10 September 2024

Bayrischer Bärendienst für den Rechtsstaat

Zum Vorschlag, die Laienverteidigung abzuschaffen

Freiheitsrechte sind in Bayern stärkeren Strapazen ausgesetzt als anderswo in der Republik: Neben Kreuzerlass und Genderverbot zeigt sich das etwa darin, dass der Freistaat gewaltfreien Protesten der Zivilgesellschaft mit Anti-Terror-Vorschriften begegnet. Mit einem im Juni 2024 vom Bundesrat beschlossenen Entwurf soll der Personenkreis, der für die Wahlverteidigung gemäß § 138 Abs. 2 StPO infrage kommt, beschränkt werden. Der bayerische Entwurf, der nun dem Bundestag vorliegt, würde den Zugang der Betroffenen zu effektiver Verteidigung unnötig stark einschränken und für manche sogar ausschließen. Dabei gibt es genau betrachtet keinen Bedarf für das Gesetzesvorhaben, denn schon nach bestehender Rechtslage können Gerichte Personen die Ausübung der Verteidigung von vornherein versagen oder später entziehen. Außerdem gewährleistet die sogenannte Laienverteidigung insbesondere Betroffenen in prekärer sozio-ökonomischer Lage den rechtsstaatlich wichtigen Zugang zur Justiz. Dieser Beitrag plädiert deshalb dafür, den Entwurf, den der Bundestag nach der parlamentarischen Sommerpause Anfang September weiter berät, abzulehnen.

Ein Verbot um des Verbots willen

Bislang entscheiden Richterinnen und Richter nach pflichtgemäßem Ermessen darüber, ob eine Person, die nicht Anwalt oder juristischer Hochschullehrer ist, zur Wahlverteidigung gemäß § 138 Abs. 2 StPO zugelassen werden kann. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die gewählte Person „als hinreichend sachkundig und vertrauenswürdig erscheint und auch sonst keine Bedenken gegen [ihr] Auftreten als Verteidiger bestehen“ (BVerfG Beschl. v. 16.2.2006 – 2 BvR 951/04, Rn. 24).

Die Regelung gibt den Gerichten damit hinreichend Spielraum, um geordnete Verfahren zu gewährleisten. Gleichzeitig sorgt die Ermessensregelung für einen Interessensausgleich, der die Akzeptanz gerichtlicher Verfahren in der Bevölkerung fördert: Dem Einzelfall gerecht darf an Ort und Stelle berücksichtigt werden, ob die Verteidigung durch eine Person ohne Anwaltszulassung oder Professorentitel dem Angeklagten und dem Verfahren mehr nützt als schadet. Hier hat der Rechtsstaat die Chance, sich lebensnah und flexibel zu zeigen.

Mit der Gesetzesänderung soll dieser Kreis der freien Verteidigerwahl an die strengen Prozessvertretungsregelungen in anderen Verfahrensordnungen angeglichen werden: Nur noch volljährigen Angehörige der Angeklagten, unentgeltlich tätigen Personen mit Befähigung zum Richteramt (d.h. Personen, die das erste und zweite juristische Staatsexamen bestanden haben) sowie Vertretern von Berufsverbänden, Gewerkschaften und ähnlichen Vereinigungen soll die Genehmigung erteilt werden können.

Dies sei erforderlich, um die Gerichte davor zu bewahren, versehentlich Personen zur Verteidigung zuzulassen, „die Anhänger einer extremistischen oder staatsfeindlichen Weltanschauung sind“ und die den Gerichtssaal in der Hauptverhandlung bloß als aktivistische Bühne ausnutzen würden.

Wenngleich es der Entwurf mit Verweis auf die gewaltbereite Reichsbürgerszene geschickt zu verdecken versucht, so scheint es sich im Kern doch um eine „lex Letzte Generation“ als Teil der bayrischen Klima-Vendetta zu handeln. Jedenfalls korreliert das Gesetzesvorhaben auf verblüffende Weise mit dem zunehmenden Gebrauch der Wahlverteidigung im aktivistischen Umfeld.

Es werden also im Wesentlichen erwartete Verstöße bestimmter Gruppierungen gegen das Sachlichkeitsgebot (vgl. § 43a Abs. 3 BRAO) vorgebracht. Sollte eine Person hinreichenden Anlass dafür bieten, gegen das Sachlichkeitsgebot zu verstoßen, ist dies allerdings auch heute schon bei der Laienverteidigung einanerkannter Ablehnungsgrund (OLG Celle, Beschl. v. 13.8.2012 – 2 Ws 195/12, Rn. 10 m.w.N.).

Der Gesetzentwurf meint hierzu, dass das Gericht eine Genehmigung zwar zurücknehmen könne, wenn es die mangelnde Sachlichkeit erst später feststelle, dies aber mit einem höheren Aufwand verbunden sei und eine erhöhte Eskalationsgefahr berge. Unklar bleibt dabei, was der Entwurfsgeber in diesem Zusammenhang unter Eskalation versteht.

Systematischer Vergleich mit anderen deutschen Prozessordnungen

Er versucht seinen Vorschlag mit dem Verweis auf bereits in anderen Prozessordnungen enthaltene Vertretungsregelungen systematisch zu begründen (vgl. nur § 79 Abs. 2 S. 2 ZPO). Er verkennt aber, dass dort mit den Beistandsnormen (vgl. nur § 90 Abs. 1 S. 2 ZPO) gerade Maßnahmen ergriffen wurden, um die streng abgeschlossenen Vertretungsvorschriften auszugleichen. Der Gesetzgeber stellte bei der Neuregelung des Rechtsdienstleistungsrechts im Jahr 2008 sogar ausdrücklich klar, dass damit „dem im Ausnahmefall berechtigten Anliegen einer Naturalpartei, vor Gericht mit einer vertrauten oder besonders sachkundigen Person erscheinen zu dürfen und dieser den Vortrag in der Verhandlung zu überlassen, […] Rechnung getragen [wird]“ (BT-Drs. 16/3655, S. 91).

Ein Beistand unterstützt die Partei dabei, sich vor Gericht in sachdienlicher Weise zu äußern und etwaige Anträge zu stellen, also die Verhandlung zu bewältigen. Während die Prozessvertretung und die Verteidigung stellvertretend und ohne gleichzeitige Anwesenheit für die Prozesspartei ausgeübt werden, muss ein Beistand im Sinne der ZPO in der mündlichen Verhandlung gemeinsam mit der Partei erscheinen. Gemäß § 90 Abs. 2 ZPO gilt das vom Beistand Vorgetragene als von der Partei vorgebracht, soweit diese den Vortrag nicht sofort widerruft oder berichtigt.

Der Hinweis, die Regelung zum Beistand durch Ehegatten oder Lebenspartner des Angeklagten nach § 149 Abs. 1 und 2 StPO bleibe unberührt, ist irreführend. Der strafrechtliche Beistand ist trotz der gleichen Bezeichnung von denen anderer Prozessordnungen völlig verschieden. § 149 StPO entstammt historisch der Vorstellung des Ehemanns als Fürsprecher seiner unmündigen Ehefrau. Anders als in den übrigen Prozessordnungen erlaubt die Vorschrift dem Beistand nicht, Prozesshandlungen für die Beschuldigten vorzunehmen. Ihm werden vielmehr lediglich Anwesenheit und die eigene Stellungnahme zur Sache zugestanden (MüKo-StPO-Kämpfer/Travers, 2. Aufl. 2023, § 149 Rn. 1, 5 f.; anders § 90 Abs. 2 ZPO, wonach der dortige Beistand auch für die Partei vortragen kann).

Soweit sich der Entwurfsgeber also auf das Regelungsprinzip der übrigen Prozessordnungen beruft, wäre es angezeigt, konsequenterweise auch die Ausgleichsregelungen sinngemäß zu übernehmen. Nach dem Wortlaut etwa des § 90 Abs. 1 S. 3 ZPO können andere, nicht prozessvertretungsbefugte Personen als Beistand zugelassen werden, „wenn dies sachdienlich ist und nach den Umständen des Einzelfalls hierfür ein Bedürfnis besteht“. Es fällt also auf: Die zivilrechtliche Vorschrift ist § 138 Abs. 2 StPO in ihren Voraussetzungen ähnlich. Es würde sich an der Ausgangslage im Gerichtssaal also richtigerweise kaum etwas ändern, wenn das etwa aus der ZPO bekannte Regelungsprinzip auf die StPO übertragen würde.

Dem Gedanken der Einheit der Rechtsordnung entsprechend sehen alle Prozessordnungen eine Öffnungsklausel vor, die es den Parteien prinzipiell ermöglicht, durch eine Person ihrer Wahl vor Gericht als Beistand begleitet zu werden. Aus dem Entwurf geht nicht hervor, dass die bayerische Landesregierung diesen Grundsatz aufheben will. Der Rekurs auf die anderen Prozessordnungen zeugt vielmehr von gesetzgeberischer Nachlässigkeit, was den Eindruck verstärkt, dass der Gesetzentwurf kaum mehr als ein politisches Strohfeuer ist.

Fair-Trial-Grundsatz und rechtstatsächliche Perspektive

Ob man die jeweiligen Erscheinungsformen zivilgesellschaftlichen Protests z. B. durch Verkehrsblockaden nun gutheißt oder nicht, kann letztlich offenbleiben, denn Jede und Jeder hat das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren. Zu diesem Recht gehört auch die freie Wahl eines Verteidigers. Es ergibt sich nicht nur aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.5.1981 – 2 BvR 215/81, Rn. 73), sondern ist auch unionsrechtlich in Art. 47 Abs. 2, Art. 48 Abs. 2 GRCh ausdrücklich festgeschrieben und wird in Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK noch konkreter geregelt. Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte muss das Recht auf einen selbst gewählten Verteidiger aber nicht absolut ausgestaltet sein (EGMR, Mayzit v. Russia, Urt. v. 20.1.2005, Nr. 63378/00, Rn. 66). Im Interesse der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege darf dies etwa von der juristischen Qualifikation abhängig gemacht werden (LR-EMRK/Esser, 27. Aufl. 2024, Art. 6 Rn. 1053 m.w.N.). Zum Vergleich: Im deutschsprachigen Ausland ist die Verteidigung in Österreich (§ 48 öStPO) und der Schweiz (Art. 127 Abs. 5 CH-StPO) Anwältinnen und Anwälten vorbehalten.

Was für die grund- und menschenrechtliche Mindestgewährleistung des Beschuldigtenrechts somit nicht zwingend ist, kann gleichwohl für das gesellschaftliche Zusammenleben und die Akzeptanz des staatlichen Handelns förderlich sein.

Im Gesetzentwurf wird hingegen behauptet, der Beschuldigte werde in seinen Verteidigungsmöglichkeiten überhaupt nicht beschränkt, vielmehr werde die Qualifikation seiner möglichen Verteidiger erhöht. Das mag in der Theorie und unter der Annahme stimmen, dass Betroffene ausschließlich zwischen Laienverteidigung und professioneller Verteidigung auswählen würden. Was in der Gleichung aber fehlt, ist der gänzliche Verzicht auf einen Verteidiger oder gar auf die Verteidigung als solche.

Hier zeigt sich die rechtspolitische Sensibilität der Rechtstatsachenforschung. Auf diesem Gebiet werden die Wirkungen und Zielabweichungen von bestehenden und geplanten rechtlichen Regelungen insbesondere unter Berücksichtigung der tatsächlichen Lebensverhältnisse untersucht.

Ein qualifizierter Verteidiger, normalerweise mit Anwaltszulassung, kostet meist Geld. Das kann de facto schnell zur Hürde für den Justizzugang werden, da im Strafverfahren keine Prozesskostenhilfe gewährt wird und häufig kein Fall einer notwendigen Verteidigung (s. § 140 StPO) vorliegt. Wenn der Beschuldigte deshalb davon absieht, einen Verteidiger zu mandatieren und die Verteidigung deshalb nur unzureichend selbst oder gar nicht führt, ist die auf dem Papier hervorgehobene gesteigerte Qualifikation der möglichen Verteidiger für die Betroffenen nichts wert. Wer sich zum Beispiel in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren einem Bußgeld von 80 Euro gegenübersieht, wird vermutlich schon aus finanziellen Erwägungen nicht mit anwaltlicher Hilfe dagegen vorgehen. Vergleichbares gilt – je nach Höhe der Geldstrafe – auch für das Strafbefehlsverfahren.

Solche Ergebnisse mögen wirtschaftlich vernünftig sein, rechtsstaatlich und aus Sicht der Betroffenen aber sind sie inakzeptabel. So wird ihnen lediglich aufgrund finanzieller Zwänge die Möglichkeit der effektiven Verteidigung abgeschnitten. Beide Verfahrensarten haben darüber hinaus die Gemeinsamkeit, dass die Verteidigung gegen eine verhängte Sanktion als initialen Schritt den Einspruch des Betroffenen voraussetzt. Ohne diese aktive Intervention tritt nach kurzer Frist automatisch Rechtskraft ein (vgl. § 410 StPO). Es ist daher wichtig, die Ermessensregelung des § 138 Abs. 2 StPO beizubehalten. Eine kostenneutrale, vor allem aber niederschwellig erreichbare Wahlverteidigung kann in solchen Situationen – sofern im Einzelfall erforderlich – unkompliziert über die situative Überforderung der Betroffenen hinweghelfen. Die Laienverteidigung kann das Verfahren außerdem objektivieren, weil sich die von den Vorwürfen betroffene Person im Prozess emotional distanzieren kann.

Am Institut für Rechtstatsachenforschung an der Universität Konstanz wurde untersucht, welche Rolle studentische Law Clinics im Zusammenhang mit prozessualer Rechtsberatung einnehmen können. Die Ergebnisse einer Interviewstichprobe mit Richterinnen und Richtern bestätigen zwar, dass die Laienverteidigung derzeit kaum vorkommt, zeigen aber auch, dass die Chancen erkannt werden: „[Ich] glaube vielmehr, dass ich da am Ende des Tages Leute habe, die sich angesichts der Motivation, die man dafür aufbringen muss, viel tiefer in Verfahren einarbeiten, als es so mancher Anwalt für die RVG-Vergütung tut […]“ äußerte etwa einer der Befragten (dazu näher Reiners, JURA 2024, im Erscheinen).

Diese Tendenz lässt sich grundsätzlich auf alle Akteure übertragen, die juristisch vorgebildet sind und an einer ordnungsgemäßen Durchführung des Verfahrens mitwirken. Mit Blick auf die „Letzte Generation“ und ähnliche Gruppierungen ist insofern nichts dagegen einzuwenden, wenn ein an den Taten unbeteiligtes Legal Team die Verteidigung und Interessenwahrnehmung der Beschuldigten übernimmt. Ob eine Person dabei die Gesinnung oder Motivation der Beschuldigten teilt, ist irrelevant, solange das Verhalten sachlich bleibt und der ordentlichen Verteidigung dient.

In anderem Kontext ist das Phänomen, mit juristischen Mitteln für seine Überzeugungen einzutreten, ohnehin gang und gäbe: Strategische Prozessführung hat beispielsweise die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. seit 2015 in Deutschland etabliert, ohne dass dies von Skandalen und Eskalationen begleitet worden wäre.

Auch aus rechtstatsächlicher Sicht sollte der Gesetzgeber das Verteidigungsrecht daher nicht weiter einschränken. Stattdessen ist an der bisherigen Regelung festzuhalten, die es erlaubt, flexibel auf die Umstände des Einzelfalls zu reagieren. Die positiven Aspekte der Laienverteidigung überwiegen die in dem Gesetzentwurf skizzierten „Risiken“.

Rechtstaatlicher Rückschritt

Die vorgeschlagene, abschließende Einschränkung der Wahlverteidigung würde der Justiz also nichts ermöglichen, was de lege lata nicht bereits umsetzbar wäre. Der Entwurf geißelt vor allem jene, die sich aus persönlichen oder altruistischen Motiven dafür einsetzen, Justizgrundrechte wahrzunehmen (z.B. studentische Law Clinics). Benachteiligt sind am Ende die Betroffenen, die schlimmstenfalls ganz auf Rechtsbeistand verzichten und sich schlecht oder gar nicht verteidigen. Der vorgelegte Gesetzentwurf steht somit für einen überhasteten rechtsstaatlichen Rückschritt, der im Ganzen zwar klein wirkt, sich im Einzelfall jedoch erheblich zum Nachteil der betroffenen Bürgerinnen und Bürger auswirken kann. Es ist daher zu begrüßen, dass die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme kein Bedürfnis für eine Gesetzesänderung sieht und Zweifel an der Zweckmäßigkeit der vorgeschlagenen Regelungen äußert. Abzuwarten bleibt nun, wie sich der Deutsche Bundestag im weiteren Gesetzgebungsverfahren positionieren wird.


SUGGESTED CITATION  Reiners, Florian: Bayrischer Bärendienst für den Rechtsstaat: Zum Vorschlag, die Laienverteidigung abzuschaffen, VerfBlog, 2024/9/10, https://verfassungsblog.de/laienverteidigung-entwurf-bayern-stpo/, DOI: 10.59704/02dee3c3341fbae9.

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