Private Rechtsetzung und fragile Staatlichkeit
Menschenwürdige Arbeit im globalen Süden durch europäische Lieferkettenregulierung?
Mit der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) will die EU europäische Unternehmen für die Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf Umwelt und Menschenrechte in die Pflicht nehmen und so vor allem die Lebens- und Arbeitsbedingungen im globalen Süden verbessern. Wo staatliche Rechtsetzung und -durchsetzung nicht effektiv genug sind, um Umwelt, Menschen- und Arbeitnehmerrechte zu schützen, sollen private Unternehmen mit eigenen Regelwerken Mindeststandards setzen. Die Praxis zeigt jedoch, dass sie kein Ersatz für eine funktionierende Staatlichkeit sind. Die CSDDD übersieht, dass die tatsächlichen Rahmenbedingungen gerade in jenen Ländern des globalen Südens, in denen eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen besonders nötig wäre, auch die Wirksamkeit von Lieferkettenregulierung mindern.
Hintergrund der CSDDD
Spätestens der Einsturz des Fabrikkomplexes „Rana Plaza“ in Bangladesch im Jahr 2013 hat der Öffentlichkeit vor Augen geführt, dass die Lebens- und Arbeitsbedingungen vieler Menschen in den globalen Lieferketten europäischer Unternehmen unwürdig sind. Betroffen ist nicht nur Asien mit der Textilindustrie. Der Blick fällt auch auf Lateinamerika und vor allem auf Afrika, das etwa mit Gold und Kobalt wichtige Rohstoffe für die digitalisierte Welt fördert. Während die Lieferketten globalisiert sind, liegt die Verantwortung für die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen vor Ort bei denjenigen Nationalstaaten, auf deren Territorium die Arbeitsleistung erbracht wird. Dieser Verantwortung werden die Staaten jedoch in sehr unterschiedlichem Maße gerecht.
Um insbesondere die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen im globalen Süden zu verbessern und den Unternehmen zugleich einen Beitrag zum Klima- und Umweltschutz abzuverlangen, regelt nach verschiedenen nationalen Vorläufern nun auch die Europäische Union Sorgfaltspflichten für die Lieferketten. Die CSDDD, auf die sich jüngst Parlament und Rat geeinigt haben (Pressemitteilung vom 14.12.2023), gibt den Mitgliedstaaten vor, größere Unternehmen u.a. für die Arbeitsbedingungen bei ihren Zulieferern in die Pflicht zu nehmen.
Negative Auswirkungen der geschäftlichen Tätigkeit des Unternehmens auf Umwelt und Menschenrechte sollen vermieden oder, falls sie auftreten, beseitigt werden. Dafür setzt die CSDDD, wie das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), auf Unternehmensorganisationspflichten, etwa Verhaltenskodizes und Präventionspläne, kurzum: auf Risikomanagement.
Überblick über die CSDDD
Auf den ersten Blick bringt die CSDDD im Verhältnis zum LkSG eine deutliche Aufwertung der Menschen- und damit auch der Arbeitnehmerrechte.Ihr Anwendungsbereich ist deutlich weiter gefasst als der des LkSG. Während das LkSG seit dem 1. Januar 2024 für alle Unternehmen mit Sitz in Deutschland gilt, die in der Regel mindestens 1000 Arbeitnehmer beschäftigen (§ 1 Abs. 1 LkSG), wird die CSDDD Unternehmen mit Sitz in der EU mit im Schnitt mehr als 500 Beschäftigten und einem weltweiten Nettoumsatz von mehr als 150 Mio. EUR im letzten Geschäftsjahr erfassen. Auch Unternehmen mit Sitz außerhalb, aber Geschäftstätigkeit innerhalb der EU werden unter weiteren Voraussetzungen in den Anwendungsbereich der Richtlinie einbezogen. Entgegen der ursprünglichen Entwürfe ist der Finanzdienstleistungssektor derzeit noch vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen.
Außerdem sieht die CSDDD als wesentliche Neuerung im Verhältnis zum LkSG vor, dass bei Verletzung der gesetzlichen Präventions- oder Abhilfeverpflichtungen durch das Unternehmen eine zivilrechtliche Haftung greifen muss. Das LkSG dagegen enthält keine spezielle Haftungsnorm (s. vielmehr § 3 Abs. 3 LkSG).
In der Sache folgt die CSDDD einem Ansatz, der auch dem LkSG zugrunde liegt. Neben den Unternehmensorganisationspflichten sieht sie Standardsetzung durch die Unternehmen vor. Die verpflichteten Unternehmen sollen nicht nur innerhalb ihrer eigenen, ohnehin der deutschen bzw. europäischen Rechtsetzung unterliegenden Geschäftsbereiche für die Einhaltung der Sozial- und Umweltstandards sorgen, sondern ihre Markt- und damit Verhandlungsmacht als Abnehmer von Rohstoffen und Vorprodukten nutzen, um ihre Zulieferer in vertraglichen Vereinbarungen zur Gewährleistung von Umwelt- und Sozialstandards anzuhalten. Zudem sollen sie ihre Zulieferer verpflichten, die Standards wiederum an die nächsten Zulieferer weiterzugeben. Die Mindeststandards, so das Konzept, sickern auf diese Weise bis an den Beginn der Lieferkette durch. Private Standardsetzung und -durchsetzung tritt damit an die Stelle staatlicher Rechtsetzung und -durchsetzung.
Gerade dieser Ansatz aber ist bei näherem Hinsehen problematisch, und auch insgesamt verpasst die CSDDD die Gelegenheit, Lehren aus den Schwächen bereits vorhandener Regelwerke zu ziehen.
Rechtliche Schwächen der CSDDD
Dies beginnt bei den Standards für Arbeitsbedingungen, die sie den Unternehmen vorgibt. Welche Mindestarbeitsbedingungen in den Lieferketten genau zu gewährleisten sind, bleibt nach einem Blick in die CSDDD eher unklar: Sie nimmt vor allem Bezug auf völkerrechtliche Übereinkommen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass sich aus diesen Übereinkommen bestimmte Mindestarbeitsbedingungen ergeben, die Privaten hinreichende Orientierung bieten – dies ist aber in weiten Bereichen nicht der Fall. Die völkerrechtlichen Übereinkommen richten sich ihrer Natur nach an ihre Unterzeichnerstaaten, denen sie nur einen ungefähren Rahmen für eigene hoheitliche Tätigkeit ziehen. Um als Orientierung für das Handeln Privater zu dienen, sind daher die meisten Übereinkommen in wesentlichen Bereichen zu unbestimmt. So bleiben die für die Arbeitsbedingungen zentralen Arbeitsschutzstandards im Vagen, und auch das Verständnis der von den Unternehmen zu schützenden Koalitionsfreiheit variiert international deutlich. Selbst in Ländern, die das europäische Menschenrechtsverständnis übernommen haben und ein dem europäischen Rechtsbestand vergleichbares Arbeitsrecht aufweisen, die DR Kongo sei hier als Beispiel genannt, ist zu beobachten, dass unterschiedliche Vorstellungen darüber bestehen, was menschenwürdige Arbeit ausmacht und welche konkreten Arbeitsbedingungen damit stets zwingend eingehalten werden müssen.
Daneben kann der Regulierungsansatz, die Unternehmen an der Spitze der Lieferkette gleichsam als Ersatzgesetzgeber Mindeststandards für die Zulieferer setzen zu lassen, nur funktionieren, wenn die jeweiligen Unternehmen auch eine entsprechende Verhandlungs- und Marktmacht haben, die Bedingungen in Vertragsverhandlungen durchzusetzen. Dies muss aber nicht immer gegeben sein. Vielmehr gibt es Vorprodukte und Branchen, in denen deutsche und europäische Unternehmen von ausgewählten Zulieferern oder von Zulieferern aus bestimmten Ländern abhängig sind, die das europäische Verständnis von Menschenrechten nicht oder nur eingeschränkt teilen. Stark ausgeprägt sind etwa die Abhängigkeiten von China, das nicht nur über die weltweit größten Vorkommen an Seltenen Erden verfügt. China tritt auch als Zwischenhändler und Verarbeiter einer Vielzahl von Rohstoffen auf, etwa Kobalt, und nimmt hier teilweise eine dominante Position am Markt ein.
Europazentriertes Weltbild der CSDDD
Vor allem aber ist die CSDDD – nicht anders als das LkSG – von einem europazentrierten Weltbild geprägt und übersieht daher bestimmte Bedingungen im globalen Süden.
Positiv anzumerken ist, dass die CSDDD sich vom Arbeitnehmerbegriff lösen. Anders als im LkSG knüpfen wesentliche von den Unternehmen zu schützende Rechtspositionen nicht an den Arbeitnehmerstatus der zu schützenden Personen an. So nimmt die CSDDD die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte uneingeschränkt in Bezug, statt sich auf die Verwirklichung von Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu beschränken. Der Gedanke, allen in der Lieferkette tätigen Personen, unabhängig von ihrem Status als Arbeitnehmer, einen Mindestschutz zu gewähren, ist mit Blick auf die Gegebenheiten des globalen Südens sinnvoll. Dort gehört ein überwiegender Anteil der Beschäftigten dem informellen Sektor an, steht also formal nicht in einem Arbeitsverhältnis.
Die Durchsetzung ihrer Rechte wird aber gerade für die Menschen im globalen Süden schwierig bleiben: Anders als in Deutschland oder der EU ist es vielen Menschen im globalen Süden nicht möglich, ihre Rechte mit staatlicher Hilfe klären zu lassen oder staatliche Hilfe bei der Rechtsdurchsetzung zu erhalten, weil es aus finanziellen, geographischen oder sonstigen Gründen am Zugang zu Gerichten oder funktionsfähigen Behörden mangelt. Die CSDDD will dem zwar Rechnung tragen, indem sie etwa die Unternehmen zur Installation eines allen Personen offenstehenden Beschwerdemechanismus verpflichtet. Damit denkt die CSDDD aber europäisch und übersieht, dass in vielen Ländern des globalen Südens, gerade dort, wo eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Bevölkerung besonders nötig wäre, die Voraussetzungen nicht gegeben sind, unter denen ein Beschwerdemechanismus effektiv wirkt. Der umfassendste Rechtsbestand und der beste Beschwerdemechanismus laufen ins Leere, wenn die betroffene Person von ihm nichts erfährt und ihn nicht nutzen kann, weil sie nicht hinreichend alphabetisiert ist, keinen Internetzugang hat oder von bewaffneten Konflikten in ihrer persönlichen Sicherheit bedroht ist. Die CSDDD sieht ergänzend zwar unterschiedliche Durchsetzungsmechanismen in Europa vor, etwa behördliche Rechtsdurchsetzung innerhalb der Mitgliedstaaten, aber der Schlüssel zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen wäre die selbstbestimmte Rechtsdurchsetzung durch die Menschen vor Ort. Sie bleibt in der Praxis trotz CSDDD problematisch. Rechtliche Regulierung stößt unter den Rahmenbedingungen vieler Länder des globalen Südens an ihre Grenzen.
Gerade für jene Menschen in den Ländern des globalen Südens, deren Arbeits- und Lebensbedingungen besonders prekär sind, dürften die positiven Wirkungen der Lieferkettenregulierung mithin überschaubar bleiben. Der europäische Normgeber wird sich eingestehen müssen, dass private Unternehmen kein Ersatz für eine funktionierende Staatlichkeit sind.
Sincères félicitations aux auteurs pour cette contribution pertinente.
En République démocratique du Congo l’absence des effets de cette réglementation internationale est perceptible, surtout en ce qui concerne le travail décent dans l’industrie extractive. C’est bien d’adopter des telles initiatives pour sauver ceux qui sont en danger, mais c’est encore mieux de s’inspirer des réalités des lieux d’exploitation de ces matières premières pour proposer une réglementation très efficace.
Vielen Dank für den interessanten Beitrag. Sicher, Unternehmen können und sollen nicht die Aufgabe eines Ersatzgesetzgebers übernehmen. Rechtsetzung und -durchsetzung (letzteres ist meiner praktischen Erfahrung nach das Hauptproblem) ist eine staatliche Aufgabe.
Aber das heißt meines Erachtens nicht, auf die von den Lieferkettengesetzen initiierten privaten Standards zu verzichten. Sie sind wichtig. Zunächst: reguliert werden europäische Unternehmen und das mit guten Grund. Unternehmen, die international tätig sind, brauchen “Leitplanken” in Märkten, in denen das staatliche Recht nicht die erforderliche Orientierung bietet. Das ist – meinetwegen – reiner Eigennutz. Des Weiteren: durch die Lieferkettengesetze auf Ebene der Mitgliedstaaten und der Union hat die Diskussion über Wirtschaft und Menschenrechte eine praktische Seite bekommen. Das führt mittelfristig zu einem neuen Bewusstsein (wie etwa im Bereich der Antikorruption: natürlich ist durch die internationale Compliance die Korruption nicht verschwunden, aber es gibt einen breiten Konsens unter internationalen Unternehmen, dass Korruption ein Übel und zu Recht verboten ist). Schließlich können Codes of Conduct in Märkten des globalen Südens durchaus eine Wirkung haben, indem etwa (sub)Märkte entstehen für zertifizierte Produkte, die wiederum von der Einhaltung privater Richtlinien abhängen. Das klappt nicht überall.
Also: auf den Staat warten ist in vielen Situationen keine wirkliche Alternative. So jedenfalls meine praktischen Erfahrungen in der MENA Region.
Wo ich Ihnen nur zustimmen kann: der gerne praktizierte großflächige Verweis auf völkerrechtliche Verträge ist aus (vertrags)praktischer Sicht ein Alptraum, entsprechende Compliance-Klauseln sind entweder nicht komplett oder für Vertragspartner in Drittstaaten oft nicht verständlich (ganz zu Schweigen von der AGB-rechtlichen Problematik beim pauschalen Verweis auf komplexe Regelwerke). Hier wären materielle Prinzipien, die zugeschnitten sind auf die betreffenden Märkte des globalen Südens sehr viel hilfreicher.
Auch hinsichtlich des Rechtsschutzes stimme ich Ihnen zu: dieser muss auf die lokalen Gegebenheiten abgestimmt sein und z.B. berücksichtigen, dass es Länder gibt, in denen niemand eine wichtige Beschwerde in eine Ínternet-Maske eingeben würde …