Die EU spricht auch Italienisch – aber nur im Prinzip
Die EU hat im Regelfall, soweit irgendwie möglich, in sämtlichen ihrer 23 Amtssprachen zu kommunizieren. Bulgarisch, Maltesisch, Irisch, you name it.
Diese bemerkenswerte Aussage findet sich in Schlussanträgen der EuGH- Generalanwältin Juliane Kokott, die gestern veröffentlicht wurden. Italien hatte in dem Fall dagegen geklagt, dass in einer EU-Stellenausschreibung verlangt worden war, dass die Bewerber als Zweitsprache Englisch, Französisch oder Deutsch beherrschen. Das sei diskriminierend. Das Gericht Erster Instanz hatte die Klage abgewiesen. Jetzt ist der EuGH am Zug.
Die deutsche Generalanwältin legt sich auf der grundsätzlichen Ebene enorm ins Zeug für das Prinzip der Vielsprachigkeit: Dieses gehöre als Teil der kulturellen Vielfalt der Union und der nationalen Identitäten der Mitgliedsstaaten seit jeher zu den Grundsätzen des Unionsrechts, heute wegen Art. 22 GRC sowieso. Und wenn ohne guten Grund eine Sprache vor den anderen bevorzugt wird, dann könne das den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 20 GRC verletzen.
Ich finde das völlig richtig, die EU-Institutionen daran zu erinnern, dass die Sprachenvielfalt in Europa kein lästiges Integrationshemmnis ist, sondern unbedingt dazugehört. Wenn die Italiener nur dann Unionsbürger sein können, wenn und soweit sie flüssig in den Brüsseler/Luxemburger Linguae Francae Englisch und Französisch mitzwitschern können, dann wird da nicht viel draus werden mit der Unionsbürgerschaft. Meine Sprache ist mein Vaterland, hat Pessoa mal gesagt, und das stimmt auch und gerade in einer Zeit, in der ethnische, territoriale und historische Zusammengehörigkeiten innerhalb Europas immer mehr in den Hintergrund treten.
Soweit das Prinzip. Aber was folgt daraus?
Das ist eine ganz andere Sache, wie auch Generalanwältin Kokott sogleich einräumt. Auch sie verschließt die Augen nicht davor, dass ein äußerst polyglotter EU-Beamter, der die Sprachen Rumänisch, Estnisch, Dänisch, Ungarisch und Finnisch fließend in Wort und Schrift beherrscht und sonst keine, in seinem Beruf schlechterdings nicht zu gebrauchen wäre. Die Generalwältin ist gerne bereit,
die Möglichkeit interner Kommunikation (als) zwingende Voraussetzung des Funktionierens ihrer Dienststellen
zu akzeptieren. Für EU-Beamte sei es daher
von entscheidender Bedeutung, ob sie Sprachen beherrschen, die in diesen Dienststellen bereits faktisch als interne Arbeitssprachen verwendet werden. Es nützt nichts, wenn ein Bediensteter mehrere Amtssprachen perfekt beherrscht, die in seiner Dienststelle niemand sonst versteht.
Mit anderen Worten: Wenn in auf den Fluren in Brüssel, Straßburg und Luxemburg Englisch und Französisch (und von mir aus auch ab und zu mal Deutsch) gesprochen wird, dann ist zwar eine diskriminierende Gemeinheit. Aber es geht halt nicht anders.
Die Generalanwältin stuft dann noch einmal ab, ob, wenn schon nicht alle, dann doch mehrere Sprachen verwendet wurden, nach dem Motto: Ein bisschen Sprachenvielfalt ist besser als gar keine. Das leuchtet mir schon mal nicht unbedingt ein: Ob nun in Brüssel Englisch und Französisch oder nur Englisch gesprochen wird – für einen Italiener kommt das aufs Gleiche hinaus, solange jedenfalls seine Sprache keiner spricht.
Aber egal, Frau Kokott jedenfalls wird ganz besonders streng, wenn nur eine einzige Sprache akzeptiert wird: Dann müssen “zwingende Gründe” her.
Auch das klingt aber radikaler, als es offenbar gemeint ist. Als “zwingenden Grund” fällt Frau Kokott nämlich als allererstes dieses Beispiel ein:
… – im Rahmen der Beratungen des Gerichtshofs etwa die Tradition, seit 1954 Entscheidungen intern ausschließlich in französischer Sprache zu entwerfen.
Wer nach dem “zwingenden Grund” gefragt wird, braucht also nur zu antworten: Haben wir immer schon so gemacht.
Wie entlarvend.
Foto: Tavallai, Flickr Creative Commons
Das leuchtet mir nicht ein. Wenn ein Italiener gut Französisch spricht, aber schlecht oder nicht Englisch, dann nutzt ihm doch die (eingeschränkte) Sprachenvielfalt in diesem Fall.
Es soll ja auch ein paar Deutsche geben, die ihre ganze kulturelle Existenz dem Englischen verschrieben haben und keine andere Fremdsprache können. Dann hilft auch ihnen die (eingeschränkte) Sprachenvielfalt, wenn eben nicht nur Französisch, sondern im Einzelfall auch Französisch und Englisch in einer Abteilung akzeptiert werden.
das “Gericht erster Instanz” (GEI) heißt inzwischen übrigens einfach “Gericht” (EuG): http://de.wikipedia.org/wiki/Gericht_der_Europ%C3%A4ischen_Union