Mit der Spree verhandeln
Neue Grundlagen für nachhaltige Konfliktlösungsverfahren
In Zeiten planetarer Krisen muss sich auch die gerichtliche Konfliktlösung die Frage stellen, inwieweit sie Wege zur ökologischen Nachhaltigkeit mitgestalten kann. Die Mediation hat es vorgemacht.
Die Mediation greift im Gegensatz zur gerichtlichen Konfliktlösung auf eine jüngere Historie und weniger Praxisfälle zurück. Dennoch hat sie der gerichtlichen Konfliktlösung einen wesentlichen – und angesichts der rasant voranschreitenden Umweltzerstörung vielleicht sogar entscheidenden – Aspekt voraus: Mediation kann Ökologie. Sie ist ein Konfliktlösungsverfahren, das in seiner konsequenten Anwendung originär zur Erhaltung der Lebensgrundlage beiträgt. Denn die Mediation, die als Verfahrensziel den Interessenausgleich der Konfliktbeteiligten anstrebt, weiß um die Notwendigkeit der Beteiligung aller vom Konflikt Betroffenen für die Gewährleistung einer ökologisch nachhaltigen Konfliktlösung. Damit hat sie eben nicht nur die menschliche Spezies, sondern auch die Tier- und Umwelt im Blick.
Die Berücksichtigung der Interessen der Tier- und Umwelt ist in der Mediation schon heute möglich und auch praktisch umsetzbar. Erforderlich für die Integration der Tier- und Umwelt ist die Erweiterung des anthropozentrischen – sozialen – Konfliktverständnisses hin zum ökozentrischen – biosozialen – Konfliktverständnis, das alle Lebewesen auf dieser Erde als Beteiligte im Konflikt einschließt. Auch das deutsche Recht und mit ihm die gerichtliche Konfliktlösung basiert auf einem anthropozentrischen Konfliktverständnis. Wenn in der Mediation der Weg vom sozialen zum biosozialen Konfliktverständnis beschritten werden kann, könnte dies ein Vorbild für andere Konfliktlösungsverfahren wie die gerichtliche Auseinandersetzung sein. Denn müssen sich in Zeiten der planetaren Krisen nicht auch das deutsche Recht und die gerichtliche Konfliktlösung die dringliche Frage: Inwieweit können und müssen wir Wege zur ökologischen Nachhaltigkeit mitgestalten?
Im Nachfolgenden möchte ich die bereits angesprochene Entwicklung des Konfliktverständnisses in der Mediation als einen Weg der Veränderung hin zur ökologischen Nachhaltigkeit nachvollziehen, um die Frage aufzuwerfen, ob dies auch in der deutschen Rechtsordnung vorstellbar sein könnte (oder sollte). Für die konfliktwissenschaftliche Annäherung an das Thema widme ich mich zunächst den Grundlagen des gegenwärtigen anthropozentrischen Konfliktverständnisses und wie dieses zu erweitern ist, um sicherzustellen, dass in Konfliktlösungsverfahren alle Beteiligten, die von Konflikten betroffen sind, gehört und gesehen werden („biosoziales Konfliktverständnis“). Ich schildere dann ein aktuelles Beispiel, den Konflikt um das Wasser der Spree und zeige konkrete Praxisideen, wie die Integration der Tier- und Umwelt in das Mediationsverfahren gelingen kann.
Unser aktuelles Konfliktverständnis – „Menschengemachtes Unglück“
Unser vorherrschendes Konfliktverständnis versteht Konflikte als soziale Tatbestände, deren Konfliktparteien (Einzelpersonen, Gruppen, Staaten etc.) ausschließlich Menschen und Zusammenschlüsse von Menschen sind (Bonacker/ Imbusch 2010). Basis dieses Konfliktverständnisses ist der Anthropozentrismus, der Mensch im Mittelpunkt, der nur dem Menschen den Subjektstatus zuschreibt und daraus die Eigenschaften eines eigenen Willens, eines Bewusstseins und der Fähigkeit, intentional zu handeln, ableitet. Dabei konstruiert der Anthropozentrismus eine scharfe Trennung von Subjekt und Objekt sowie von Menschen und Natur. Tier- und Umwelt wurden traditionell Eigenschaften eines Subjekts abgesprochen, woraus sich ihr Status als Objekt ergibt und damit ihr Ausschluss aus der Gesellschaft bzw. der Berücksichtigung ihrer Interessen (Ausführlich Maier/ Schulte-Kellinghaus 2022). Es gibt zahlreiche Hypothesen, wo die Wurzel dieses „menschengemachten Unglücks“ liegt. Eine plausible Erklärung dafür ist die: Der Ursprung der Trennung des Menschen von der Natur wird in einem religiös fundierten Weltbild einer bestimmten exegetischen Tradition der hebräischen Bibel verortet, die Bezug nimmt auf den Herrschaftsauftrag an den Menschen in Gen 1, 28 „Machet euch die Erde untertan.“ (Hardmeier/ Ott 2016). Damals war es womöglich in der Geschichte der Menschheit eine Hilfskonstruktion, sich die Welt begreifbar zu machen. Heutzutage ist das Ergebnis offenkundig: die künstliche Trennung des Menschen von seiner Umwelt. So sieht sich der westliche Mensch seit dieser Zeit als einziges Wesen mit Eigenwert. Das Resultat: die rücksichtslose Ausbeutung und Vernichtung der Tier- und Umwelt, und damit der natürlichen Lebensgrundlage des Menschen.
Die Basis für nachhaltige Konfliktlösungen – Eine Welt wertvoller Wesen
Die künstliche Erhebung des Menschen zur einzig rechtsrelevanten Akteurin auf diesem Planeten gilt es jedoch ebenso zu dekonstruieren, wie sie erdacht wurde. Die Erweiterung des anthropozentrischen Weltbildes wurde in der westlichen Welt spätestens mit dem wegweisenden Aufsatz von Christopher Stone „Should trees have standing?“ (Stone, 1972) vorgedacht. Unabhängig von möglichen Begründungslinien für die Subjektivität von Tier- und Umwelt – wie der Akteur-Netzwerk-Theorie, die nicht nur Menschen zu potenziellen Träger*innen von Handlungsmacht macht, oder dem Anknüpfungspunkt der Kreatürlichkeit, der das Sein der Kreatur an sich (Ohrem 2016) oder ihre Fähigkeit zu leiden ins Zentrum rückt – meine ich, dass „umgekehrt“ vielmehr das Absprechen eines Eigenwerts von Tier- und Umwelt einer Begründung bedarf. Denn die Existenz einer lebenden und wirkenden Entität führt zu ihrer moralischen Werthaftigkeit. Das trifft auf den Eigenwert des Menschen zu, aber auch auf den Eigenwert aller anderen, nicht-menschlichen Entitäten. Möchte sich der Mensch nicht dem Vorwurf der willkürlichen Exklusion und Scheinlogik ausgesetzt sehen, muss er auch allen anderen Entitäten einen Wert zugestehen, denn wir Menschen sind in unserer Existenz auf die Tier- und Umwelt angewiesen und untrennbar mit dieser verbunden. Wir benötigen von Pflanzen produzierten Sauerstoff zum Atmen und sind auf die Bestäubung von Pflanzen durch Insekten zur Nahrungsproduktion angewiesen (Brondizio/ Settele/ Díaz/ Ngo, IPBES 2019), um nur einige Beispiele zu nennen. Auch all diejenigen, die moralische Begründungsansätze ablehnen und weiterhin am Menschen als Mittelpunkt der Natur festhalten wollen, müssten sich schon aus dem ureigenen Interesse, ihre Überlebensgrundlage zu sichern, veranlasst sehen, die Interessen und Bedürfnisse der Tier- und Umwelt zu berücksichtigen. Mit dieser Erweiterung des anthropozentrischen Weltbildes öffnet sich ein „Empathieraum“ (Hussain/Breyer 2017) für alle anderen Lebewesen auf dieser Erde, der es uns ermöglicht, sie als mit-lebende Wesen zu betrachten, die Akteur*innen eines Konflikts sein können und eigene Interessen und Bedürfnisse haben. So wird der soziale Konflikt (anthropozentrisch) unter Menschen zum biosozialen Konflikt (ökozentrisch) unter Lebewesen, der Konfliktbegriff wird erweitert unter Einbeziehung aller biosozialen Entitäten. So entsteht die Basis für ökologisch nachhaltige Konfliktlösungen in der Mediation.
(Noch) Zukunftsmusik? – Mit der Spree, statt über sie verhandeln
Wie sich dieses neue Konfliktverständnis in der Mediation praktisch umsetzen lässt und welche Auswirkungen es auf die Lösungsfindung hat, veranschaulicht ein aktuelles Beispiel: die Geschichte der Spree. Im Jahr 2037 wird ihr aller Voraussicht nach ein Drittel des Wassers fehlen, denn mit dem Ende des Braunkohleabbaus in der Lausitz wird anders als heutzutage kein Grundwasser mehr für die Trockenlegung des Tagebaus in die Spree gepumpt. Hinzu kommen die Auswirkungen der Erderhitzung, die dem Wasserstand der Spree zu schaffen machen, weil sie mit Starkregenereignissen und langen Trockenphasen verbunden sind. Kurz gesagt: Der Spree geht das Wasser aus. Zugleich ist das knappe Wasser der Spree in Berlin und im Spreewald hart umkämpft. Es streiten sich Vertreter*innen der Tourismusbranche des Spreewaldes mit Interessenvertreter*innen des Biosphärenreservats Spreewald und Anrainer*innen des Spreewaldes mit der Wasserbehörde Berlin, um nur einige Nutznießer*innen des Spreewassers zu nennen. Für sie alle ist das Wasser der Spree (überlebens-)wichtig und unverzichtbar. Fest steht, dass es in der Zukunft nicht mehr die gleiche Menge Wasser geben wird. Eine Lösung muss schnell gefunden werden, denn 2037 ist in der „ökologischen Zeitrechnung“ ein Wimpernschlag. Auf Grundlage unseres heutigen Konfliktverständnisses werden wir keine zufriedenstellende und nachhaltige Lösung finden. Es wird zwischen einzelnen Parteien gestritten über Wasserrechte, über das Abklemmen einzelner Fließe im Spreewald, über die Trinkwasserversorgung von Berlin. Es wird über die Spree gestritten statt mit ihr. Die zentrale Entität fehlt am Verhandlungstisch. Wenn aber die Spree nun auf Grundlage eines biosozialen Konfliktverständnisses selbst Beteiligte im Konflikt wäre, könnten ihre Interessen und Bedürfnisse berücksichtigt werden und damit der Konflikt umfassend und nachhaltig gelöst werden, anstatt in Streitigkeiten einzelner Parteien zu zerfallen. Mit der Spree als gleichberechtigte Konfliktbeteiligte wird sie sichtbar als mit-lebendes Wesen mit eigenem Wert, über welches nicht einfach verhandelt werden kann, sondern die im Konfliktlösungsverfahren Gehör finden muss.
Für eine Mediation unter Einbeziehung der Spree stellen sich zahlreiche praktische Fragen, die jedoch nur auf den ersten Blick unlösbar erscheinen: Wie kann sie vertreten werden? Wer oder was ist überhaupt „Teil“ der Spree? Wer ermittelt ihre Interessen und wie wird Unabhängigkeit gewährleistet? Die Liste der „Probleme“ ließe sich fortschreiben, tatsächlich wurden aber auch schon in anderen Rechtskontexten ähnliche Fragen gelöst. So kann beispielsweise eine juristische Person Trägerin von Rechten und Pflichten werden ohne Mensch zu sein; für Säuglinge und Kleinkinder, die keinen Willen äußern können werden Vormünder tätig, wenn Eltern nicht zur Verfügung stehen.
Zurück zur Spree: Ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zu einer ökologisch nachhaltigen Konfliktlösung ist die Erforschung der Eigeninteressen der Konfliktparteien. Die Interessen und Bedürfnisse der Spree sind, wie in jeder „klassischen“ Mediation mit menschlichen Parteien, mithilfe der Mediator*innen über interspezifische Empathie und Mitgefühl erfahrbar. Der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit bedarf es nicht notwendigerweise, denn Empathie funktioniert auch ohne Sprache, da wir mitfühlen können und – nicht nur bei Kleinkindern – in der Lage sind, einen nicht-sprachlich vermittelten Willen zu antizipieren. Empathie hat zwei Elemente, die affektive (emotionale) und kognitive (hineindenkende) Empathie. Beides ist wichtig für das Verstehen der Spree. Zuerst bedarf es immer einer Motivation, sich in das Gegenüber hineinzufühlen, die nur gegeben ist, wenn ich mein Gegenüber als mit-lebendes Wesen anerkenne. Welches Interesse könnte ich sonst an seinen Bedürfnissen haben? Quellen zur Unterfütterung der kognitiven Empathie liefert die wissenschaftliche Forschung aus dem Bereich der Hydrologie, denn über sie bekommen wir wichtige Informationen über mögliche Bedürfnisse und Interessen der Spree als Gewässer, die wir aufgrund ihrer Andersartigkeit nicht intuitiv kennen wie beispielsweise ihre notwendige Fließgeschwindigkeit, die Wasserqualität, den Wasserstand etc. So wird es für andere Konfliktbeteiligte erfahr- und nachvollziehbar, welche Interessen die Spree als Fluss hat und was sie braucht. Sie wird von einem Objekt zu einem lebendigen Organismus, der Bedürfnisse hat, die im Verfahren sichtbar gemacht werden.
Da die Spree nicht selbst sprachfähig ist, bedarf es ihrer Vertretung, ein in der Rechtsordnung weitverbreitetes Konstrukt, um beispielsweise juristische Personen zu repräsentieren. Man kann über direkte oder indirekte Vertretung der Spree, angelehnt an die Modelle der Betreuung, geregelt in §§ 1896 ff. BGB, oder der gesetzlichen Prozessstandschaft, der Geltendmachung fremder Rechte im eigenen Namen, nachdenken. Vorzugswürdig ist die direkte Vertretung für eine bessere Sichtbarkeit der Spree im Verfahren der Mediation. Bei Vertretungskonstellationen sind die Gewährleistung von Interessenunabhängigkeit und das Agieren in klaren Verantwortungszuständigkeiten als notwendige Voraussetzung zu beachten. Die Gefahren einer unreflektierten Vermenschlichung der Spree sind stets mitzudenken. Um Risiken der Interessenunabhängigkeit zu begegnen, kann man die Verantwortung der Vertretung nicht auf den Schultern einer Einzelperson abladen. So kann über eine Kommission als Vertreter*in nachgedacht werden, welche je nach vertretener Akteurin und Konflikt entsprechend besetzt wird und dann eine entsendete Person an einem Mediationsverfahren teilnimmt. Ein interessantes Beispiel für die Errichtung einer Kommission ist das Standortauswahlgesetz (StandAG), das mit Vertreter*innen aus verschiedenen Teilen der Gesellschaft den Versuch unternimmt, alle maßgeblichen Interessen bei der Suche eines Endlagers für Atommüll zu berücksichtigen. Diese Suche soll in einem partizipativen, wissenschaftsbasierten, transparenten, selbsthinterfragenden und lernenden Verfahren erfolgen. Die Kommission bündelt zugleich wissenschaftlichen Sachverstand, es werden gesellschaftliche Gruppen repräsentiert und Empfehlungen für Gesetzgebung und Exekutive erarbeitet (BT-Drucks. 18/9100, S. 68). Mit den entsprechenden, oben genannten Vorkehrungen wird die Vertretung und damit Integration der Spree praktisch umsetzbar. Mit der Spree als Akteurin im Konflikt wird ein umfassender Interessenausgleich zwischen allen Konfliktbeteiligten möglich, der nachhaltige Lösungen schaffen kann.
Ausblick – Sieht sich der Mensch im Mittelpunkt unter Rechtfertigungsdruck?
Am Beispiel der Spree zeigt sich, wie ein biosoziales Konfliktverständnis schon heute im Konfliktlösungsverfahren der Mediation realisierbar und notwendig ist, um für die Herausforderungen in Zeiten planetarer Krisen ökologisch nachhaltige Lösungen zu finden. In der deutschen Rechtsordnung ist seit der Verfassungsänderung des Art. 20a Grundgesetz im Jahr 2002 nicht mehr viel passiert, bis fast zwanzig Jahre später die Klima-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18) für Aufsehen gesorgt hat. Ein Blick auf den Entwicklungsstand in anderen Ländern zeigt, dass etwa Ecuador, Bolivien, Kolumbien, Neuseeland, Indien und die Vereinigten Staaten von Amerika in dem Prozess der Rechtssubjektivierung und Rechtsanerkennung von Tier- und Umwelt schon wesentlich weiter vorangeschritten sind. Das jüngste Beispiel ist das Mar Menor, eine Salzlagune in Spanien, die seit diesem Jahr ein Rechtssubjekt ist. Das Voranschreiten dieser Rechtssubjektivierung zugunsten der Tier- und Umwelt ist höchst erfreulich, werden durch sie doch erste zaghafte Schritte in die richtige Richtung auch in gerichtlichen Konfliktlösungsverfahren sichtbar. Auf den langwierigen Prozess der Rechtssubjektivierung muss die Mediation jedoch nicht warten. Sie kann schon heute eine Pionierinnenrolle einnehmen, von der die gerichtliche Konfliktlösung lernen kann. In einer Zeit, in der so viel notwendig infrage gestellt werden muss, um eine Zukunft auf diesem Planeten zu ermöglichen, ist eine anthropozentrische Ausrichtung der gerichtlichen Konfliktlösung einem neuen Rechtfertigungsdruck ausgesetzt. Kann auch in der gerichtlichen Konfliktlösung der Ökozentrismus Einzug halten? Wie werden Interessen von Tier- und Umwelt Gehör finden? Welche und wie viele Ressourcen und ökologischen Dienstleistungen der Tier- und Umwelt können wir zukünftig noch ohne Entschädigung in Anspruch nehmen? Wir stehen erst am Anfang einer langen Kette komplizierter Aushandlungsprozesse. Zukünftig werden noch viele Schritte notwendig sein, um das Potential von Konfliktlösungsverfahren für die wichtigste Herausforderung des 21. Jahrhunderts, die Bewältigung der ökologischen Krise, weiter nutzbar zu machen – auch in der Mediation.
Literatur
Bonacker, Thorsten; Imbusch, Peter (2010). Zentrale Begriffe der Friedens- und Konfliktforschung: Konflikt, Gewalt, Krieg, Frieden. In: Imbusch, Peter, Zoll, Ralf (Hrsg.): Friedens- und Konfliktforschung. Eine Einführung. 5. Aufl. Wiesbaden: Springer VS, S. 67–142.
Brondizio, E. S., Settele, J.; Díaz, S.; Ngo, H. T. IPBES (2019): Global assessment report on biodiversity and ecosystem services of the Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services. Bonn: https://doi.org/10.5281/zenodo.3831673
Hardmeier, Christof; Ott, Konrad (2016). Biblische Schöpfungstheologie. In: Ott, Konrad; Dierks, Jan; Voget-Kleschin, Lieske (Hrsg.): Handbuch Umweltethik. Stuttgart, S. 183–189.
Maier, Charlotte, Schulte-Kellinghaus, Raphael (2022). Interspezifische Mediation: Beteiligung von nichtmenschlichen Akteurinnen. Frankfurt am Main https://www.vfst.de/fachliteratur/produkte/interspezifische-mediation-beteiligung-nichtmenschlicher-akteurinnen
Ohrem, Dominik (2016). (In)VulnerAbilities. Postanthropozentrische Perspektiven auf Verwundbarkeit, Handlungsmacht und die Ontologie des Körpers. In: Wirth, Sven; Laue, Anett; Kurth, Markus; Dornenzweig, Katharina; Bossert, Leonie; Balgar, Karsten (Hrsg.): Das Handeln der Tiere. Tierliche Agency im Fokus der Human-Animal Studies. Bielefeld: transcript, S. 67–92.
Ich halte diesen Beitrag für außerordentlich kritikwürdig und extrem unsauber in seinen Prämissen und Schlussfolgerungen.
Das zentrale Problem ist bereits, dass die Kernprämisse des eigentlichen Problems – Subjektfähigkeit als Fähigkeit des Ausdrucks eines inhärenten Willens – völlig übergangen und nur nebenbei und nebenher erwähnt wird. Stattdessen ist die tragende Prämisse des Beitrags hier ein moralistischer Fehlschluss. Im Grunde wird insinuiert, dass die Natur nicht ihrer fehlenden Fähigkeit zum Ausdruck eines Willens wegen nicht als klassisches Subjekt verstanden wird, sondern diese Unterscheidung auf einer menschlichen Selbstüberhöhung besteht. Um das aufzulösen, wird selbstverständlich wiederum an die Moral appelliert und dadurch ein philosophisch schlecht argumentierter, moralistischer Fehlschluss produziert: “Dass die Spree/eine Naturerscheinung die Subjektqualität abgesprochen wird, ist moralisch falsch – ergo: die Spree muss ein Subjekt sein!”. Ich nenne diesen Strang der Argumentation gerne das Morgenstern-Strategem, da frei nach einer etwas frei denkenden Figur von ihm “nicht sein kann, was nicht sein darf”.
Auch der von vielen anderen Autoren angeführte Verweis auf juristische Personen geht in diesem Kontext zumindest ein bisschen fehl – es wäre aus positivistischer Perspektive selbstverständlich kein Problem, auch Naturerscheinungen als Rechtspersonen zu deklarieren. Wir sind hier ja nicht mehr bei Rosin oder von Gierke und setzen irgendeine “vitale Gemeinkraft” oder sonstige Floskeln aus dem 19ten Jahrhundert als Grundlage der Konstruktion solcher Zweckgeschöpfe mehr voraus.
Die zentrale Frage verschiebt sich dann aber auf eine Machtfrage – WER soll denn diese Naturgeschöpfe rechtlich vertreten? Das scheint mir die hintergründige Crux dieser gesamten Diskussion sein. Im Falle einer klassischen juristischen Person ist das traditionell einfach, da der Zweck der Konstruktion den Bedürfnissen ihrer Mitglieder dient – Private Personengesellschaften und Körperschaften haben satzungsgebende Verträge, Gebietskörperschaften haben in Demokratien Wahlen und Körperschaften des öffentlichen Rechts allgemein bestehen entweder aus gewählten Körperschaften oder bestimmen ihre Mitglieder nach Sachgesichtspunkten, sprich, Zwecken.
Die aristotelische Vorstellung eines Naturzwecks in die Gegenwart wiederbeleben zu wollen, halte ich für fragwürdig. Angesichts des Vergleichs mit juristischen Personen liegt dem Beitrag auch ein zumindest verdeckter Anthropozentrismus in zwei Bereichen zugrunde: (1) zum einen die Idee, Natur sei irgendwie teleologisch, (2) zum anderen, dass Bewertungen ÜBER die Natur (etwa ihre Erhaltungswürdigkeit) als Bewertungen DER Natur deklariert werden. Letztlich haben hier auch wieder Menschen geurteilt, weil die Natur schweigt.
Ich würde plädieren, mehr Luhmann zu lesen, wenn es um ökologischen Fragen geht. Es nimmt nicht wunder, dass er den Teil seiner Theorie, der nicht auf Kommunikation beruht, den “Horizont” der Welt nannte. Umwelterscheinungen sind eben Teil dieses Horizonts.
ich stimme Ihnen insofern zu, dass ein wichtiger Punkt – nämlich der der Vertretung – hier ein wenig zu kurz kommt. allerdings erscheint mir der Verweis auf juristische Personen durchaus zutreffend. Firmen u.ä. haben natürlich auch kein Eigeninteresse und etwa bei Stiftungen oder Erbschaft sind ihre ehemals vorhandenen Teil-Summen-Menschen bereits verstorben. Klar – Satzungen. aber diesen argumentative Schritt machen Sie meiner Ansicht nach fast genauso beiläufig fehlspringend wie Sie es der Autorin des Textes hier vorwerfen: DASS eine Naturentität vertreten werden kann, wollen Sie erst anzweifeln, setzen es dann aber voraus – und kritisieren dann nur noch die Art und Weise. und das ist etwas, was die Autorin hier eigentlich recht gut anspricht (=das mit der Standorte-Kommission halte ich übrigens für ein sehr gutes Beispiel).
Sie haben natürlich recht damit, dass die Vertretungsidee selbst anthropozentrisch ist. dies lässt sich aber zumindest bei Wäldern, Flüssen etc. wohl nicht vermeiden – da diese wie so zutreffend formulieren – nicht sprechen (= bei Tieren, vorallem kognitiv uns ähnlicheren dürfte das schon ein klein wenig anders sein).
Diese menschliche Selbstermächtigung muss wohl sein, wenn man überhaupt Waffengleichheit herstellen will.
(Auch bei der Vertretung Minderjähriger oder Dementer u.ä. läuft schließlich auch alles auf eine dem Antropozentrismus analoge Bevorzugung von “Erwachsensein” und “Gesundheit” vor – Ageismus in Reinform.
leben wir juristisch auch mit….
Und nach Ihrem durchaus zutreffendem Verweis auf Luhmann mächte ich Ihne gern Caroline Raspé Die “Tierliche Person. Vorschlag einer auf der Analyse der Tier-Mensch-Beziehung in Gesellschaft, Ethik und Recht basierenden Neupositionierung des Tieres im deutschen Rechtssystem” empfehlen oder Kamlicks Zoopolis.