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17 September 2024

Kein Thema, kein Problem!

Das rechte Recht und die deutschen Jura-Fakultäten

Das verschlungene Verhältnis zwischen Recht und Politik spielt in der juristischen Ausbildung leider eine zu geringe Rolle. Jura wird in erster Linie als technische Rechtsanwendungswissenschaft verstanden und gelehrt (so auch die zutreffende Kritik von Christoph Möllers). Dabei geht der Blick dafür verloren, dass sich das Recht im Kontakt mit politischen Strömungen – also auch im Kontakt mit der extremen Rechten – verändert, dass das Recht selbst Elemente dieser Strömungen aufnimmt. Dieses Rechte im Recht, seine rechtsextreme Menschen- und Demokratiefeindlichkeit und falsch verstandene Objektivität, werden in der juristischen Ausbildung zu wenig reflektiert.

Recht ist ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Situation, in der immer mehr Vertreter:innen rassistischer, homophober, antisemitischer und ableistischer Ressentiments den liberalen Rechtsstaat ganz unverblümt zur Durchsetzung ihrer Vorstellungen nutzen.

Das Rechte im Recht ist demokratiefeindlich. Es bedient sich bewusst der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit der rechtsextremen Ideologie und kann in Verwaltungsakten, Urteilen oder Rechtssätzen gefunden werden. Das Rechte im Recht erscheint in Verfahren, in denen entschieden wird, dass „Migration tötet“ keine Volksverhetzung, sondern Realität sei (hier und hier). In Behördenzimmern, in denen die Ausweisung damit begründet wird, dass von dem Verhalten des Menschen eine Gefahr für die „deutsche Volksgesundheit“ ausgeht.

Jura-Wahrheit: es sieht aus wie ein Hitler-Gruß, aber könnte auch ein wippender Arm sein

Das Rechte im Recht wird häufig durch eine unzutreffende Vorstellung, „objektiven“ Rechts verschleiert. Rechtskritische Ansätze machen auf die Folgen dieser Vorstellung von Objektivität und Autonomie des Rechts aufmerksam: Wenn Recht durch Menschen gemacht wird, dann machen Vorstellungen von „Objektivität“ die gesellschaftlichen Beziehungen und Machtverhältnisse zwischen Menschen unsichtbar (so aus feministischer Perspektive Eva Kocher).

Dazu ein Beispiel: Belegt mit der schweren Bürde einer missverstandenen Objektivität kann es auch Rechtslehrer:innen mal passieren, die Bewertung des Videos von Sylt ohne die Benennung des rechtsextremen Kontext als Wertungsfrage von Entscheidungsträger:innen abzutun und keine eigene Position dazu zu entwickeln. Eine so falsch verstandene eigene Objektivität kommt in der strafrechtlichen Einordnung ohne jeden Bezug zum offensichtlichen Rassismus aus und macht damit die rechtsextremen gesellschaftlichen Verhältnisse unsichtbar. Denn: Hitlergruß, Hitler-Bart und ideologischer Kontext durch den Text „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ könnte auch schlicht ein zu sehender ausgestreckter Arm sein, „dessen Hand im Takt der Musik wipp“(zu „objektiven Hitlergrüßen“ schon Kati Lang in Recht gegen Rechts: Report 2024, Aus Versehen den Arm gereckt).

Diese Vorstellung von falsch verstandener Objektivität von rechtlichen Bewertungen gegenüber einer neuen Normalität des unverhohlenem Party-Rechtsextremismus leisten den rechten Ideologien weiter Vorschub. Wenn in der Bewertung der gesellschaftliche Kontext von „Deutschland den Deutschen“ ignoriert wird, dann verstärkt diese Art der Objektivität die Menschen- und Demokratiefeindlichkeit des Rechten im Recht. Sie wird Teil des rechten Rechts. Denn diese Objektivität verkennt, dass in juristischen Entscheidungen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und rechtsstaatsbezogene Demokratiefeindlichkeit als Spiegel der Gesellschaft existieren oder als solche ignoriert werden. Das rechte Recht benutzt diese so missverstandene Objektivität für den demokratischen Schein.

Die Lehre über dieses Verhältnis zwischen Recht und politischem Inhalt findet in der juristischen Ausbildung nicht statt.  Die Gefahren rechter Ideologie und dem dafür anfälligen Recht sind an deutschen Universitäten im doppelten Sinne kein Thema.

Antifaschistische Bildung über die Gefahren des Rechts im Rechtsstaat

In Deutschland studieren im Sommer 2024 ca. 117.000 Studierende in Studiengängen der Rechtswissenschaften mit Abschluss „erste juristische Prüfung“ (Staatsexamen). In diesen 43 Fakultäten – das ergibt eine Durchschau aller entsprechenden (öffentlich zugänglichen) Vorlesungsverzeichnisse nach Seminartiteln – gibt es für diese Studierenden nahezu keine Seminare, die sich außerhalb des Pflichtstoffs mit Themen der menschen- und demokratiefeindlichen Ideologie des Rechtsradikalismus beschäftigen. Nur wenig Seminare werden konkret mit dem Titel „Antidiskriminierungsrecht“ oder ein im Titel mit über den Pflichtstoff hinausgehenden benannten „kritischen“ Inhalt (beispielsweise „Regulierung von Körper und Sexualität“ an der Universität Frankfurt am Main) angeboten. Zum  Thema „Rechtsextremismus“ und „Recht“ ließen sich bundesweit drei Seminare finden.1)

Das heißt: auf 117.000 Jura-Studierende kommen weniger als eine Handvoll Seminare, die sich (aus dem Titel erkennbar) mit der gesellschaftlichen und historischen Rolle des Rechts und des liberalen Rechtsstaats in autoritären Systemen, dessen rechter Ideologie und enger Verwobenheit auseinandersetzen. Dass es daneben noch Seminare gibt, die Recht immer im politischen Kontext besprechen, sei an dieser Stelle unbenommen.

Die juristische Ausbildung zielt auf ein blindes Vertrauen in den liberalen Rechtsstaat. Daher kommt sie ohne Bezüge zum rechten Recht, ohne Bezüge zu der menschen- und demokratiefeindlichen Ideologie des Rechtsextremismus aus. Denn die bildungsrelevanten Inhalte der Ausbildung zu einer Staatsjurist:in sind, so Ghazzal Novid, durch zwei staatssystemische Entscheidungen flankiert. Zum einen ist es das Monopol des Staates, seine Hüter:innen der Rechtsordnung selber auszusuchen, normativ verankert in § 5 des Deutschen Richtergesetzes. Zum anderen ist es die Entscheidung darüber, die inhaltliche Ausbildung an der objektiven Werteordnung der Verfassung und am Rechtsstaatsprinzip zu orientieren. Mit dieser reinen Ausrichtung am liberalen Rechtsstaat fehlt es an der kritischen Ausbildung der Jura-Studierenden darüber, wo sich das Rechte im Recht zeigt warum dieser als solcher keine adäquate Antwort auf rechtsextremistische Äußerungen und Ideologien hat.

Utopie vs Strategie

Was braucht es also für eine Staatsexamensausbildung, die nicht in diese Falle tappt? Sondern die Jurist:innen ausbildet, die mit geistiger Unabhängigkeit, politischer Sensibilität, moralischer Orientierung rechtliche Entscheidungen und Aussagen treffen können? Zum einen braucht es eine antifaschistische Ausbildung über die Gefahren des Rechts im Rechtsstaat. Damit meine ich keine unpolitische Extremismusbildung, bei der in der staatsorganisationsrechtlichen Vorlesung die „Feinde“ des liberalen Rechtsstaats mit Konzepten der „wehrhaften Demokratie“ oder der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ bekämpft werden sollen.

Richtig ist, dass noch mehr Lerninhalte über das rechte Recht offensichtlich nicht die Lösung der Probleme der juristischen Ausbildung sein können. Aber stärkere  Grundlagenfächer und andere Prüfungsordnungen zu fordern und eigene Schwerpunktseminare inhaltlich anzupassen ist keine schlechte Strategie. Insbesondere hat sie den Vorteil, dass auf dieser Ebene die Universitäten, Fachbereiche und Hochschullehrende über die inhaltliche Ausgestaltung der juristischen Ausbildung in ausreichendem Maße selber entscheiden können.

References

References
1 Die genaue Anzahl war bei der Durchschau aller Vorlesungsverzeichnisse aufgrund von überkomplizierten und unzugänglichen Internetauftritten der Universitäten nicht zu ermitteln.

SUGGESTED CITATION  Austermann, Nele: Kein Thema, kein Problem!: Das rechte Recht und die deutschen Jura-Fakultäten, VerfBlog, 2024/9/17, https://verfassungsblog.de/kein-thema-kein-problem/, DOI: 10.59704/a220dca0411b8ef1.

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