihr das Ziel verfolgt, dem „Unwesen der sog. Singspielhallen“, auch „Tingeltangel“ genannt, wegen ihrer moralisch schädlichen Wirkung entgegenzutreten (zur historischen Fassung der Norm Marcks, in: Landmann/Rohmer, GewO, § 33a Rn. 2). Heute ist der Anwendungsbereich der Norm viel enger gefasst. Kneipen, Varietés und ähnliches Unterhaltungsprogramm unterfällt meist nur noch dem Gaststättenrecht. Werden dort Personen „zur Schau gestellt“, handelt es sich in der Regel um Darbietungen mit überwiegend künstlerischem, sportlichem, akrobatischem oder ähnlichem Charakter, die von der Erlaubnispflicht nach § 33a I 2 GewO ausgenommen sind. Hierunter fallen z.B. Konzerte, Varieté-Veranstaltungen, Folkloregruppen, Zauberkünstler, Hypnotiseure, Box- und Ringkämpfe, Eisrevuen und Motorsportveranstaltungen (Beispiele nach Marcks, in: Landmann/Rohmer, GewO, § 33a Rn. 3).
Dennoch hat § 33a GewO auch heute noch einen Anwendungsbereich, im Wesentlichen im Bereich der sog. geschlechtsbezogenen Schaustellung von Personen. Hierunter fallen Peep-Shows, Striptease und weitere Darbietungen menschlicher Sexualität. Nicht ausreichend für eine solche geschlechtsbezogene Schaustellung soll es nach dem Oberverwaltungsgericht NRW (Urt. v. 24.9.1973, Az.: IV A 1009/72, verfügbar nur über die Datenbank juris) aber sein, wenn Serviererinnen mit unbekleidetem Oberkörper die Gäste in einer Diskothek bedienen.
Während sich das ProstSchG nicht auf die Definition des Gewerbes der GewO stützt (Rixen), wird für § 33a GewO die Frage virulent, ob entsprechende Schaustellungen als gewerbsmäßig aufgefasst werden können. Man könnte annehmen, dass im Bereich der geschlechtsbezogenen Schaustellung von Personen insbesondere das Merkmal der Sittenwidrigkeit/sozialen Unwertigkeit der Tätigkeit eine hervorgehobene Rolle spielt, bildet das Definitionsmerkmal doch das Einfallstor für moralisch-sittliche Wertungen in die GewO. Während Prostitution ursprünglich als sozial unwertig qualifiziert wurde, ist seit Erlass des ProstG davon auszugehen, dass es sich bei Prostitution um ein nicht sozial unwertiges Gewerbe handelt. Das ProstG und in der Folge das ProstSchG ist insofern Ausdruck eines Wertewandels, der auch das Verständnis des unbestimmten Begriffs der sozialen Wertigkeit in der GewO beeinflusst. Bis heute wird in der Literatur und Rechtsprechung aber weiter diskutiert, inwieweit vom ProstSchG beispielsweise nicht erfasste Striptease- und Peep-Shows dem Gewerbebegriff unterfallen sollten. Indes weist die Rechtsprechung die sittenwidrige Zurschaustellung nicht aus dem Gewerberecht ab- und dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht zu, sondern bejaht die Gewerbsmäßigkeit ohne nähere Prüfung.
Die Problematik wird vielmehr anhand des Untersagungsgrunds der Sittenwidrigkeit diskutiert. Die Genehmigung nach § 33a I 1 GewO erhält nämlich nur, wer keinen der Untersagungsgründe des § 33a Abs. 2 GewO erfüllt. Im hier interessierenden Kontext kommt der Frage zentrale Bedeutung für die Erlaubniserteilung zu, ob zu erwarten ist, dass die Schaustellungen den guten Sitten zuwiderlaufen werden, § 33a II Nr. 2 GewO (monographisch zu den damit verbundenen Fragen Westphal, Zum Verbot sittenwidriger Schaustellungen von Personen im Sinne des § 33a Abs. 2 Nr. 2 GewO, 2019).
Bei den guten Sitten handelt es sich um einen vollständig gerichtlich überprüfbaren, unbestimmten Rechtsbegriff – die Behörden haben also keinen Beurteilungsspielraum. Während es für die Definition der guten Sitten nach der sog. „alten Formel“ auf das Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden Menschen innerhalb eines Rechts- und Kulturkreises ankommen soll, wird nach zu befürwortender „neuer Formel“ für die Konkretisierung auf die Werteordnung der Verfassung abgestellt und die Menschenwürde ins Zentrum der Bewertung gerückt (Nachweise zu den Vertreter*innen der jeweiligen Ansichten Marcks, in: Landmann/Rohmer, GewO, § 33a Rn. 19). Während Befürworter der alten Formel den Vertreter*innen der neuen Formel vorwerfen, sie würden zu einer Aushöhlung der Menschenwürdegarantie beitragen, müssen sich Verfechter*innen der alten Formel den Vorwurf gefallen lassen, sie öffneten die Norm so der Interessenjurisprudenz und den individuellen Wertvorstellungen der urteilenden Richter*innen. Da das unbestimmte Definitionsmerkmal Tür und Tor für individuelle sittliche Empfindlichkeiten öffnet, die jeglicher normativer Umhegung zu entbehren drohen, sollte allein ausschlaggebend sein, ob die Tätigkeit als Verletzung der Menschenwürde als objektiver Wertmaßstab des Grundgesetzes (Art. 1 I GG) qualifiziert werden kann.
Freihändige Wertung der guten Sitten führt zu Kollisionen
Bis heute wird nicht nur um die Definition der guten Sitten, sondern auch um die Subsumtion darunter gestritten. Obwohl mit dem ProstG und daran anknüpfend dem ProstSchG Prostitution legalisiert wurde, übersetzt eine Norm wie § 33a II Nr. 2 GewO diese Wertung nicht, sondern bleibt Ort moralisierender Auseinandersetzung um Sexarbeit. An der Rechtsprechung zu § 33a II Nr. 2 GewO lässt sich einerseits die Liberalisierung der Sexualmoral ablesen, andererseits gibt sie aber weiterhin vorherrschende konservative Wertvorstellungen zu erkennen, die die Wertungen des Gesetzgebers zu unterlaufen drohen. Zugleich gibt sie erhellende Aufschlüsse über das Selbstbild der Richterschaft als „Mund der Sittlichkeit“. Dazu führt das VG Karlsruhe in einem Urteil v. 12.9.2013 (Az.: 3 K 496/12Rn. 35 f.) in aller Klarheit aus:
„Der Begriff der guten Sitten ist ein unbestimmter, ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriff, der der Verwaltung weder Ermessen noch Beurteilungsspielraum überlässt und dessen Anwendung in vollem Umfang gerichtlicher Nachprüfung unterliegt. Mit ihm verweist das Gesetz auf die dem geschichtlichen Wandel unterworfenen sozialethischen Wertvorstellungen, die in der Rechtsgemeinschaft als Ordnungsvoraussetzung anerkannt sind. Der Inhalt der erlaubnisbedürftigen Veranstaltung ist somit an den sozialethischen Wertvorstellungen der Rechtsgemeinschaft zu messen. Maßgeblich ist die vorherrschende sozialethische Überzeugung, die sich weder lautstark äußern, noch mit der Forderung einhergehen muss, die dem sozialethischen Unwerturteil unterliegenden Erscheinungen niemals und nirgends zu dulden; sie kann vielmehr Gründe haben, dieses Geschehen gleichwohl in bestimmten Grenzen hinzunehmen (…).“
„Zwar kann die Feststellung dieser dem Wandel unterworfenen Wertvorstellungen im Einzelfall Probleme aufwerfen. Gleichwohl bedarf es entgegen der Ansicht des Klägers nicht der Einholung eines demoskopischen Sachverständigengutachtens zur Ermittlung der vorherrschenden sozialethischen Überzeugungen. Abgesehen davon, dass demoskopische Umfragen, die einem solchen Gutachten zugrunde zu legen wären, schon wegen der Abhängigkeit des Ergebnisses von der jeweiligen konkret gewählten Fragestellung und ihrer vielschichtig möglichen Interpretation durch die Befragten keine Gewähr für ein zutreffendes Meinungsbild bieten könnten, ist es – wie bei anderen unbestimmten Rechtsbegriffen auch – Aufgabe der Rechtsprechung, den Inhalt des unbestimmten Rechtsbegriffs der guten Sitten selbst festzustellen (…)“
Gerichte bewerten „normale“ Striptease-Veranstaltungen zwar durchweg als sittlich unproblematisch. Dennoch hält die Rechtsprechung Peep-Shows weiterhin für sittenwidrig, ebenso „Live-Sex-Shows“. Um nicht die allfällige Rechtsprechung des BVerwG zu Peep-Shows zu rezipieren (insb. BVerwG, Urt. v. 15.12.1981, Az.: 1 C 232.79), sondern beim VG Karlsruhe zu bleiben:
„Für die im Showprogramm der Messe dargebotenen Formen der Selbstbefriedigung und die Zurschaustellung der äußeren Geschlechtsorgane gilt, dass sie trotz einer weitgehenden Herabstufung sexualethischer Maßstäbe in der Gesellschaft einem eindeutigen Unwerturteil der Rechtsgemeinschaft unterliegen und daher ihre Bewertung als sittenwidrig gerechtfertigt ist. Nach der in der Rechtsgemeinschaft herrschenden Anschauung gehören derartige Praktiken – ebenso wie die öffentliche Vorführung des Geschlechtsverkehrs – in einen Intimbereich, der fremdem Einblick nicht zugänglich sein soll und weder öffentlich vorgeführt noch als Unterhaltung gegen Entgelt dargeboten werden darf.“
Diese freihändige Subsumtion führt zu einem Auseinanderfallen der dem ProstG und dem ProstSchG zugrundliegenden Wertungen und dem allgemeinen Gewerberecht. Im Widerspruch dazu wurde von Öttinger (GewArch 2016, 365 ff.) deshalb überzeugend vertreten, es bedürfe einer Öffnung des Begriffs der Sittenwidrigkeit in Hinblick auf das ProstG und ProstSchG: Der Begriff dürfe nur noch dem Schutz vor einer ungewollten Konfrontation mit sexualisierten Handlungen dienen. Öttinger legt dar, dass der ebenfalls in § 4 Abs.1 Nr. 1 GastG verwendete Sittlichkeitsbegriff in der Rechtsprechung des BVerwG aufgrund der Ausstrahlungswirkung des ProstG nunmehr viel liberaler ausgelegt werde und vornehmlich vor einer ungewollten Konfrontation mit sexualisierten Handlungen schützen solle, was ein „nach außen in Erscheinung Treten“ erfordere. Im Prostituiertenschutzgesetz werde in § 14 gänzlich auf das Kriterium der Sittenwidrigkeit verzichtet; als Untersagungsgründe kämen allein die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung des Prosituierten, eine Gefährdung der Jugend und erhebliche Belästigungen der Allgemeinheit in Betracht.
Eine Inkorporation dieser Wertungen wäre auf Grundlage des § 33a GewO auch unproblematisch möglich. Neben einer normativen Verankerung des Sittlichkeitsbegriffs anhand der Wertungen des ProstSchG und einer Orientierung an der neuen Formel bietet auch § 33a Abs. 2 Nr. 3 GewO die Möglichkeit, die Erlaubnis zur Schaustellung von Personen zu versagen, wenn der Gewerbebetrieb im Hinblick auf seine örtliche Lage oder auf die Verwendung der Räume dem öffentlichen Interesse widerspricht, u.a. erhebliche Nachteile, Gefahren oder Belästigungen für die Allgemeinheit befürchten lässt (§ 33 II Nr. 3 GewO). Dies ermöglicht es, dem Kinder- und Jugendschutz Rechnung zu tragen und etwa ein Striplokal neben einem Kindergarten zu versagen, aber auch erhebliche Belästigungen der Allgemeinheit zu verhindern.
Geboten erscheint nach 6 Jahren ProstSchG endlich eine stringente und an den Wertungen des Gesetzgebers und nicht an individuellen Wertvorstellungen der Richterschaft orientierte Auslegung von Sittlichkeitsnormen.
Aus aktuellem Anlass der ergänzende Hinweis auf das Urteil des VG Stuttgart v. 12. Oktober 2023, Az. 4 K 4593/21 zum Verhältnis des ProstSchG zu § 33a GewO. Dazu https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/vg-stuttgart-4k459321-gaststtte-erlaubnis-prostschg-table-dance-anbahnung/