Wie eine aussichtslose Verfassungsklage Berlusconi die Karriere retten könnte
In Italien tobt derzeit ein politischer Streit, ob Silvio Berlusconi nach seiner rechtskräftigen Verurteilung zu vier Jahren Haftstrafe Senator bleiben kann oder nicht. Wie ist denn die rechtliche Lage?
Rechtlich sind die Rahmenbedingungen relativ klar. Bisher gab es nur ein ziemlich schwammiges Gesetz aus dem Jahr 1957, das regelt, was bei Interessenkonflikten von Parlamentskandidaten gilt. Berlusconi wurde trotzdem viermal gewählt. In der letzten Legislaturperiode hat das Parlament aber ein Gesetz erlassen, das bestimmt, dass niemand, der zu mehr als zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden ist, für das Abgeordnetenhaus oder den Senat kandidieren kann. Solche Kriterien gab es zuvor schon für Regionalwahlen, das Gesetz weitet diese Kriterien jetzt auf Parlamentswahlen aus. Der Interpretationsspielraum ist dabei relativ begrenzt. Es gibt auch schon Urteile vom Staatsrat, die ziemlich klar sagen, wie diese Kriterien zu verstehen sind.
Und wie sind sie im Fall Berlusconi zu verstehen?
Eindeutig so, dass Berlusconi nicht Senator bleiben kann.
Aber zum Zeitpunkt seiner Kandidatur galt das Gesetz noch nicht, oder?
Das stimmt. Aber das Gesetz sagt in Art. 1 Abs. 63 eindeutig, dass ein gewählter Senator, wenn er entsprechend verurteilt wird, nicht im Amt bleiben kann.
Kann man das als verfassungswidrige Rückwirkung verstehen?
Politisch kann man das probieren, aber rechtlich ist das sinnlos. Das Gesetz sagt selbst, dass es nur einen Fall gibt, wo es nicht rückwirkend gilt, nämlich wenn es in einem Strafverfahren aufgrund eines Einvernehmens zwischen Angeklagtem und Staatsanwaltschaft zu einer Verurteilung kommt. Das ist der einzige Fall. Was das Verbot rückwirkender Bestrafung angeht, so muss man sehen, dass der Verlust des Mandats keine strafrechtliche Sanktion ist. Wir sind hier nicht im Bereich des Strafrechts, sondern im Bereich des Parlamentsrechts. Politisch ist das vielleicht eine Sanktion, aber nicht rechtlich.
Was gibt es für Möglichkeiten für das Berlusconi-Lager, dieser Rechtslage zu entgehen?
Es gibt in der italienischen Verfassung einen Artikel 66, der besagt, dass jede Kammer über die Zulassungsberechtigung ihrer Mitglieder und über die nachträglich eingetretenen Gründe der Nichtwählbarkeit und Unvereinbarkeit befindet. Das bedeutet, die Kammern des Parlaments müssen souverän darüber bleiben, wer ihnen angehört und wer nicht.
Das heißt, der Senat könnte sich über das Gesetz zur Nichtwählbarkeit hinwegsetzen?
Genau. Art. 66 der Verfassung gibt dem Parlament das Recht, das Gesetz aus rein politischen Gründen nicht anzuwenden und Berlusconi im Amt zu behalten. Das werden die linken Koalitionspartner natürlich nicht mitmachen. Manche sagen, der Senat soll versuchen, das Gesetz vom Verfassungsgerichtshof für verfassungswidrig erklären zu lassen.
Was wäre da der verfassungsrechtliche Ansatz?
Ein einfaches Gesetz darf natürlich nicht Vorrang haben vor einer Verfassungsnorm. Tatsächlich tut es das auch nicht. Es stellt ja nur Kriterien auf, wer kandidieren kann und wer wählbar ist, und lässt das Recht des Parlaments, über die Zulassungsberechtigung und nachträglich eingetretenen Gründe der Nichtwählbarkeit und Unvereinbarkeit zu bestimmen, unberührt. Der Senat kann ja, wie gesagt, entscheiden, das Gesetz nicht anzuwenden. Ich halte das Gesetz für eindeutig verfassungsgemäß und bin auch sicher, dass der Verfassungsgerichtshof zum gleichen Ergebnis käme. Eine Verfassungsklage wäre nur ein Mittel, um Zeit zu gewinnen.
Kann das Berlusconi-Lager eine solche Klage allein erheben oder bräuchte es dafür auch die Stimmen der Koalitionspartner?
Klagen müsste der Senat als ganzes, daher müssten die Koalitionspartner mitmachen. Das wäre politisch vielleicht auch gar nicht so unattraktiv. Berlusconi bliebe in einer Art Limbo, und die Regierung könnte weitergehen.
Wie lange würde es dauern, bis der Verfassungsgerichtshof entscheidet?
Mindestens einige Monate. Es ist aber gar nicht so einfach, so eine Verfassungsklage zu konstruieren. Schließlich hat der Senat das Gesetz, das er jetzt als verfassungswidrig angreift, erst vor neun Monaten selbst verabschiedet. Gut, da könnte man einwenden, dass das in der letzten Legislaturperiode war. Es ist zwar paradox, aber wir alle wissen, dass kein Parlament seinen Nachfolger binden kann. Aber dann müsste man immer noch einen Weg finden, wie man darlegt, warum das Gesetz gegen Art. 66 der Verfassung verstößt, wo doch Art. 66 der Verfassung dem Senat ermöglicht, es einfach nicht anzuwenden. Das muss man geschickt machen, sonst weist der Verfassungsgerichtshof die Klage sofort als unzulässig ab.
Wieso haben denn die Koalitionsparteien vor neun Monaten dieses Gesetz überhaupt beschlossen? Berlusconis Partei PdL hat es doch auch mitgetragen, oder nicht? Musste sie nicht damit rechnen, dass es früher oder später auf Berlusconi angewandt wird?
Ich weiß es nicht. Es war sicher nicht sehr schwierig, das vorherzusehen. Das Gesetz war als politisches Signal gedacht, dass man Strenge zeigen will. Man hat wohl nur auf die nächste Wahl geschaut und gedacht, wenn es ein Problem gibt, dann lösen wir es, wenn es auftaucht. Eine mittel- oder längerfristige Strategie hat in diesem Land doch keiner.
Gibt es auch noch andere Optionen für die Koalition außer der Verfassungsklage?
Es gibt zwei theoretisch mögliche Auswege, die aber praktisch nicht machbar sind. Das eine wäre eine Begnadigung durch den Staatspräsidenten. Dafür besteht aber kein Spielraum, und Berlusconi will sie auch gar nicht beantragen. Dass man damit seine politische Karriere schützen würde, ist nicht genug für Begnadigung und würde ihm auch gar nicht helfen. Er hat ja weitere Prozesse laufen und würde früher oder später sowieso wieder verurteilt.
Und die andere Option?
Das wäre eine Amnestie. Aber dafür bräuchte man eine Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern, und die gibt es nicht. Vor allem aber müsste mann dann alle Steuerhinterzieher und Steuerbetrüger amnestieren. Das wäre gerade in unserem Land sicher überhaupt kein gutes Signal.
Das heißt, die Verfassungsklage ist die einzige Möglichkeit für Berlusconi, in der Politik zu bleiben?
Egal, wie dieses ganze Verfahren weitergeht, erneut kandidieren kann Berlusconi nach seiner Verurteilung sowieso nicht mehr. Er darf kein öffentliches Amt übernehmen, je nach Ausgang des Berufungsverfahrens für drei oder für fünf Jahre. Entweder wird er jetzt gerettet oder überhaupt nicht mehr. Seine einzige Chance ist, jetzt Senator zu bleiben. Dann kann er zumindest hoffen, dass seine Partei die Wahl gewinnt und das Gesetz ändert.
Das Gespräch führte Maximilian Steinbeis.
Francesco Palermo gehört als parteiloses Mitglied der Autonomie-Fraktion dem Senat der italienischen Republik an.