Sparzwang nur für Arme?
Zur Notwendigkeit sozialer Ausgleichsmaßnahmen und dem Verzicht aller
In der sächsischen Kreisstadt Dippoldiswalde hat eine Wohnungsgenossenschaft aufgrund der explodierenden Energiepreise seit Anfang Juli die Warmwasserversorgung für ihre rund 600 Mieter:innen eingeschränkt. Die Heizungen bleiben bis zum September kalt. Die Vorauszahlungen für die Betriebskosten wurden bereits im April verdoppelt. Mit all diesen Maßnahmen will die Genossenschaft hohen Nachzahlungen bei den Nebenkostenabrechnungen vorbeugen. Die öffentlichen Reaktionen auf dieses Vorgehen fielen gemischt aus, die Mieter:innen zeigen jedoch bislang Verständnis.
Spätestens seit der angekündigten Einführung einer Gas-Umlage, die es Gasimporteuren von Oktober an erlaubt, die gestiegenen Preise an die Verbraucher:innen weiterzugeben, ist jedoch klar, dass für bestimmte Personengruppen solch vorbeugende Maßnahmen der Vermieter:innen ebenso wenig ausreichen werden wie eigenverantwortliches Sparen, um bezahlbare Energiepreise sicherzustellen. Bei einem durchschnittlichen Vier-Personen-Haushalt mit einem Verbrauch von 20.000 Kilowattstunden entstehen aller Voraussicht nach allein durch die Gas-Umlage Mehrkosten in Höhe von 300 € bis 1000 € im Jahr; die marktbedingten drastischen Preissteigerungen, die sukzessive bei den Verbraucher:innen ankommen, noch nicht einberechnet. Es erscheint daher zwingend erforderlich, dass auch der Gesetzgeber vorbeugend tätig wird.
Der Gesetzgeber muss vorbeugen, um soziale Härten abzufedern
Neben den bereits geschnürten Entlastungspaketen hat die Bundesregierung denn auch zeitgleich mit der Verkündung der Gas-Umlage weitere Entlastungsmaßnahmen angekündigt. So soll es Anfang des nächsten Jahres eine umfassende Wohngeldreform geben, die den Empfänger:innenkreis für den Bezug des Wohngeldes erweitert. Die Heizkostenpauschale, die es im Juli 2022 einmalig für Wohngeldempfänger:innen gegeben hat, soll zudem dauerhaft in das Wohngeldgesetz integriert werden.
Beides ist zu begrüßen. Die Heizkosten sind nach dem Wohngeldgesetz nämlich nicht in die wohngeldfähigen Wohnkosten mit einbezogen. Davon ist der Gesetzgeber bislang nur bei der Einführung des Wohngelds in den neuen Ländern mit dem Beitritt zur Bundesrepublik zur sozialen Absicherung temporär abgewichen. Vor dem Hintergrund, dass es jedoch gerade die Energiepreise sind, die den Bürger:innen finanziell zu schaffen machen, sollte der Gesetzgeber mit dem Instrument des Wohngelds, das gemäß § 1 Abs. 1 WoGG der wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens dient, darauf reagieren. Auch die Ausweitung des Empfänger:innenkreises des Wohngelds sendet ein wichtiges politisches Signal. Justiziable Handlungsverpflichtungen des Gesetzgebers zu ausgleichenden Maßnahmen ergeben sich zwar aus dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG erst dann, wenn die Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins anderweitig nicht mehr gewährleistet sind, etwa in dem Fall, dass die Energiepreise dazu führen, dass es Einzelnen nicht mehr möglich ist, ihre Wohnung angemessen zu beheizen, zu beleuchten oder zu kochen. Diesen Handlungspflichten kommt der Gesetzgeber prinzipiell mit den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Rahmen der im SGB II geregelten Grundsicherung für Arbeitslose und der im SGB IX geregelten Sozialhilfe und der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach. Jedoch gibt es auch darüber hinaus zahlreiche Menschen, die auf die finanzielle Unterstützungsleistung des Staates angewiesen sind, um ihre Wohnkosten zu decken und damit einer drohenden Kündigung des Mietverhältnisses vorzubeugen.
Der soziale Frieden steht auf dem Spiel
Eine Stärkung des Vertrauens in den Sozialstaat erscheint gerade in Bezug auf das Thema Wohnen dringend geboten. Denn das Wohnungsthema bewegt die Gemüter schon seit längerer Zeit. Am Mangel an bezahlbarem Wohnraum entzündet sich die Debatte um eine wachsende soziale Ungleichheit. Das Thema Wohnen bewegt die Menschen auch deshalb besonders, weil der Wohnung an sich und ihrer Umgebung als Mittelpunkt der privaten Existenz ein ganz wesentlicher Einfluss auf die Entfaltung der Persönlichkeit und auf den Alltag von Familien zukommt. Um den sozialen Frieden innerhalb der Bevölkerung nicht aufs Spiel zu setzen, sollten daher – wie schon während der Pandemie – erneut Kündigungsschutzregeln im Mietrecht sowie bei den Energielieferverträgen eingeführt werden. Denn die Wohngeldstellen der Länder haben schon darauf hingewiesen, dass Antragsteller:innen bereits momentan teilweise monatelang auf ihren Bewilligungsbescheid und damit ihren Zuschuss zu den Wohnkosten warten. Sofern die angekündigte Wohngeldreform nicht mit einer erheblichen Verfahrensvereinfachung einhergeht, könnte die Menschen daher lange auf den Zuschuss im Kalten warten. Neben der Ausweitung von Sozialleistungen ist hier das soziale Mietrecht gefragt. Der schon gemachte Vorschlag, Kündigungsschutzvorschriften der Mieter:innen zu stärken, sollte daher aufgegriffen werden.
Angekündigt ist demgegenüber bereits die Einführung des sogenannten Bürgergeldes und damit eine umfassende Reform des Existenzsicherungsrechts. Hier sollte der Gesetzgeber in Bezug auf die Energieversorgung ein besonderes Augenmerk darauf richten, dass dieses dann auch wirklich existenzsichernd ausgestaltet ist. Die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung werden zwar momentan nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II grundsätzlich übernommen, aber nur „soweit sie angemessen sind.“ Die Angemessenheit bildet somit eine Obergrenze für die Anerkennung des Unterkunftsbedarfs. Übersteigen die tatsächlichen Aufwendungen die Angemessenheitsgrenze, hat die leistungsberechtigte Person keinen Anspruch auf Übernahme des überschießenden Betrages. Der Leistungsträger übernimmt in diesem Fall nur die angemessenen Aufwendungen, den Rest muss die leistungsberechtige Person selbst tragen, was in Bezug auf die Heizkosten angesichts des explosionsartigen Anstieges der Preise kaum möglich ist. Der Befürchtung, mit einer Übernahme der tatsächlichen Heizkosten falsche Anreize zu setzen, ließe sich hingegen relativ leicht durch finanzielle Anreize entgegenwirken, etwa indem sich ein Guthaben bei den Heizkosten nicht anspruchsmindernd auswirkt.
Allgemeiner Verzicht erforderlich
Fest steht aber auch, dass es für den Staat nicht möglich sein wird, die finanziellen Belastungen durch die gestiegenen Energiepreise dauerhaft für jedermann aufzufangen. Dieser Versuch würde die seit den frühen neunziger Jahren konstatierte Überforderung des Sozialstaats noch weiter perpetuieren und den Staat in eine Situation finanzieller Überforderung führen. Die Entlastungsmaßnahmen sollten sich daher – anders als etwa bei der Energiepreispauschale – auf die bedürftigen Personengruppen konzentrieren.
Gleichzeitig wird nicht nur die Energiekrise in diesem Jahr, sondern generell der angestrebte Übergang in eine dekarbonisierte Welt zu grundlegenden Einschränkungen und Umstellungen von Produktionsprozessen, Nutzungen und alltäglichem Verhalten führen müssen. Sollte dieser Transformationsprozess, insbesondere der freiwillige Verzicht nicht gelingen, könnte es für den Gesetzgeber auch in Betracht kommen, auf das Ordnungsrecht setzen und beispielsweise die Energienutzung zu reglementieren. Davon ist derzeit jedenfalls für Privatwohnungen noch nicht die Rede. Da es auch noch keine Möglichkeit gibt eine verordnete Senkung der Raumtemperatur von beispielsweise 18 oder 19 Grad Celsius in Privathaushalten zu kontrollieren, würde ein derartiges Gebot erhebliche Vollzugsdefizite aufweisen. Völlig auszuschließen ist der verstärkte Einsatz von Ge-oder Verboten jedoch für die Zukunft nicht. Treffen derartige Ver- oder Gebote im Bereich von Nahrungsmitteln, Mobilität, Energienutzung oder auch Kleidung auf den ersten Blick alle Menschen gleich, wird bei näherem Hinsehen schnell offenbar, dass sie ebenfalls eine unterschiedliche Belastungswirkung aufweisen, die sich nicht ohne Weiteres finanziell ausgleichen lässt. Die in Bezug darauf entstehenden sozialen Spannungen abzufedern, wird ein zentrales Anliegen künftiger Sozialgestaltung sein, der sich der Staat frühzeitig zuwenden sollte. Die bloße Aufforderung zum Gas-Sparen genügt nicht.
Sehr verehrte Frau Prof. Lange,
“eine verordnete Senkung der Raumtemperatur von beispielsweise 18 oder 19 Grad Celsius in Privathaushalten” wäre nicht nur nicht kontrollierbar, sondern vor allem völlig unakzeptabel. Vermutlich meinten Sie eine Senkung AUF 18 oder 19 Grad Celsius, d.h. VON 2 oder 3°C.
Insoweit erscheint mir allerdings die Verbrauchsregelung/ -senkung über den Marktpreis, verbunden mit individueller Förderung im Falle der Bedürftigkeit der effektivste Weg der Verwendung öffentlicher Gelder zu sein. Allgemeine Fördermaßnahmen mit der Gießkanne sind eine teure Geldverschwendung. Denjenigen, die wirklich Unterstützung brauchen, helfen diese Pauschalbeträge nicht ernsthaft und für die anderen spielt es keine Rolle, ob sie gefördert werden oder nicht (so angenehm Geldgeschenke jeder Höhe auch sein mögen).
Daß bei der zZ vorgesehenen Pauschalförderung zB Rentner per se ausgenommen sind, verstößt mE zumindest gegen den Gleichheitsgrundsatz, jedenfalls solange wie geringere Einkünfte nicht als Rechtfertigungsgrund für diese Ungleichbehandlung angesehen werden.
Der Staat sollte also seine begrenzten Ressourcen gezielt für Bedarfsfälle einsetzen und nicht allgemein streuen.
Der Schutz von Mietern gegen als ungerecht empfundenes Verhalten von Vermietern ist sicherlich wichtig. Aber der Vorschlag, die Kosten des Mangels an bezahlbarem Wohnraum oder Kostensteigerungen jeder Art vom Mieter fernzuhalten und damit auf einen Vermieter oder Energieversorger abzuwälzen, ist für mich auch nicht der Weisheit letzter Schluß. Möglicherweise eine Frage der Weltanschauung.
Gegen Wohnraummangel hilft nur, mehr Wohnraum zu schaffen. Und wenn genug Wohnraum existiert, dann wird er auch wieder bezahlbar, wie man an den erheblichen Unterschieden in Deutschland sieht.
Darüber hinaus habe ich ganz allgemein den Eindruck, die meisten von uns müssen in der drohenden Mangelsituation ihr Anspruchs- und Komfortdenken etwas überarbeiten. Das ist natürlich unangenehm und bedauerlich, aber letztlich auch durch noch so viele Förderprogamme, Gebote, Verbote oder das Hin- und Herschieben heißer Kartoffeln letztlich nicht zu vermeiden (wahrscheinlich ebensowenig wie neidgesteuerte Debatten).
Öffentliche Förderung hat eben oft auch einen drogenähnlichen Effekt, ihr Ausbleiben kann zu Entzugserscheinungen führen. 🙂
Bei Überlegungen zur “künftigen Sozialgestaltung” darf der Staat natürlich die Kosten nicht außer acht lassen, dh es wird noch wichtiger werden, Förderungen sehr gezielt nur noch nach Bedarf zu geben. Damit würde auch die Gefahr verringert, daß der Markt eine allgemeine Förderung einpreist und der Fördereffekt trotz hoher Kosten gegen Null geht.
Die Zeiten werden leider härter, aber ich gehe davon aus, daß wir das im Ergebnis, allen Schwierigkeiten zum Trotz,
für in allen akzeptabler Weise schaffen, gleichgültig, wer gerade in der Regierung sitzt und Parlamentsmehrheiten hinter sich weiß.
Viele Grüße
Ulrich Paetzold