„Willkommenshaft“ oder freie Ausreisemöglichkeit? Zur Freiheitsentziehung in „Transitzonen“
Wenn sich an diesem Donnerstag die Koalitionspartner zum nächsten Akt im Drama um die Bewältigung des Flüchtlingsstroms treffen, dann wird vor allem ein Schlagwort, das die letzten Tage die Schlagzeilen beherrschte, eine große Rolle spielen: die Transitzone. Zeit also, einen genaueren Blick auf das vermeintliche Vorbild für die geplanten Transitzonen zu werfen, nämlich die Unterbringung in Transitzonen an internationalen Flughäfen (§ 15 Abs. 6 AufenthG) und das Flughafenschnellverfahren (§ 18a AsylG). Handelt es sich bei den Transitzonen nun um „Willkommenshaft“, oder ist es eine große „Unwahrheit“, die Unterbringung in Transitzonen als Haft zu bezeichnen? Ob die über wenige Tage hinausgehende Unterbringung in Transitzonen eine Freiheitsentziehung darstellt oder nicht, ist dabei gerichtlich keineswegs eindeutig geklärt, wie ein Blick in die Rechtsprechung zeigt.
Wann kann eine Unterbringung in Transitzonen erfolgen?
Nach der derzeitigen Rechtslage kann in einem Transitbereich eines internationalen Flughafens nach § 15 Abs. 6 AufenthG überhaupt nur untergebracht werden, wer sich an der Grenze nicht ausweisen kann, keinen Aufenthaltstitel vorweist oder einem Einreiseverbot unterliegt. Wird direkt an der Grenze ein Asylantrag gestellt, dann gibt es drei Möglichkeiten: Entweder die Person darf einreisen, damit ihr Antrag von den zuständigen Stellen bearbeitet wird. Oder die Einreise wird verweigert, weil die Person aus einem sicheren Drittstaat einreist, ein anderer Staat für das Asylverfahren zuständig ist, oder sie einer Wiedereinreisesperre unterliegt (§ 18 Abs. 2 AsylG). Die dritte Variante, das sogenannte Flughafenschnellverfahren (§ 18a AsylG), an das die jetzt diskutierten „Transitzonen“ angelehnt werden sollen, steht gleichsam dazwischen: Die Einreise wird zunächst nicht gestattet und es wird ein Schnellverfahren eingeleitet, das grundsätzlich binnen zweier Tage eine Entscheidung herbeiführen soll, die dann noch einmal gerichtlich überprüft werden kann. Während der Zeit des Verfahrens wird die Person im Transitbereich untergebracht. Endet das Verfahren mit einem Negativbescheid, so soll die Person möglichst schnell abgeschoben werden. Bis zu 30 Tage darf nach § 15 Abs. 6 AufenthG eine Person im Transitbereich festgehalten werden, danach muss ein Gericht die weitere Unterbringung anordnen.
Das Flughafenschnellverfahren wird derzeit nur angewandt, wenn die antragstellende Person entweder aus einem sicheren Herkunftsstaat kommt oder sich nicht ausweisen kann. Daran soll sich auch nach Vorstellung der Fraktionen von CDU und CSU nicht viel ändern: Dem Positionspapier ist zu entnehmen, dass die Transitzonen und das damit verbundene Schnellverfahren für „Asylbewerber aus sicheren Herkunftsländern, mit Wiedereinreisesperre, mit Folgeanträgen und ohne Mitwirkungsbereitschaft“ gelten soll. Das deckt sich zwar nicht vollständig mit dem derzeit von § 18a AslyG avisierten Personenkreis, bedeutet aber: wer aus Syrien, dem Irak, Afghanistan, Pakistan oder einem sonstigen nicht sicheren Herkunftsstaat dieser Welt kommt, darf zunächst einreisen. Für diesen Personenkreis kommen die Transitzonen also weder nach geltendem Recht noch nach der jetzt von CDU und CSU geplanten Regelung in Betracht. Es bleiben: Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten, etwa vom Westbalkan, aber auch aus Ghana und Senegal, und Menschen, die sich nicht ausweisen können.
„Massengefängnisse“ oder „rechtsstaatlich einwandfreie Einrichtungen“?
Das Schnellverfahren ist nicht unumstritten. Nichtregierungsorganisationen weisen schon länger (zum Beispiel hier und hier) darauf hin, dass aufgrund der kurzen Bearbeitungszeit die Fehlerquote hoch ist, nicht zuletzt, weil es den Menschen häufig schwer fällt, nach wochen- und monatelanger Flucht mit oftmals traumatischen Erlebnissen ihre Fluchtgeschichte stringent zu erzählen und die Asylgründe substantiiert vorzutragen. Auch das muss Teil der politischen Debatte sein. Der zur Zeit prominenteste Streitpunkt ist aber, ob die Unterbringung in Transitzonen eine Freiheitsentziehung darstellt. Die CSU-Fraktion hat dies unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verneint. Horst Seehofer hat seine Haltung außerdem damit begründet, die betroffenen Menschen seien „völlig frei, sich zurückzubewegen in [ihr] Heimatland oder woandershin – nur die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland kann erst erfolgen nach Durchführung des Verfahrens.“
Eben dieses Argument bemühte bereits in den neunziger Jahren die damalige Bundesregierung. Im Rahmen des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht, das zu dem jetzt wieder häufig zitierten Urteil führte, trug sie vor: Die Asylsuchenden könnten sich in dem für sie vorgesehenen Teil des Flughafengeländes frei bewegen. Außerdem könnten sie diesen Ort durch Abreise ins Ausland jederzeit verlassen. Dass dieser Weg wegen der geltend gemachten Verfolgungsgefahr faktisch verschlossen sein könne, sei der Bundesrepublik Deutschland nicht zuzurechnen. Ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG liege nicht vor.
Das Bundesverfassungsgericht lehnte denn auch die Eröffnung des Schutzbereiches ab: Weil es kein Recht auf Einreise in die Bundesrepublik gibt, ist die Bundesrepublik Deutschland der geflüchteten Person überhaupt nicht rechtlich zugänglich. Dazu führt das Gericht aus: „Rechtliche und tatsächliche Hindernisse für das freie Überschreiten der Staatsgrenze berühren deshalb nicht den Gewährleistungsinhalt der durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG geschützten körperlichen Bewegungsfreiheit.“ Dass die antragstellende Person möglicherweise nicht ohne Weiteres wieder ausreisen kann, spielte für das Gericht keine Rolle: „Zwar kann ihnen [den Asylsuchenden] in dieser Lage eine Rückkehr in den Staat, der sie möglicherweise verfolgt, nicht angesonnen werden. Die hieraus folgende Einschränkung der Bewegungsfreiheit ist jedoch nicht Folge einer der deutschen Staatsgewalt zurechenbaren Maßnahme.“
Keine Zurechnung, keine Freiheitsentziehung? Oder faktisch gleiche Wirkung?
Ist damit alles klar? Nicht ganz. Denn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied nur einen Monat nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in einem Verfahren gegen Frankreich, dass Art. 5 Abs. 1 EMRK – also gerade das Recht auf Bewegungsfreiheit – durchaus betroffen ist, wenn der Aufenthalt in der Transitzone einer Freiheitsentziehung faktisch gleichsteht. Daran ändert laut EGMR auch die Möglichkeit der Ausreise nichts, zumal dann, wenn es sich nur um eine theoretische Möglichkeit handelt (Rz. 48). Im konkreten Fall stellte das Gericht einen Verstoß gegen das Recht auf Freiheit der Person fest, weil die Betroffenen während ihres zwanzigtägigen Aufenthalts in der Transitzone keine Möglichkeit hatten, ihre Freiheitsentziehung gerichtlich überprüfen zu lassen. Dies bestätigte der EGMR in der Folge (etwa hier, auch in diesem Fall zog das diesmal von belgischer Regierungsseite vorgetragene Argument der Ausreisemöglichkeit nicht). Die theoretische Ausreisemöglichkeit reicht also nach der Rechtsprechung des EGMR gerade nicht aus, um eine Freiheitsentziehung zu verneinen. Die Zurechenbarkeit spielt für den EGMR keine Rolle.
Und auch unter deutschen Gerichten ist die Lage nicht eindeutig (ausführlicher dazu hier). Während sich die Verwaltungsgerichte mitunter (zum Beispiel hier) darauf berufen, dass ein „luftseitiges Verlassen“ der Bundesrepublik theoretisch möglich ist und deswegen kein Freiheitsentziehung vorliegt, haben ordentliche Gerichte (etwa hier) den erzwungenen Aufenthalt im Transitbereich durchaus als Freiheitsentziehung angesehen.
Transitzonen v. Einreisezentren
Es ist also im Lichte der Rechtsprechung des EGMR mindestens fragwürdig, ob der Verweis auf das bald 20 Jahre alte Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Flughafenschnellverfahren tragfähig ist, um eine Freiheitsentziehung in Transitzonen zu verneinen, jedenfalls dann, wenn die Personen dort über einen längeren Zeitraum festgehalten werden. Denn oftmals wird es den Personen in den Transitzonen nicht ohne Weiteres möglich sein, in ihr Heimatland oder „woandershin“ zurückzukehren. Daniel Thym hat auf diesem Blog erst vor einigen Tagen dargelegt, dass eine Zurückschiebung in andere europäische Länder überhaupt nur nach Abschluss des Schnellverfahrens und auch nur dann möglich ist, wenn die entsprechenden Länder auch kooperieren. Österreich hat mitnichten eine eindeutige Rechtspflicht, Menschen, denen die Einreise nach Deutschland verweigert wird, aus der Transitzone wieder entgegenzunehmen. Damit bleibt eine wirklich reichlich theoretische Möglichkeit der Ausreise, die dazu führt, dass die Menschen faktisch in den Transitzonen festsitzen, wenn ihr Antrag negativ beschieden wurde.
Natürlich sind freiheitsentziehende Maßnahmen nicht schlechterdings verboten. Aber sie unterliegen hohen Rechtfertigungsanforderungen, nicht zuletzt einem strikten Verhältnismäßigkeitsgebot vor allem mit Blick auf schutzbedürftige Personen, etwa unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, aber auch für Kranke oder Schwangere. Insbesondere unterliegen solche Maßnahmen dem Richtervorbehalt. Ein solcher ist jedenfalls im Positionspapier der CDU und CSU-Fraktionen nicht vorgesehen. Seine Einführung bedeutete, einzugestehen, was ein Teil der Koalition derzeit vehement abstreitet: Dass es sich eben doch um Freiheitsentziehung handelt, wenn man über einen bestimmten Zeitraum Menschen faktisch an einem Ort festhält.
Danke für diesen informativen Überblick! Sehr übersichtlich ausgearbeitet.
Frau Merkel sollte öffentlich einen vorläufigen Aufnahmestop anordnen, bis die bereits angekommenen Flüchtlinge sicher registriert u. untergebracht sind. Danach sollten für diese Menschen die Familienzusammenführung stattfinden. 2015 ca. 1,5 Mio. Flüchtlinge plus ca. 5 mal soviel Familienangehörige. Dann den Aufnahmestop lockern und kontrolliert einreisen lassen. Leider kommen jetzt schon tausende über die grüne Grenze zu uns. Es wird täglich mehr. Geschätzt werden ca. bis Jahresende 800 tausend Illegale. Ein Maß der Dinge gibt es nicht mehr. Ein innenpolitisches Chaos sondergleichen. Einzigartig in seiner Form. das kann es nur in Deutschland geben. Das Asylrecht kennt keine Obergrenze. Na, dann man los.
Es wird nicht richtiger, wenn es man es alle paar Tage runterbetet. Der EGMR tut hier nichts zur Sache, da er unterhalb des BVerfG steht. Und das wird sich hier nicht die Butter vom Brot nehmen lassen, nur weil der EGMR in seinem Wirken mal einfach außer Acht lässt, dass es kein Recht auf Einreise gibt und dass eine Verweigerung dieser Einreise keine freiheitsentziehende Maßnahme ist. Es gibt keine Freiheit, einzureisen, daher liegt auch keine “Freiheitsentziehung” vor, denn ich müsste erstmal eine Freiheit haben, die entzogen werden kann. Liegt hier aber nicht vor. Nebelkerzendiskussion.