15 March 2021

Wieviel Gemeinsinn verträgt die Gesellschaft?

Was die Thierse-Debatte von der Weimarer Staatsrechtslehre lernen kann

Unter der Überschrift „Wieviel Identität verträgt die Gesellschaft“ hat Wolfgang Thierse in der FAZ zu der Frage Stellung bezogen, wie sich gesellschaftliche Pluralität mit dem für sozialen Zusammenhalt erforderlichen Gemeinsinn verträgt. Er wendet sich gegen eine subjektive Betroffenenperspektive, die der Gesellschaft ihre Sichtweise gewisser Dinge auferlegen wolle. Die Konturen des Gemeinsinns seien im demokratischen Diskurs zu verhandeln, der mit den Anerkennungsansprüchen einzelner gesellschaftlicher Gruppen in Konflikt geraten könne. Gleichzeitig konzediert er allerdings die Notwendigkeit, erfahrene Benachteiligungen zu überwinden. Wie aber lassen sich erfahrene Benachteiligungen überwinden, die der Gemeinsinn billigt oder gar erzeugt?

Hier berührt Thierse einen zentralen Streitpunkt der Weimarer Staatsrechtslehre. Ein Rückblick darauf kann für die heutige Debatte lehrreich sein. In der neu gegründeten Republik stellte sich das Problem von Gemeinsinn und Pluralität zum ersten Mal mit voller Wucht. War es bis zur Reformation die Religion, die für soziale Integration sorgte, so bildete danach bis zur Achsenzeit die Unterordnung unter einen souveränen Fürsten den notwendigen Referenzpunkt. Mit der französischen und amerikanischen Revolution setzte sich die Idee der Volkssouveränität unaufhaltsam in den Köpfen durch, wenngleich ihre Anerkennung in der Verfassungswirklichkeit gerade in Deutschland zunächst noch auf sich warten ließ. Die Aufgabe, Gemeinsinn zu stiften, übernahm nun der Begriff der Nation. Im Kontext des 19. Jahrhunderts konnte die Idee der Nation aber nur integrierend wirken, indem sie die grassierenden sozialen Konflikte ausblendete und sich eine kulturelle Färbung gab. Oft genug glitt dies ins Rassistische ab.

In der Weimarer Republik ließ sich die soziale Frage nicht mehr unter den Teppich der Verfassung kehren. Der Verfassungsgeber übertrug dem Staat die Aufgabe, für mehr materielle Gleichheit zu sorgen. Die damit verbundene Umverteilung erforderte ein hohes Maß an Gemeinsinn. Zugleich aber garantierte die neue Verfassung auch denjenigen die volle Gleichberechtigung, die bisher sozial marginalisiert oder von der Zensur unterdrückt waren. Die kulturelle Vielfalt der Weimarer Zeit legt bis heute davon ein beeindruckendes Zeugnis ab. Doch was, wenn diese Vielfalt mit dem Gemeinsinn kollidierte?

Carl Schmitt löste den Konflikt zu Lasten der Pluralität. Ein Volk halte zusammen dank seiner „substanziellen Gleichartigkeit“. Sie gehe der Verfassung voraus und sei durch Glaube, „Rasse“, Schicksal oder Tradition bestimmt. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme ersetzte Schmitt „Gleichartigkeit“ durch „Artgleichheit“, womit alles über diese Begrifflichkeit gesagt ist. Heute folgt die identitäre Rechte in diesen Fußstapfen. Dagegen verwahrt sich Thierse zu Recht.

Den entgegengesetzten Weg wählten Hans Kelsen und die Wiener Schule des Rechtspositivismus. Sie trennten strikt die rechtliche Form des Staats von seinem sozialen Substrat und befreiten damit die Rechtsordnung von jeglichem Bezug zum Gemeinsinn. Eine Bresche für einen übersteigerten Individualismus schlugen sie damit zwar nicht. Als Sympathisant der Sozialdemokratie und Republikaner in der Tradition von Rousseau ist Kelsen solcher Umtriebe unverdächtig. Die Frage aber bleibt, was den Staat dann noch zusammenhält.

Rudolf Smend, prägende Gestalt für das Verfassungsrecht der Weimarer Zeit wie der frühen Bundesrepublik, verwies auf die integrierende Kraft des Führungspersonals, institutioneller Strukturen und staatlicher Symbole. Für einen freiheitlich-demokratischen Staat erscheint es aber unangebracht, der Gesellschaft die Denkrichtung vorzugeben. Der Schmitt-Schüler und Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde bezeichnete daher 1964 den gesellschaftlichen Zusammenhalt als jene Voraussetzung des Staats, die dieser selbst nicht garantieren könne. Er lasse sich nur um den Preis eines Abgleitens in den Totalitarismus erzwingen. Freiheit allein garantiere jedoch keinen Gemeinsinn. Ein scheinbar unlösbarer Konflikt. Doch gerade durch den Hinweis auf die Unlösbarkeit gelang es Böckenförde, Teile der mit der säkularen Bundesrepublik und besonders der Emanzipationsbewegung hadernden Bevölkerung mit dem Grundgesetz zu versöhnen. Er entwertete ihre Forderung nach einem geistig-moralischen Kompass nicht, verwies sie aber ins Gesellschaftliche, rechtlich Unerzwingbare. Gegenüber einem totalitären Staat war das die vorzugswürdige Alternative.

Nun aber geraten zunehmend einzelne Aspekte dieses gesellschaftlichen Gemeinsinns in die Kritik. Auch ohne rechtliche Verbindlichkeit tragen sie zur fortgesetzten Marginalisierung ganzer Bevölkerungsgruppen bei. Das Ergebnis sind vielfältige Forderungen nach kultureller Anerkennung, die auch die Sprachpraxis betreffen. Man kann darin durchaus eine Neuauflage des Weimarer Konflikts zwischen Gemeinsinn und Pluralität sehen.

Wie lässt sich diese Spannung auflösen? Eine Tendenz in der derzeitigen Debatte weist das Verlangen nach kultureller Anerkennung weitgehend zurück, weil es dem Gemeinsinn gefährlich werden könne. Das scheint auch Thierse umzutreiben. Zwar seien sozioökonomische Benachteiligungen zu beheben. Forderungen auf kulturelle Anerkennung, wie etwa nach geschlechtergerechter Sprache, könnten aber „gemeinschaftsbildende Kommunikation“ bedrohen. Denkmäler in Frage zu stellen laufe gar auf eine „Liquidation von Geschichte“ hinaus. Sofern dabei auch noch die Situation der Sprecher*innen problematisiert wird, sehen manche gar das Ende der Aufklärung gekommen. Doch eigentlich leisten die selbsternannten Retter*innen der Aufklärung ihr damit einen Bärendienst. Kritik im besten aufklärerischen Sinn lässt sich nicht an einem bestimmten Punkt anhalten. Man muss keiner postmodernen Theorie anhängen, um den Versuch, den Rahmen zulässiger Kritik enger abzustecken, als Gefahr für das kantische Projekt der Befreiung des Menschen aus selbst verschuldeter Unmündigkeit zu werten. Dadurch würde Aufklärung zum Mythos, wie bereits Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in ihrer „Dialektik der Aufklärung“ angemahnt haben.

Kritik an den bestehenden Zuständen ist also legitim, auch wenn sie schmerzt, auch wenn manches Verlangen nach Anerkennung als demokratische Zumutung empfunden wird. Doch die Spannung zwischen Gemeinsinn und Pluralismus hat sich damit nicht erledigt. Die Maßgeblichkeit des subjektiven Betroffenheitsgefühls würde in den umgekehrten Mythos münden.

An dieser Stelle hilft das Werk desjenigen Weimarer Staatsrechtslehrers weiter, der dem Sozialmodell der Bundesrepublik gedanklich am nächsten steht. Die Rede ist von dem bereits 1933 verstorbenen Hermann Heller. Nach ihm bilde ein Staat eine Kulturgemeinschaft, aus der sie ihren Gemeinsinn beziehe. Heller grenzt die Kulturgemeinschaft gegen völkische Anwandlungen scharf ab. Sie sei keinesfalls homogen oder statisch, sondern von Konflikten durchzogen, wodurch sie sich ständig fortschreibe. Das versetze den Staat in der Lage, Neuankömmlinge zu integrieren. Diesen Schritt geht Thierse mit, wenn er konzediert, dass der Gemeinsinn in der demokratischen Öffentlichkeit neu verhandelt werden könne.

Die erfolgreiche Integration in die Kulturgemeinschaft steht aber nach Hermann Heller unter der Voraussetzung sozioökonomischer Homogenität. Sie erst schaffe ein „Wirbewusstsein“, das gesellschaftliche Konflikte zu bewältigen in der Lage sei. Gemeinsinn ist demnach nicht die Voraussetzung, sondern bestenfalls die Folge sozioökonomischer Integration. Daraus lässt sich ein von subjektiver Betroffenheit abstrahierender Maßstab für die Grenzen des Gemeinsinns gewinnen: Sofern Elemente des Gemeinsinns einschließlich sprachlicher Praktiken der sozioökonomischen Integration gewisser Bevölkerungsgruppen im Weg stehen, hat der Staat sie zu hinterfragen und gegebenenfalls auf ihre Änderung hinzuwirken. Das kann der Fall sein, wenn diese Praxis nachweisbar zu Rollenzuschreibungen führt, die dem beruflichen Erfolg der Betroffenen im Weg stehen können. Wer Betroffenen zuhört, wird übrigens feststellen, dass ihr Kampf um kulturelle Anerkennung meist kein Selbstzweck ist, sondern von der Hoffnung auf bessere sozioökonomische Integration zehrt.

Diese Integration kann das freie Spiel demokratischer Kräfte, auf das Thierse verweist, oft nicht mehr bewirken. Die Funktionsbedingungen demokratischer Repräsentation haben sich seit Heller erheblich verändert. Heller geht von leistungsfähigen intermediären Institutionen wie insbesondere Parteien aus, die den Unterprivilegierten Mehrheiten sichern. Die von Andreas Reckwitz beschriebene Singularisierung der Gesellschaft im 21. Jahrhundert hat die großen Intermediäre der Industriegesellschaft des 20. Jahrhunderts in ihrer Wirkung eingeschränkt. Viele gesellschaftliche Gruppen sind in das institutionelle Räderwerk der Demokratie nur unzureichend eingebunden.

Aus dieser Einsicht folgt keine Absage an die Demokratie zugunsten einer Diktatur der Partikularinteressen. Wohl aber die Notwendigkeit einer ethischen Politik, einer sozial-moralischen Wende, die das Diktum Böckenfördes umdreht: Der demokratische Rechtsstaat kann die Voraussetzungen seiner Existenz garantieren, soweit er für umfassende sozioökonomische Integration sorgt. Gewiss, der Staat kann sich wirtschaftlich getriebenen Dynamiken wie der Singularisierung nur in Grenzen entziehen. Auch soll er um der sozialen Integration willen nicht zum paternalistischen Tugendwächter degenerieren. Dazwischen gibt es aber unendlich viele Möglichkeiten, sozialer Exklusion entgegenzuwirken und dadurch Gemeinsinn zu stiften. Ihr Spektrum reicht von attraktiven, inklusiven öffentlichen Schulen über die Gewährleistung fairer Arbeits-, Aufstiegs- und Entlohnungsbedingungen bis zur Förderung von Sport und Kultur. Gerade Kultur ist kein Luxus, der sich in der Krise dezimieren oder privatisieren lässt, sondern in ihrer ganzen Vielfalt ein essentielles Feld gesellschaftlicher Selbstverständigung. Sie verleiht auch Stimmlosen eine Stimme, die wiederum deren sozioökonomische Integration fördern kann. Nur ein derart gestärkter, integrativer Staat mag sich in den Konflikten bewähren, die ihm globale Krisen wie Pandemien und Klimawandel oder eine veränderte geopolitische Lage aufbürden. Wer im Kampf um Anerkennung den status quo ängstlich verteidigt, hat hier bereits verloren.


SUGGESTED CITATION  Goldmann, Matthias: Wieviel Gemeinsinn verträgt die Gesellschaft?: Was die Thierse-Debatte von der Weimarer Staatsrechtslehre lernen kann, VerfBlog, 2021/3/15, https://verfassungsblog.de/wieviel-gemeinsinn-vertragt-die-gesellschaft/, DOI: 10.17176/20210316-033810-0.

15 Comments

  1. Weichtier Mon 15 Mar 2021 at 20:01 - Reply

    „Sofern Elemente des Gemeinsinns einschließlich sprachlicher Praktiken der sozioökonomischen Integration gewisser Bevölkerungsgruppen im Weg stehen, hat der Staat sie zu hinterfragen und gegebenenfalls auf ihre Änderung hinzuwirken.“
    Die „Hinterfragung“ bzw. „Hinwirkung“ für den Staat kann aber nicht durch das „das freie Spiel demokratischer Kräfte“ geleistet werden, sondern kann (nur) durch Staatsrechtler geleistet werden, die im Verfassungsblog publizieren? Und wesentliche Teile der Staatstätigkeit sind daher der demokratischen Entscheidungsfindung entzogen, weil sich das Alles aus dem GG alles herauslesen lässt?

    • Matthias Goldmann Mon 15 Mar 2021 at 22:30 - Reply

      Die Antwort steht im letzten Absatz des Texts.

  2. Edward Tue 16 Mar 2021 at 07:39 - Reply

    Vielen Dank für diesen interessanten Beitrag.
    Das Problem, welches ich in Ihrem Text sehe, ist die fehlende Auseinandersetzung mit der Bedeutung, Entstehung und Anerkennung dessen, was als “benachteiligte Bevölkerungsgruppe” gilt, bzw gelten darf.
    Auf erster Ebene stellt sich die Frage, wann überhaupt eine Benachteiligung vorliegt. Hier scheint der gesellschaftliche Diskurs (und leider auch Teile der Rechtswissenschaft) nicht mehr die Feststellung von Diskriminierung für nötig zu halten, sondern begnügt sich mit der Feststellung von Unterrepräsentation.
    Daran anknüpfend stellt sich die Frage (insbesondere im Hinblick auf Intersektionalität) welche Gruppenzugehörigkeit man gelten lässt und welche nicht. Die Gruppe der benachteiligten Linkshänder? Unterrepräsentation von Menschen mit Pigmentstörung in Führungspositionen? Benachrichtigung von Menschen mit einem längeren Ring- als Zeigefinger? Diese Beispiele sind keineswegs scherzhaft gemeint sondern sollen die Frage aufwerfen, was wir überhaupt als benachteiligte Gruppe gelten lassen.
    Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen.

    • Matthias Goldmann Tue 16 Mar 2021 at 16:35 - Reply

      Benachteiligung verstehe ich (wie Thierse) sozioökonomisch. Die einzelnen Kriterien für die Feststellung kann man diskutieren. Worum es im Wesentlichen geht, dürfte aber klar sein. Unterrepräsentation kann ein Zeichen von Benachteiligung sein bzw Repräsentation ein Mittel zur Behebung. Die Gruppen, deren Benachteiligung derzeit und in absehbarer Zukunft zur Debatte steht, sind allesamt nicht willkürlich zusammengesetzt, wie Ihre Beispiele es suggerieren. Alle blicken auf eine lange Geschichte schwerer struktureller Benachteiligungen zurück.

      • Edward Thu 18 Mar 2021 at 08:01 - Reply

        Vielen Dank für Ihre Antwort. Meine Antwort von vor zwei Tagen wurde bis jetzt noch nicht freigegeben, weshalb ich es erneut versuchen:
        Nach meinem Eindruck trüben Sie das Wasser durch Ihre Antwort noch weiter. Was bitte ist “strukturelle Benachteiligung” und wie misst man deren Schwere?

      • Edward Thu 18 Mar 2021 at 09:50 - Reply

        Und leider unterstellen Sie den von mir gewählten Beispielen Willkür. Dies kann ich nicht nachvollziehen. Nehmen wir nur Mal das von mir genannte Beispiel der Linkshänder. Diese wurden über mehrere Jahrzehnte (teilweise immernoch) mit brutalen Mitteln und teilweise auch unter Anwendung von körperlicher Gewalt zu lr Rechtshändigkeit “unterzogen”, was schwere kognitive und seelische Schäden hinterlässt. Außerdem haben Linkshänder eine andere (kognitiv bedingte) Wahrnehmung. Der Alltag ist jedoch auf Rechtshänder ausgelegt, was zu einer psychischen alltäglichen Belastung zvon Linkshändern führt. Jedoch handelt es sich bei Linkshändern nicht um eine Gruppe, deren “Benachteiligung derzeit und in absehbarer Zukunft” zur Debatte steht. Warum? An deren Anteil an der Gesamtbevölkerung kann es nicht liegen. Diese liegt bei knapp zehn v. hundert und damit weit über dem Anteil anderer Gruppen deren Benachteiligung derzeit zur Debatte steht. Deshalb finde ich es schade, dass Sie versuchen meine Beispiele lächerlich zu machen, anstatt sich mit der von mir aufgeworfenen Frage, die sich ja am Beispiel der Linkshänder deutlich zeigt, welche “Benachteiligte Gruppen” anerkennungswürdig sind und welche nicht.

        • Matthias Goldmann Thu 18 Mar 2021 at 14:39 - Reply

          Ihre Ausführungen zeigen, dass Sie sehr wohl ganz genau verstehen, was strukturelle Benachteiligungen sind. Infam war allerdings das Beispiel mit den Ring- und Zeigefingern. Mit Linkshändern ist es etwas anderes. Auch wenn hier Benachteiligungen im Alltag bestehen (gehöre selber dazu), sind sie entweder schon abgestellt (Umlernen von Kindern in der Schule, keine Geräte für Linkshänder), oder führen in der Summe nicht zu einer sozioökonomischen Benachteiligung, die irgendwie relevant wäre. Auch die Bezeichnung “Linkshänder” ist kein Schimpfwort. Was vielleicht just daran liegt, dass es sich nicht um eine sozioökonomisch benachteiligte Gruppe liegt.

          • Edward Thu 18 Mar 2021 at 17:40

            Nein, ich weiß nicht was strukturelle Benachteiligung ist. Und dadurch, dass Sie das Beispiel des Ring- und Zeigefiials Infam bewerten, tun Sie letztendlich das, was Sie Thierse vorwerfen: entscheiden, welche subjektiv erlebte Benachteiligung relevant ist und welche nicht. Scheint mir, als wollten auch Sie eine Zersplitterung aufhalten. Und die “Benachteiligungen” von Linkshändern ist keinesfalls beendet! Eine Linkshänder-Schere oder -Gitarre löst das Problem doch nicht. Außerdem könnte ich Ihnen viele weitere Beispiele nennen. ZB Farbenblindheit. Auch weiß ich nicht, wo Sie zB strukturelle Benachteiligung von Schwarzen oder von Frauen sehen, um die es, wenn ich die aktuelle Debatte verstanden habe ja unter anderem geht. Hier wird immer auf Unterrepräsentation verwiesen, was aber eben noch keine Benachteiligung, geschweige denn eine Diskriminierung, und schon gar keine strukturelle zu begründen vermag. Und zur Repräsentation als Mittel zur Beseitigung von Benachteiligungen: das hat Männern im vergangenen Jahrhundert wenig geholfen was Obdachlosigkeit, Verurteilungen zu Freiheitsstrafen und arbeitsbedingten Todesfällen geholfen. Für komplex und vielschichtig denkende Menschen finde ich die Reduzierung der Begründung für vermeintliche sozioökonomische Benachteiligung auf ein einziges Merkmal (Geschlecht, Herkunft, etc) sehr dünn.
            Und was “sozioökonomische Homogenität” bedeuten soll weiß ich auch nicht. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie diesen Begriff etwas erläutern könnten, weil er besorgniserregend ist.

  3. Anonymer Leser Tue 16 Mar 2021 at 09:34 - Reply

    Ein sehr kluger Beitrag, dessen Thesen Zustimmung verdienen. Aufklärung hat keine Schmerzgrenze!

  4. Lothar Zechlin Tue 16 Mar 2021 at 12:59 - Reply

    Sehr schöner Beitrag, an dem mir besonders gefällt, dass er Hermann Heller wieder “aktualisiert”. Heller hat die Bedeutung “sozialer Homogenität” für die Demokratie hervorgehoben und kann deshalb zu Recht für ein nicht-populistisches Verständnis von Identität herangenzogen weden. Wie der Beitrag herausarbeitet, muss eine solche Homogenitätnämlich gemeinsam geschaffen/erabreitet werden, sie ist nicht ethnisch/biologisch vorgegeben.

  5. Jens Thu 18 Mar 2021 at 08:35 - Reply

    Faszinierend mit welch schlafwandlerischer Sicherheit solche Texte immer wieder darauf hinauslaufen, dass der Staat “darauf hinzuwirken habe”, dass er sein passendes und wohlgeformtes Volk bekommt.

  6. Luís Meneses do Vale Tue 23 Mar 2021 at 00:52 - Reply

    Congratulations. Heller is still a great inspiration. And yours is indeed a crucial point to be made. Even rejecting strict causalisms and social determinisms, the creation of a solidarity-prone societal environment is key in order to ensure a satisfying degree of integration. Very modestly, I’ve been appealling to notions of structural responsibility for justice and equality as part of a desirable constitucional culture.

    • Matthias Goldmann Tue 23 Mar 2021 at 23:50 - Reply

      Thanks very much. Keep up the good work!

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