Darf man den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Textberichterstattung im Internet verbieten?
Den Landesparlamenten liegt derzeit der Zweiundzwanzigste Rundfunkänderungsstaatsvertrag (22. RÄStV) zur Zustimmung vor. Dieser enthält Änderungen des Rundfunkstaatsvertrages (RStV), die den Telemedienauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten betreffen, also im Wesentlichen deren Angebote im Internet. Die vorgesehene Neufassung würde die Befugnisse der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, über das Internet Inhalte mit Text zu verbreiten, erheblich einschränken. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsrechts zur Rundfunkfreiheit lässt allerdings Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der geplanten Neuregelung aufkommen.
Der Zweiundzwanzigste Rundfunkänderungsstaatsvertrag
Dem Beschluss des Staatsvertrages in der Ministerpräsidentenkonferenz ist ein Kompromiss von Vertretern der Presse und der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vorausgegangen, den die Ministerpräsidenten „fast eins zu eins“ übernommen haben sollen. Danach darf in den Internet-Angeboten der Rundfunkanstalten künftig Text nicht mehr im Vordergrund stehen. Im Gegenzug dafür, so heißt es, werde eine Regelung abgeschafft, wonach Inhalte in den Mediatheken nur sieben Tage abrufbar sein dürften. Das ist allerdings irreführend. Zwar gibt es bisher in § 11d RStV eine 7-Tage-Frist, deren Abschaffung politisch immer wieder gefordert wurde. Praktisch hat diese Frist aber kaum eine Bedeutung mehr, denn sie gilt nicht, wenn die Rundfunkanstalt in einem bestimmten Verfahren ein Telemedienkonzept beschlossen hat. Die Konzepte müssen für die Angebote (mit Ausnahme von zeit- und kulturgeschichtlichen Archiven) eine begrenzte Dauer vorsehen, die aber weit mehr als 7 Tage betragen kann. Inzwischen liegen solche Telemedienkonzepte flächendeckend vor. Nach der Neuregelung dürften die Rundfunkanstalten ihre Sendungen ohne ein solches Konzept gar nicht mehr in den Mediatheken anbieten. Die Abschaffung der 7-Tage-Frist erweitert die Rechte der Rundfunkanstalten also nicht, sondern schränkt sie sogar ein (wenn auch ohne große praktische Bedeutung).
Als echte Erweiterung der Befugnisse der Rundfunkanstalten ist nur vorgesehen, dass künftig in den Mediatheken für bis zu 30 Tage nach Ausstrahlung auch angekaufte Spielfilme und Fernsehserien enthalten sein dürfen, wenn es sich um europäische Produktionen handelt. Außerdem wird klargestellt, dass Eigenproduktionen auch schon vor der regulären Ausstrahlung in den Mediatheken abrufbar sein dürfen. Die Verbände der Filmbranche und der privaten Rundfunkanbieter, die an dem Kompromiss nicht beteiligt waren, reagierten nicht erfreut. Um deren Einwände soll es hier aber nicht gehen, sondern um die vorgesehene Einschränkung der Textberichterstattung. Mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk dürfte diese nämlich kaum vereinbar sein.
„Herzstück“ der Reform ist der neue § 11f Abs. 7 RStV-E. Telemedienangebote dürfen danach nicht presseähnlich sein – bisher gilt das nur für „nichtsendungsbezogene“ Angebote (§ 11d Abs. 2 Nr. 3 RStV; zur Auslegung s.u.). Die Neuregelung sieht jedoch auch für sendungsbezogene Angebote vor, dass sie im Schwerpunkt mittels Bewegtbild oder Ton zu gestalten sind, wobei Text nicht im Vordergrund stehen darf. Angebotsübersichten, Schlagzeilen, Sendungstranskripte und Informationen über die jeweilige Rundfunkanstalt und Maßnahmen zum Zweck der Barrierefreiheit bleiben unberührt. Das gilt mit näheren Maßgaben auch für Telemedien, die der Aufbereitung von Inhalten aus einer konkreten Sendung dienen, wenn sie diese thematisch und inhaltlich unterstützen, begleiten und aktualisieren. Zur Anwendung dieser Bestimmungen soll von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und den Spitzenverbänden der Presse eine Schlichtungsstelle eingerichtet werden.
Zum Verbot der nichtsendungsbezogenen presseähnlichen Angebote nach bisherigem Recht hat der Bundesgerichtshof 2015 entschieden, dass Maßstab für die Presseähnlichkeit gedruckte Ausgaben von Zeitungen und Zeitschriften sind. Die Angebote dürfen daher nicht durch „stehende“ Texte und Bilder geprägt sein, sondern müssen ihren Schwerpunkt in einer hörfunk- oder fernsehähnlichen Gestaltung oder einer entsprechenden Kombination haben. Besteht ein Angebot sowohl aus nichtsendungsbezogenen als auch aus sendungsbezogenen Inhalten, ist bei der Prüfung der Presseähnlichkeit aber nur auf erstere abzustellen. Da bei sendungsbezogenen Telemedien der zeitliche und inhaltliche Bezug zu einer bestimmten Sendung nach § 11d Abs. 3 Satz 2 RStV im jeweiligen Telemedienangebot ausgewiesen werden muss, dürfte – so der Bundesgerichtshof – die Unterscheidung unschwer möglich sein (BGH, Urt. v. 30.04.2015, I ZR 13/14, Rn. 62 ff.). Der NDR hat hiergegen (nach Abschluss des betreffenden Verfahrens) eine Verfassungsbeschwerde erhoben, die noch nicht beschieden ist.
Für die Internet-Angebote der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten hat das Tatbestandsmerkmal „nichtsendungsbezogen“ durch diese Rechtsprechung eine sehr große Bedeutung erlangt. Diese dürfen nämlich weiterhin auf Leser zugeschnittene Übersichten und Textbeiträge anbieten, soweit zu den betreffenden Themen auch Fernseh- oder Radioberichterstattung erfolgt und auf diese verwiesen wird. So enthalten Textbeiträge im Internet-Angebot der Tagesschau heute regelmäßig einen Infokasten mit dem Hinweis: „Über dieses Thema berichtete (…) am (…) um (…) Uhr.“ Das dürfte genügen, damit sie im Sinne der dargestellten Rechtsprechung „sendungsbezogen“ und damit zulässig sind. Nach Umsetzung der Änderungen dürften die Internet-Nachrichtenangebote der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Schwerpunkt nur noch aus Sammlungen von Videos mit kurzen Text-Teasern bestehen.
Rundfunkfreiheit als Maßstab
Das Rundfunkrecht ist in besonderem Maße durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägt, das aus dem Grundgesetz eine Bestands- und Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgeleitet hat. Die vorgesehenen Einschränkungen der Befugnisse der Rundfunkanstalten, im Internet und in sonstigen Telemedienangeboten Texte und stehende Bilder einzusetzen, dürften dagegen verstoßen.
In der Rechtslehre werden zur Abgrenzung der Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG sehr verschiedene Ansichten vertreten, wobei weitgehende Einigkeit besteht, dass die Zuordnung für die verfassungsrechtliche Bewertung von Internetangeboten im Ergebnis keine Rolle spielt. Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich entnehmen, dass die Verbreitung von Texten im Internet der Rundfunkfreiheit unterfällt. Entscheidend für den Schutzbereich der Pressefreiheit ist nach dem Bundesverfassungsgericht nämlich, dass eine Publikation in gedruckter und zur Verbreitung geeigneter und bestimmter Form am Kommunikationsprozess teilnimmt – es kommt allein auf das Kommunikationsmedium an, nicht auf den Vertriebsweg oder Empfängerkreis (BVerfG, Beschl. v. 08.10.1996, 1 BvR 1183/90, Rn. 26). Der Begriff „Rundfunk“ wiederum beschränkt sich nicht nur auf die herkömmliche Technik, sondern bezieht auch rundfunkähnliche Kommunikationsdienste ein (BVerfG, Beschl. v. 24.03.1987, 1 BvR 147/86).
Aus der Rundfunkfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht eine Bestands- und Entwicklungsgarantie für einen staatlich verantworteten, aber staatsfern ausgestalteten öffentlich-rechtlichen Rundfunk entwickelt. Der Rundfunk ist laut Bundesverfassungsgericht nicht nur Medium, sondern auch Faktor der öffentlichen Meinungsbildung. Art. 5 GG verlangt, dass der Rundfunk weder dem Staat noch einer gesellschaftlichen Gruppe ausgeliefert wird (BVerfG, Urt. v. 28.02.1961, 2 BvG 1/60). Angesichts der Bedeutung des Rundfunks darf der Gesetzgeber diesen nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen, zumal Fehlentwicklungen – wenn überhaupt – nur unter erheblichen Schwierigkeiten rückgängig gemacht werden können (BVerfG, Urt. v. 16.06.1981, 1 BvL 89/78). Lässt der Gesetzgeber privaten Rundfunk zu, ist die unerlässliche „Grundversorgung“ Sache der öffentlich-rechtlichen Anstalten (BVerfG, Urt. v. 04.11.1986, 1 BvF 1/84). Das bedeutet aber nicht, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf eine Mindestversorgung reduziert werden könnte. Das Bundesverfassungsgericht hielt es für unzulässig, (seinerzeit neuartige) Angebote wie Ton- und Bewegtbilddienste oder lokalen Rundfunk privaten Anbietern vorzubehalten. Auch jenseits der Grundversorgung muss dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Anpassung an veränderte Umstände ermöglicht werden (BVerfG, Beschl. v. 24.03.1987, 1 BvR 147/86). Unter den bestehenden Bedingungen gilt eine Bestands- und Entwicklungsgarantie, die gewährleistet, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht auf den gegenwärtigen Entwicklungsstand in programmlicher, finanzieller und technischer Hinsicht beschränkt wird (BVerfG, Urt. v. 05.02.1991, 1 BvF 1/85).
Das Bundesverfassungsgericht hat an seiner Rechtsprechung zu den Garantien für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk stets festgehalten. Zuletzt hat es sich im Urteil vom 18.07.2018 dahingehend geäußert, dass dessen Angebot durch die Informationsverbreitung über das Internet nicht infrage gestellt wird: Die Netz- und Plattformökonomie des Internet begünstigt Konzentrations- und Monopolisierungstendenzen. Zudem besteht die Gefahr, dass – auch mit Hilfe von Algorithmen – Inhalte gezielt auf Interessen und Neigungen der Nutzerinnen und Nutzer zugeschnitten werden, was wiederum zur Verstärkung gleichgerichteter Meinungen führt. Auch treten verstärkt nicht-publizistische Anbieter ohne journalistische Zwischenaufbereitung auf. Angesichts dieser Entwicklung wächst die Bedeutung der dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk obliegenden Aufgabe, durch authentische, sorgfältig recherchierte Informationen ein Gegengewicht zu bilden (BVerfG, Urt. v. 18.07.2018, 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 79 f.).
Fehlen einer Rechtfertigung
Verfassungsrechtlich zu rechtfertigen sind Maßnahmen, die die Rundfunkfreiheit berühren, nach der Dogmatik des Bundesverfassungsgerichts entweder als ausgestaltende Regelungen oder aber als Eingriffe in die Rundfunkfreiheit auf der Grundlage des Art. 5 Abs. 2 GG oder kollidierenden Verfassungsrechts (vgl. insb. BVerfG, Urt. v. 04.11.1986, 1 BvF 1/84). Vorliegend dürfte, wenn überhaupt, eine Rechtfertigung als ausgestaltende Regelung in Betracht kommen. Gesetzliche Maßnahmen, welche die Rundfunkfreiheit berühren, sind nach dem Bundesverfassungsgericht als ausgestaltende Regelungen zulässig, wenn sie der besseren oder zumindest gleichwertigen Sicherung dieser Freiheit dienen (BVerfG, Beschl. v. 24.03.1987, 1 BvR 147/86). Da die Einschränkungen für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten von der Hoffnung getragen werden, dass sich die Situation der Presseverlage verbessert, ließe sich argumentieren, dass sie im Ergebnis zu mehr Meinungsvielfalt führen sollen.
Eine vergleichbare Argumentation hat das Bundesverfassungsgericht jedoch bereits im Beschluss vom 24.03.1987 verworfen. Das Verbot öffentlich-rechtlicher Programme im regionalen und lokalen Rundfunk bestand nach der Begründung des (für verfassungswidrig erklärten) Landesmediengesetzes gerade zum Schutz privater Anbieter vor der Konkurrenz der Landesrundfunkanstalten. Dazu führte Bundesverfassungsgericht aus, diese wirtschaftlichen Gründe rechtfertigten kein Verbot von Beiträgen zur regionalen und lokalen Meinungsbildung durch den Rundfunk. Marktchancen könnten eine Frage wirtschaftlicher Freiheit, nicht aber der Meinungsfreiheit sein. Für Maßnahmen zur Sicherung der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit privater Anbieter dürfe der Gesetzgeber nicht den Weg einer Einschränkung des publizistischen Wettbewerbs wählen (BVerfG, Beschl. v. 24.03.1987, 1 BvR 147/86).
Zwar wäre eine andere Beurteilung in der heutigen Lage nicht schlechthin ausgeschlossen. Man könnte argumentieren, dass die klassische Presse, die ein wichtiger und vom Bundesverfassungsgericht anerkannter „Pfeiler“ der freien Meinungsbildung ist, durch die technische und gesellschaftliche Entwicklung in einem damals nicht vorhergesehenen Ausmaß bedroht ist. Wenn man davon ausginge, dass unter den heutigen Bedingungen nur ein Wettbewerbsverbot für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Bedingungen für eine freie, umfassende und wahrheitsgemäße Meinungsbildung sichern könnte, müsste ein solches Verbot gerechtfertigt sein. Betrachtet man allerdings die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rundfunkfreiheit, dann zeigt sich, dass dem Gesetzgeber insoweit keine Einschätzungsprärogative zugebilligt wird. Das wird am deutlichsten im Urteil vom 16.06.1981betreffend die Einführung privaten Rundfunks: Auch bei einem Wegfall der Sondersituation des Rundfunks kann danach nicht „mit hinreichender Sicherheit“ erwartet werden, dass das Programmangebot in seiner Gesamtheit kraft Wettbewerbs den Anforderungen der Rundfunkfreiheit entsprechen wird. Gewiss, so das Bundesverfassungsgericht, mag manches dafür sprechen, dass sich dann eine begrenzte Vielfalt einstellen wird, doch handelt es sich dabei „nur um eine Möglichkeit“. Der Gefahr zu begegnen, dass einzelne Meinungsträger an der öffentlichen Meinungsbildung vorherrschend mitwirken, ist laut Bundesverfassungsgericht sicher nicht mit letzter Gewissheit möglich; zumindest muss aber eine „hinreichende Wahrscheinlichkeit“ bestehen, dass sich im gesetzlich geordneten Rundfunksystem eine gleichgewichtige Vielfalt einstellt (BVerfG, Urt. v. 16.06.1981, 1 BvL 89/78).
Auch heute ist die Hoffnung, ein Wettbewerbsverbot für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk hinsichtlich presseähnlicher Telemedienangebote werde insgesamt zu mehr Meinungsvielfalt führen, kaum mehr als „nur eine Möglichkeit“. Gegen eine „hinreichende Wahrscheinlichkeit“ spricht etwa der Vergleich mit dem Ausland. Die Krise der Presse ist nicht auf Länder begrenzt, in denen staatlich organisierte kostenlose Angebote eine erhebliche Bedeutung haben. Auch kann man befürchten, dass in eine Lücke, die durch den Wegfall kostenfreier öffentlich-rechtlicher Angebote entsteht, nicht journalistisch hochwertige und Vielfalt sichernde Bezahlangebote der freien Presse treten, sondern kostenlose Angebote von Meinungsträgern mit ausreichenden Mitteln, denen es primär um die Beeinflussung der öffentlichen Meinung geht. Das könnte dazu führen, dass nur die Ansichten dieser Meinungsträger besser zur Geltung kommen, ohne dass dem ein wesentlich verbessertes Angebot der Presseverlage gegenüber steht.
Viel spricht dafür, dass der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts das ebenso sehen wird. Im oben genannten Urteil vom 18.07.2018 hat er jedenfalls darauf abgestellt, dass die Bedeutung der Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, durch authentische, sorgfältig recherchierte Informationen ein Gegengewicht zu bilden, angesichts der aktuellen Entwicklungen im Internet wachse (BVerfG, Urt. v. 18.07.2018, 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 79 f.). Die Entscheidung erging einen guten Monat nach der Vereinbarung des 22. RÄStV am 14.06.2018. Die Begründung lässt sich als „Fingerzeig“ lesen, dass das Bundesverfassungsgericht nicht der Auffassung sein dürfte, der öffentlich-rechtliche Rundfunk könne heute im Wesentlichen auf die traditionelle Bewegtbild- und Tonberichterstattung beschränkt werden. Die Aufgabe, ein Gegengewicht zu problematischer Berichterstattung im Internet zu bieten, ließe sich mit beschränktem Zugriff auf das Gestaltungsmittel der Textberichterstattung nämlich nur eingeschränkt wahrnehmen.
M.E. sollte man die Definition von Pressefreiheit als ausschließlich gedrucktes Erzeugnis als überkommen verwerfen und stattdessen das heutige funktionale Äquivalent der Berichterstattung durch Websites (Zeitungen, Blogs o.Ä.) dem Schutzbereich der Pressefreiheit zuordnen. Damit würde man zugleich dem ursprünglichen Auftrag der öf Rundfunkanstalt – der Information und Unterhaltung in Ton und Bild – gerecht werden. Mit Blick auf den vom Autor auch erkannten Eckpfeiler von Art. 5 GG – der freien Presse als Institut – täte eine Begrenzung der publizistischen Tätigkeit der ör Anstalten den privaten Verlegern sicherlich gut. Denn wieso sollte ich für Nachrichten der Hannoverschen Allgemeinen zahlen bzw. Werbung ertragen, wenn ich sie genauso gut auf NDR.de kostenlos und werbefrei erhalten kann.
Das BVerfG hat ferner in der Ausgangskonzeption das ör Rundfunksystem in Deutschland gerade nur bzgl. des Rundfunks (als Sondersituation) gebilligt; eine Erweiterung um Printangebote ausgeschlossen (vgl. BVerfGE 12, 205 [260]). Die Entwicklungsgarantie des Rundfunks sollte daher nicht mit einer Garantie zur optimalsten Partizipation an der Errungenschaft Internet verwechselt werden. Viel mehr kann der ör Rundfunk sein dringend benötigtes Gegengewicht in einer Welt voller „alternative facts“ und „fake news“ auch bieten, wenn er in Ton- und Bild seriös informiert und ggf. begleitende und hinweisende Texte herausgibt. Damit würde er seinem ursprünglichen Auftrag jedenfalls wieder näherkommen.
Vielen Dank für Ihren Kommentar, der mir erlaubt, noch auf zwei Punkte einzugehen, für die mir das Format nicht den nötigen Raum zu geben schien:
1. Würde man die Textberichterstattung im Internet dem Schutzbereich der Pressefreiheit statt dem der Rundfunkfreiheit unterstellen, dürfte das auch vom Standpunkt des BVerfG aus am Ergebnis nichts ändern. Zwar hat das BVerfG der Pressefreiheit und der Rundfunkfreiheit sehr unterschiedliche objektiv-rechtliche Gehalte entnommen. Während es aus der Rundfunkfreiheit – wie dargestellt – eine Bestands- und Entwicklungsgarantie für einen staatlich verantworteten, aber staatsfern ausgestalteten öffentlich-rechtlichen Rundfunk entwickelt hat, hat es zur Pressefreiheit entschieden, die der Presse zufallende Aufgabe könne nicht von der organisierten staatlichen Gewalt erfüllt werden. Die Presseunternehmen stünden miteinander in geistiger und wirtschaftlicher Konkurrenz, in die die öffentliche Gewalt grundsätzlich nicht eingreifen dürfe (BVerfG, Urt. v. 05.08.1966, 1 BvR 586/62 = BVerfGE 20, 162 – „Spiegel-Urteil“). Zu erklären ist das dadurch, dass das BVerfG sowohl eine funktionierende privatwirtschaftliche freie Presse als auch einen funktionierenden öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorgefunden und vor Eingriffen geschützt hat. Deren unterschiedliche Behandlung hat das BVerfG nie an einem rechtsdogmatischen Unterschied von Presse- und Rundfunkfreiheit festgemacht, sondern sie mit Unterschieden der Tatsachengrundlage begründet.
2. Während das BVerfG an den Garantien für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk stets festgehalten hat, hat es die Tatsachengrundlage, mit der es diese begründet, im Laufe der Jahrzehnte weiterentwickelt. Sie verweisen in Ihrem Kommentar auf das Erste Rundfunkurteil (BVerfG, Urt. v. 28.02.1961 = BVerfGE 12, 205). Dort hatte das BVerfG mit einer Sondersituation im Bereich des Rundfunkwesens argumentiert, die sich im Vergleich zur Presse daraus ergab, dass aus technischen Gründen sowie wegen dem großen finanziellen Aufwand die Zahl der Rundfunkanbieter klein bleiben musste. Als später die Zahl der Rundfunkanbieter und die Kapazitäten der Übertragungswege zunahmen, hat das BVerfG stattdessen mit der besonderen Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft des Mediums Rundfunk argumentiert (Urt. v. 22.02.1994, 1 BvL 30/88 = BVerfGE 90, 60 – Erstes Rundfunkgebührenurteil). Die neueste Wendung ist die Begründung im Urteil vom vergangenen Juli (BVerfG, Urt. v. 18.07.2018, 1 BvR 1675/16 – Rundfunkbeitrag). Wie dargestellt verweist das BVerfG nunmehr auf die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk obliegenden Aufgabe, durch authentische, sorgfältig recherchierte Informationen ein Gegengewicht zu problematischen Entwicklungen im Internet zu bilden. Eine (weitgehende) Beschränkung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Internet auf Ton und Bewegtbild lässt sich mit der Abgrenzung zur Presse im Ersten Rundfunkurteil deshalb nicht stützen.
Zu bedenken geben möchte ich auch: Tagesaktuelle Nachrichtensendungen, die allein mit Ton und Bewegtbild auskommen, könnten sich zu einem Nischenprodukt entwickeln. Ich weise auf eine Studie unter https://hans-bredow-institut.de/uploads/media/Publikationen/cms/media/t611qnd_44RDNR18_Deutschland.pdf hin, wonach (Stand 2018) nur 8 % der befragten deutschen Internet-Nutzer Nachrichten im Internet bevorzugt als Video ansahen und 11% in Zukunft mehr Nachrichtenvideos sehen wollten.60 % sagten, dass sie Nachrichten im Internet meist in schriftlicher Form lesen und sich höchstens gelegentlich ein Video ansehen.
Sehr geehrter Herr Möller,
vielen Dank für Ihre aufschlussreiche Antwort.
Die von Ihnen aus der 2018er Entscheidung zitierte Passage stützt – wie die Entscheidungen von 1961 und 1994 – zweifelsohne das aktuelle Rundfunksystem als Gegengewicht zur teils trügerischen Informationsvielfalt des Internets. In diesen Punkt gebe ich Ihnen vorbehaltlos Recht. Jedoch erscheint mir der Schluss, dass man hieraus auch die bereits bestehende Textberichterstattung weiterhin zu betreiben hat bzw. ein Verbot dessen verfassungswidrig wäre, hinsichtlich der aufgezeigten Ton- und Bildberichterstattung als nicht zwingend. Die Tatsache, dass solche Formate weniger rezipiert werden ist sicherlich nicht förderlich für den ör Rundfunk als Gegengewicht, allerdings erscheint mir die Textberichterstattung lediglich dort als geboten, wo aufgrund mangelnder Vielfalt und Qualität private Akteure am Markt versagen. Mit Blick darauf, dass einerseits die Verlagshäuser ihre Artikel und Kolumnen im Internet – teils sogar kostenlos – anbieten und andererseits, dass diese ursprünglichen Printangebote als funktionierendes Informationsangebot angesehen wurden und werden, erscheint mir eine Beschränkung der publizistischen Tätigkeit der ör Rundfunkanstalten als zulässig. Ferner auch mit Blick auf eine verfassungsimmanente Begrenzung zu Gunsten des Schutzes des Instituts einer freien Presse, die durch den ör Rundfunk und seine Textberichterstattung unter Druck gerät/ geraten könnte.
Eine Frage könnte natürlich sein, ob man momentan nicht an einem Scheidepunkt steht. Die Gefahr, dass der demokratische und pluralistische Diskurs weitestgehend verloren geht, erscheint mit Blick auf die „Debattenkultur“ in sozialen Netzwerke als tatsächlich nicht unbegründet. Sollte dieser Fall eintreten und könnten private Akteure dies nicht auffangen bzw. sich hieran sogar beteiligen, so müssten die ör Anstalten einspringen. Dann selbstverständlich auch mit Textberichterstattung.
@Verfassungsrechtler_Jr.: Ich stimme Ihnen zu, dass eine Beschränkung der publizistischen Tätigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Internet auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gut vertretbar ist, wenn gesichert ist, dass private Akteure am Markt für ausreichende Vielfalt und Qualität sorgen. Festmachen kann man das in den Formulierungen des BVerfG daran, dass die Bestands- und Entwicklungsgarantie nur „unter den bestehenden Bedingungen“ gilt. Ausgangspunkt des BVerfG ist, dass die Rundfunkfreiheit ebenso wie die Pressefreiheit eine der Meinungsfreiheit „dienende Freiheit“ ist. Wenn auch die öffentlich-rechtlichen ein Gesamtangebot gewährleistet ist, in dem „die für die freiheitliche Demokratie konstitutive Meinungsvielfalt zur Darstellung gelangt“ (Urt. v. 16.06.1981, 1 BvL 89/78) sowie Qualität und Authentizität gewährleistet sind, braucht es die öffentlich-rechtlichen nicht. Das Problem ist hier die Feststellung der Tatsache: Ist das wirklich gesichert?
Regelmäßig gesteht das BVerfG dem Gesetzgeber für die Frage, welche Folgen sich nach gesetzgeberischen Maßnahmen einstellen werden, einen Beurteilungs- und Prognosespielraum („Einschätzungsprärogative“) zu. Deshalb ist sehr interessant, was das BVerfG im Dritten Rundfunkurteil entschieden hat: Zwar möge (im Falle der Zulassung eines nicht regulierten privaten Rundfunks) manches dafür sprechen, dass sich dann eine begrenzte Vielfalt einstellen werde, „wie sie heute etwa im Bereich der überregionalen Tageszeitungen besteht. Doch handelt es sich dabei nur um eine Möglichkeit“. Vielmehr müsse „eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehen, daß sich in dem gesetzlich geordneten Rundfunksystem eine solche gleichgewichtige Vielfalt einstellt“. Von einer Einschätzungsprärogative ist hier gerade nicht die Rede.
Die Begründung hierfür findet sich u.a. in einer Formel, die das BVerfG in späteren Entscheidungen immer wieder bestätigt hat: Es würde der Rundfunkfreiheit nicht gerecht, wenn nur staatliche Eingriffe ausgeschlossen würden und der Rundfunk dem freien Spiel der Kräfte überlassen würde – „dies um so weniger, als einmal eingetretene Fehlentwicklungen – wenn überhaupt – nur bedingt und nur unter erheblichen Schwierigkeiten rückgängig gemacht werden könnten“ (Urt. v. 16.06.1981, 1 BvL 89/78 – Link oben im Artikel). Der Idee, mit etwas Mut zum Risiko zu erproben, ob sich in einem Teilbereich des Rundfunks auch ohne die öffentlich-rechtlichen Anbieter die erforderliche gleichgewichtige Vielfalt einstellt, erteilt das BVerfG eine klare Absage. Gefordert wird zwar keine Sicherheit, aber eine „hinreichende Wahrscheinlichkeit“, dass das Medium im Sinne der Meinungsfreiheit “funktioniert”.