Reproduktive Ungerechtigkeit
Nachholbedarf auch in Deutschland
Reproduktive Rechte befinden sich weltweit in einer Krise. Der aktuelle Weltbevölkerungsbericht der Vereinten Nationen zeigt, dass Familienplanung und Fortpflanzung unter erheblichem (bevölkerungs-)politischen Druck stehen. Eingeschränkter Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen und Verhütungsmitteln sowie prekäre wirtschaftliche, rechtliche und soziale Bedingungen verschärfen die Lage – besonders für Frauen, queere und marginalisierte Gruppen. Auch in Deutschland macht sich das bemerkbar. Die jüngst veröffentlichte ELSA-Studie macht deutlich, dass die Versorgungslage bei ungewollter Schwangerschaft prekär ist und bei Betroffenen zu psychosozialen Belastungen führt. Schwarze Aktivistinnen fordern seit langem, diese Entwicklung nicht nur als Einschränkung persönlicher Freiheit zu sehen, sondern die strukturellen Ursachen als Teil der reproduktiven Gerechtigkeit („Reproductive Justice“) zu betrachten. Das erfordert ein Umdenken. Reproduktive Rechte sind kein Randthema, sondern fundamental für demokratische Gleichheit. Ohne Kontrolle über den eigenen Körper bleibt politische Teilhabe letztlich unvollständig.
Globale Krise reproduktiver Selbstbestimmung
Der Weltbevölkerungsbericht 2025 („Fertilität im Fadenkreuz“) zeichnet ein alarmierendes Bild: 44 % aller Frauen und Mädchen weltweit haben keine Kontrolle über ihre sexuellen Beziehungen, Verhütungsentscheidungen und reproduktive Gesundheitsversorgung (S. 39). Regierungen versuchen zunehmend, die Geburtenzahlen durch direkte Eingriffe zu regulieren. Dazu gehören Verbote von Schwangerschaftsabbrüchen (S. 23 ff., 39, zum Overruling „Roe v Wade“ siehe hier), Einschränkungen bei der Sexualaufklärung (S. 49 ff.) oder wirtschaftliche Anreize wie „Baby-Boni“ (S. 48). Die Folgen sind weitreichend: Zwangsverheiratungen von Minderjährigen (S. 22), gesundheitliche Risiken für Frauen in Ländern mit restriktiven Abtreibungsgesetzen (S. 23 ff., S. 85, siehe auch Addante et al. 2021, WHO 2024), aber auch soziale und ökonomische Konsequenzen wie der Abbruch von Bildungs- und Berufskarrieren, soziale Stigmatisierung und Ausgrenzung (S. 25, S. 75, Abhary et al. 2023). Werden reproduktive Rechte eingeschränkt, geht dies mit einer körperlichen Gefährdung und einem systematischen Ausschluss von Frauen, queeren und marginalisierten Menschen von gesellschaftlicher Teilhabe einher (S. 73, S. 90).
Reproduktive Selbstbestimmung ist damit eine Frage individueller Freiheit und zentraler Maßstab sozialer Gerechtigkeit. Der Bericht betont die Notwendigkeit, Wahlfreiheit zu stärken, Geschlechtergerechtigkeit durchzusetzen, vor Gewalt zu schützen und Familien strukturell zu unterstützen – etwa durch diskriminierungsfreien Zugang zu Gesundheitsversorgung, faire Arbeitsbedingungen, bezahlbaren Wohnraum und die Anerkennung der Vielfalt von „Familie“. Für die notwendigen Transformationen sind rechtliche Konzepte erforderlich, die auf den Grundsätzen der Diskriminierungsfreiheit, Gleichberechtigung und sozialen Gerechtigkeit basieren.
Reproduktive Rechte als Kernelemente des demokratischen Rechtsstaates
Sexuelle und reproduktive Rechte sind integraler Bestandteil demokratischer Selbstbestimmung (Lembke 2024). Staatliche Regelungen zu Schwangerschaft, Geburt, Verhütung und Elternschaft beeinflussen die gesellschaftliche Teilhabe der Betroffenen erheblich. Wer keine Kontrolle über die eigene Sexualität und Fortpflanzung hat, ist in den Möglichkeiten zu Bildung, Arbeit, politischer und zivilgesellschaftlicher Partizipation sowie Selbstverwirklichung eingeschränkt. Reproduktive Rechte, verstanden als fundamentale Menschenrechte, garantieren jeder Person die freie und eigenverantwortliche Entscheidung in Fragen der Sexualität, Familienplanung, Schwangerschaft und Geburt, ohne Diskriminierung, Zwang oder Gewalt (European Institute for Gender Equality). Dazu gehören das Recht auf diskriminierungsfreien Zugang zu Informationen und Gesundheitsdiensten, die Selbstbestimmung über Anzahl und Altersabstand der Kinder, Schutz vor sexualisierter und reproduktionsbezogener Gewalt sowie soziale Sicherung.
International sind sie in Menschenrechtsabkommen wie der UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW), der Antirassismuskonvention (ICERD) und der Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verankert. National werden sie selten explizit garantiert. Die französische Verfassung, die mittlerweile das Recht auf Schwangerschaftsabbruch ausdrücklich erwähnt (Article 34), bildet die Ausnahme. In Deutschland werden das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung (Valentiner 2021) und das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung (Klein 2023) vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) erfasst. Daneben erhalten reproduktive Rechte durch die Familiengründungsfreiheit (Art. 6 Abs. 1 GG), die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG), den Mutterschutz (Art. 6 Abs. 4 GG) sowie das Gleichberechtigungsgebot und Geschlechtsdiskriminierungsverbot (Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG) weitere Kontur.
Die freiheitsrechtliche Verankerung im Grundgesetz ist dabei zentral. Um reproduktive Gerechtigkeit herzustellen, ist es aber weitergehend notwendig, die strukturellen und individuellen Bedingungen dieser Freiheiten zu berücksichtigen und den Staat in seiner Gewährleistungsverantwortung zu adressieren. Dafür sind die Grundrechte vor allem hinsichtlich der Dimensionen der Schutzpflichten, Teilhabe und Nichtdiskriminierung zu stärken. Eine unzureichende medizinische und psychosoziale Versorgungslage für ungewollt Schwangere kann etwa zu einer derart spezifischen Gefährdungslage für die reproduktiven Rechte führen, dass staatliche Schutzpflichten ausgelöst werden (zu dem verfassungsrechtlichen Schutzkonzept näher Valentiner 2021, S. 402 ff.).
Reproduktive Gerechtigkeit als intersektionaler, menschenrechtsbasierter Ansatz
Die Idee, reproduktive Rechte als umfassende Gerechtigkeitsfrage zu begreifen, ist nicht neu. Sie stammt von schwarzen Feministinnen und antirassistischen NGOs, die sich vor der Weltbevölkerungskonferenz 1994 in Kairo und der Weltfrauenkonferenz 1995 in Beijing in Chicago trafen. Mit dem Konzept „Reproductive Justice“ wollten sie Lücken in den individualistischen Selbstbestimmungsdiskursen im Bereich der Reproduktion schließen (Ross/Solinger 2017). Reproduktive Gerechtigkeit umfasst danach (1) das Recht, kein Kind zu bekommen, (2) das Recht auf Kinder und (3) das Recht, Kinder in sicheren und gesunden Lebensbedingungen großzuziehen (Ross/Solinger 2017). Die Umsetzung dieser Rechte erfordert, strukturelle Bedingungen, Hindernisse und Ausschlüsse aus einer intersektionalen Perspektive zu identifizieren und abzubauen (Ross/Solinger 2017). Zentrale Fragen sind: Wer wird systematisch vom Zugang zu (reproduktions-)medizinischer Versorgung ausgeschlossen? Auf welche Lebensrealitäten zielen familien- und bevölkerungspolitische Maßnahmen ab? Welche Familienkonstellationen werden gefördert, welche nicht?
Das Konzept integriert auch menschenrechtsbasierte Ansätze für sexuelle und reproduktive Rechte. Ergänzend haben Organisationen wie die World Association for Sexual Health mit der Declaration of Sexual Rights und die International Planned Parenthood Federation mit ihrer Declaration rechtlich unverbindliche, aber richtungsweisende Vorschläge für umfassendere Rechtskonzeptionen entwickelt.
Der Grundrechtsdiskurs kann von diesen Ansätzen lernen. Sexuelle und reproduktive Rechte sichern nicht nur Selbstbestimmung für privilegierte Personen, die sie einfordern und durchsetzen können. Sie gewährleisten gleiche Freiheit für alle. Der Staat trägt eine Verantwortung, die elementaren Bedingungen für diese Rechte sicherzustellen. Das bedeutet, Schutzpflichten wie den Schutz des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und den Mutterschutz umzusetzen. Es bedeutet auch, in Reformdebatten zu Schwangerschaftsabbrüchen, Eizellabgaben oder Leihmutterschaft die Dimensionen von Teilhabe, Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung zu berücksichtigen. Das Konzept der reproduktiven Gerechtigkeit lenkt den Fokus auf die gesellschaftlichen Bedingungen hinter rechtlichen Normen und sensibilisiert für Strukturen, Hierarchien und Machtverhältnisse: Soziale Realitäten und Ungleichheiten müssen berücksichtigt werden, um reproduktive Rechte im Sinne sozialer Gerechtigkeit umzusetzen.
Dies gelingt durch einen interdisziplinären Diskurs, der rechtliche, sozialwissenschaftliche, medizinische und ethische Perspektiven vereint. Die komplexen Wechselwirkungen zwischen rechtlichen Rahmenbedingungen, medizinischen Standards, sozialen Ungleichheiten und kulturellen Normen erfordern Perspektiven, die über die Rechtswissenschaft hinausgehen. Sozialwissenschaftliche Forschung liefert empirisch fundierte Erkenntnisse zu struktureller Ungleichheit, etwa beim Zugang zu Reproduktionsmedizin (Köppen et al. 2021) oder Schwangerschaftsabbrüchen (ELSA-Studie 2025 | BMG). Sie belegt regionale Versorgungslücken bei medizinischen und psychosozialen Angeboten u.a. für Schwangerschaftsabbrüche (Han et al. 2025) oder psychosoziale Belastungen durch reproduktionsmedizinische Behandlungen (Schmidt 2010). Durch die Verbindung unterschiedlicher Perspektiven lassen sich die Ursachen struktureller Ungleichheiten erkennen und konkrete, evidenzbasierte Handlungsempfehlungen ableiten (siehe Forschungsnetzwerk ReproGerecht).
Baustellen und Perspektiven für reproduktive Rechte in Deutschland
Auch in Deutschland zeigen sich Rückschritte bei der Gewährleistung reproduktiver Rechte. Besonders deutlich wird dies bei drei gegenwärtigen Baustellen, welche die Verfügungsbefugnis über den Körper, die Entscheidung für oder gegen Fortpflanzungdie rechtliche Anerkennung als Familie betreffen und Auswirkungen auf die politische Teilhabe haben: Schwangerschaftsabbrüche sind weiterhin im Strafgesetzbuch geregelt und damit kriminalisiert (1); queere Elternschaft ist rechtlich nur unzureichend abgesichert (2); reproduktionsmedizinische Verfahren wie die Eizellabgabe sind verboten (3). Wer es sich leisten kann, nimmt sie jedoch im Ausland in Anspruch. Reproduktive Selbstbestimmung hängt aktuell vom sozio-ökonomischen Status, der sexuellen Orientierung oder dem Geschlecht ab und ist damit von sozialer Ungerechtigkeit geprägt.
Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen als strukturelle Barriere
Schwangerschaftsabbrüche sind weiterhin rechtswidrig, auch wenn die gesetzlich für die Straflosigkeit geforderten Voraussetzungen – Beratung, Bedenkzeit, Durchführung durch eine*n Ärzt*in – erfüllt sind (§ 218a StGB). Diese dogmatisch außergewöhnliche Konstruktion führt zu reproduktiver Fremdbestimmung und macht Schwangerschaftsabbrüche weiterhin gesellschaftlich illegitim (siehe auch Wapler). Obwohl die Expert*innenkommission der letzten Bundesregierung sich in ihrem Abschlussbericht für eine Entkriminalisierung ausgesprochen hat und die Mehrheit der Bevölkerung diese befürwortet, scheiterte die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in der letzten Legislatur, und aktuell fehlt der politische Wille.
Mit der Formulierung, Frauen in Konfliktsituationen „zum Schutz des ungeborenen Lebens“ zu unterstützen (S. 102), stellt der Koalitionsvertrag den Embryonenschutz ins Zentrum und drängt reproduktive Autonomie und reproduktive Gerechtigkeit in den Hintergrund. Die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung prüfen zu lassen ist nur ein schwacher Reformansatz. So verfehlt der Umgang mit Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland reproduktive Gerechtigkeit. Statt eines diskriminierungsfreien Zugangs zum Recht, kein Kind zu bekommen, bleiben rechtliche Hindernisse bestehen, was die Versorgungslage verschlechtert.
Anerkennung queerer Elternschaft nur innerhalb heteronormativer Strukturen
Auch im Familienrecht werden reproduktive Rechte nicht als Rechte auf gleichberechtigte Teilhabe angesehen. Queere Elternschaft bleibt trotz der wachsenden Zahlen gleichgeschlechtlicher Paare mit Kind gänzlich unberücksichtigt. Der aktuelle Koalitionsvertrag verspricht den Schutz vor Diskriminierung für queere Menschen (S. 104) und will eine Reform des Familienrechts am Kindeswohl ausrichten (S. 90). Das erfordert, dass jedes Kind von Geburt an zwei rechtliche Elternteile haben kann, unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung oder Familienstand. Der jüngste Referentenentwurf aus dem Justizministerium konzentriert sich lediglich auf die Stärkung der Rechte biologischer Väter und ignoriert die zunehmende Vielfalt an Lebens- und Familienmodellen.
Zugang zu reproduktionsmedizinischen Behandlungen nur für wenige Menschen
Auch der Zugang zu reproduktionsmedizinischen Verfahren zeigt reproduktive Gerechtigkeitslücken. Die anteilige Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung gilt nur für heterosexuelle Ehepaare und hat starre Altersgrenzen (§ 27a Abs. 1, Abs. 3 SGB V). Eizell- und Embryonenspende sowie Leihmutterschaft sind in Deutschland gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 7 ESchG sowie § 13a AdVermiG gänzlich verboten und strafbar. Dies schafft Ungleichheit: Wer es sich leisten kann, geht ins Ausland und greift dort auch auf unregulierte oder kaum regulierte Reproduktionsmärkte zurück.
Das Verbot der Eizellabgabe verletzt das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung, das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützt ist. Dies betrifft sowohl Personen, die Eizellen spenden möchten, als auch Empfänger*innen, die auf diese Spenden angewiesen sind, um Kinder zu bekommen (Sanders/Scheliha/Westermeyer/Piekarska, RuP 2024, 266–268). Es beruht auf der gesetzgeberischen Annahme, dass eine „gespaltene Mutterschaft“ (in biologische und genetische Mutter) das Kindeswohl gefährde. Aktuelle empirische Studien widerlegen dies klar (z.B. Remes et al. 2022, Goisis/Myrskylä 2021, Hahn 2001). Das bestehende Verbot erfüllt die ihm zugedachte Schutzfunktion ohnehin nicht vollständig: Es verhindert nicht den Rückgriff auf Eizellabgaben im Ausland und schützt eizellspendende Personen nicht effektiv vor Ausbeutung (von Scheliha 2025). Die Verlagerung ins Ausland erhöht diese Risiken und fehlende Regularien verschärfen medizinische wie psychosoziale Gefahren.
Die Eizellabgabe zu legalisieren würde mehrere Dimensionen reproduktiver Gerechtigkeit stärken: Ein geregeltes System gewährleistet den Schutz der Eizellen abgebenden und empfangenden Personen sowie die Rechte des Kindes, insbesondere das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Notwendig, aber auch hinreichend wären Regelungen zu verbindlicher medizinischer Aufklärung, psychosozialer Beratung, angemessener Aufwandsentschädigung, Höchstgrenzen, Mindestabstände, zentraler Dokumentation und Importverbote für anonyme Eizellen (von Scheliha 2025). Darüber hinaus erfordert eine an reproduktiver Gerechtigkeit ausgerichtete Diskussion ein ehrliches Gespräch darüber, warum die Reproduktionsmedizin an Bedeutung gewinnt: Bedingt durch Bildungsexpansion, die verstärkte Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt, (ökonomische) Unsicherheiten, Wohnungsnot und instabilere Partnerschaften steigt das Erstgeburtenalter von Frauen in Deutschland auf über 30 Jahre (Trappe/Köppen 2021).
Reproduktive Gerechtigkeit als Prüfstein für demokratische Teilhabe ernstnehmen
Reproduktive Gerechtigkeit ist in Deutschland keine Realität. Reproduktive Rechte werden weiter als Randthema behandelt und bestehen bestenfalls auf dem Papier. Dies zeigt auch der Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung, der „sexuelle/reproduktive Gesundheit und Rechte“ auf nur zwei Seiten (S. 102, S. 111) in wenigen Sätzen erwähnt – fast am Ende des 146 Seiten umfassenden Dokuments. Der Reformbedarf im Abstammungsrecht wird nicht einmal mehr erwähnt und die Angaben zur geschlechtersensiblen Anpassung der anteiligen Eigenfinanzierung von assistierter Reproduktion sowie zur Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen durch die Gesetzliche Krankenversicherung sind mehr als vage (S. 102, S. 111). In den Debatten um die gescheiterte Wahl von Professorin Frauke Brosius-Gersdorf zur Bundesverfassungsrichterin zeigte sich mangelndes Bewusstsein der Union darüber, dass die Finanzierungsfrage zum Schwangerschaftsabbruch nicht losgelöst von einer Reform der strafrechtlichen Regelungen diskutiert werden kann.
Reproduktive Rechte erfordern als Kernelement demokratischer Teilhabe, den diskriminierungsfreien Zugang sowie ausreichenden Schutz in Bezug auf Schwangerschaft, Schwangerschaftsabbruch, Geburt und Familienleben umfassend zu gewährleisten und abzusichern. Dazu gehören auch medizinische und psychosoziale Behandlungen im Bereich der Fortpflanzung – unabhängig von sexueller Identität, Familienstand oder finanziellen Ressourcen (Kuhnt/Trappe 2024). Es ist dringend notwendig, eine politische Diskussion darüber zu führen, die Kosten für Verhütungsmittel, Schwangerschaftsabbrüche und medizinisch unterstützte Reproduktion durch die gesetzliche Krankenversicherung zu tragen.
Wer wann wie viele Kinder unter welchen Bedingungen bekommt, hat Einfluss auf Bildung, Gesundheit, Beruf, politische, ökonomische und soziale Teilhabe. Reproduktive Gerechtigkeit ist kein „Frauenthema“, sondern fundamental für die demokratische Ordnung.