Assistententagung 2012: Halbzeitpause
Von (dem Autor_innenkollektiv) HANNAH BIRKENKÖTTER, MICHAEL VON LANDENBERG-ROBERG, SABINE MÜLLER-MALL, ALEXANDER TISCHBIREK und TIM WIHL
Es ist „Halbzeit“ auf der 52. Assistententagung in Hamburg, zu der 250 wissenschaftliche Mitarbeiter_innen aus dem öffentlichen Recht aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz angereist sind. Und auch der zweite Tag der Assistententagung unternahm den Versuch, den Begriff der Kollektivität weiter einzugrenzen.
In ihrem Festvortrag der Abendveranstaltung stellte Angelika Nußberger, Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und Professorin in Köln, etwa fest, dass ein Kollektiv nur dann existiere, wenn es sich über gemeinsame Werte definiere, die nach innen identitätsstiftend wirkten. Zwangsläufig führe eine solche Identitätsbildung zugleich zu einer Abgrenzung nach außen. Ein Anlass für uns, über Kollektive einmal ganz konkret nachzudenken – schließlich lassen sich auf dieser Tagung zwei derselben und für die Veranstaltung außerordentlich maßgebliche Kollektive beobachten: jenes der Organisator_innen und natürlich die Teilnehmer_innen.
Gemeinsam ist letzterem zweifellos das wissenschaftliche Interesse am öffentlichen Recht. Auch die Zugehörigkeit zu einer jungen Generation von Wissenschaftler_innen ist identitätsstiftend, was nicht zuletzt dadurch Ausdruck gewinnt – hier wären wir wieder bei der externen Dimension des Konzepts – dass traditionell zu Beginn eines jeden Tagungstages mit einem Gongschlag Habilitierte des Saales verwiesen werden, dieses ohne jede Rücksicht auf die Herzlichkeit ihrer jeweiligen Begrüßungsworte.
Doch können alle Gemeinsamkeiten über die bestehenden Unterschiede nicht hinwegtäuschen. Während die Assistententagung ursprünglich als das Jahrestreffen der deutschsprachigen Habilitanden konzipiert war, finden sich mittlerweile zumeist Doktorand_innen, aber auch Referendar_innen und gar manch Anwalt unter den Teilnehmenden. Deren Interessen sind so vielfältig wie die Disziplin des öffentlichen Rechts, was sich nicht zuletzt in den Referaten der vergangenen Tage widerspiegelt. Da ging es um die Gestaltung des Verwaltungsverfahrens nach dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz wie um Lehren aus dem regionalen Völkerrecht Afrikas, um Elinor Ostroms „Commons“ wie um die Frage der Rechtssubjektivität künftiger Generationen. Das zeigt: Auch im Kollektiv kann Heterogenität durchaus erwünscht, vielleicht sogar identitätsstiftend sein.
Man kann Ähnliches auch beim diesjährigen Organisationsteam beobachten, das sich aus Mitgliedern der drei juristischen Wissenschaftsstandorte Hamburgs zusammensetzt. Drei Wissenschaftsstandorte, die jedenfalls dem äußeren Eindruck nach deutliche Unterschiede aufweisen: Nach der Auftaktveranstaltung in der traditionsreichen Universität Hamburg, in der bereits 1961 die erste Assistententagung stattfand, sowie einem Tag im erst vor wenigen Jahren eröffneten Auditorium modernster Ausstattung der Bucerius Law School fand der heutige Tag auf dem Campus der Universität der Bundeswehr unweit der Kaserne statt. Hier prägen Übungen in Uniform das Bild. Lässt sich aus der Erfahrung des Organisator_innenkollektivs auch eine Erkenntnis für unser Tagungsthema gewinnen? Wir fragen nach:
Tina Winter (Universität Hamburg):
„Für das Tagungsthema können wir aus unserer Erfahrung ableiten, dass es bei einem Zusammenschluss von vielen unterschiedlichen Menschen darauf ankommt, Probleme immer wieder ausführlich zu diskutieren und Entscheidungsprozesse in einem demokratischen Verfahren zu gestalten. Ich glaube, das ist auch für unser Thema eine relevante Erkenntnis.“
Stefan Martini (Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr):
„Man kann unsere Erfahrung vielleicht als Spiegelbild der Gemeinwohldiskussion beschreiben: Viele sind der Meinung, dass in der pluralistischen Gesellschaft kein Gemeinwohl hergestellt werden kann, sondern dass die Frage nach dem Gemeinwohl nur prozedural auflösbar ist. Das ist im Prinzip bei uns auch passiert: Wir haben Entscheidungsprozesse ad hoc erfunden und Entscheidungsverfahren ad hoc aufgestellt, und dabei sind Ergebnisse herausgekommen, die man vorher nicht planen konnte. Dass so viele heterogene Perspektiven in unserem Tagungsteam zusammengekommen sind, war letztlich etwas Positives.“
Christos Paraschiakos (Bucerius Law School):
„Ich denke, dass aus Spannungen, die eine so heterogene Gruppe hervorbringt, Gutes entstehen kann. Spannungen können die Gruppe insgesamt und auch Einzelne in der Gruppe weiterbringen, so dass die Bemühungen Früchte getragen haben, auch wenn dies vor einem Jahr so noch nicht abzusehen war.“
Letztlich überwiegt wohl das verbindende Element des Kollektivs, auch wenn dessen Ausgestaltung im Einzelnen der Konkretisierung bedarf: Neben Angelika Nußberger wies auch die Bundesministerin der Justiz Sabine Leutheuser-Schnarrenberger in ihrer abendlichen Festrede darauf hin, dass in jedem Kollektiv der Schutz der Minderheiten zu gewährleisten sei.
Hier setzen auch die letzten Beiträge der Tagung an. Während sich die ersten zwei Beiträge am Freitag mit der Frage der Solidarität auseinandersetzen werden, bleibt die Frage nach der konkreten Ausgestaltung des Minderheitenschutzes (oder der Minderheitendominanz?) den letzten beiden Vorträgen vorbehalten, die sich mit Formen der direkten Demokratie befassen. Man darf also weiterhin gespannt bleiben, wie sich die verbleibenden vier Referent_innen dem Tagungsthema annähern werden.