Erlaubt und doch verboten: auch Kanada rekriminalisiert Prostitution
SexarbeiterInnen in Kanada haben es nicht leicht, ihrer Arbeit nachzugehen. Bordelle sind verboten, Werbung ist verboten, Zuhälterei ist verboten, Freier auf der Straßen anzusprechen ist verboten. Nur die Transaktion selbst, wie es der Kanadische Supreme Court 1990 formulierte, war bisher erlaubt. Doch seit dem 6. Dezember 2014 ist es auch damit vorbei. Denn Kanada hat nach schwedischem Vorbild das sogenannte „Sexkaufverbot“ eingeführt.
Schweden war 1999 das erste Land, das der Prostitution durch die Strafbarkeit nicht der in dem Gewerbe tätigen Menschen selbst, sondern ihrer Kunden entgegenwirken wollte. Und wurde dadurch für viele zum Vorreiter der Bekämpfung von Ausbeutung und Gewalt. Viele andere allerdings sehen in dem Modell eine bloße Symbolpolitik, die die zu schützenden Menschen in Wirklichkeit größeren Gefahren aussetze als vorher.
Norwegen und Island erließen daraufhin ähnliche Regelungen, auch in Frankreich wurde der schwedische Ansatz erwogen. In der Bundesrepublik dagegen ist Prostitution seit langem nicht mehr strafbar, und seit 2002 das Prostitutionsgesetz in Kraft trat, ist sie auch zivilrechtlich reguliert. Die Bundesregierung arbeitet zwar an einem Gesetzesvorschlag zur Strafbarkeit der Freier von Menschenhandelsopfern, plant jedoch darüber hinaus kein allgemeines Verbot, sexuelle Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Weltweit sind die Regelungen zur Prostitution so unterschiedlich wie die Meinungen darüber. In den USA machen sich SexarbeiterInnen in fast allen Bundesstaaten strafbar. Und in Kanada wurde das de-facto-Verbot nun zu einem echten Verbot – zumindest für die Kunden.
Die ewige Prostitutionsdebatte
Wie immer, wenn es um Prostitution geht, sind die Meinungen darüber tief gespalten. Das Thema ist emotional und polarisiert deshalb, wie es nicht zuletzt vergangenes Jahr die von Alice Schwarzer angestoßene Prostitutionsdebatte in der deutschen Öffentlichkeit beobachten ließ.
Abschaffen, sagen die einen – anschaffen wollen die anderen. FeministInnen, PolitikerInnen, NGOs sind sich vor allem darüber einig, dass sie sich nicht einigen können.
Auch die in der Prostitution tätigen Menschen selbst vertreten völlig verschiedene Ansichten. Die einen berichten von Gewalt und Zwang, von Erniedrigung und Ausbeutung. Andere fühlen sich zu unrecht in die Opferrolle gedrängt und in der Diskussion nicht ernst genommen.
Studien produzieren mehr oder weniger beliebig Zahlen, die dann für den jeweiligen Standpunkt ins Feld geführt werden. „Die Wahrheiten, die medial verbreitet werden, sind keine empirisch belegbaren Wahrheiten,“ sagt Heike Rabe vom Deutschen Institut für Menschenrechte im Interview mit der ARD. Ein Beispiel dafür ist diese viel zitierte Studie aus dem Jahr 2013 über den vermeintlichen Zusammenhang liberaler Prostitutionsgesetzgebung mit dem Menschenhandel, erstellt von Wissenschaftlern der Uni Heidelberg, des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und der London School of Economics. Nach genauerer Betrachtung durch verschiedene Vereine und Blogs und auch bei Forbes wurden grobe wissenschaftliche Fehler beanstandet.
Zuverlässige Forschung zu illegaler Prostitution und zu Menschenhandel ist eben gerade wegen deren Illegalität nur schwer möglich.
Da so gut wie jede Facette der Prostitution umstritten ist, verliert man in der Debatte schnell den Überblick.
Prohibitionisten wollen die Prostitution allgemein verbieten, in der Annahme, dass deren Ausmaß dadurch verringert würde – ob der Menschenwürde wegen oder weil die SexarbeiterInnen von ihren Kunden als bloße Objekte betrachtet würden, um gesellschaftliche Sitten aufrecht zu erhalten oder aus der Ansicht heraus, dass Prostitution niemals freiwillig geschehen könne, sondern das Ergebnis des strukturellen Machtungleichgeichgewichts der patriarchalischen Gesellschaft sei. Oder schließlich in der Hoffnung, so den Menschenhandel verringern zu können.
Die regulatorische Seite dagegen befürwortet die Legalisierung und Regelung der Prostitution. Auch für diese Ansicht gibt es unterschiedliche Gründe. So soll sie etwa Selbstbestimmung über den Körper ermöglichen und verhindern, dass der Staat die Sexualität reglementiert. Dabei wird Prostitution als freiwillige Arbeit verstanden und vom Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung unterschieden. Doch unabhängig von der Frage, ob man die Prostitution nun an sich gutheißt oder nicht, befürworten viele schlicht aus pragmatischen Gründen die Legalität der Prostitution. Ausgehend von der realistischen Grundannahme, das „älteste Gewerbe der Welt“ könne durch ein Verbot nicht einfach abgeschafft werden, sollen so zumindest die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Denn im Geheimen seien die Prostituierten Gewalt besonders schutzlos ausgeliefert.
Das Bedford-Urteil des kanadischen Supreme Court
Ähnlich argumentierte der kanadische Supreme Court vor etwa einem Jahr im Fall Bedford, als er die damalige Prostitutionsgesetzgebung für verfassungswidrig erklärte. Das Verbot von Bordellen, das Verbot, in der Öffentlichkeit zum Zwecke der Prostitution zu kommunizieren, und das Verbot, ganz oder teilweise von den Gewinnen aus der Prostitution anderer zu leben, setze die Prostituierten einer erhöhten Gefahr von Gewalt aus. Sie könnten so nicht im geschützten Raum eines Bordells arbeiten und auch kein Sicherheitspersonal engagieren. Außerdem hätten sie durch das Kommunikationsverbot weniger Möglichkeiten, die Gefährlichkeit der Kunden einzuschätzen. Daher werde unverhältnismäßig in ihr verfassungsmäßiges Recht auf Sicherheit der Person eingegriffen. Die Ausübung legaler Prostitution auf diese Weise erhöhten Risiken auszusetzen sei mit einem Helmverbot für Radfahrer zu vergleichen.
Die Entscheidung des Supreme Courts war von VerfechterInnen der Rechte von SexarbeiterInnen als großer Erfolg gefeiert worden. Ihre Hoffnung, dass das Urteil in Form einer liberalen Prostitutionsgesetzgebung umgesetzt würde, wurde von Premierminister Stephen Harpers konservativer Tory-Regierung jedoch herbe enttäuscht.
Das neue kanadische Prostitutionsgesetz
Denn die Neuregelung enthält erneut eben jene drei Verbote, die der Supreme Court gekippt hatte. Wie Michael Plaxton von der University of Saskatchewan bemerkt, stehen sie nun schlicht unter einer anderen Zielsetzung. Anstatt die Öffentlichkeit vor Belästigungen zu schützen sei es nun das erklärte Ziel, aus Gründen der Menschenwürde und Gleichberechtigung der Prostitution entgegen zu wirken. Da dies viel stärkere Gründe seien als vorher, schafften sie andere Maßstäbe für die Bewertung, ob die Verbote verhältnismäßig seien. Das neue Gesetz (Bill C-36) sei darum keineswegs automatisch verfassungswidrig. Auch ob der Supreme Court die gesetzgeberische Entscheidung des Sexkaufverbots als solche in Frage stellen würde, sei zweifelhaft.
Die neue Bill C-36 wurde heftig kritisiert. Ein offener Brief von über 200 JuristInnen an Harper bezweifelte ihre Verfassungsmäßigkeit. Die Premierministerin der Provinz Ontario Kathleen Wynne legte sie sogleich dem Attorney General der Provinz zur Überprüfung vor. Die Polizeibehörden von Vancouver und Montreal wiederum erklärten, dass sie die Durchsetzung der neuen Regelung „nicht zu ihrer Priorität machen“ würden.
Indem das neue Gesetz nicht nur die weitreichenden Verbote rund um die Prostitution aufrecht erhält, sondern zusätzlich das „Sexkaufverbot“ einführt und damit die Prostitution insgesamt kriminalisiert, schafft es nicht nur die gleiche prekäre Sicherheitslage wie vor dem Urteil, sondern verschlechtert sie sogar noch.
Bei der Prostitution besteht ein untrennbarer Zusammenhang zwischen dem Kauf sexueller Dienste und deren Verkauf. Nur wenn es einen Käufer gibt, kommt sie überhaupt zustande. Die Freierbestrafung kriminalisiert also zugleich die Prostitution insgesamt.
Das ist, um bei dem Bild des Supreme Courts zu bleiben, als würde man das Radfahren erlauben, aber Fahrräder verbieten. Und auch wenn die Radfahrenden bei einer Kontrolle nicht selbst bestraft werden, so wird ihnen doch das Fahrrad weggenommen. Um ihre Kunden also vor Bestrafung zu schützen, werden SexarbeiterInnen ihre Dienste nun noch unsichtbarer ausführen müssen und sich damit der erhöhten Gefahr von Gewalt aussetzen. Einziger Vorteil für sie: Mit einer möglichen Anzeige können sie unangenehme Kunden unter Druck setzen. Doch dass dies die Gewalttätigen unter ihnen abhalten wird, darf bezweifelt werden.
Dieser Artikel ist im Rahmen des Verfassungsblog-Seminars 2014/15 entstanden.