Zur Rolle nachhaltigkeitsbewusster Rechtswissenschaftler:innen in der Gesellschaft
Grußwort zur zweiten Jahrestagung des Jungen Nachhaltigkeitsrechts
Genau jetzt, während wir zum Auftakt der zweiten Jahreskonferenz Junges Nachhaltigkeitsrecht in diesen altehrwürdigen Räumen der Universität Halle sprechen, findet vor dem Landgericht Halle ein Schadensersatzprozess statt. DHL verklagt Klimaaktivist:innen, junge Menschen so alt wie Sie, die die Zufahrt zum Flughafen Leipzig mit Sitzblockaden versperrt hatten, wodurch der Transport von Paketen behindert und DHLs Profite eigenen Angaben zu folge um Millionenbeträge gemindert wurden. In doppelter Hinsicht steht dabei die Zukunft junger Menschen auf dem Spiel: mit Blick auf die Klimakrise und mit Blick auf die drohende finanzielle Schuldenlast bei Unterliegen im Prozess.
Schon dieser Fall zeigt die zentrale Rolle des Rechts für Fragen der Nachhaltigkeit auf.
Rechtliche Rahmenbedingungen einer nachhaltigen Gesellschaft
Umweltkatastrophen, Weltwirtschaftskrisen und Radikalisierung sozial „abgehängter“ Menschen fordern mit ihren komplexen Wechselwirkungen die Gesellschaft und das Recht zum Handeln auf. Natürliche Ressourcen und die Aufnahmekapazität des Erdsystems für Schadstoffe sind begrenzt. Wirtschaftliches Agieren, besonders jenes transnationaler Unternehmen, ist dabei mit diesen Herausforderungen unweigerlich rhizomartig verflochten. Wie insbesondere Unternehmen ihr ökonomisches, ökologisches und soziales Handeln ausrichten, hat gravierenden (teilweise irreversiblen) Einfluss auf die Lebens- und Geschäftsgrundlagen heutiger wie künftiger Gesellschaften. Man wird sich kaum der Tatsache verschließen können, dass ein allein am ungezügelten, kurzsichtigen Profit orientiertes ökonomisches Handeln (unter Mitwirkung eines dies duldenden bzw. fördernden Rechtssystems) sich letztendlich der eigenen Geschäftsgrundlage zu berauben droht.
Vor diesem Hintergrund ist die Frage nach den rechtlichen Rahmenbedingungen einer nachhaltigen Gesellschaft zu stellen.
Denn, um angelehnt an die Worte Stratenwerths1) zu sprechen: dass nun auf das Recht, ausgerechnet dort verzichtet werden sollte, wo Lebensinteressen nicht nur Einzelner, sondern der Menschheit als ganzer auf dem Spiel stehen, das halte ich, bei allem Verständnis für dogmatische und rechtsstaatliche Bedenken, die mit dem mitunter als zu unscharf bezeichneten Nachhaltigkeitsbegriff in Verbindung stehen, für unannehmbar.
Nachhaltigkeit als Analysekategorie für menschliches Handeln und Recht
Unsere Aufgabe als Junge Nachhaltigkeitsrechtswissenschaftler:innen muss es nun sein, den Nachhaltigkeitsbegriff zu präzisieren, in seinen Teildisziplinen näher auszugestalten und für das Recht operabel zu machen. Zahlreiche Einzelaspekte der Nachhaltigkeit sind dabei nicht neu. Sie wurden vielmehr von umsichtig Handelnden und Forschenden schon in der Vergangenheit mitbedacht. Der Mehrwert eines Nachhaltigkeitsansatzes im Recht liegt jedoch darin, diese Einzelaspekte sichtbar zu machen und in einer einheitlichen Analysekategorie für menschliches Handeln und Recht zusammenzufassen und, wo nötig, weiterzuentwickeln.
Zukunft des Konferenzformats
Als ich 2021 gemeinsam mit sechs Kolleg:innen (Daria Bayer, Felix Butz, Franca Langlet, Nicolai v. Maltitz, Anna-Lena Poppe, Maren Wöbbeking) die Idee zur Gründung der Konferenz und des Forschungsnetzwerks Junges Nachhaltigkeitsrecht in München hatte, da konnte ich mir nur träumen lassen, wie sich das Format heute weiterentwickelt hat (über mehrere Tage hinweg, unter Einbeziehung diverser Workshops und eines Online-Symposiums). Dabei hoffe ich, dass die Konferenz noch viele Jahre – stets an einer anderen Universität im deutschsprachigen Raum – fortleben wird. Denn kurz gesagt: Wir brauchen in der Rechtswissenschaft Veranstaltungen wie diese.
Ich möchte jedoch schließen mit einer selbstkritischen Frage an mich selbst, aber auch an jeden und jede von Ihnen:
Was ist die Rolle nachhaltigkeitsbewusster Rechtswissenschaftler:innen in der Gesellschaft?
Ich wurde letzte Woche von Studierenden dazu eingeladen, genau jetzt nicht vor Ihnen hier zu sprechen, sondern vor dem Landgericht zu stehen und zu protestieren. Ich wurde dazu eingeladen, eine Rede zu halten und die Protestaktion mit meiner wissenschaftlichen Perspektive zu unterstützen.
Ich habe abgesagt. Ich bin hier, bei Ihnen, in meinem altbekannten, gewohnten Umfeld der wissenschaftlichen Konferenz, der Universität. Ich bin in meinem Element, meinem Elfenbeinturm. Es ist nicht mit einem gewissen Unwohlsein, dass ich mir die Frage stellen muss, ob ich mir heute vielleicht den leichteren Weg ausgesucht habe.
Der Vortragsstil wird beibehalten; der Text ist angelehnt an Sommerer, Wirtschaftsstrafrechtliche Rahmenbedingungen einer nachhaltigen Gesellschaft?, RW 2021, 119-147.
References
↑1 | Stratenwerth, Zukunftssicherung mit den Mitteln des Strafrechts?, ZStW 1993, 679 (688). |
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Die Einleitung könnte man so verstehen, als sei DHL böse, weil das Unternehmen einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch geltend macht. Das halte ich für einen wenig rechtsstaatlichen Ansatz.