Geschlechtliche Selbstbestimmung im Recht umsetzen
Eine Dekonstruktion der bestehenden Widerstände
Die Frage, wie sich geschlechtliche Selbstbestimmung rechtlich umsetzen lässt, beschäftigt seit einigen Jahren die Gerichte, Politik und Wissenschaft. Bislang blieb die Rechtslage hinter den Forderungen nach Anerkennung und Gleichstellung von geschlechtlich vielfältigen Lebensweisen zurück. Nun wurden zwei Gesetzesentwürfe in den Bundestag eingebracht, die auf eine Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung durch Reformierung des personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrages abzielen. Die beiden Vorschläge – einer von der FDP-Fraktion und einer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – wurden am 2. November in einer Öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat zur Diskussion gestellt. Dabei haben die schwachen Argumente der Antagonist:innen, die auf eine Sicherung des status quo abzielen lediglich gezeigt, dass eine Reform unumgänglich geworden ist.
Was auf dem Tisch liegt
Die Idee der beiden vorliegenden Gesetzesentwürfe ist denkbar simpel: der rechtliche Geschlechtseintrag soll künftig allein durch Erklärung gegenüber dem zuständigen Standesamt geändert werden können. Ohne irgendwelche Gutachten oder Bescheinigungen vorlegen zu müssen, sollen Personen frei zwischen den vier bestehenden Geschlechtseinträgen (weiblich, divers, männlich und ohne Angabe) wählen können. Eine konsequentere Umsetzung von geschlechtlicher Selbstbestimmung ist – vielleicht bis auf eine generelle Abschaffung des rechtlichen Geschlechtseintrages, die aktuell jedoch politisch nicht wirklich zur Debatte steht, – kaum denkbar. Angesichts dessen ist es zwar enttäuschend, jedoch nicht überraschend, dass in der Debatte im Innenausschuss viele Argumente vorgebracht wurden, die, obgleich nicht den Zusammenbruch des Rechtssystems, so doch erhebliche Gefahren bei der Umsetzung der Vorschläge suggerieren. Ich dekonstruiere sie im Folgenden anhand von drei übergeordneten Motiven: Objektivierbarkeit, Missbrauch und Paternalismus.
Das ‚objektive‘ Geschlecht
Es führte in dieser Debatte im Innenausschuss kein Weg an der Frage vorbei, ob es eine rechtlich zugängliche, objektive Wahrheit über das Geschlecht gibt. Während eine Mehrheit der Sachverständigen, die sich seit vielen Jahren mit der Thematik aus juristischer, geschlechtstheoretischer und zivilgesellschaftlicher Perspektive befassen, einer solchen Vorstellung vehement entgegentrat (siehe Stellungnahmen Hümpfner, Lembke, Mangold), berief sich insbesondere der Mediziner Korte auf die Objektivität seiner Profession. In der medizinischen und biologischen Forschung gibt es allerdings schon länger keine Einigkeit mehr über die Aussagekraft und Wesensmerkmale des „biologischen Geschlechts“.
Entsprechend anachronistisch ist es, dass das Personenstandsrecht Geschlecht nach wie vor als eine rein objektiv bestehende Sachlage ansieht und deren „Beurkundung“ bei Geburt anordnet (§21 Abs. 1 Nr. 3 PStG). Zwar ist eine spätere Änderung des Geschlechtseintrages mittlerweile möglich, allerdings müssen Antragssteller:innen zusätzliche Anforderungen erfüllen. Ihnen wird auferlegt, im Rahmen eines Fremdbegutachtungsprozesses einen vermeintlich objektiven Nachweis über ihre Geschlechtlichkeit zu erbringen. Unter dem Transsexuellengesetz („TSG“), welches Personen mit „transsexueller Prägung“ die Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen erlaubt, müssen Antragsteller:innen ihre geschlechtliche Identität durch zwei unabhängige Sachverständigengutachten nachweisen. Diese werden in der Regel von Psycholog:innen erstellt. Im 2018 geschaffenen § 45 b PStG wird für die Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen hingegen eine ärztliche Bescheinigung über eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ gefordert.
Das BVerfG hat die Idee einer objektiven Geschlechterordnung in seiner Rechtsprechung zunehmend in den Hintergrund treten lassen. Mit der sowohl unter Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG als auch unter Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG geschützten geschlechtlichen Identität betont es die „individuelle Entscheidung“ (BVerfG, NJW 1997, 1632) und das „eigene Empfinden“ (BVerfGE 147, 1) des Individuums in Bezug auf sein Geschlecht. Wenn laut BVerfG das geschlechtliche Selbstbild der Person im Mittelpunkt steht, erschließen sich die oben beschriebenen Begutachtungsprozesse nicht. Denn wie sollte geschlechtliches Empfinden objektiviert werden? Diese Frage wird inzwischen zunehmend in Medizin und Psychologie diskutiert – den Professionen, die vom TSG und PStG zur Begutachtung berufen werden. In einigen medizinischen Leitlinien wurde in den letzten Jahren das Prinzip der Selbstbestimmung in Bezug auf das Geschlecht gestärkt. Angesichts des sich vollziehenden Paradigmenwechsels ist es höchste Zeit, Selbstbestimmung im Personenstandsrecht stärker zu berücksichtigen. Dass die Rechtsordnung bei trans* und nicht-binären Personen erhöhte Anforderungen an die Anerkennung ihrer geschlechtlichen Identität stellt, widerspricht den geltenden verfassungsrechtlichen Grundsätzen.
Missbrauchsrisiko
Die Argumente, die einen objektiven Nachweis der Geschlechtszugehörigkeit als unabkömmlich darstellen, suggerieren häufig, dass Selbstbestimmung die Gefahr von Missbrauch mit sich bringe. In den hierbei entworfenen Szenarien wechseln Personen im schlimmsten Fall täglich ihren Geschlechtseintrag und produzieren damit erheblichen Verwaltungsaufwand. Darüber hinaus seien die Dauerhaftigkeit und Konsistenz des Personenstandsregisters gefährdet und die geschlechtsspezifische Zuordnung von Rechten und Pflichten nicht mehr möglich. Selbstbestimmung verschwimmt in diesen fiktiven Chaosszenarien mit Beliebigkeit. Selbst wenn die Gesetzgebung bestimmte Rechte und Pflichten legitimerweise an das (personenstandsrechtliche) Geschlecht knüpfen darf, steht dies einer auf Selbsterklärung basierenden Geschlechtszuordnung nicht grundsätzlich im Wege. Auch damit können die jeweiligen Rechte und Pflichten eindeutig zugeordnet und Personen im Rechtsverkehr identifiziert und charakterisiert werden. Dass die Gefahr von exzessiven Geschlechtswechseln eher gering einzuschätzen ist, verdeutlicht Hümpfner vom Bundesverband Trans* im Innenausschuss: bislang hat lediglich 1% der Antragsteller:innen unter dem TSG mehr als einmal eine personenstandsrechtliche Änderung des Geschlechts vorgenommen. Auch in Ländern, in denen es bereits jetzt möglich ist, den Geschlechtseintrag durch Selbsterklärung zu ändern, ist bislang weder ein Zusammenbruch der Verwaltung noch des Rechtssystems erkennbar (Althoff / Schabram / Follmar-Otto, 2017, S. 53).
Vor diesem Hintergrund sind die gezeichneten Chaosszenarien kaum plausibel. Die Gefahr von Missbrauch ist lediglich als gering und abstrakt einzuschätzen. Dem stehen aktuell schwere Eingriffe in das Recht auf selbstbestimmte geschlechtliche Identität gegenüber: zum einen mit den zwei kostenintensiven Gutachten nach dem TSG und zum anderen mit der von § 45 b PStG vorgeschriebenen ärztlichen Fremdbestimmung.
Paternalismus
Was für Gegenargumente bleiben also übrig? Nicht nur reaktionäre Kräfte klammern sich als letzten Strohhalm an paternalistische Erwägungen. Darin wird suggeriert, Individuen vor einer allzu fluiden Geschlechterpolitik schützen zu müssen. Auffällig ist, dass diese vorauseilende Fürsorglichkeit insbesondere Frauen und Mädchen betrifft (siehe beispielsweise Stellungnahme Becker, S. 6 und Stellungnahme Korte, S. 4), also ironischerweise diejenigen, die von der bisherigen Geschlechterordnung mitnichten profitiert haben. Entsprechend verdächtig ist es, wenn Frauenpolitik jetzt vorgeschoben wird, um der gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe von vielfältigen geschlechtlichen Identitäten den Riegel vorzuschieben. Beatrix von Storch beschwört in der Debatte im Innenausschuss nicht zum ersten Mal das Bild „biologischer Männer“ herauf, die sich als Frauen „ausgeben“, um Gleichstellungsfördermaßnahmen und geschützte Frauenräume zu infiltrieren. Die hier bedienten transphoben Narrative sind erschreckenderweise nicht nur in rechter Rhetorik präsent. Sogar in manchen feministischen Kreisen wird trans* Personen mitunter ihr geschlechtliches Empfinden abgesprochen und „Frausein“ als eine ausschließlich biologische Kategorie proklamiert.
Der Mediziner Korte bedient noch in etwas anderer Weise paternalistische Argumentationsmuster. Er verweist auf eine zunehmende Zahl von „Mädchen“, die sich in einer noch nicht abgeschlossenen Phase ihrer sexuellen und geschlechtlichen Entwicklung befinden und Unbehagen über das ihnen zugewiesene Geschlecht äußern. Diese müssten Kortes Ansicht nach vor einer verfrühten Entscheidung über ihre geschlechtliche Identität bewahrt werden. Dass derartige Argumente der Gleichstellung keinen Dienst erweisen, liegt auf der Hand. Sie konstruieren Menschen, die aufgrund ihrer körperlichen Merkmale als weiblich eingeordnet werden, als grundsätzlich schutzbedürftig – sowohl vor anderen als auch vor ihren eigenen Entscheidungen.
Cis und trans* Frauen, trans* Männer sowie nicht-binäre und genderqueere Personen können auf diesen Paternalismus getrost verzichten. Wie eine Mehrheit der Sachverständigen im Innenausschuss immer wieder betonen muss, weisen auch die vom BVerfG gezogenen Linien in eine andere Richtung: weg von einer Geschlechterordnung, die Menschen aufgrund körperlicher Merkmale bestimmte Rollen zuweist, hin zu Gleichberechtigung und Selbstbestimmung. Dabei steht es außer Zweifel, dass zur effektiven Ausübung der gleichberechtigten Selbstbestimmung staatlicherseits bestimmte Grundvoraussetzungen geschaffen werden müssen. Hierzu gehört unter anderem, den Zugang zu Beratungsangeboten durch Peers und zu einer sensiblen medizinischen und psychologischen Begleitung zu gewährleisten. Das greifen die Gesetzesvorschläge von FDP und Grünen auf. Um darüber hinaus eine freie, ergebnisoffene Entwicklung ohne „verführte“ Festlegung zu fördern, sollte die Politik endlich ernsthaft über den vom Deutschen Institut für Menschenrechte im Jahr 2017 eingebrachten Gesetzesentwurf diskutieren, der vorsieht, den Geschlechtseintrag grundsätzlich bis zu dem Zeitpunkt offenzulassen, in dem das Individuum seine geschlechtliche Identität selbst artikulieren kann und will. Damit wäre sowohl der geschlechtlichen Selbstbestimmung als auch dem Schutz vor vermeintlich voreiligen Entscheidungen zumindest in Bezug auf den Personenstand genüge getan.
Widerstände ausräumen und Selbstbestimmung umsetzen
Aktuell steht eine Reihe von Gesetzesvorschlägen im Raum, die sich der konsequenten Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben in Bezug auf die geschlechtliche Identität verschrieben haben. Die gegen diese vorgebrachten Argumente überzeugen jedenfalls dann nicht, wenn wir Selbstbestimmung und Gleichberechtigung als verfassungsrechtliche Prinzipien ernstnehmen wollen. Es ist jetzt an der Bundesregierung, ihren Widerstand aufzugeben und bei der Umsetzung der Gesetzesvorschläge mitzuwirken.
Dass Beatrix von Storch sich Gedanken um Gleichstellungsfördermaßnahmen und geschützte Frauenräume macht, ist doch zu begrüßen. Wenn das Geschlecht ein soziales Konstrukt ist, warum sollte ein cis-Mann im Rahmen seiner geschlechtlich Selbstbestimmung nicht sein Frausein in das Personenstandsregister eintragen, um bessere Aussichten auf ein Aufsichtsratssitz in einem DAX-Unternehmen zu haben? Die bisherigen Auseinandersetzungen waren von der existenziellen Situation der Betroffen geprägt. Warum sollte sich aber zukünftig nicht ein spielerischer Umgang mit der geschlechtlichen Selbstbestimmung entwickeln? Und wie können dann Gleichstellungfördermaßnahmen ihren Adressatenkreis erreichen? Durch eine Tabuisierung (gesellschaftliche Ächtung) des spielerischen (interessengetriebenen) Umgangs mit Genderfluidität?
Der Verweis auf „transphobe Narrative“ oder „manche feministische Kreise“ ist jedenfalls kein Beitrag ad rem.
Der Punkt der hier beachtet werden sollte, ist:
Es geht bei der Eintragung im Personenstandsregister, wie auch in Ausweisdokumenten nicht um Genus (engl. ,,gender”), sondern um Sexus (engl.,,sex”) – wie die Übersetzung -auch die französische- eigentlich unmissverständlich klar macht.
Eine Einteilung der Gesellschaft in unterschiedliche ,,Geschlechts-Kasten” -und das ist die zutreffende Übersetzung des angelsächsischen “gender”-Konzeptes – widerspricht jedoch dem Gleichstellungsansatz des Grundgesetzes, der gerade eben keine Geschlechtertrennung, wie sie in vielen Ländern mehr oder weniger praktiziert wird, will.
Die Eintragung des (Körper-) Geschlechtes im Pass dient daher ausschließlich zu Identifikationszwecken und könnte theoretisch komplett gestrichen werden.
Das es jedoch auch körperlich ein drittes Geschlecht gibt, war, wenn ich es nicht völlig falsch verstanden habe – das Hauptanliegen der hermaphroditen Kläger vor dem BVerfG.
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, es gibt selbstverständlich Transsexuelle Menschen bei denen der körperliche Sexus nicht mit dem geistigen Sexus übereinstimmt.
Aber die Tatsache, dass es im Deutschen eben nur ein Wort für sex/gender gibt und auch eine Betrachtung der (Erziehungs-) Kultur im Vergleich zu den USA – bedeutet für mich klar, dass eben dieses eine Wort, “sex”, und nicht “gender”, bedeutet und man eine andere Interpretation aus vorgenannten Gründen auch nicht einführen sollte. [In den USA werden sowohl Jungen wie auch Mädchen viel stärker aktiv auf ein “Rollenbild” hin erzogen; während sich bei uns verschiedene, (z.B. Berufs-) Verteilungen eher passiv ergeben. Das Gleichstellungs-Amendment zur US-Verfassung beispielsweise, scheiterte Anfang der Achtziger im Endeffekt während der Ratifizierung
an Teilen der Frauenbewegung, die ausdrücklich keine Gleichheit, sondern lediglich Gleichberechtigung erreichen wollten und befürchtet wurde, dass Fallrechtlich “equal rights” als “equal duties” interpretiert hätte werden können.]
Alles Andere würde nur zu einer Wiedereinführung des (horizontalen, zunftgebundenen) Ständestaates mit anderen Mitteln bedeuten.