Energiesicherheit durch Außenwirtschaftsrecht
Die Bestellung der Bundesnetzagentur durch das BMWi zum Treuhänder für die Betreiberfirmen von Erdgasspeichern in Deutschland
Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands hat auch die Frage der Versorgungssicherheit im Energiebereich aufgeworfen. Die deutsche Energieversorgung ist von russischen Gaslieferungen abhängig. Fast 40 % des deutschen Gases stammen aus Russland. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWi) versucht nun, die Versorgungssicherheit auf verschiedenen Wegen zu gewährleisten und nutzt hierzu auch das Außenwirtschaftsrecht. Das Investitionskontrollrecht ermöglicht es, jedenfalls kurzfristig sicherzustellen, dass für die Energieversorgung zentrale Unternehmen nicht an unbekannte Personen und Unternehmen übertragen und anschließend aufgelöst werden. Längerfristig muss jedoch überlegt werden, wie mit diesen Unternehmen verfahren werden soll.
Welche Rolle spielt Gazprom?
Neben der Lieferung von Gas durch Pipelines wird die Versorgung mit Energie in Deutschland auch durch Erdgasspeicher sichergestellt. In beiden Bereichen ist das russische Staatsunternehmen Gazprom beteiligt. Gegenwärtig bewegt sich der Füllstand der deutschen Gasspeicher innerhalb der Spannweite der letzten Jahre.
Die in Berlin ansässige Gazprom Germania GmbH ist die Mutter verschiedener Firmen in Deutschland, insbesondere der Wingas GmbH sowie der Astora GmbH. Nachdem die BASF (auf Druck der Europäischen Kommission) im Jahr 2015 ihre Erdgasspeicher in Deutschland an Gazprom verkauft hat, kontrolliert das russische Staatsunternehmen knapp ein Viertel der deutschen Gasspeicher.
Wohl als Reaktion auf die Sanktionen der Europäischen Union und der Bundesrepublik Deutschland hat sich der Kreml dazu entschieden, unter anderem die Vulnerabilität Deutschlands im Energiebereich auszunutzen.
Um dies zu erreichen, sollte die Gazprom Germania GmbH aufgelöst und abgewickelt werden. Die Gazprom Germania GmbH war die vollständige Tochter der Gazprom Export LLC, die wiederum die direkte Tochter der „Gesamtmutter“ des Gazpromkonzerns ist. Die letztgenannten Unternehmen sind in Russland ansässig. Ende März wurden zunächst die Anteile der Gazprom Export LLC an der Gazprom Germania an ein drittes, ebenfalls in Russland ansässiges Unternehmen abgetreten, die Gazprom PEBS.
Die Gazprom PEBS wiederum hat anschließend 0,1 % der Unternehmensanteile an der Gazprom Germania GmbH an ein weiteres Unternehmen (Palmary) abgetreten. Jedoch hält Palmary nach Auskunft des BMWi 100 % der Stimmrechtsanteile an der Gazprom Germania GmbH. Diese Veränderungen haben dazu geführt, dass ein dem deutschen Staat bislang völlig unbekanntes Unternehmen mit unbekannter Eigentümerstruktur die Kontrolle über wichtige Teile der deutschen Energieversorgung erhalten hat.
Palmary hat wenige Tage nach der Erlangung der Kontrolle über die Gazprom Germania GmbH versucht, das Unternehmen zu liquidieren, und den Betrieb einzustellen. Die Einstellung des Betriebs eines der größten Erdgasspeicherunternehmens in Deutschland kann schwerwiegende Folgen haben.
Einschreiten des BMWi
Aus diesem Grund ist das BMWi eingeschritten, und hat die Bundesnetzagentur als Treuhänderin bestellt. Diese Bestellung fußt auf Ermächtigungen im Außenwirtschaftsgesetz (im Folgenden AWG) und der Außenwirtschaftsverordnung (im Folgenden AWV). Schon kraft Gesetzes sind zuvor die (schwebende) Unwirksamkeit der Anteilsübertragung an Palmary und die Unwirksamkeit des Beschlusses zur Auflösung der Gazprom Germania GmbH eingetreten.
Das AWG ermächtigt das BMWi in § 6 Abs. 1 S. 1 und § 4 Abs. 1 Nr. 4 AWG zum Erlass von Einzelakten und von Rechtsverordnungen, um Gefahren für die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, anderer Mitgliedstaaten oder der Europäischen Union abzuwenden. Wann von einer solchen Gefahr auszugehen ist, wurde für die sektorenübergreifende Kontrolle in den §§ 55 ff. AWV konkretisiert.
Ausgangspunkt ist die Frage, ob eine ausländische Direktinvestition in einem besonders schützenswerten Sektor vorliegt. Ist dies der Fall, können Maßnahmen ergriffen werden, wenn es hinreichend wahrscheinlich ist, dass der neue Anteilseigner sich so verhalten wird, dass eine Gefahr für die Schutzgüter besteht. Diese Gefahr kann sich unter anderem aus der Einstellung der Geschäftstätigkeit und vertraglich zugesicherter Lieferungen ergeben. Als besonders schützenswert werden nach § 55a Abs. 1 Nr. 1 AWV insbesondere Kritische Infrastrukturen angesehen. Dieser Begriff wird durch das BSI-Gesetz und die auf dieser Grundlage erlassene BSI-KritisV genauer bestimmt. Die Gazprom Germania GmbH fällt als Betreiberin einer Gasspeicheranlage in den Bereich der Gasversorgung nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 BSI-KritisV.
Anwendbarkeit der Investitionskontrollregeln im Fall Gazprom
Grund dafür, dass das deutsche Recht eine Übertragung von Anteilen zwischen russischen Unternehmen kontrollieren kann, ist, dass die (mittelbar) betroffene Gazprom Germania GmbH in Deutschland ansässig ist. Damit liegt die völkerrechtlich notwendige genuine connection vor.
Unternehmen, die wie Gazprom in einem von § 55a Abs. 1 AWV genannten Sektor tätig sind, sind nach der AWV nur kontrollfähig, wenn mindestens 10% der Stimmrechtsanteile übertragen wurde. Palmary wurden zwar nur 0,1 % der Unternehmensanteile übertragen. Trotzdem können – worauf es in der AWV ankommt – alle Stimmrechte ausgeübt werden. Die erste Übertragung aller Anteile an der Gazprom Germania GmbH von Gazprom Export LLC an die Gazprom BEPS dürfte dagegen nicht kontrollfähig gewesen sein. § 55 Abs. 1b AWV schließt konzerninterne Umstrukturierungen vom Anwendungsbereich des Investitionskontrollrechts aus.
Schwebende Unwirksamkeit der Übertragung der Anteile
Der Erwerb von mehr als 10 % der Anteile an einem Unternehmen, das von § 55a Abs. 1 AWV erfasst ist, ist nach § 55a Abs. 4 AWV meldepflichtig. Schon das Bestehen der Meldepflicht führt dazu, dass der Erwerb schwebend unwirksam ist. Aus Sicht des deutschen Investitionskontroll- und Gesellschaftsrechts ist die Gazprom BEPS daher weiterhin als Eigentümerin der Gazprom Germania GmbH anzusehen.
Der Erwerb der Stimmrechte durch Palmary ist dabei so lange unwirksam, bis entweder die in § 14a Abs. 1 AWG genannten Fristen ohne Einleitung eines Prüfverfahrens abgelaufen sind, oder das BMWi den Erwerb ausdrücklich nach § 58 AWV freigegeben hat. Beide Szenarien sind jedoch unwahrscheinlich.
Unwirksamkeit des Auflösungsbeschlusses
Das AWG trifft auch Regelungen, die den faktischen Vollzug von Investitionen (sog. gun jumping) verhindern sollen. Dem Erwerber (hier Palmary) wird für die Zeit der schwebenden Unwirksamkeit unter anderem verboten, seine Stimmrechte am Zielunternehmen (der Gazprom Germania GmbH) auszuüben, § 14 Abs. 1 Nr. 1 AWG. Der am 01. April 2022 gefasste Beschluss von Palmary, die Gazprom Germania zu liquidieren, ist daher nach § 134 BGB nichtig. Außerdem droht den beteiligten Personen eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren, § 18 Abs. 1b Nr. 1 AWG.
Bestellung eines Treuhänders
Diese Folgen ergeben sich aus dem Zusammenspiel der AWV und des AWG, und sind ipso iure eingetreten, also ohne dass das BMWi hierfür hätte tätig werden müssen. Darüber hinaus hat das BMWi angeordnet, dass die Bundesnetzagentur zunächst bis zum 30. September 2022 die Stimmrechte bei der Germania Gazprom GmbH treuhänderisch wahrnimmt. Dies führt dazu, dass die Bundesnetzagentur die Entscheidungen des täglichen Geschäftslebens trifft. Dabei darf die Bundesnetzagentur jedoch nicht zum eigenen Vorteil handeln.
Das Investitionskontrollrecht sieht eine solche treuhänderische Wahrnehmung nach einer ausgesprochenen Untersagung einer Investition vor, § 59 Abs. 3 Nr. 1 AWV. Da es jedoch noch an einer solchen Untersagung fehlt, und die nach § 15 Abs. 5 S. 2 AWG grundsätzlich mögliche Regelung einer früheren Anordnung der Treuhandverwaltung in der AWV fehlt, musste der Umweg über § 6 Abs. 1 AWG gewählt werden. Hierdurch werden Einzeleingriffe möglich, wenn die erlassenen Rechtsverordnungen dies bislang nicht ermöglichen.
Folgen und Ausblick
Auf Grund des vom BMWi durch Verwaltungsakt angeordneten Treuhandverhältnisses kann die Bundesnetzagentur in den nächsten knapp sechs Monaten das Verhalten der Gazprom Germania GmbH im Sinne der bestmöglichen Energieversorgung für die Bundesrepublik steuern.
Um zu verhindern, dass diese Möglichkeiten mit dem Ablauf der Fristen des AWG an den von russischer Seite designierten Erwerber Palmary übergehen, muss das BMWi ein Investitionskontrollverfahren einleiten. Nach Abschluss dieses Verfahrens können weitergehende Maßnahmen nach § 59 Abs. 1 AWV angeordnet werden.
Die ultima ratio einer Untersagung des Erwerbs ist zwar aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht ausgeschlossen. Die Gazprom Germania GmbH ist bedeutend für die deutsche Energieversorgung. Wäre die Übertragung der Anteile an Palmary jedoch endgültig unwirksam, würde dies dazu führen, dass die Kontrolle über das Unternehmen wieder an die Gazprom PEBS oder die Gazprom Export LLC zurückfällt.
Auch wenn bei einer Untersagung des Erwerbs eine Beschränkung der Stimmrechte von Palmary bei Entscheidungen der Gazprom Germania GmbH nach § 59 Abs. 3 Nr. 1 AWV denkbar ist, wäre der Energieversorgung in Deutschland nicht zwingend geholfen. Denkbar ist, dass das BMWi und die Bundesregierung ein schon erprobtes Mittel in Betracht ziehen: Den Erwerb der fraglichen Anteile im Wege einer White-Knight-Lösung. In diesen Fällen tritt beispielsweise die KfW an die Stelle des geplanten Erwerbers, und zahlt den ursprünglich vereinbarten Preis an den Veräußerer. Dieses Vorgehen wurde sowohl beim Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz im Jahr 2018 als auch im Jahr 2020 beim Rüstungsunternehmen Hensoldt gewählt. Schenkt man den Berichten Glauben, dass die Anteile an der Gazprom Germania GmbH für nur einen knappen Euro an Palmary übertragen wurden, dürfte ein solches Vorgehen finanziell zu verkraften sein.
Ob die Bundesnetzagentur (oder eine andere Stelle) auch in Zukunft direkten Einfluss auf ein im Bereich der Gasversorgung tätiges Unternehmen in Deutschland haben wird, hängt von den politischen Entscheidungen in Berlin ab. Durch die Ausgestaltung des AWG und der AWV sowie die Anordnung des Treuhandverhältnisses wurde jedenfalls Zeit für entsprechende Überlegungen gewonnen.
Neben dem Primärziel der Sicherstellung der Energiesicherheit in Deutschland sollte darüber nachgedacht werden, ob eine dauerhafte Treuhandverwaltung durch die Bundesnetzagentur sinnvoll ist. Dagegen spricht, dass die Bundesnetzagentur auch die Entgelte festlegt, welche die Wingas GmbH – eine Tochtergesellschaft der Gazprom Germania GmbH – verlangen darf. Hier scheinen Unabhängigkeitsprobleme vorprogrammiert. Eine Alternative ist die Übertragung der Anteile an der Gazprom Germania GmbH an andere, vertrauenswürdigere Energieunternehmen. So könnte die Energieversorgung gesichert werden, ohne eine Verstaatlichung herbeizuführen.
Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands hat auch die Frage der Versorgungssicherheit im Energiebereich aufgeworfen. Die deutsche Energieversorgung ist von russischen Gaslieferungen abhängig. Fast 40 % des deutschen Gases stammen aus Russland. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWi) versucht nun, die Versorgungssicherheit auf verschiedenen Wegen zu gewährleisten und nutzt hierzu auch das Außenwirtschaftsrecht. Das Investitionskontrollrecht ermöglicht es, jedenfalls kurzfristig sicherzustellen, dass für die Energieversorgung zentrale Unternehmen nicht an unbekannte Personen und Unternehmen übertragen und anschließend aufgelöst werden. Längerfristig muss jedoch überlegt werden, wie mit diesen Unternehmen verfahren werden soll.