Ist das Außenministerium humorlos?
Über Parodieaccounts von Amtsträger:innen und die Grenzen der Meinungsfreiheit
Satire und Parodie staatlicher Amtsträger:innen haben ihren berechtigten Platz in unserer Demokratie. Einen pointiert-kritischen Beitrag im Diskurs können sie aber nur leisten, wenn man sie auch als solche erkennt. Immer häufiger werden Parodien aber so authentisch gestaltet, dass sie wie tatsächliche Auftritte von Amtsträger:innen wirken können. Neben krassen Täuschungen über die Authenzität wie Deepfakes finden sich in den sozialen Netzwerken zahllose nicht gekennzeichnete Parodieaccounts politischer Entscheidungsträger:innen. Diese Verschleierung der Parodie trägt nicht mehr satirisch zum Diskurs bei; stattdessen werfen sie Fragen des Schutzes durch die Meinungsfreiheit und der Abwehransprüche der Amtsträger:innen auf. Im Ergebnis werden die parodierten Amtsträger:innen zumindest verlangen können, dass die parodistische Natur des Accounts deutlich klargestellt wird und nicht entsprechend gekennzeichnete Beiträge unterlassen werden.
Kontextualisierung: baerbockpress vs. ABaerbock – Auswärtiges Amt ging gegen X-Account vor
Hätten Sie spontan den echten Accountnamen der Außenministerin auf X (vormals Twitter) erkannt? Zumindest eine letzte Unsicherheit besteht bei vielen; vielleicht handelt es sich bei beiden Accounts um offizielle, der eine vom Auswärtigen Amt, der andere privat betrieben? Begibt man sich auf X (vormals Twitter) auf die Suche nach diversen Spitzenpolitiker:innen, stößt man schnell auf verschiedenste satirische Accounts. Manche haben nur mäßigen Erfolg, einem Kanzlerparodie-Account folgen bspw. nur 300 Menschen. Andere erreichen viele Menschen; der Account @baerbockpress, der Außenministerin Annalena Baerbock (deren offizieller Account tatsächlich nur @ABaerbock ist) parodiert, verbucht beispielsweise über 70.000 Abonnent:innen. Das Auswärtige Amt ist Anfang August gegen ebendiesen Account vorgegangen; der Account wurde durch X kurz offline genommen und durfte nur unter der Bedingung, dass im Profilnamen deutlich gemacht wird, dass es sich um eine „Parody“ handelt, weitermachen. Geschadet hat dies dem Account freilich nicht, die Abonnent:innenzahl ist nach der Intervention um knapp 40% gestiegen.
Grundrechtlicher Schutz parodistischer Aussagen
Parodie hat ihren Platz in der Demokratie und genießt grundrechtlichen Schutz. Die Meinungsfreiheit aus Art. 5 I 1 GG schützt Stellungnahmen und Werturteile jeder Art, gleich ob sie begründet oder grundlos, rational oder irrational, differenziert oder pauschalisiert, harmlos oder gefährlich sind. Die Auseinandersetzung mit politischen Themen muss nicht sachlich sein, sie darf überspitzt, unsachlich, parodistisch, gar unfair sein (BVerfG Rn. 22). Politiker:innen müssen es grds. hinnehmen, ins Lächerliche gezogen zu werden oder Worte „in den Mund gelegt“ zu bekommen. Die Unterstellung überspitzter Aussagen soll – mehr oder weniger pointiert – Kritik an der politischen Positionierung der parodierten Person sein. Die Auftritte von Claus von Wagner als Robert Habeck oder Max Uthoff als Friedrich Merz in der ZDF-Sendung „Die Anstalt“ unterstreichen dies exemplarisch. Parodie als besonders gefeilte Form der Kritik ist von Art. 5 I 1 GG geschützt.
Das Problem beginnt dort, wo Auftritte ihren parodistischen Charakter verstecken und stattdessen über ihre Authenzität täuschen: Erweckt die Parodie den berechtigten Eindruck erweckt, es handele sich tatsächlich um einen Account des:der Parodierten, verleiht dies den Beiträgen auf dem Account eine andere Qualität. Sie beschränken sich dann nicht mehr nur die Bewertung der politischen Positionierung, sondern stellen darüber hinaus auch die Behauptung auf, der:die Parodierte habe sich auch tatsächlich so geäußert.
Neben die Kritik an der politischen Positionierung enthält die Äußerung einen Tatsachenkern, „Amtsträger:in X habe sich so geäußert. Ob dies stimmt, ist dem Beweis zugänglich; es ist eine Tatsachenbehauptung. Nun schützt die Meinungsfreiheit bekanntlich auch Tatsachenbehauptungen, soweit sie für die Meinungsbildung relevant sind. Im Ergebnis läuft dies auf einen Schutz aller nicht bewusst oder nachweislich unwahrer Behauptungen hinaus (BVerfG Rn. 23). Wer den Eindruck erregt, eine Person habe sich in einer gewissen Weise geäußert, obwohl dies nicht stimmt, behauptet bewusst etwas Unwahres. Er:Sie kann auch nicht erwarten, mit einer untergeschobenen Äußerung zum Diskurs beizutragen; die sich daran evtl. entzündende Kritik ist nämlich nicht mehr auf die „aufs Korn genommene“ politische Positionierung bezogen (wie es bei einer Parodie der Fall wäre), sondern auf etwas tatsächlich nicht Gesagtes, also einen nicht existenten Umstand, der deshalb nicht Gegenstand sinnvoller Debatten sein kann. Der Betrieb eines nicht erkennbaren Parodieaccounts ist deshalb nicht von der Meinungsfreiheit geschützt. Erkennbare Parodieaccounts bleiben hingegen natürlich von Art. 5 I 1 GG geschützt.
Problem: nur auf den zweiten Blick erkennbare Parodieaccounts
Nicht als solche erkennbare Parodieaccounts werden aber ohnehin nicht mehr auf X geduldet. Die Vorgabe des Netzwerkes ist, dass sich ein eindeutiger Hinweis auf den parodistischen Charakter im Namen des Accounts und der Bio befindet. Wo genau dies stehen muss, darüber trifft die Richtlinie (am 15. September 2023) keine ausdrückliche Aussage. Und so ist es denkbar, dass der Accountname zwar einen solchen Hinweis enthält, aber an einer Stelle, wo dieser nicht sofort einsehbar ist. Im (insb. mobilen) Feed erscheint mitunter die Bezeichnung „Parodie“ deshalb gar nicht. Erst wenn das Profil geöffnet wird, offenbart sich der parodistische Charakter des Accounts.
Dieser Umstand hat für die rechtliche Bewertung des konkreten Beitrags Folgen haben: Zwar genießt die schlecht gekennzeichnete Parodie den Schutz der Meinungsfreiheit, da sie sich bei Würdigung aller Umstände als Meinungsäußerung zeigt. Dem:r Äußernden ist dann aber zuzumuten, dass er:sie seine Parodie klarer kennzeichnet und so den naheliegenden Eindruck bei vielen Rezipient;innen vermeidet, dass es sich um einen tatsächlich authentischen Account handele.
Diese Pflicht kann analog zur presserechtlichen Rechtsprechung zu Titelblättern begründet werden. Äußerungen auf Titelblättern werden ungeachtet der Kontextualisierung im Innenteil einer Zeitung betrachtet; schließlich ist davon auszugehen, dass das Titelblatt eine erheblich größere Reichweite haben wird als der Innenteil. Eine Suggestion, die erst durch den Innenteil neutralisiert wird, wird für viele überhaupt nicht neutralisiert. Die Äußerung muss für sich genommen einen zulässigen Eindruck vermitteln, ohne den Innenteil heranzuziehen (BVerfG Rn. 96; OLG Hamburg Rn. 44). Eine solche Pflicht zur verständlicheren Fassung wird auch den Äußerungen zugemutet, die sich im Schutzbereich der Meinungsfreiheit bewegen.
Ein im Feed nicht erkennbarer Parodieaccount erweckt bei dem unvoreingenommenen und verständigen Publikum durch Verwendung eines offiziell wirkenden Profilbilds in Verbindung mit Namen und ggf. auch Amtsbezeichnung den Eindruck, dass ihnen eine tatsächliche Äußerung eines offiziellen Accounts „in die Timeline gespült wird“. Da die Verifizierung durch Haken auf X nicht mehr mit Authentizität gleichgesetzt werden kann, kann nicht mehr durch das Fehlen einer Verifizierung auf die Nichtauthentizität des Inhalts geschlossen werden. Begründete Zweifel an der Authenzität werden sich nur selten aufdrängen. Eine Prüfung des Kontextes und der tatsächlichen Urheberschaft durch die Sichtung des Accounts (= Innenteils) unterbleibt deshalb oft. Das ein Beitrag eine parodistische Stellungnahme und nicht ein Zitat sein soll, muss sich danach aus der Sicht derjenigen ergeben, die den Account selbst nicht näher prüfen werden. Ergibt sich das nicht aus der Äußerung, wie sie im Feed angezeigt wird, ist es dem:r Äußernden zumutbar, dies für den Feed-Betrachter kenntlich zu machen.
Parodieaccounts von staatlichen Amtsträger:innen
Während Privatpersonen ohne weiteres gegen die Zuschreibung unwahrer Tatsachenbehauptungen, etwa nichtzutreffender Zitate, wehren können, sind Staatsbedienstete in ihrer Funktion nicht grundrechtsberechtigt. Machtkritik ist für eine Demokratie zu wichtig, als dass der Staat einen umfassenden Reputationsschutz besäße. Erst wenn ihm das Mindestmaß an öffentlicher Anerkennung verwehrt wird, das zur Erfüllung staatlicher Funktionen erforderlich ist, oder die Integrität öffentlicher Stellen in Frage gestellt wird, kann er äußerungsrechtlichen Schutz in Anspruch nehmen (BGH Rn. 28). Dies ist grds. eine Frage des Einzelfalls.
Das Vertrauen in die staatliche Urheberschaft eines augenscheinlich staatlichen Tweets wird allerdings regelmäßig hohen Schutz genießen. Das Vortäuschen der Staatlichkeit von Äußerungen kann wirtschaftliche Entscheidungsprozesse von Bürger:innen und Unternehmen genauso gefährden wie das friedliche Zusammenleben der Rechtsgemeinschaft bzw. das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der staatlichen Hilfssysteme, was zu Selbsthilfe und Desintegration führen kann (s. bspw. die Desinformationskampagnen nach der Flutkatastrophe im Ahrtal).
Wo der freiwillige Gesetzesvollzug wünschenswert ist und die Verwaltung sich durch gute Kooperation mit den Bürger:innen auszeichnen soll, können fälschlich dem Staat zugeschriebene Äußerungen dieses Verhältnis stören.
Nicht zuletzt ist die Authenzität staatlicher Äußerung auch demokratierelevant. Sie ist Ausgangspunkt für die kritische Auseinandersetzung mit dem Staat und den Träger:innen politischer Entscheidungsbefugnisse. Machtkritik ist nun für eine freiheitliche Gesellschaft unverzichtbar. Sie wäre verwässert, wenn unklar ist, ob sich nun tatsächlich ein:e Träger:in staatlicher Macht geäußert hat. Ein echter demokratischer Problemlösungsprozess setzt die Anerkennung der tatsächlichen Position des:r Kritisierten voraus.
Zurück zum Anfang: Parodie der AM‘in Baerbock
Gegen den Parodieaccount hat das Auswärtige Amt interveniert, weil es potentielle Schäden für die diplomatischen Beziehungen Deutschlands zu anderen Staaten sah. Konkret befürchtete es, dass die Tweets in der Krise im Niger der Außenministerin zurechenbar gewesen wären und so zu gefährlichen Missverständnissen hätten führen können
Die Pflege der auswärtigen Beziehungen auch durch die Vermeidung diplomatischer Missverständnisse ist eine externe Existenzvoraussetzungen des Staates und als solche ein legitimes Staatsinteresse (vgl. Schwarz, StaatsR I, 2. Aufl. 2022, § 20 Rn. 16). Als Staatszielbestimmung liegt hierin zugleich eine verfassungsimmanente Grundrechtsschranke (ebd., Rn. 51) auch für die Meinungsfreiheit. Im Sinne des staatlichen Reputationsschutzes besteht ein Interesse daran, die internationale Funktionsfähigkeit im diplomatischen System zu erhalten und zu vermeiden, dass Beziehungen zu anderen Staaten wegen fehlerhafter Eindrücke geschwächt werden.
Gerade die internationale Diplomatie ist ein sensibles System, in dem jedes Wort auf die Goldwaage gelegt wird und das durch missverstandene Äußerungen in große Krisen gestürzt werden kann. Um eine Disruption dieser Beziehungen durch falsch interpretierte Parodieaccounts möglichst zu vermeiden, ist das Auswärtige Amt deshalb zurecht an der Unterbindung bzw. eindeutigen Klarstellung dieser Parodieaccounts interessiert gewesen.
Zwar ließe sich einwenden, dass die zuständigen Stellen in Paris, Washington, Peking oder auch Niamey durchaus die Kompetenz besitzen werden, die Authentizität von Tweets zu validieren. Hier wird man dem Bund aber wohl einen gewissen Einschätzungsspielraum zugestehen müssen (vgl. BVerfG Rn. 91).
Fazit
Parodieaccounts haben einen festen und berechtigten Platz in unserer Demokratie. Über sie Machtkritik zu üben, dabei auch unsachlich, überspitzt oder gar offen verächtlichmachend zu kommunizieren, ist durch staatliche Amtsträger:innen weitgehend zu dulden. Eine Grenze ist allerdings dort erreicht, wo der Parodieaccount seine Natur entweder überhaupt nicht kenntlich macht, oder die Kenntlichmachung so versteckt, dass sie vielen Rezipient:innen unbekannt bleiben wird. Zumindest kann dem:r Äußernden zugemutet werden, den parodistischen Charakter auch für Rezipient:innen im Feed deutlich zu machen.
Nur ein kleiner Hinweis: Im Artikel hat sich ein kleiner Tippfehler eingeschlichen. Der offizielle Twitter-Account von Frau Baerbock schreibt sich “@ABaerbock” (ae), nicht wie zweimal geschrieben “@ABearbock” (ea). Verlinkt wurde aber richtig.
Ich habe @ABearbock aus diesem Grund fälschlich gleich als den Parodie/Satire-Account abgetan. 🙂
ist korrigiert, vielen Dank!