Wenn Wissensquellen versiegen
Was die Finanzkürzungen der US-Regierung für Herkunftslandinformationen in Asylverfahren bedeuten
Die ersten 100 Tage der zweiten Amtszeit von US-Präsident Donald Trump wirken sich nicht nur drastisch auf den Welthandel und die liberale Weltordnung aus – sondern auch auf Asylverfahren in Deutschland. Denn die politischen Entscheidungen der Trump-Regierung – vor allem das Defunding von Entwicklungszusammenarbeit – verändern die Informationslage zu asylrelevanten Herkunftsländern radikal: Etablierte Quellen von Herkunftslandinformationen verschwinden, das Verständnis von zentralen Konzepten (wie Terrorismus) wandelt sich und die Informationslage wird noch volatiler. Dies stellt deutsche Gerichte bei der Tatsachenaufklärung in Asylverfahren vor neue Herausforderungen.
Rolle von Herkunftslandinformationen in Asylverfahren
In Asylverfahren gilt nach § 86 Abs. 1 VwGO die Amtsermittlungspflicht. Danach ist das Gericht dazu angehalten, den Sachverhalt umfassend und objektiv aufzuklären – insbesondere, wenn substantiierte Behauptungen von Schutzsuchenden vorliegen, die für die Verwirklichung grundrechtlicher Gewährleistungen von Bedeutung sind. Dies ist insbesondere bei Abschiebungen in Zielstaaten mit unsicheren Verhältnissen relevant.1) Um diesen hohen Anforderungen gerecht zu werden, führen Asylkammern sogenannte Erkenntnismittellisten. Auf diesen nach Ländern organisierten Listen werden die Herkunftslandinformationen (Country of Origin Information, COI) verzeichnet, die die Grundlage für die gerichtlichen Asylverfahren darstellen. Mit Ausnahme einiger weniger Bundesländer, in denen die bibliographischen Listen digitalisiert und zentralisiert wurden, unterhält jede Asylkammer ihre eigenen Listen.
Die Asyldokumentation in Baden-Württemberg (BW) führt eine digitale Asylbibliothek, auf deren Basis die Erkenntnismittellisten für gerichtliche Asylverfahren generiert und allen Verfahrensbeteiligten zugänglich gemacht werden.2) Die Listen werden in für Asylverfahren relevante thematische Kapitel unterteilt und quartalsweise veröffentlicht. Zudem stellt die Asyldokumentation tagesaktuelle Informationen im Format eines Event-Trackers online zur Verfügung.
Die Mitarbeiterinnen der Asyldokumentation sichten jede Woche hunderte Quellen von Herkunftslandinformationen. Das hat die Mitarbeiterinnen für die Veränderung der Quellenlage sensibilisiert, wie die folgenden Beispiele zeigen.
Verlust von Quellen zur humanitären Lage
Als eine der ersten Amtshandlungen ordnete Trump eine 90-tägige Überprüfung bereits bewilligter Haushaltsmittel für Entwicklungshilfe an. Nach dem anfänglichen Moratorium für Projekte der United States Agency for International Development (USAID) wurde Ende März die Auflösung von USAID zum 1. Juli 2025 bekannt gegeben. Die im Jahr 1961 gegründete USAID ist bzw. war als unabhängige Behörde der US-Regierung für die Verwaltung von Entwicklungs- und humanitären Hilfsprogrammen weltweit zuständig. Im Jahr 2024 etwa verwaltete USAID ein Budget von über 20 Milliarden US-Dollar, ein Viertel davon für Förderungen im Gesundheitswesen. Sie war in Entwicklungsländern zentral für die Förderung von Demokratie, wirtschaftlicher Entwicklung, Bildung, Gesundheit und humanitärer Hilfe. USAID kooperierte eng mit internationalen Organisationen, Nichtregierungsorganisationen (NRO) sowie lokalen Regierungen.
Auch bei Asylverfahren nahm USAID als Geldgeber zahlreicher Organisationen eine wichtige Rolle ein. So ist ein beträchtlicher Anteil der Herkunftslandinformationen, wie sie vom Famine Early Warning Systems Network (FEWS NET) oder UN-Organisationen sowie zahlreichen kleinen NROs publiziert werden, maßgeblich von den finanziellen Unterstützungen der USAID abhängig. Ihre Publikationen leisten einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung der Tatsachen, insbesondere zur humanitären und Versorgungslage in Gebieten, die von der regulären Presse nur wenig rezipiert werden, wie beispielsweise Afrika südlich der Sahara.
Als Konsequenz der budgetären Kürzungen wurde das von USAID finanzierte FEWS NET eingestellt. FEWS NET diente als Frühwarnsystem, das die Nahrungsmittelproduktion sowie die Entwicklung von Nahrungsmittelpreisen weltweit überwachte, um Hungersnöte rechtzeitig zu identifizieren. Die Webseite von FEWS NET ist offline. Derzeit werden also keine neuen Lageberichte, Analysen und Frühwarnsysteme mehr erstellt und ältere Dokumente sind über die Webseite nicht mehr zugänglich.
Die Abschaltung von FEWS NET wirkt sich auf die Herkunftslandinformationen aus, die etwa die Asyldokumentation BW im thematischen Kapitel „Grundversorgung“ in die Erkenntnismittellisten aufnimmt. So verändern sich Dokumente für verschiedene Herkunftsländer in Afrika und dem Nahen Osten zum Thema Ernährungsunsicherheit sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht.
Für das vierte Quartal 2024 und das erste Quartal 2025 enthielt die Erkenntnismittelliste des Verwaltungsgerichthofs BW für den Niger detaillierte Analysen und Prognosen der Ernährungsunsicherheit sowie der Entwicklung der Nahrungsmittelpreise, die von FEWS NET durchgeführt wurden. Für das zweite Quartal 2025 ist lediglich ein Dokument vom Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) aufgeführt, das die Anzahl der von Ernährungsunsicherheit betroffenen Personen angibt. Die Preise für Grundnahrungsmittel im Niger lassen sich anhand der Erkenntnismittelliste für das zweite Quartal 2025 nicht mehr ermitteln.
OCHA hat bisher, ebenso wie eine Vielzahl anderer Organisationen, auf die prekäre Situation in zahlreichen Flüchtlingslagern aufmerksam gemacht. Viele solcher Lager waren schon in den letzten Jahren mit einem engen Budget konfrontiert. OCHA bezieht etwa 20 Prozent der finanziellen Zuwendung aus US-Mitteln, die durch die anstehenden Kürzungen verloren gehen. Sie warnen, dass in einer bisher nicht näher spezifizierten Anzahl von Flüchtlingslagern sowohl die Versorgung mit Nahrungsmitteln als auch der Zugang zu Gesundheitssystemen nicht mehr gewährleistet sind. Außerdem wirkt sich die nun fehlende Dokumentation auch auf die Sicherheit von Menschenrechtsaktivisten aus: Kann die internationale Gemeinschaft nicht mehr in aktuellen Lageberichten nachvollziehen, wie viele Menschenrechtsaktivisten wo eingesetzt sind und wie sie dort aktiv werden, sind sie den dortigen Regimen schutzlos ausgeliefert.
Verlust von Quellen zur Menschenrechtslage
Ähnliche Wissenslücken drohen auch beim Thema digitale Repression, seit die US-Regierung der NRO Freedom House die Mittel gestrichen hat. Viele asylrelevante Länder werden von Regierungen geführt, die freie Äußerungen im Internet und soziale Medien als Gefahr für ihre Macht sehen und digitale Kontrollmechanismen einsetzen, um die Gesellschaft oder einzelne unliebsame Personen zu kontrollieren. Die aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangene Organisation Freedom House hat sich gezielt für die Förderung der Menschenrechte und ziviler Freiheiten eingesetzt. Mit den Kürzungen von US-Mitteln verliert sie 80 Prozent ihrer finanziellen Unterstützung. Ihre Berichte zur Internetfreiheit und digitalen Repressionen (Freedom on the Net) stellen eine zentrale Informationsquelle dar: Nur ihre Berichte stellen für 72 Länder Informationen zu staatlichen digitalen Programmen und zivilen Aktivitäten im Internet bereit. Mit dem Verlust dieses Teilbereiches von Freedom House allein gehen zentrale Informationen zu einem in den Herkunftslandinformationen chronisch unterbelichteten Thema verloren, die nicht ersetzbar sind. Noch ist unklar, welche weiteren Bereiche von den Kürzungen betroffen sein werden.
Zivilgesellschaftliche Akteure können die Informationslücken, die durch die US-Kürzungen bei USAID und großen NROs entstehen, nur bedingt abfangen. Ein wesentlicher Aspekt der politischen Projekte von USAID war der Aufbau von Demokratie sowie die Organisation von Wahlbeobachtern. Dort wird die Finanzierung nicht in demselben Ausmaß thematisiert wie im humanitären Bereich. Dennoch zeigen erste Beispiele, dass die Kürzungen gravierende Folgen für die Zivilgesellschaft haben. In Venezuela haben zivilgesellschaftliche Organisationen infolge der USAID-Kürzungen etwa einen signifikanten Teil ihrer Finanzierung verloren. Im Südsudan droht ein Zusammenbruch der Medienlandschaft, da diese zu über 60 % von USAID finanziert wurde.
Veränderte Definition von Kernkonzepten
Die Politik der Trump-Regierung schlägt sich auch in der veränderten Definition von Kernkonzepten nieder. Vor allem die neue Definition von Terrorismus könnte folgenreich werden. Danach gelten nach Dekreten sowie öffentlichen Äußerungen von Trump ab sofort auch Drogenkartelle, Migranten und politische Oppositionelle als „Terroristen“. Der nach dem Anschlag von 9/11 ausgerufene „War on Terror“ wird so auf neue Gegner ausgeweitet. Zwar hatten bereits US-Regierungen vor Trump in Erwägung gezogen, Drogenkartelle als Terroristen zu bezeichnen, um sie entsprechend militärisch in Südamerika bekämpfen zu können. Dass aber auch Migranten und geflüchtete Oppositionelle als Terroristen behandelt werden sollen, ist neu, ebenso wie die bereits jetzt durchgeführten geheimen Deportationen von kritischen Studenten. Dieses neue Verständnis wird sich auch auf deutsche Asylverfahren auswirken, weil die Dokumente der US-Regierung (z.B. die Länderberichte des US Department of State) regelmäßig im Unterkapitel „Sicherheitslage“ und „Menschenrechtslage“ der Erkenntnismittellisten gelistet sind.
Volatilere Informationslage
Zudem wird die Informationslage volatiler. Dies zeigt sich exemplarisch beim Thema medizinische Versorgung. Während die Asylagentur der Europäischen Union (EUAA) im März 2025 noch von der Behandelbarkeit von HIV in Afghanistan ausging3), warnte die WHO zeitgleich bereits, dass ab Juni 2025 bis zu 80 Prozent der WHO-unterstützten Einrichtungen in Afghanistan schließen müssen. Das Beispiel zeigt, dass verfügbare Herkunftslandinformationen mit einer bisher unbekannten Geschwindigkeit veralten.
Dies kann nicht nur Informationen zu einzelnen Themen, sondern auch zur allgemeinen Lage in einem Herkunftsland betreffen. In den westlichen Medien wird wenig diskutiert, dass die Kürzungen des US-Entwicklungshilfebudgets zum Stopp von Programmen zur Aufnahme von Geflüchteten führen. In einer Vielzahl von Ländern, darunter auch Ruanda, haben die USA das Aufnahmeprogramm einseitig gekündigt. Damit wurde die Verantwortung für die Flüchtlinge über Nacht vollständig an Ruanda übertragen, das wirtschaftlich allerdings nicht in der Lage ist, die daraus resultierenden Belastungen zu bewältigen. Laut nichtöffentlichen Berichten von Mitarbeitern des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) aus Ruanda4) wurde bereits 39 Prozent der Mitarbeitenden gekündigt. Zudem haben zahlreiche zivile NROs ihre Arbeit eingestellt. Viele Flüchtlinge sind sich inzwischen selbst überlassen, so die Informationen. Die im April 2025 verfügbaren Lageberichte zu Ruanda erwähnen die möglichen neuen Entwicklungen nicht einmal in der Einleitung.
Auswirkungen auf die Herkunftslandinformationen in Asylverfahren
Wie werden Asylbibliotheken die sich so radikal verändernden Verhältnisse vor Ort durch verlässliche Quellen dokumentieren können? Wenn die in Asylverfahren wichtigen Quellen – etwa das EUAA und das UNHCR – diese Veränderungen nicht zügig verarbeiten, kommt auf die Asylrichter eine unvorstellbare Sisyphusarbeit zu. Denn die Informationen zur humanitären Lage müssen dann in mühevoller Puzzlearbeit aus unzähligen kleinen lokalen Berichten zusammengesetzt werden. Die Menschenrechtslage und insbesondere die digitale Verfolgung wird möglicherweise in einigen Ländern vorerst nicht mehr zu ermitteln sein. Dabei besteht die Gefahr, dass sich Gerichte in ihrer Spruchpraxis zunehmend auf politische Einschätzungen verlassen.
Derweil beobachtet die Asyldokumentation BW, dass relevante Institutionen wie die EUAA oder das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zäh reagieren und ihre Berichte nicht sofort überarbeiten. Weder der BFA-Lagebericht von Kamerun (7. März 2025)5) noch von Sierra Leone (4. März 2025)6) weist auf die Probleme hin, die mit den Kürzungen der US-Regierung von Hilfsgeldern einhergehen. In Kamerun war USAID in der Gesundheitsversorgung involviert und im Kampf gegen AIDS, Tuberkulose und Malaria sowie in der technischen Ausrüstung und der Medikamentenversorgung aktiv. Die US-amerikanische Botschaft in Sierra Leone führt USAID weiterhin als wichtigen Partner, obwohl diese bereits ihre Webseite und damit jede Informationslage und Unterstützung für das Land eingestellt zu haben scheint.
Es ist davon auszugehen, dass der seismische Schock der ersten 100 Amtstage der neuen US-Regierung in der humanitären Versorgungsinfrastruktur und Menschenrechtslage seine volle Kraft noch lange nicht entfaltet hat. Für all diejenigen, die von Herkunftslandinformationen Gebrauch machen, wird eine Neubewertung der Lage nicht zu umgehen sein. Auf die Asyldokumentationen und die digitalen Bibliotheken kommt die Aufgabe zu, neue Quellen zu identifizieren, auf sonst weniger beachtete lokale Berichte zurückzugreifen und die Veränderungen in den Erkenntnismittellisten zu reflektieren – um sicherzustellen, dass nicht Politik, sondern objektives Wissen die Grundlage für die Tatsachenaufklärung in Asylverfahren bestimmt.
References
↑1 | Berlit, Qualitätsvolle Asylverfahren und -prozesse: eine Herausforderung für den Rechtsstaat, NVwZ 3 (2020), 97–105 (104). |
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↑2 | Roche, Die neue baden-württembergische Asyldokumentation, ZAR 2020, 78-80. |
↑3 | EUAA: MedCOI v. 21.03.2025 (AVA 19030). MedCOI Informationen sind nicht öffentlich, aber über die digitale Bibliothek für Verfahrensbeteiligte zugänglich. |
↑4 | Die Information wurden den Autorinnen per E-Mail von UNHCR in Ruanda zugesandt. |
↑5 | BFA, Österreich: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Kamerun, 07.03.2025. Die Lageberichte des BFA Österreich sind nicht öffentlich, aber über die digitale Bibliothek für Verfahrensbeteiligte zugänglich. |
↑6 | BFA, Österreich: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Sierra Leone, 04.03.2025. |