01 August 2025

Niemals normal

Wie behördliche Datensätze Diskriminierungen ermöglichen könnten

Nach langem Ringen trat im November 2024 endlich das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) in Kraft, das es ermöglicht, Vornamen und Geschlechtseintrag durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt dem gelebten und empfundenen Geschlecht anzupassen. Nun hat das Bundesinnenministerium einen Referentenentwurf vorgelegt, der die antidiskriminierende Zielsetzung des SBGG weit verfehlt: Durch verschiedene Änderungen im Melderecht will das Bundesinnenministerium einführen, dass der alte Geschlechtseintrag und die alten Vornamen einer Person nach einer Änderung gemäß SGBB Bestandteil ihres behördlichen Datensatzes bleiben und diese Daten mit anderen Behörden geteilt werden. Das Bundesinnenministerium behauptet, dass diese Änderungen aufgrund der Neuerungen des SBGG erforderlich seien. Doch tatsächlich handelt es sich um eine sinnlose Datenerfassung und -weitergabe, die das Grundrecht von trans*, inter* und nicht-binären (TIN) Personen auf informationelle Selbstbestimmung missachtet und per innerbehördlichem Zwangsouting ihr Grundrecht auf Gleichberechtigung gefährdet.

Die geschlechtliche Änderungshistorie

Die Änderungsvorschläge des Bundesinnenministeriums betreffen Vorschriften in Verordnungen, die die Erhebung und Weitergabe von Meldedaten zwischen Behörden regeln: der Ersten und Zweiten Bundesmeldedatenübermittlungsverordnung, der Bundesmeldedatenabrufverordnung und der Bundesmeldedatendigitalisierungsverordnung. Die Meldebehörden sind die Schaltstellen der Datenanpassung bei Änderungen nach dem SBGG. In der Regel ist das Geburtsstandesamt gem. § 45b Abs. 2 Personenstandsgesetz für die Änderungen nach dem SBGG zuständig; es trägt diese in das Geburtenregister ein und stellt eine neue Geburtsurkunde aus. Danach informiert das Geburtsstandesamt nach § 57 Abs. 4 Nr. 4 Personenstandsverordnung die zuständige Meldebehörde, die anschließend weitere Datenänderungen veranlasst.

Als ersten Schritt schlägt der Referentenentwurf vor, den Meldedaten neue Datenblätter hinzufügen. Diese sollen hinter dem Datenblatt stehen, das das aktuelle Geschlecht darstellt, sodass stets sichtbar ist, dass der Geschlechtseintrag geändert wurde: Datenblatt 0702 soll den alten Geschlechtseintrag aufführen, Datenblatt 0703 das Datum der Änderung und Datenblatt 0704 die ändernde Behörde nebst Aktenzeichen. Die geschlechtliche Änderungshistorie einer Person wird so Teil ihres persönlichen Datensatzes. Nur: Was das Bundesinnenministerium hier als Vorhaben ankündigt, ist längst umgesetzt. Die angekündigten drei neuen Datenblätter wurden bereits mit Wirkung zum 1. April 2025 durch die 20. Änderung des Datensatzes für das Meldewesen aufgenommen.

Datenaustausch über die geschlechtliche Vergangenheit

Neu ist hingegen, dass mehr Daten als bisher ausgetauscht werden sollen: bei Umzügen sollen der alte Geschlechtseintrag und teilweise das Änderungsdatum, die ändernde Behörde und das Aktenzeichen der Änderung sowie vorherige Vornamen und ihre Änderungsgeschichte bei jedem Umzug mitwandern, indem sie zwischen Zuzugsmeldebehörde und Wegzugsmeldebehörde ausgetauscht werden (Artikel 1 des Referentenentwurfs). Dadurch würde auch noch 30 Jahre nach einer Transition die neue Meldebehörde erfahren, dass eine Person einmal einen anderen Geschlechtseintrag hatte.

Artikel 2 des Referentenentwurf betrifft hingegen eine einmalige Übermittlung bei einer Änderung von Vorname und Geschlechtseintrag. Auch bislang informieren die Meldebehörden nach einer Änderung von Vorname und/oder Geschlechtseintrag die Datenstelle der Rentenversicherung und das Bundeszentralamt für Steuern. Nach den Plänen des Bundesinnenministeriums soll die Meldebehörde zukünftig nicht nur über die Änderung informieren und dafür neue Vornamen und neuen Geschlechtseintrag mitteilen. Auch der Rentenversicherung soll sie zusätzlich vorherige Geschlechtseinträge, das Datum der Änderung, die ändernde Behörde und das Aktenzeichen der Änderung mitteilen (Artikel 2 Nr. 1 Referentenentwurf) und dem Bundeszentralamt für Steuern den alten Geschlechtseintrag übermitteln (Artikel 2 Nr. 2 Referentenentwurf), jedoch ohne Änderungsdatum, ändernde Behörde und Aktenzeichen.

Neben der Datenübermittlung bei einer Änderung nach dem SBGG oder einem Umzug sieht der Referentenentwurf Änderungen bei der Durchführung von Personensuchen in den Meldedaten vor. Künftig sollen die Meldebehörden die gespeicherten Daten nicht nur wie bisher zur Verfügung stellen, damit andere Behörden ihre Aufgaben erfüllen können, sondern sie sollen diese Daten auch nach erweiterten Kriterien durchsuchbar machen. Konkret bedeutet das: Bei Suchanfragen nach bestimmten Personen (§ 34a Abs. 2 Bundesmeldegesetz) und nach einer Vielzahl namentlich unbestimmter Personen (§ 34a Abs. 3 BMG) soll auch der alte Geschlechtseintrag ein zulässiges Suchkriterium sein können. Andersherum soll einer suchenden Behörde nicht nur der aktuelle, sondern auch der alte Geschlechtseintrag mitgeteilt werden (Artikel 3 Referentenentwurf).

Schließlich sieht der Referentenentwurf vor, dass der alte Geschlechtseintrag und seine Änderungshistorie auf Meldebescheinigungen sowie Selbstauskünften erscheinen dürfen. Auf Selbstauskünften sollen außerdem alte Vornamen und deren Änderungshistorie auftauchen können (Artikel 4 Nr. 1 Referentenentwurf). Allerdings dürfen diese Daten bereits nach geltendem Recht nur auf diesen Dokumenten erscheinen, wenn die betroffene Person dies selbst beantragt.

Keine Erforderlichkeit der Datenerhebung…

Der Referentenentwurf führt aus, dass die Änderungen erforderlich seien, damit Personen bei einer Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag nach dem SBGG „weiterhin identifiziert werden können und ihre Identität nachvollziehbar ist“ (Referentenentwurf, S. 2). Das hält einer Überprüfung nicht stand.

Denn eine Datenerhebung und -speicherung ist ein zu rechtfertigender Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, das dem Einzelnen die Befugnis gewährt, „grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner Daten zu bestimmen“ (BVerfG – Volkszählungsurteil, Rn. 147).

Erstens bleibt das Bundesinnenministerium eine Erklärung schuldig, was das SBGG in puncto Identifizierbarkeit und Nachverfolgbarkeit der Personen, die eine Änderung durchführen, tatsächlich geändert hat. Zwar hat das SBGG das Verfahren, wie Vorname und Geschlechtseintrag geändert werden können, reformiert – die Veränderungsmöglichkeit an sich besteht jedoch in einem geregelten Verfahren bereits seit Inkrafttreten des sog. Transsexuellengesetzes 1981. Von einer neuen Situation kann nach über 40 Jahren Verwaltungspraxis nicht mehr die Rede sein, worauf auch der LSVD+ – Verband Queere Vielfalt und der Bundesverband Trans* in ihren Stellungnahmen hingewiesen haben.

Zweitens stehen in den Datenübermittlungsfällen, die das Bundesinnenministerium neu regeln will, ausreichend andere Daten bereits nach geltendem Recht zur Verfügung. Der vorherige Geschlechtseintrag ist für eine eindeutige Identifizierbarkeit der Personen daneben nicht erforderlich. Beispielsweise wird bei einem Umzug die Steuer-Identifikationsnummer (Steuer-ID) zwischen den Meldebehörden übermittelt (§ 4 Abs. 1 Nr. 8 bzw. § 6 Abs. 1 Nr. 8 Erste Bundesmeldedatenübermittlungsverordnung) ebenso wie bei einer Vornamens- oder Geschlechtseintragsänderung von der Meldebehörde ans Bundeszentralamt für Steuern (§ 9 Abs. 1 Nr. 11 Zweite Bundesmeldedatenübermittlungsverordnung). Diese Nummer erhält jede Person nur einmal in ihrem Leben (§ 139b Abs. 1 Abgabenordnung), sie bleibt auch bei Änderungen der Vornamen und des Geschlechtseintrags unverändert. Die Identifizierung ist dadurch zweifellos sichergestellt. Der Übermittlung des alten Geschlechtseintrags bedarf es nicht.

Auch in den verbleibenden Fällen, in denen die Steuer-ID nicht übermittelt wird, stehen eine Vielzahl anderer Identifikationsmerkmale zur Verfügung. Es ist deshalb nicht ersichtlich, warum eine Zuordnung ohne Angabe des vorherigen Geschlechtseintrags scheitern sollte. Hier müsste die Gesetzgebung die Erforderlichkeit begründen – eine formelhafte abstrakte Behauptung reicht nicht. Völlig unverständlich ist zudem, warum eine Mitteilung der Behörde, die die Änderung vorgenommen hat, sowie des Aktenzeichens erforderlich sein sollte, um eine Person zu identifizieren.

…sondern erhebliches Diskriminierungspotenzial

Ob die anvisierten Datenverarbeitungen erforderlich sind, steht demnach ernsthaft in Frage. Deutlich ist hingegen die Diskriminierungsgefahr, die damit einhergeht.

Die Möglichkeit, Geschlechtsidentität und Personenstand in Einklang zu bringen, ist verfassungsrechtlich geboten, denn ihre Verweigerung stellt einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG dar (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit 1978). Wenn eine Person ihren Vornamen und Geschlechtseintrag zwar ändern kann, dann jedoch gezwungen wird, immer auch den alten Vornamen und Geschlechtseintrag in ihrem behördlich hinterlegten Datensatz mitzuschleppen, stellt sich die Frage, ob darin auch ein Grundrechtseingriff zu sehen ist. Diesen Datensatz kriegen nur Behördenmitarbeitende zu Gesicht, TIN-Personen sind mit ihm nicht alltäglich konfrontiert und könnten in einem Großteil ihres Lebens trotz dieses Datensatzes ungestört mit ihren neuen Vornamen und Geschlechtseintrag leben. Doch wenn sie eine Behörde aufsuchen, z.B. weil sie sich nach einem Umzug anmelden, würde die Person in der Meldebehörde den alten Geschlechtseintrag einsehen. Das automatische Einsehen des alten Geschlechtseintrags und der alten Vornamen stellt im Verhältnis zwischen Behördenmitarbeiter*in und antragstellender Person ein unfreiwilliges Outing dar, denn viele trans*- und inter* Personen sind nicht von außen als solche erkennbar. Dieses Zwangsouting wiegt umso schwerer, je weniger die Person sich dem Kontakt mit staatlichen Stellen entziehen kann, etwa weil eine Anmeldung nach einem Umzug verpflichtend ist (§ 17 Bundesmeldegesetz). Dieser Eingriff ins Allgemeine Persönlichkeitsrecht lässt sich kaum rechtfertigen, wenn die Datenspeicherung und/oder -weitergabe bereits nicht erforderlich ist.

Zwangsoutings sind nicht folgenlos. Sie setzen trans* und inter* Menschen einer unnötigen Diskriminierungsgefahr aus. In der dritten LGBTIQ-Erhebung der Grundrechteagentur der EU gaben 25% der trans* Frauen, 18% der trans* Männer und 20% der nicht-binären Personen in Deutschland an, in den letzten 12 Monaten Diskriminierungen im Kontakt mit öffentlichen Stellen und Verwaltungsbehörden erlebt zu haben, wobei intergeschlechtliche nicht-binäre Personen deutlich häufiger Diskriminierungen erlebten als endogeschlechtliche nicht-binäre Menschen. Auch das Bundesverfassungsgericht stellte 2017 fest, dass nicht-binäre Menschen in einer binär strukturierten Gesellschaft besonders vulnerabel sind (Rn. 59).

Identifizierbarkeit gewährleisten, Grundrechte schützen

Nicht als trans*, inter* oder nicht-binär erkannt zu werden, kann diese Personen vor Diskriminierungen schützen. Im sozialen Leben jenseits der Bürokratie hängt das häufig von einem erfolgreichen „Passing“ ab, das heißt erfolgreich als das Geschlecht gelesen zu werden, als das man sich präsentiert: Dritte sehen in einem trans* Mann schlicht einen Mann und in einer trans* Frau schlicht eine Frau. Wie würde ein bürokratisches Passing aussehen? Es würde bedeuten, dass nicht ohne Weiteres aus der persönlichen Akte erkennbar ist, dass eine Person trans*, inter* oder nicht-binär ist, wenn diese es nicht von sich aus offenlegt.

Zu Datenerhebungen im Zusammenhang mit Geschlechtsidentität hat dieses Jahr bereits der EuGH entschieden, auch wenn es dabei um die Datenerhebung durch ein privates Unternehmen ging. Der EuGH erkannte und betonte ebenfalls das besondere Diskriminierungspotenzial, das geschlechtsbezogene Datenerhebungen für TIN-Personen bergen (Rn. 60-63). Außer beim Geschlechtseintrag „divers“, bei dem es gerade um die Anerkennung als eine nicht-binäre Person geht, wird das trans* oder inter*Sein erst dadurch bürokratisch sichtbar, dass die Änderungshistorie des Geschlechtseintrags (und der Vornamen) offengelegt wird. Der effizienteste Diskriminierungsschutz ist es deshalb, dieses Wissen möglichst zu beschränken. Der alte Eintrag kann an einer Stelle bestehen und durchsuchbar bleiben, z.B. bei einer Personensuche. Wenn also etwa die Polizei in einem Ermittlungsverfahren oder eine private Gläubigerin nur den Namen einer Person kennt, den diese inzwischen abgelegt hat, wäre diese „alte“ Person weiter auffindbar. Der alte Eintrag könnte dann auf den neuen Eintrag verweisen. Wenn bei diesen Suchen der „alte“ Name und der „alte“ Geschlechtseintrag jedoch noch nicht bekannt sind (z.B. weil es sich um einen Treffer im Rahmen einer offenen, nicht personenspezifischen Suche handelt), sollte trotz der Ausnahme vom Offenbarungsverbot nach § 13 Abs. 4 SBGG für Datenaustäusche zwischen Behörden den Grundrechten der betroffenen Personen Rechnung getragen und diese Informationen nicht im Regelfall, sondern nur bei einem rechtlichen Interesse im Einzelfall herausgegeben werden. Ein Verweis vom neuen auf den alten Eintrag ist hingegen nicht erforderlich, da alle vorherigen Informationen auch im neuen Datensatz fortgeführt werden. Wer den neuen Namen kennt, findet die Person – denn dieser ist der offizielle Name. Das Offenbarungsverbot nach § 13 SBGG schützt gerade die neue Identität.

Dass trans* Personen sich seit 1981 durch die staatliche Änderung ihres Vornamens und Geschlechtseintrags massenweise Gläubiger*innen oder Ermittlungs- und Strafverfahren entziehen konnten, ist nicht bekannt. Im Gegenteil: Das bestehende System funktioniert – auch für Änderungen nach dem SBGG. Warum sollte also das Verfahren geändert werden? Der Referentenentwurf gibt darauf keine Antwort. Stattdessen kreiert er eine unnötige Datenflut und gefährdet damit Grundrechte.

Anmerkung: Ich danke Prof. Dr. Konstanze Plett, LL.M. für die fruchtbare Diskussion des Referentenentwurfs und das stete großzügige Teilen ihres detailreichen Wissens.


SUGGESTED CITATION  Markwald, Nick: Niemals normal: Wie behördliche Datensätze Diskriminierungen ermöglichen könnten, VerfBlog, 2025/8/01, https://verfassungsblog.de/sbgg-geschlechtseintrag-melderecht/.

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