Mehr Desselben?
Entgegen kriminologischer Erkenntnisse fordert die Politik wieder einmal mehr und härtere Strafen
Nach dem tödlichen Angriff auf den Polizisten Rouven L. in Mannheim plant das Bundesjustizministerium eine Strafrechtsreform. Der Gesetzentwurf liegt der F.A.Z. vor und soll am 4. Juli 2024 in die Ressortabstimmung gegangen sein. Demnach sollen auch Ehrenamtliche bzw. „Menschen, die sich für das Gemeinwesen einsetzen“ besser geschützt werden. Dabei dürfte auch der Politik klar sein, dass die geplanten Strafschärfungen ungeeignet sind, um Angriffe auf Polizist*innen, Rettungskräfte und andere zu unterbinden. Doch leider fehlt es in Deutschland nach wie vor an einer rationalen und faktengestützten Politikgestaltung in den Bereichen der Kriminalität und der Justiz. Wieder einmal wird auf Symbolpolitik gesetzt, die zwar nichts kostet, an der Gewalt jedoch nichts ändert und daher in einschlägigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen unisono als nicht sinnvoll erachtet wird. So ist etwa empirisch belegt, dass die meisten Angreifer berauscht und einschlägig vorbestraft sind, über die eventuell in Betracht kommende Strafhöhe eines Angriffs denken sie überhaupt nicht nach.
Leider hat nach dem tragischen Ereignis in Mannheim wieder einmal der übliche politische Reflex zugeschlagen. Man konnte fast schon die Uhren danach stellen, dass die Tat benutzt werden würde, um nach härteren Strafen zu rufen. Das übliche Muster, so mag man denken. Dass aber weniger als einem Monat nach der Tat ein Gesetzesentwurf vorgelegt wird, ist dann doch eher unüblich. Schon drei Tage nach dem tödlichen Angriff kündigte Bundesjustizminister Buschmann (FDP) die Verschärfung an. Mit Kanzler Scholz (SPD) sei dies besprochen worden. Gleichzeitig wurde erneut die Verschärfung des Asyl- und Abschiebungsrechts gefordert. Täter „sollten sich fürchten müssen und damit rechnen, dass wir alle Mittel einsetzen, um ihnen zu begegnen“, so Scholz, und Bundesinnenministerin Faeser (SPD) verlangte „schnelle Strafen“ für Täter. „Wir müssen als Staat jetzt ganz hart und schnell reagieren“, sagte sie. Könnte es sein, dass man die Sommerpause und die aktuelle Stimmungslage vor den Wahlen in Ostdeutschland nutzen möchte, um den Entwurf schnell durchzuwinken und um zu zeigen, dass man hart gegen Straftäter vorgeht, vor allem, wenn sie Migranten sind?
Der Gesetzentwurf im Überblick
Der Entwurf sieht eine Reform von § 113 Strafgesetzbuch (StGB) vor, der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte verbietet. Diese Norm enthält schon jetzt eine Reihe besonders schwerer Fälle. Künftig soll auch ein „hinterlistiger Überfall“ dazu zählen und mit einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten und maximal fünf Jahren bedroht sein. Neben Vollstreckungsbeamt*innen sollen auch Feuerwehr und Rettungsdienste auf diese Weise besser geschützt werden, da die Autorität des Staates hier „in besonders verwerflicher Weise“ angegriffen werde. Zudem soll § 46 StGB geändert werden, der die Grundsätze der Strafzumessung regelt. Hier soll künftig auch berücksichtigt werden, ob die Tat geeignet ist, „eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen“. Der Entwurf spricht von einem klaren Zeichen gegen gemeinwohlschädliche und demokratiefeindliche Straftaten. Gerichte und Ermittler*innen sollten hierfür „sensibilisiert werden“, heißt es – oder anders formuliert: Man ist mit der bisherigen Praxis von Polizei und Justiz nicht einverstanden, weil man sie als zu lasch wahrnimmt.
Politik der Anleitung zum Unglücklichsein
Die Forderung nach mehr und härteren Strafen erinnert an das psychologische Phänomen „mehr desselben“, das der 2007 verstorbene Psychotherapeut und Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick in seiner legendär gewordenen „Anleitung zum Unglücklichsein“ beschreibt. Dazu erzählt uns Watzlawick folgende Geschichte: Unter einer Straßenlaterne steht ein Betrunkener und sucht und sucht. Ein Polizist kommt daher, fragt ihn, was er verloren habe, und der Mann antwortet: „Meinen Schlüssel.“ Nun suchen beide. Schließlich will der Polizist wissen, ob der Mann sicher ist, den Schlüssel gerade hier verloren zu haben, und jener antwortet: „Nein, nicht hier, sondern dort hinten – aber dort ist es viel zu finster.“
Politiker*innen agieren ähnlich, wenn sie reflexhaft auf spektakuläre Straftaten mehr und härtere Strafen fordern. „Mehr desselben“ ist aber eine Strategie die uns im Normalfall unglücklich macht. In Krisen verhindert „mehr desselben“ Lernen, da sie sich retrospektiv, also an der Vergangenheit orientiert und keine Öffnung nach vorne für das Notwendige schafft (s. hier). In der Kriminalpolitik hilft sie – wie die folgenden Überlegungen noch zeigen – nicht weiter und verschärft das zugrundeliegende Problem oftmals noch. Es handelt sich um ein Denk- und Verhaltensmuster, das man häufig bei Problemen oder Krisen antrifft, obwohl es hochgradig ineffektiv ist. In komplexen Systemen würde man von monokausal oder reduktionistisch sprechen, oder schlicht von Dummheit. Sind Politiker*innen nun dumm? Sicherlich nicht im überkommenen Sinn, aber ist es wirklich klug, bei Gesetzesänderungen vorhandene und verfügbare Erkenntnisse der Wissenschaft außer Acht zulassen?
Furcht säen und Zeichen setzen
Führen die vorgesehenen Änderungen etwa wirklich dazu, dass sich potentielle Täter*innen „fürchten“, dass Strafen „schneller“ verhängt werden? Und sind „harte“ Reaktionen immer wirkungsvoll? Empirisch gesehen lautet die Antwort nein, denn Strafverfahren werden durch Strafschärfungen nicht beschleunigt, sondern eher verlangsamt, und die Strafzumessung obliegt noch immer dem/der Tatrichter*in.
Politisch-populistisch betrachtet erfüllen sie jedoch den Zweck, für den sie gedacht sind: Symbolpolitik formulieren, Zeichen setzen und Handlungsbereitschaft demonstrieren. Handlungskompetenz spielt dann eine untergeordnete Rolle, und die Frage, ob diese Zeichen von denjenigen, die sie erreichen und deren Verhalten beeinflusst werden soll, auch gesehen werden, ebenso. Diejenigen, an die sich dieses „Zeichensetzen“ primär richtet sind nicht diejenigen, die im konkreten Fall Grenzen überschreiten, sondern es sind die Normtreuen, denen signalisiert werden soll: Wir Politiker*innen tun was. Politiker*innen, die angesichts der weltweiten Krisen zunehmend als handlungsunfähig und/oder sich gegenseitig paralysierend wahrgenommen werden, wollen so klare Kante zeigen – und damit von den wirklich dramatischen Problemen, denen sich unsere Gesellschaft ausgesetzt sieht, ablenken (dazu und zur „German Angst“ s. hier).
Wie bei der erst wenige Jahren zurückliegenden Einführung der §§ 114 und 115 StGB, die knapp fünf Jahre nach der bereits erfolgten Verschärfung des § 113 StGB keinesfalls unumstritten war, sind es auch heute die gleichen Kritikpunkte: Ein Anstieg der Fallzahlen beim Delikt „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ war und ist nicht zu verzeichnen (eher im Gegenteil: im Vergleich zu 2018 wurden 2022 rund 10% weniger Taten registriert). Eine Untersuchung von Liebl zeigte für den Freistaat Sachsen, dass sich die Zunahme der registrierten Fälle von Gewalt gegen Polizeibeamt*innen schwerpunktmäßig auf Beleidigungen beziehen und weniger auf schwerwiegende Gewaltdelikte.
Für die tatsächlich erhöhte Zahl von tätlichen Angriffen stehen die Körperverletzungsdelikte als ausreichende Sanktionsmöglichkeit bereit. Zudem werde der Zweck der Norm, welcher ursprünglich eine Privilegierung gegenüber der Nötigung nach § 240 StGB gewesen sei, vom Gesetzgeber verkannt und mit der Neuregelung weiter in Richtung eines Individualschutzes für Polizist*innen verschoben. Bereits die frühere Verschärfung des § 113 StGB war aus ähnlichen Gründen kritisiert worden. Auch damals betraf dies u. a. eine fehlerhafte Interpretation des Normzwecks, was deutlich macht, dass Normzwecke im strafrechtsdogmatischen Sinn, wie sie früher mit gutem Grund (Rechtsstaat) im Vordergrund standen, zunehmend durch andere Zwecke (Symbolpolitik) ersetzt werden, ohne dass sich die Strafrechtswissenschaft aufrafft, etwas dagegen zu unternehmen. Weil sie zum zahnlosen Tiger verkommen ist und der (Partei-)Politik das Feld überlassen muss?
Letztlich sind es die gleichen Argumente, die man auch jetzt wieder vorbringen muss, wohlwissend, dass sie ebenso wie bei den vorherigen Verschärfungen kein Gehör finden werden. Zwar sind laut Bundeslagebild die erfassten Fallzahlen in den vergangenen Jahren angestiegen, aber nicht überall gleichmäßig. In Stuttgart beispielsweise sind sie zwischen 2020 und 2023 gleichgeblieben. Müßig, auch hier wieder einmal zu erwähnen, dass diese erfassten, d.h. von der Polizei registrierten Fallzahlen weder alle Fälle umfassen (Dunkelfeld), noch eine Aussage über tatsächlich gerichtlich nachgewiesene Fälle oder gar verurteilte Täter zulassen – bei mehr als 70% Einstellungsquote selbst bei schweren Delikten wäre aber nur diese Zahl wirklich aussagekräftig.
Steigende Polarisierungstendenz führt zu mehr Gewalt
Bereits vor mehr als zehn Jahren wurde als Erklärung für einen Anstieg der Gewalt gegen Polizeibeamt*innen die steigende Polarisierungstendenz in der Gesellschaft (Ellrich et al.) und eine gestiegene Sensibilität der Beamt*innen gesehen. Unstrittig dürfte dabei sein, dass respektvoller Umgang stets auf Gegenseitigkeit beruht („Hass trifft Helfer“), und zur Wahrheit gehört eben auch, dass sich auch Polizeibeamt*innen nicht selten selbst respektlos gegenüber Bürger*innen verhalten und damit zur Eskalation von sowieso schon angespannten Situationen beitragen. Die Studie KviAPol von Singelnstein u.a. hat dies belegt.
Schon vor rund 20 Jahren konnten wir in einer sich über mehrere Länder erstreckenden Studie zeigen, dass Gewalt auf Seiten der Polizei zunimmt, wenn das sog. „polizeiliche Gegenüber“ gewaltbereit ist – eine Aussage, die auch umgekehrt zutrifft. Gewaltanwendung wird umso wahrscheinlicher und intensiver, je mehr der Polizeibeamt*innen das sich selbst gesetzte Ziel nicht erreichen kann. Die Wahrscheinlichkeit einer intensiveren Gewaltanwendung steigt, wenn die Autorität des/der Polizeibeamt*in in einer bestimmten Situation in Gefahr ist oder er/sie dieses Gefühl hat. Dies alles sind Faktoren, die in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen bzw. sich intensiviert haben: Wenn ein Landesinnenminister fordert, dass die Polizei „robuster“ werden soll, dann kann eine solche Ansage einen Teufelskreis in Gang setzen. Gewalt gebiert Gewalt.
Das Bundeskriminalamt (BKA) selbst verweist in seinem Lagebild von 2022 (S. 51 f.) auf den in der Kriminologie dominierenden Erklärungsansatz, wonach der Umfang der Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamt*innen Ausdruck des allgemeinen Ausmaßes an Gewaltkriminalität ist. Bekannte Risikofaktoren seien beispielsweise die eigene Gewalterfahrung in der Kindheit, ein für Gewalt offenes soziales Umfeld, ein als belastend empfundener Alltag, eine psychische Belastung, sozioökonomische Deprivation (z.B. Armut, geringes Bildungsniveau) oder die Akzeptanz von traditionellen Männlichkeitsnormen mit gewaltakzeptierenden Einstellungen.
Selbst das BKA fordert andere Maßnahmen
Die vom BKA im Lagebild 2022 vorgeschlagenen Konsequenzen aus dieser Analyse passen nicht zu der nun gewählten Vorgehensweise einer Strafverschärfung:
„Ohne eine ganzheitliche Betrachtungsweise und einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz wird sich die Lage nicht entspannen. … Um den dargestellten Entwicklungen entgegen zu wirken, muss die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung mit der zunehmenden Gewaltbereitschaft in der Bevölkerung (auch gegenüber PVB) verstärkt werden – insbesondere vor dem Hintergrund von Interdependenzen zu anderen Faktoren. Eine besonders negative Einschätzung der wirtschaftlichen Lage unter anderem aufgrund der aktuellen Inflation und der sonstigen wirtschaftlichen Folgen des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine sowie der Transformation tradierter Wirtschaftszweige können einen tendenziellen Anstieg der Widerstände gegen und tätlichen Angriffe auf die Staatsgewalt zur Folge haben. Denn eine wirtschaftlich prekäre Situation oder die Angst vor einer solchen können zu einer psychischen Belastung und negativem Stress führen. Je mehr Menschen Belastungssituationen erleben, desto wahrscheinlicher werden Gewalttaten im sozialen Umfeld – aber auch gegen Repräsentantinnen und Repräsentanten des Staates. Der Grund ist, dass die Frustrationstoleranz und die Impulskontrolle niedriger sein können, sowie die Fähigkeit reduziert, Konfliktsituationen emphatisch und gewaltfrei zu lösen.“
Ähnlich wie wir es in unserer Studie zu Gewalt gegen Rettungskräfte betont haben, verlangt auch das BKA, dass die Ausbildung von Polizeibeamten verbessert wird, „die auch die weitere Sensibilisierung und Bewusstseinsstärkung bezüglich der gesellschaftlichen Vielfalt umfasst“, um so „gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern mit Ruhe, Höflichkeit, Empathie und vorurteilsfrei zu kommunizieren, um eine eskalationshemmende Wirkung zu erzeugen“.
Eine im März 2024 veröffentlichte Studie zu Angriffen auf Rettungsdienstmitarbeitende und Polizeibedienstete benennt die gleichen Punkte und fordert zudem den Abbau von Risikofaktoren wie der hohen Arbeitsbelastung oder einem hohen Stresslevel besonders beim Rettungsdienst. Alles Aspekte, die mit einer Verschärfung von Strafvorschriften nicht erreicht werden können, die aber Geld kosten würden – im Gegensatz zu Strafrechtsänderungen, die „kostenlos“ sind.
Fehlende Evaluation und keine rationale Kriminalpolitik
Man könnte erwarten, dass Gesetzgebung anhand rationaler Erkenntnisse und nicht emotional veranlasst erfolgt. Dazu wäre neben einem Blick in die allgemeine Sanktionsforschung die Evaluation bereits erfolgter vergleichbarer Gesetzesinitiativen sinnvoll und notwendig.
Eine wissenschaftliche Evaluation, wie sie bei Gesetzesneuregelungen immer wieder gefordert wird, ist nicht erfolgt, obwohl dies 2019 auf der Ebene der Staatssekretär*innen generell für neue Gesetze beschlossen worden war. Nur ein kleiner Teil der grundrechtsbeschränkenden Gesetze wurde evaluiert, und das ohne einheitliche Systematik (Weingärtner 2021), obwohl das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen (hier, hier und hier) festgestellt hat, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, die Folgen seines Handelns und die Wirkungen der verabschiedeten Gesetze nach ihrem Inkrafttreten zu beobachten und zu überprüfen, ob Korrekturen oder Nachbesserungen erforderlich sind.
In den vergangenen Jahren hat sich die (auch kriminologische) Forschung intensiv mit dem Thema Gewalt gegen Polizei, Rettungsdienste u.a. beschäftigt. Die entsprechenden Arbeiten lassen sich in der Kriminologischen Dokumentation „KrimDok“ der Universitätsbibliothek Tübingen problemlos recherchieren. Google Scholar weist über 10.000 Quellen zu „Gewalt gegen Polizeibeamte“ nach, darunter über 500 seit 2023. Gewalt gegen Rettungskräfte ist nicht derart präsent, aber ebenfalls gut empirisch untersucht (vgl. Weigert 2021; Feltes/Weigert 2018). Einig sind sich alle wissenschaftlichen Veröffentlichungen darin, dass Strafschärfungen oder neue Gesetze eher nicht sinnvoll sind, Fortbildung und Sensibilisierung für bestimmte Konfliktsituationen hingegen sehr wohl.
Vor allem sind in der Forschung die Faktoren, die bei Gewalt gegen Polizeibeamt*innen eine Rolle spielen, umfassend beschrieben (Mansour 2023). Dazu gehören vor allem Alkohol und Drogen, situative Faktoren wie Stress, Überforderung und unkontrollierte Emotionen (wie bei Fußballspielen), Missverständnisse im Einsatzgeschehen, psychische Ausnahmesituationen bei den Tatverdächtigen sowie „Empathiedefizite“ und „Jugendkultur“ mit „toxischer Männlichkeit und Gewaltbereitschaft“. Wenn man Mansours Forderung nach einer „Wertevermittlungsoffensive“ (aaO.) unterstützt, die um die „Verinnerlichung der Grundwerte“ zu erweitern sei, dann braucht es hierfür, wie er selbst sagt, pädagogische Konzepte in den Schulen und Aufklärungsarbeit mit den Eltern. Ob tatsächlich Repressionen und Strafverschärfungen bei Intoleranz helfen, ist mehr als fraglich.
Wenn in rund zwei Dritteln der registrierten Fälle von Gewalt gegen Polizei Alkohol und (harte) Drogen als Merkmale erfasst sind (auch hier dürfte das Dunkelfeld nicht unerheblich sein, d.h. es sind in der Realität deutlich mehr Menschen, die Gewalt gegen Polizei ausüben, intoxikiert), dann muss man davon ausgehen, dass für diese Personen in dieser konkreten Situation weder die generelle Pönalisierung der Tat, und schon gar nicht eine etwaige Strafhöhe eine Rolle spielt, denn selbst für Menschen, die nicht durch Alkohol oder Drogen beeinflusst sind, hat die Sanktionsforschung dies immer wieder festgestellt. Und aus der Tatsache, dass drei von vier der Tatverdächtigen bereits zuvor polizeilich in Erscheinung getreten waren kann man schließen, dass weder die Strafdrohung, noch ein eventuelles polizeiliches Ermittlungsverfahren hier zu einer Verhaltensänderung geführt haben.
Strafe und besonders Strafverschärfungen sind also das ungeeignetste Mittel, wenn man ein unerwünschtes Verhalten beeinflussen will. Das weiß auch die Politik – oder sie kann es zumindest wissen. Dennoch geht man diesen, mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglosen Weg. Von dem, was im Ausland als „evidence-informed policy“ diskutiert wird, können wir in Deutschland leider nur träumen. Eine rationale, faktengestützte Politikgestaltung in den Bereichen Kriminalität und Justiz wäre aber dringend geboten.
Ein interessanter Beitrag, der mir an folgender Stelle aber nicht überzeugend erscheint: “Und aus der Tatsache, dass drei von vier der Tatverdächtigen bereits zuvor polizeilich in Erscheinung getreten waren kann man schließen, dass weder die Strafdrohung, noch ein eventuelles polizeiliches Ermittlungsverfahren hier zu einer Verhaltensänderung geführt haben.”
Hier erscheint absolut möglich, dass eine härtere Strafe nach dem vorherigen In-Erscheinung-Treten die Tat eben doch verhindert hätte (und sei es allein durch den Effekt des schlichten Wegsperrens bei Verhängung einer Haftstrafe).
Sehr interessanter Artikel. Leider ist das reflexhafte Erhöhen von Strafen noch nicht einmal kostenlos sondern neben direkten Kosten (z.B. durch eine längere Gefängnisunterbringung) können auch erhebliche Opportunitätskosten entstehen, weil die Ressourcen in der Strafverfolgung praktisch nie im gleichen Maße erhöht werden. Das ist vor allem dann der Fall, wenn man – wie es bei der Kinderpornographie schon oft der Fall war und wo man inzwischen zurückrudert – im Eindruck schwerer Taten ausgerechnet leichte Taten schwerer bestraft oder die Straftatbestände ausweitet. Polizei und Justiz haben dann mit diesen leichten Taten viel mehr Aufwand und letztlich weniger Zeit, schwere Taten zu verfolgen. Mich würde interessieren, ob es Literatur zu solchen Opportunitätskosten gibt.