Die Frage nach dem Vertrauen
Schon kurz nach Ende der Koalition stand für Bundeskanzler Olaf Scholz und für alle im Bundestag vertretenen Parteien fest, dass es Neuwahlen über den Weg der Vertrauensfrage bedarf. Hinter der knappen Norm des Art. 68 GG stehen einige Fragen grundsätzlicher Natur, die das Bundesverfassungsgericht in seiner Geschichte bereits zweimal beschäftigt haben. Dass Scholz mit der Vertrauensfrage politisch taktiert, dürfte die Grenzen der bisherigen Rechtsprechung sichtbar machen.
Continue reading >>(K)eine Frage der Gerechtigkeit
Wer weder „alt“ noch erwerbsgemindert ist und dennoch seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenem Erwerbseinkommen oder Vermögen sichern kann, wird als arbeitsuchend eingestuft. Mit dieser Einstufung sind politische Grundannahmen verbunden, die sich im Existenzsicherungs-, aber auch im Einbürgerungsrecht und im Umgang mit Familienleistungen zeigen: Armut sei in erster Linie Armut an Erwerbsarbeit und Ausdruck einer freien Entscheidung zur Untätigkeit. Auch die als Teil der „Wachstumsinitivative“ angekündigten, zusätzlichen Verschärfungen im Bürgergeldrecht stellen sich damit als logische Fortsetzung einer einheitlichen politischen Linie dar.
Continue reading >>A Constitutional Reform in Italy to the Detriment of Systemic Balance
In Italy, an important reform of the Italian constitution is underway: the introduction of direct elections for the head of government. This is to take place together with the election of both chambers of parliament. In addition, the composition of the two chambers is to be significantly influenced by a new "majority bonus" to be anchored in the constitution. By strengthening the power of the prime minister at the expense of guarantor functions of the head of State, Italy would therefore gain nothing in terms of democratic stability but would lose a great deal in terms of checks and balances in the political system.
Continue reading >>Eine Verfassungsreform in Italien zulasten systemischen Gleichgewichts
Italien diskutiert gerade eine wichtige Reform seiner Verfassung: die Einführung der Direktwahl des Regierungsoberhaupts. Sie soll zusammen mit der Wahl beiden Parlamentskammern stattfinden. Zusätzlich soll die Zusammensetzung der beiden Kammern mit einem in der Verfassung neu zu verankernden „Mehrheitsbonus“ maßgeblich beeinflusst werden. Mit einer Stärkung der Macht des Ministerpräsidenten zulasten staatsoberhäuptlicher Garantiefunktionen würde Italien also nichts an demokratischer Stabilität gewinnen, dafür aber vieles an Ausgewogenheit und checks and balances im politischen System verlieren.
Continue reading >>Nation ist auch im Wahlrecht kein Muss
Über die jüngst verabschiedete Reform des Wahlrechts für den Bundestag wurde bereits viel Tinte vergossen. Ein Argument aber, das sowohl in der Bundestagsdebatte als auch in der Öffentlichkeit oft wiederholt wurde und wohl den in den novellierten Gesetzesvorschriften zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers ergibt, darf nicht unkommentiert bleiben: Das Argument, dass die nationale Dimension allein aussagekräftig für den politischen Wettbewerb sei und deswegen auch territorial konzentrierte Parteien mit nationalem Messstab zu messen seien.
Continue reading >>Barring Legal Gender Reassignment in Bulgaria
The Bulgarian Supreme Court of Cassation (SCC) has recently rejected the possibility for legal gender reassignment of transgender people. The SCC followed the approach of the Constitutional Court in framing its reasoning alongside the lines of the traditional social values. In doing so, the interpretative decision arguably undermined its own goal of unifying the future case-law by avoiding the discussion on the right to equal treatment of transgender persons and their protection from discrimination on the ground of their sexuality.
Continue reading >>Value Judgments
On 26 October 2021, the Bulgarian Constitutional Court issued a binding interpretative decision on the definition of the concept of “sex”. The Court held that “sex” can only have a binary biological meaning. Instead of engaging in a legal debate in relation to the discussed matter, the Constitutional Court chose to interpret the law through “values established in the society” that are derived from “other normative systems, such as religion, morality and custom”. The result is a judgment which not only neglects the rights and freedoms of transgender people, but also relies on a reasoning that could undermine women’s rights.
Continue reading >>