12 April 2025

Humanitäre Hilfen als Faustpfand

Zur Rechtswidrigkeit der Verweigerung lebensnotwendiger Hilfslieferungen an die Zivilbevölkerung des Gazastreifens nach dem humanitären Völkerrecht

Seit Ausbruch des bewaffneten Konflikts im Gazastreifen infolge des Terrorangriffs der Hamas steht der Vorwurf im Raum, dass das israelische Militär die dortige Zivilbevölkerung zielgerichtet aushungert. Schon nachdem der damalige Verteidigungsminister, Yoav Gallant, am 9. Oktober 2023 zur „vollständigen Belagerung“ des Gazastreifens aufrief, gingen einige Kommentatoren davon aus, das Aushungern der Zivilbevölkerung werde in diesem Konflikt gezielt als verbotenes Mittel der Kriegführung eingesetzt. Andere – darunter auch ich – hielten sich anfangs mit eindeutigen Schlussfolgerungen zurück, da die Grenzen dieses Verbots nach dem humanitären Völkerrecht umstritten sind.

Nach der jüngsten Entscheidung der israelischen Regierung, der Zivilbevölkerung im Gazastreifen den Zugang zu humanitären Hilfen zu verweigern, dürfte die Frage, ob es sich hierbei um ein unzulässiges Aushungern handelt, jedoch eindeutiger zu beantworten sein. Der Grund für die während einer Waffenruhe getroffene Entscheidung lag offenbar in einer angestrebten Neuverhandlung ihrer Bedingungen, auf die sich Vertreter der Hamas und Israels Anfang des Jahres geeinigt hatten. Nach Medienberichten sollen israelische Vertreter mit der Verweigerung humanitärer Hilfen darauf hingewirkt haben, die erste Phase der Waffenruhe zu verlängern. Die Hamas lehnte dies ab. Sie bestand darauf, Phase zwei der Waffenruhe sofort einzuleiten, die auch einen israelischen Rückzug aus dem Gazastreifen vorsah.

Unabhängig davon, wie das Verbot des Aushungerns der Zivilbevölkerung letztlich auszulegen ist, fällt es schwer, die neuerliche vollständige Blockade humanitärer Hilfen als militärisch notwendig zu rechtfertigen. Israel hat in diesem Zusammenhang keine Argumente vorgebracht, die die Verweigerung humanitärer Hilfen während der Waffenruhe aus militärischer Sicht notwendig erscheinen ließen. Nach den öffentlich bekannt gewordenen Informationen wirkt die Entscheidung daher willkürlich. Selbst bei enger Auslegung des zugrundeliegenden Verbots dürfte damit ein Verstoß gegen humanitäres Völkerrecht, wenn nicht gar eine verbotene Kollektivbestrafung der Zivilbevölkerung des Gazastreifens vorliegen.

Das Verbot des Aushungerns nach dem humanitären Völkerrecht

Das Verbot, die Zivilbevölkerung als Mittel der Kriegführung auszuhungern, stellt eine zentrale Neuerung des modernen humanitären Völkerrechts dar. Erstmals kodifiziert wurde das Verbot in den Zusatzprotokollen zu den Genfer Abkommen von 1977 (ZP I und ZP II). Für Vertragsparteien gilt das Verbot daher im Rahmen internationaler wie nicht-internationaler bewaffneter Konflikte. Zwar ist das Verbot mangels internationaler Rechtsprechung nicht weiter ausgeschärft worden. Nichtsdestotrotz hat das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) in seiner umfassenden Studie zum humanitären Völkergewohnheitsrecht festgestellt, dass das Verbot inzwischen gewohnheitsrechtlichen Charakter hat (Regel 53). Überdies verpflichten das ZP I und ZP II alle betroffenen Parteien dazu, schnellen und ungehinderten Zugang zu humanitären Hilfen an eine notleidende Zivilbevölkerung zuzulassen und zu erleichtern. Auch diese Pflicht ist nach dem IKRK von völkergewohnheitsrechtlicher Natur (Regel 55).

Ein zentraler Streitpunkt bleibt dabei, ob Belagerungsstrategien, die nicht allein auf die Zivilbevölkerung gerichtet sind, sondern vordergründig auf die Schwächung des Gegners abzielen, von dem Verbot erfasst sind. Da in einem solchen Fall ein übergeordnetes militärisches Ziel vorhanden ist, wird vertreten, dass eine solche Belagerung das Verbot nicht verletzt. Demnach spreche der Wortlaut von Artikel 54 Absatz 1 ZP I und Artikel 14 ZP II dafür, dass allein die Zivilbevölkerung nicht als Methode der Kriegführung („as a method of warfare“) ausgehungert werden dürfe. Sind Zivilisten dagegen mitbetroffen von einer gegen Kombattanten gerichteten Belagerungstaktik, soll deren Rechtmäßigkeit allein anhand der notorisch schwer zu ziehenden Grenzen des Verhältnismäßigkeitsprinzips bestimmt werden. Andere halten dem entgegen, dass das übergeordnete Ziel einer Belagerungsoperation in der rechtlichen Bewertung eines Verstoßes gegen das Verbot des Aushungerns der Zivilbevölkerung keinerlei Relevanz entfalte. Sobald eine Konfliktpartei der Zivilbevölkerung bewusst lebensnotwendige Güter vorenthalte, liege ein Verstoß vor.

Verweigerung der Zustimmung zu humanitären Hilfen

Nicht weniger umstritten sind die Konturen der Regeln zu humanitären Hilfen in belagerte Gebiete. Die einschlägigen Normen finden sich im ZP I, Artikel 70(1), und im ZP II, Artikel 18(2). Weithin anerkannt ist in diesem Zusammenhang, dass Hilfen für eine notleidende Zivilbevölkerung nicht aus willkürlichen oder „launenhaften“ („capricious“, Rn. 2805) Gründen verweigert werden dürfen, wie das IKRK kommentiert. Auch die Autoren der vom Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) in Auftrag gegebenen Oxford Guidance on Humanitarian Relief bestätigen die Willkürgrenze. Demnach kann die Zustimmung zu unparteiischen humanitären Hilfen in belagerte Gebiete nur aus sachlichen, militärischen Erwägungen verweigert werden. In besetzten Gebieten verpflichtet das Vierte Genfer Abkommen eine Besatzungsmacht sogar ausdrücklich dazu, aktiv für die Versorgung mit Lebensmitteln und medizinischen Hilfsgütern zu sorgen (hierzu insbesondere Artikel 55, Artikel 59). Das IKRK sieht es inzwischen auch als verpflichtend an, den Durchlass von Nahrungsmitteln und anderen lebenswichtigen Gütern an eine belagerte Zivilbevölkerung zu ermöglichen.

Andere halten dem den militärischen Ermessensspielraum entgegen, den sich Staaten zur Verweigerung humanitärer Hilfen bewusst offengehalten hätten. Besondere Relevanz entfaltet diese Auslegungsfrage, wenn es um Staaten geht, die die Zusatzprotokolle von 1977 nicht ratifiziert haben. So beschränkt sich das US-Verteidigungsministerium etwa in seinem Law of War Manual auf die Grenzen des im Vergleich mit den Zusatzprotokollen stark limitierten Artikels 23 des Vierten Genfer Abkommens. Demnach ist die Zulassung von Hilfsgütern nicht zwingend, wenn berechtigte Zweifel daran bestehen, dass die Sendungen ihrer Bestimmung entfremdet werden könnten [a], keine wirksame Kontrolle über ihre Verteilung an die Zivilbevölkerung möglich ist [b] oder wenn der Feind daraus einen offensichtlichen Vorteil für seine militärischen Anstrengungen und seine Wirtschaft ziehen könnte [c] (hierzu § 5.19.3).

Wie die USA hat auch Israel weder das ZP I noch das ZP II ratifiziert. In diesem Fall ist der Staat – hier: Israel – daher allein durch das humanitäre Völkergewohnheitsrecht an das Verbot des Aushungerns und etwaige über das Vierte Genfer Abkommen hinausgehende Verpflichtungen zur Zulassung humanitärer Hilfen gebunden. Insoweit wird in der oben angeführten Studie des IKRK zu Regel 53 kommentiert, dass eine Belagerung dann nicht gegen das Verbot des Aushungerns verstößt, wenn sie einem militärischen Ziel dient und nicht allein auf das Aushungern der Zivilbevölkerung abzielt. Bei Belagerungen treffen das Verbot des Aushungerns der Zivilbevölkerung und die Verpflichtung, humanitäre Hilfen zuzulassen, somit unweigerlich zusammen. Ungeklärt bleibt jedoch, inwieweit militärisch nachvollziehbare Erwägungen–im Sinne des Vierten Genfer Abkommens–die Not einer mit dem bewaffneten Gegner von der Außenwelt abgeschnittenen Zivilbevölkerung verdrängen können.

In Anbetracht der oben aufgezeigten Auslegungsfragen ist daher von Relevanz, wie Israel seine Verpflichtung hinsichtlich der Zivilbevölkerung des Gazastreifens in der Vergangenheit selbst bewertet hat. In einem zu Lehrzwecken erstellten Dokument über das Kriegsrecht von 2006 heißt es, dass eine Belagerung eines rein militärischen Ziels ein legitimes Mittel der Kriegsführung darstellt, dies jedoch bei Städten mit Zivilbevölkerung problematischer sei. So sei es in der Vergangenheit erlaubt gewesen, das Leid einer hungernden Bevölkerung auszunutzen. Dies hätten die Zusatzprotokolle von 1977 jedoch geändert. Zivilisten hätten daher das Recht, aus belagerten Städten zu fliehen. Sei das nicht möglich, entstehe die Pflicht, sie mit Nahrung, Wasser und Hilfe zu versorgen.

Diese Pflicht zur Zulassung von Nahrung, Wasser und weiteren Hilfen ist inzwischen nicht nur wiederholt vom höchsten israelischen Gericht (zur jüngsten Entscheidung hinsichtlich des Gazastreifens, siehe hier), sondern auch vom Internationalen Gerichtshof (IGH) bestätigt worden. So stellte der IGH in seinem Gutachten vom 19. Juli 2024 fest, dass Israel als Besatzungsmacht Verantwortung trage, soweit es die tatsächliche Kontrolle über Gaza ausübe (Rn. 94; hier bleibt jedoch bislang unklar, wie der IGH diese „commensurate“ Pflichten aus dem Besatzungsrecht im Zusammenhang mit dem Gazastreifen meint). Dagegen betonen die einstweiligen Maßnahmen, die der IGH im von Südafrika angestoßenen Verfahren zur Klärung des Genozidvorwurfs gegen Israel angeordnet hat, wesentlich klarer, dass humanitäre Hilfen zugänglich gemacht werden müssen (siehe hier, hier und hier).

Und doch: Wird von der engsten Interpretationslinie des Verbots des Aushungerns als Mittel der Kriegführung ausgegangen, bleibt die Rechtmäßigkeit der Belagerungsstrategie Israels stets vom zu erwartenden militärischen Vorteil abhängig. Dieses Argument zugunsten des militärischen Vorteils entfaltet bei der Verweigerung der Zustimmung zu humanitären Hilfen dann besondere Relevanz, wenn etwa zu befürchten steht, dass gegnerische bewaffnete Kämpfer zivile Hilfsgüter zum eigenen Vorteil abführen. Israel berief sich seit Beginn des neuerlichen Konflikts fortwährend auf dieses Argument.

Internationaler Strafgerichtshof: Hinreichende militärische Notwendigkeit nicht ersichtlich

Die Klärung dieses Streitpunkts könnte auch in dem Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) eine zentrale Rolle einnehmen. So erließ die Erste Vorverfahrenskammer des IStGH im November des vergangenen Jahres die beantragten Haftbefehle gegen Premierminister Benjamin Netanjahu und Ex-Verteidigungsminister Yoav Gallant. Der zentrale Vorwurf der Haftbefehle kreist um das Kriegsverbrechen des Verbots des Aushungerns der Zivilbevölkerung als Mittel der Kriegführung (Artikel 8(2)(b)(xxv) IStGH-Statut). Die Kammer hielt fest, dass keine erkennbare militärische Notwendigkeit oder andere völkerrechtlich anerkannte Rechtfertigungsgründe zur Beschränkung der Hilfen an den Gazastreifen ersichtlich seien (in der Pressemitteilung im englischen Original heißt es: „the Chamber found reasonable grounds to believe that no clear military need or other justification under international humanitarian law could be identified for the restrictions placed on access for humanitarian relief operations.“) Die Haftbefehle sind zwar weiterhin nicht öffentlich zugänglich; dennoch ist bemerkenswert, dass die Erste Vorverfahrenskammer das Argument der militärischen Notwendigkeit ausdrücklich aufzugreifen und vorläufig offenbar schon hinsichtlich der Anfangsphase der Feindseligkeiten abzulehnen scheint.

Gleichwohl weisen Expert*innen zurecht auf die hohen Beweishürden zu diesem Kriegsverbrechen hin, die sich besonders hinsichtlich des Vorsatzes ergeben dürften. Zu einer Verurteilung reicht nicht aus, dass innerhalb der Zivilbevölkerung katastrophales humanitäres Leid verursacht worden ist. Wie der kurze Passus in der Pressemitteilung der Ersten Vorverfahrenskammer bereits erahnen lässt, könnten in einem etwaigen Hauptverfahren vorgebrachte Gründe militärischer Notwendigkeit durchaus Schlagkraft entfalten.

In diesem Zusammenhang ist die jüngste Blockade humanitärer Hilfen–selbst bei engster Auslegung der oben aufgezeigten konfliktvölkerrechtlichen Maßgaben–daher von hervorgehobener Bedeutung.

Ablehnung von Hilfen als Druckmittel im Rahmen einer Waffenruhe

Die israelische Regierung hat die jüngste vollständige Verweigerung humanitärer Hilfen beschlossen als die Waffenruhe noch intakt war. Medienberichten zufolge diente dies zunächst dem Ziel, den Druck auf die Hamas zur Freilassung weiterer israelischer Geiseln zu erhöhen. Dies bot jedoch keinen militärischen Vorteil, der das Aushungern der Zivilbevölkerung im Sinne der oben dargelegten engen Auslegung des Verbots rechtfertigen könnte. Dies aus zwei Gründen:

Erstens sah bereits die ursprünglich vereinbarte zweite Phase des Waffenstillstands die Freilassung aller im Gazastreifen verbleibenden lebenden Geiseln im Austausch gegen palästinensische Gefangene vor. Diese Bedingung der Waffenruhe war also schon beschlossen–ihrer zwangsweisen Durchsetzung durch die Erhöhung des Drucks auf die Hamas bedurfte es daher zumindest nach den bis dato bekannt gewordenen Informationen nicht. Zum Zweiten ist die Natur der zur Verweigerung humanitärer Hilfen greifenden Gründe auf die oben angeführten militärischen Erwägungen beschränkt. Unterstellt also, dass eine Belagerung mit militärischer Begründung auch unter Verweigerung humanitärer Hilfen an die Zivilbevölkerung durchgeführt werden kann, muss sich die entsprechende Begründung auf die Verhinderung der Unterstützung des Gegners beziehen.

Genau darauf zielte das zweite von Israel angeführte Argument zur neuerlichen Verweigerung humanitärer Hilfen ab. Hierzu heißt es in einer Videobotschaft, die Blockade diene auch dazu, den Missbrauch gelieferter Hilfsgüter durch Hamas-Kämpfer zu verhindern. Auf israelischer Seite wird in diesem Zusammenhang erneut vom Diebstahl der an Zivilisten gerichteten Hilfsgüter gesprochen. Damit beruft man sich also wiederholt auf die bereits erwähnten Schutzmechanismen aus Artikel 23 des Vierten Genfer Abkommens, in dem es heißt, dass Hilfslieferungen verweigert werden dürfen, wenn die Sendungen ihrer Bestimmung entfremdet werden könnten [a], keine wirksame Kontrolle über ihre Verteilung an die Zivilbevölkerung möglich ist [b] oder wenn der Feind daraus einen offensichtlichen Vorteil für seine militärischen Anstrengungen und seine Wirtschaft ziehen könnte [c] (s.o.). Es wird somit daran festgehalten, dass die Hamas zivile humanitäre Hilfen für eigene Zwecke entwende, weshalb die rechtlichen Schutzvorkehrungen des Vierten Genfer Abkommens Israel nach wie vor von einer etwaigen Pflicht zur Lieferung von Hilfsgütern entbinden würden.

Das ist jedoch jedenfalls dann nicht überzeugend, wenn sich die Parteien in einer intakten Waffenruhe befinden. Zwar bleibt das humanitäre Völkerrecht während eines Waffenstillstands grundsätzlich weiter anwendbar, da es noch zu keinem dauerhaften Friedensschluss gekommen ist, womit sich auch vertreten ließe, die Schutzmechanismen blieben anwendbar. Überzeugender schiene es, die Anwendbarkeit der oben erwähnten rechtlichen Schutzmechanismen auf Phasen aktiver Kampfhandlungen zu beschränken. So würde zum einen verhindert, dass das Recht während einer Waffenruhe zur Stärkung der eigenen Verhandlungsposition in missbräuchlicher Weise eingesetzt werden kann. Ansonsten bestünde stets die Gefahr, dass eine überlegene Konfliktpartei ihre Kontrolle über dringend benötigte humanitäre Hilfen als politisches Druckmittel ausnutzen und wie ein Damoklesschwert über die notleidende Zivilbevölkerung halten könnte, um für sich vorteilhafte Konditionen auszuhandeln.

Zum anderen gilt ein Waffenstillstand beiderseitig. Verweigert eine Konfliktpartei den Zugang zu grundlegenden humanitären Hilfsgütern und erhält so die Notlage der Zivilbevölkerung des Gegners aufrecht, läuft dies bereits dem Kerngedanken einer Waffenruhe zuwider, Feindseligkeiten zu unterlassen. Mangels aktiver Kampfhandlungen fehlt es zudem an einer Unterstützung der militärischen Anstrengungen des Gegners und somit an militärischer Notwendigkeit der Verweigerung von Hilfslieferungen, die nach dem Sinn und Zweck der oben beschriebenen Regeln jedoch jedenfalls vorliegen müsste. Insoweit gehen etwa Sean Watts und Geoffrey Corn davon aus, dass die militärische Notwendigkeit einer Belagerung allein dann besteht, wenn sie zur Unterwerfung des Feindes–und damit ultimativ zur Beendigung der Kampfhandlungen–notwendig ist. Obgleich das Konzept häufig missverstanden oder missbraucht werden mag, kann der Grundsatz militärischer Notwendigkeit so durchaus zur Begrenzung des Ausmaßes an Gewalt in bewaffneten Konflikten beitragen. Richtig verstanden, kann militärische Notwendigkeit aber nur dort bestehen, wo noch keine Anstrengungen hin zu einem dauerhaften Frieden begonnen haben.

Genau darauf sollte die zwischen Israel und der Hamas vereinbarte Waffenruhe jedoch abzielen. Beide Seiten hatten sich auf weitere Schritte zum Friedensschluss geeinigt–so sollte die dritte Phase der Waffenruhe mit einem Austausch der Verstorbenen und dem Wiederaufbau des Gazastreifens einhergehen. Zugleich zu behaupten, die Verweigerung humanitärer Hilfen bleibe militärisch notwendig, um die Hamas militärisch zu schwächen, konterkariert diese Übereinkunft. Solange die Waffen schwiegen, konnte es also insgesamt keinen militärischen Vorteil geben, der durch die Verweigerung humanitärer Hilfsgüter hätte erreicht werden können.

Fazit

Nach der Ankündigung der vollständigen Belagerung durch Yoav Gallant vor rund 18 Monaten schloss ich meine erste rechtliche Analyse damit, dass es einer roten Linie gliche, die Zivilbevölkerung im Gazastreifen an den Rand des Hungertods zu bringen. Diese rote Linie ist erreicht. Der IGH, der UN-Sicherheitsrat, die UN-Generalversammlung, zahlreiche Nichtregierungsorganisationen und Staaten forderten Israel inzwischen dazu auf, von der Verweigerung humanitärer Hilfslieferungen abzurücken. Die Neueinsetzung der Blockade während der Waffenruhe ist zudem nicht militärisch notwendig nach den aus Medienberichten hervorgehenden, von Israel vorgebrachten Gründen. Stattdessen wirkt sie wie ein politisches Druckmittel gegen die Hamas auf Kosten der palästinensischen Zivilbevölkerung. Selbst bei engster Betrachtung der zugrundeliegenden Regeln lässt sich die aktuelle Verweigerung humanitärer Hilfen daher konfliktvölkerrechtlich nicht rechtfertigen.

Dieser Text wurde ursprünglich auf Englisch auf Articles of War veröffentlicht.


SUGGESTED CITATION  Lauterbach, Rosa-Lena: Humanitäre Hilfen als Faustpfand: Zur Rechtswidrigkeit der Verweigerung lebensnotwendiger Hilfslieferungen an die Zivilbevölkerung des Gazastreifens nach dem humanitären Völkerrecht, VerfBlog, 2025/4/12, https://verfassungsblog.de/gaza-blockade-humanitares-volkerrecht/, DOI: 10.59704/8b1a35c82bda8104.

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