Palästinenser suchen “Präsidenten” per Castingshow
Eine der Errungenschaften dieses Jahrhunderts ist die Erfindung der Castingshow: Aus einer anonymen Masse von Bewerbern werden in allerhand Proben und Prüfungen in einem festgelegten Verfahren kollektiver Meinungsbildung der oder die “Beste” herausgefiltert. In aller Regel geht es um Schlagersänger oder Models.
Aber Präsidenten?
Dass Castingshows politisch werden können, kann man derzeit in Ramallah, Nablus und Jericho studieren. So jedenfalls dieser Bericht, auf den ich dank Opinio Juris gerade gestoßen bin.
12.000 Kandidaten gab es anfangs, jetzt sind noch 16 übrig. Wer gewinnen will, muss vor der Kamera zeigen, was sie drauf hat:
Contestants are filmed taking on tasks – being an ambassador to a European country for a day, running a major corporation, taking questions from foreign and local journalists, even how to inspect guards of honour.
Natürlich wird der Gewinner oder die Gewinnerin, die im Juni von den Zuschauern per SMS gekürt wird, nicht gleich tatsächlich Präsident. Sie kriegen ein Auto als Preis. Aber das heißt nicht, das das Ganze nur eine unpolitische Albernheit wäre.
Die Kandidaten wollen wirklich politische Karriere machen, und eine solche Castingshow gewonnen zu haben, schadet dabei gewiss nicht. Zumal in den Palästinensischen Autonomiegebieten demokratische Legitimität, anders als bei uns, ein knappes Gut ist: Die Palästinenser haben seit vier Jahren keinen gewählten Präsidenten mehr, die letzten Präsidentschaftswahlen waren 2005, die letzten Parlamentswahlen 2006.
Gibt es eigentlich jemanden, der sich die kollektiven Entscheidungsverfahren der Castingshows mal aus politikwissenschaftlicher Perspektive angeschaut hat? Das wäre doch mal ein tolles Promotionsthema…
Die nette Umschreibung für Castingshow bei Akademikern ist doch eigentlich immer noch Assessmentcenter, oder?
Von daher finde ich den Hohn etwas unangebracht.
Kollektive Entscheidungsverfahren der Castingshows aus politikwissenschaftlicher Perspektive – das klingt jedenfalls lustig. Mal improvisiert: Eine Legitimation durch Casting würde grundsätzlich nur die ohnehin zu beobachtende Entwicklung zur Mediendemokratie auf die Spitze treiben und könnte deshalb in mancher Hinsicht durchaus funktionieren. Zwar sagt ein solches Verfahren natürlich nichts über die fachliche Eignung der Bewerber aus – aber das ist auch nicht der Hauptzweck herkömmlicher politischer Wahlen; für die Fachkompetenz haben Politiker ja ihre Berater und Ministerialbeamten. Wichtiger ist, dass der Wahlkampf einen Kristallisationspunkt der öffentlichen Debatte darstellt, an dem alternative Diskurse miteinander konfrontiert werden und schließlich durch die Abstimmung eine kollektive Entscheidung und damit ein öffentlicher Vertrauensvorschuss für den Sieger hergestellt wird. Und das ist bis zu einem gewissen Grad auch per Show möglich: Wenn die Einschaltquote stimmt, darf man wohl damit rechnen, dass sich der Sieger und seine politische Haltung am Ende einiger Bekanntheit und Popularität erfreuen werden.
Ein Problem bekommen wir aber bei den unterschiedlichen Partizipationsmöglichkeiten der Bürger. Erstens bei der Vorauswahl der Kandidaten, bei der der Fernsehsender in etwa die Funktion des iranischen Wächterrats erfüllt. Und zweitens beim Voting selbst, das offenbar per SMS stattfindet – wodurch finanzstarke Wähler die Möglichkeit zur mehrfachen Stimmabgabe haben, während Bürger ohne Handy exkludiert werden. Letztlich wäre die politische Castingshow deshalb wohl nur eine neue Form von Zensuswahlrecht… nicht unbedingt der Königsweg zu mehr Demokratie.
Andererseits: immer noch besser, als einander die Köpfe einzuschlagen, und auch diese Form der Entscheidungsfindung ist ja etwa im Gazastreifen in den letzten Jahren nicht ganz unüblich gewesen. Insofern sollte man den Kandidaten wohl das Beste wünschen und den palästinensischen Bürgern möglichst bald wieder echte Parlaments- und Präsidentschaftswahlen.