“Ein goldener Käfig ist immer noch ein Käfig”
Ist ein Mensch mit geistiger Behinderung, der in einer absolut paradiesischen Institution eingesperrt wird und dort unter permanenter Aufsicht glücklich und zufrieden lebt, seiner Freiheit beraubt? Jawohl, das ist er, hat der britische Supreme Court kürzlich in einem Grundsatzurteil entschieden, und zwar mit ziemlich lesenswerten Gründen.
In dem Urteil ging es um zwei Schwestern im Teenageralter und einen 38-jährigen Mann, jeweils mit unterschiedlich schweren geistigen Behinderungen. Die eine Schwester war bei einer Pflegemutter untergebracht, die andere und der Mann jeweils in Heimen. Es ging ihnen offenkundig gut dort, und es gab keine Anzeichen, dass sie woanders hin wollten, aber es war klar, dass man sie daran gehindert hätte, wenn sie es versucht hätten.
Ist diese Art der Unterbringung ein Eingriff in ihr Recht auf persönliche Freiheit, mit der Folge, dass sie gerichtlich angeordnet und kontrolliert werden muss? Aus Sicht derer, die sich um die betroffenen Menschen kümmern, mag das wie eine unzumutbare Unterstellung wirken. Schließlich haben sie ja keinerlei Anlass gegeben, dass die von ihnen Betreuten weg wollten. Der Court of Appeal hatte denn auch in beiden Fällen keine Freiheitsbeschränkung erkennen können: Dass die Kläger sich nicht frei bewegen können, sei eine Folge ihrer Behinderung und sonst nichts. Ihre Lebensbedingungen seien so weit als möglich denen von Menschen ohne Behinderung angeglichen. Dass sie im Vergleich zu diesen nicht frei seien, sei der falsche Maßstab.
Genau hier liegt für den Supreme Court der Hase im Pfeffer: Das sei gerade nicht der falsche Maßstab, schreibt Lady Hale in ihrem Votum.
In my view, it is axiomatic that people with disabilities, both mental and physical, have the same human rights as the rest of the human race. It may be that those rights have sometimes to be limited or restricted because of their disabilities, but the starting point should be the same as that for everyone else. (…) Far from disability entitling the state to deny such people human rights: rather it places upon the state (and upon others) the duty to make reasonable accommodation to cater for the special needs of those with disabilities.
An diesem Maßstab liest Lady Hale ab, dass man seiner Freiheit beraubt ist, wenn man nicht gehen kann, wenn man möchte – egal, ob mit (und wegen) einer Behinderung oder ohne.
If it would be a deprivation of my liberty to be obliged to live in a particular place, subject to constant monitoring and control, only allowed out with close supervision, and unable to move away without permission even if such an opportunity became available, then it must also be a deprivation of the liberty of a disabled person. The fact that my living arrangements are comfortable, and indeed make my life as enjoyable as it could possibly be, should make no difference. A gilded cage is still a cage.
Daher komme es nicht darauf an, ob den Betroffenen ermöglicht wird, in “relativer Normalität” zu leben. Wer nicht ohne Aufsichtsperson ausgehen kann, niemanden treffen kann ohne Zustimmung der Aufsicht, nichts tun kann, was die Aufsicht nicht will, der ist nicht frei.
Es muss also, so Lady Hales Schlussfolgerung, eine unabhängige Kontrolle geben, die die Arrangements für die Betroffenen überwacht. Damit ist jetzt der britische Gesetzgeber gefordert.