02 November 2009
Abbitte an Norbert Lammert
Vor ein paar Tagen habe ich mich über das Entparlamentarisierungs-Lamento beschwert, das ich auch aus Norbert Lammerts Rede zur Konstituierung des 17. Deutschen Bundestags herauszuhören gemeint hatte. Ich muss mich bei dem Mann entschuldigen.
In der Süddeutschen gibt er dem Links-Kirchhof Heribert Prantl auf knappe, präzise und direkte Weise Auskunft, wieso er er von dessen Gejammer vom Machtverlust des angeblichen “Zentrums der Demokratie” Parlament überhaupt nichts hält. Respekt!
SUGGESTED CITATION
Steinbeis, Maximilian: Abbitte an Norbert Lammert, VerfBlog, 2009/11/02, https://verfassungsblog.de/abbitte-an-norbert-lammert/.
So ganz einfach, wie Lammert es sich zu machen scheint, ist es doch nicht. Im Gesetzgebungsprozess sind nun einmal die Regierungen im Vorteil, weil sie über riesige Apparate verfügen, die in der Lage sind, besser: sein sollten, Gesetzentwürfe bis in den letzten Nebensatz zu überprüfen. Somit sind Bundesregierung und Landesregierungen (über den Bundesrat) die tatsächlichen Gesetzgeber.
In einer Koalitionsregierung, deren Politik regelmäßig über (von der Verfassung nicht sanktionierten) Koalitionsausschüssen bestimmt wird, haben die einzelnen Abgeordneten wenig zu melden, selbst wenn sie – das wäre schon eine Leistung – von ihrer Kapazität in der Lage wären, eine substanzielle Haltung zu Details von Gesetzentwürfen zu entwickeln. Auch hinsichtlich der Frage, ob man z.B. den häufigen Gesetzgebungsaufträgen des BVerfG nun immer folgen muss, sind sie im Wesentlichen den Vorgaben aus den Ministerien ausgeliefert. Und in den Ministerien sitzen Juristen, die tendenziell eher einer Justizhörigkeit unterliegen. Da fehlt dann manchmal doch das Selbstbewusstsein, den Karlsruher Vorgaben zu widersprechen, oder zumindest: sie zu hinterfragen. Denn gelegentlich hat es den Anschein, als ob Verdikte aus Karlsruhe aus den Vorstellungen eines einzelnen Richters erwachsen und die anderen Richter sich dem fast willfährig anschließen (Familienbesteuerung 1999 oder Lissabon 2009).
Ein eigenes, parlamentarisches Selbstbewusstsein wäre da, so scheint mir, doch heilsam. Es wird zu beobachten sein, ob der Bundestag, oder besser: die Opposition im Bundestag mehr für das Eigenleben des Parlaments gegenüber den dominierenden Exekutiven (Koalitionsfraktionen wirken inzwischen oft nur noch als Wurmfortsatz ihrer Regierung) in Bund und Land tut. Immerhin wird mit dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages auch eine Grundgesetzänderung wirksam, die es einem Viertel (vorher: einem Drittel) des Bundestages erlaubt, eine abstrakte Normenkontrolle zu beantragen (wäre etwa bei einer Fortsetzung der Großen Koalition relevant gewesen – denn von 2005 bis 2009 gab es keine abstrakten Normenkontrollklagen).
Mal ganz ketzerisch gefragt: Was ist eigentlich so schlimm am “Wurmfortsatz” Bundestag? Mal abgesehen vom gekränkten Würdeempfinden der (mancher) Parlamentarier selbst?
Und was wäre das, ein “selbstbewussteres” Parlament? Ein weiterer Vetospieler?
“Kontrolle der Regierung”: Woran fehlt es da genau? Dass die Regierung sich autokratisch aufführen und hemmungslos selbst bereichern kann, weil die Parlamentarier es nicht nicht im Kreuz haben, sich ihr entgegenzustellen? Ist das wirklich unser Problem?
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