Auflösung des Front National: eine Anleitung
Kann das derzeitige NPD-Verbotsverfahren in Deutschland als Vorbild für Frankreich dienen? „Verbote“ politischer Parteien sind in Frankreich nur selten Diskussionsgegenstand. Die Idee, den Front National aufzulösen, taucht zwar gelegentlich auf, wurde aber bislang in der Politik nicht wirklich ernst genommen. Überraschenderweise ist vielleicht gerade der fehlende besondere rechtliche Schutz von Parteien in Frankreich der Grund dafür. Die auf die Auflösung politischer Parteien anwendbaren Normen scheinen für eine derart schwerwiegende Maßnahme in einer demokratischen Ordnung nicht erhaben genug. Ungeachtet solcher persönlichen Einschätzungen erlaubt das geltende Recht allerdings recht eindeutig die Auflösung des Front National. Das möchte ich im Folgenden zunächst zeigen, bevor ich mich der Frage widme, inwieweit eine solche Maßnahme mit höherrangigem Recht vereinbar ist.
Eine Auflösung ist rechtlich möglich
Anders als das deutsche Recht kennt das französische Recht keinen besonderen Schutz politischer Parteien. Artikel 4 der französischen Verfassung sieht lediglich vor, dass „[d]ie politischen Parteien und Gruppierungen…bei den Wahlentscheidungen mit[wirken]. Ihre Gründung und Betätigung sind frei. Sie müssen die Grundsätze der nationalen Souveränität und der Demokratie achten.“ Anders als Artikel 21 Abs. 2 GG sieht die französische Verfassung ein Verbotsverfahren nicht vor. Diese Frage wird ausschließlich auf der einfachgesetzlichen Ebene geregelt.
Artikel 4 der französischen Verfassung garantiert die freie Gründung der Parteien. Deswegen sind die Parteien überwiegend als einfache eingetragene Vereine organisiert. Das gilt auch für den Front National. Er unterliegt somit dem Gesetz vom 1. Juli 1901 über den Verbandsvertrag. Gemäß Artikel 3 und 7 dieses Gesetzes hat das Tribunal de grande instance (das erstinstanzliche ordentliche Gericht) die Möglichkeit, „jede[n] Verband, der auf unerlaubtem Rechtsgrund gegründet wurde oder dessen Zweck unzulässig ist und gegen das Gesetz und die guten Sitten verstößt, oder einen Angriff auf die Unversehrtheit des Staatsgebiets und die republikanische Regierungsform darstellt“, aufzulösen. Diese Bestimmung erlaubt etwa die Auflösung einer royalistischen oder separatistischen Partei, ist aber nur schwerlich auf den Front National anwendbar, dessen Zweck als solcher wohl kaum unzulässig ist: sich an der politischen Debatte zu beteiligen und gegebenenfalls an die Macht zu gelangen.
Vielversprechender erscheint es, gegen den Front National den Artikel L212-1 des Gesetzes über die innere Sicherheit (Code de la sécurité intérieure), der seinerseits das Gesetz vom 10. Januar 1936 über bewaffnete Gruppen und Privatmilizen übernimmt, ins Feld zu führen. Diese Bestimmung erlaubt die Auflösung von eingetragenen und nicht eingetragenen Vereinen, und zwar vor allem gewalttätige Gruppen, aber auch solche, „die zur Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen aufgrund ihrer Herkunft, ihres Aussehens, ihrer Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe, einem Volk, einer Rasse oder einer Religion auffordern, oder die Ideen oder Theorien verbreiten, die darauf abzielen, eine solche Diskriminierung, Hass oder Gewalt zu rechtfertigen“.
Der Front National erfüllt ohne Zweifel diesen Tatbestand. Das Parteiprogramm sieht zum Beispiel vor, bei Einstellungen das Prinzip des „nationalen Vorrangs“ zu gewährleisten. Das wiederum führt zu einer Diskriminierung ausländischer Bewerber: „Unternehmen werden dazu aufgefordert, bei gleicher Eignung Personen mit französischer Staatsangehörigkeit bevorzugt einzustellen. Um die Umsetzung des Prinzips des nationalen Vorrangs sicherzustellen, soll ein Gesetz die Agentur für Arbeit dazu verpflichten, bei gleicher Eignung offene Stellen nur französischen Arbeitssuchenden anzubieten“ (S. 12). Es ist also wohl unstreitig, dass der Front National, der auf Grundlage dieses Programms um Stimmen wirbt, zur Diskriminierung einer Gruppe von Personen aufgrund ihrer Nicht-Zugehörigkeit zu einem Volk auffordert. In dem Programm finden sich zahlreiche „Ideen oder Theorien, die darauf abzielen, eine solche Diskriminierung zu rechtfertigen“, so etwa die Behauptung, „die Bereiche der Unsicherheit stimm[t]en größtenteils mit denen der Einwanderung überein“, so dass Sicherheit nur dann zu gewährleisten sei, wenn man die „Zuwanderungsströme nach Frankreich“ stoppe (S. 18). Ein Verband, der solche Ideen vertritt, kann in Frankreich verboten werden. Der französische Präsident kann also nach geltendem Recht den Front National auflösen, und zwar im Wege eines Dekrets im Ministerrat.
Eine Auflösung ist auch rechtlich erlaubt
Wäre der Front National Gegenstand einer Auflösung, so würde er sicher die ihm dagegen zur Verfügung stehenden Rechtsmittel ausschöpfen, und zwar zunächst im Wege der Klage gegen das mögliche Dekret, für die der Staatsrat zuständig wäre. Hier könnte der Front National als Erstes die Verfassungswidrigkeit von Artikel L212-1 des Gesetzes über die innere Sicherheit rügen. Denn die Regierung hat das Gesetz von 1936 auf der Grundlage einer gesetzgeberischen Ermächtigung (Artikel 38 der Verfassung) in das Gesetz über die innere Sicherheit übernommen. In diesem Fall hat der verabschiedete Text solange Verordnungscharakter, bis er durch das Parlament „ratifiziert“ wurde. Der Staatsrat ist damit selbst zuständig, die Verfassungsmäßigkeit des Artikel L212-1 zu überprüfen. In einem Urteil vom 30. Juli 2014 hat der Staatsrat entschieden, dass die Vorschrift einen gerechtfertigten Eingriff in die Vereinigungsfreiheit darstellt, soweit sie auf das „Bedürfnis [antwortet], die öffentliche Ordnung zu gewährleisten, insbesondere angesichts der Schwere einer möglichen Bedrohung der öffentlichen Ordnung durch die Verbände und Gruppierungen, auf die diese Vorschriften abzielen“. Dieser Rechtsmittelgrund würde deswegen zweifelsohne verworfen.
Soweit ein etwaiges Rechtsmittel des Front National erst nach einer Ratifizierung der Verordnung eingelegt würde, hätte der Artikel L212-1 Gesetzesrang. Damit wäre ausschließlich der Verfassungsrat dazu befugt, die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung zu überprüfen. Um den Verfassungsrat anzurufen, müsste der Front National dem Staatsrat eine vorrangige Frage über die Verfassungsmäßigkeit (question prioritaire de constitutionnalité) vorlegen, die dieser ohne Zweifel dem Verfassungsrat vorlegen würde.[1] Der Verfassungsrat würde sich in diesem Fall nicht zur konkreten Maßnahme äußern, sondern lediglich abstrakt die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung über die Auflösung von Vereinen prüfen. Die noch wenig entwickelte Grundrechtsdogmatik in Frankreich und der knappe Stil der Rechtsprechung des Verfassungsrates erlauben nur wenige Rückschlüsse darauf, wie der Verfassungsrat im konkreten Fall entscheiden würde.
In einem bekannten Urteil vom 16. Juli 1971, in der eine geplante Änderung des Art. 3 des Gesetzes von 1901 über den Verbandsvertrag für verfassungswidrig erklärt wurde, entschied der Verfassungsrat, dass es sich bei der Vereinigungsfreiheit um ein Gut mit Verfassungsrang handelt. Allerdings störte sich der Verfassungsrat in dieser Sache ausschließlich daran, Vereine vor ihrer Gründung einer Kontrolle zu unterwerfen, nicht aber, Vereine mit rechtswidrigem Zweck aufzulösen. Daran kann sich auch nichts ändern, wenn es um die Auflösung von Vereinen geht, die zur Diskriminierung aufrufen, eine Möglichkeit, die einen weniger gewichtigen Eingriff in die Vereinigungsfreiheit darstellt. Auch dass Artikel 4 der französischen Verfassung Parteien vorsieht, ändert daran nichts: denn diese Vorschrift verpflichtet die Parteien dazu, die „Grundsätze der nationalen Souveränität und der Demokratie“ zu achten. Man kann den Artikel L212-1 als Ausgestaltung dieser Pflicht sehen, eine Art französisches Gegenstück zu der im Grundgesetz genannten freiheitlichen demokratischen Grundordnung.
Weitere mögliche Rechtsgründe des Front National würden nicht Artikel L212-1 betreffen, sondern sich gegen die konkrete Entscheidung zur Auflösung richten. Hier wird der Staatsrat die Maßnahme als gesetzeskonform beurteilen müssen, es sei denn, er sieht trotz des Parteiprogramms keine Aufforderung zur Diskriminierung von ausländischen Staatsangehörigen. Sollte der Staatsrat also die Gesetzmäßigkeit der Auflösung bestätigen, würde der Front National vermutlich den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen. Auch hier lässt sich kaum eine Prognose wagen. Artikel 11 der Europäischen Konvention für Menschenrechte, der die Vereinigungsfreiheit garantiert, sieht weitreichende Einschränkungsmöglichkeiten vor, insbesondere wenn die Einschränkung dem „Schutz der Rechte und Freiheiten anderer“ dient. Damit hängt alles davon ab, ob die Auflösung des Front National auch „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ ist. Hierbei legt der EGMR in seiner Rechtsprechung zwar besonderen Wert auf die Bedeutung der politischen Parteien für die Demokratie. Gleichwohl akzeptiert das Gericht die Auflösung einer Partei dann, wenn diese „ein politisches Konzept vertritt, das die Demokratie nicht achtet oder deren Abschaffung sowie die Missachtung der in ihr anerkannten Rechte und Freiheiten zum Ziel hat“ (Refah Partisi ./. Türkei, 1998, § 98 und amtl. Leitsatz): „niemand kann sich auf die Rechte der Konvention berufen, um die Ideale und Werte einer demokratischen Gesellschaft zu schwächen oder zu zerstören“ (ebd. § 99). Der Gerichtshof hat die „überragende Bedeutung der Bekämpfung von Rassendiskriminierung“ (Jersild ./. Dänemark, 1994, § 30) mehrfach betont, und befand in dem Verfahren um die strafrechtliche Verurteilung des Vorsitzenden des belgischen „Front National“, dass es „in einer demokratischen Gesellschaft für nötig erachtet werden kann, Meinungsäußerungen zu sanktionieren oder ihnen vorzubeugen, die auf Intoleranz fußenden Hass verbreiten, dazu aufrufen, ihn unterstützen oder rechtfertigen“ (Féret ./. Belgien, 2009, § 64). Möglich, dass die Politur des Front National, der mittlerweile rassistische Entgleisungen vermeidet, den EGMR von dessen Vereinbarkeit mit der Konvention überzeugt. Aber wenn die französische Regierung überzeugend darlegen kann, weswegen sie den Front National auflöst und sich dabei sowohl auf das Programm als auch auf das Gesamtbild, das sich aus dem Verhalten des Führungspersonals im Front National ergibt, stützt, ist eine Verurteilung Frankreichs durch das Gericht lange nicht gegeben.
Auch die Tatsache, dass der Front National mittlerweile fest im französischen Parteienspektrum etabliert ist, sollte kein Hindernis darstellen. Ganz im Gegenteil: soweit die Auflösung einer Partei grundsätzlich möglich ist, stellen seine „tatsächlichen Chancen“ auf die Machtübernahme ein genügend „greifbares“ und „unmittelbares“ Risiko dar, um die konkrete Auflösungsmaßnahme zu rechtfertigen (Refah Partisi ./. Türkei, 2003, § 110). Die Schwäche der NPD mag Anlass geben, an der Notwendigkeit eines Verbots zu zweifeln[2]; die Wahlerfolge des Front National können dagegen Anhaltspunkte für die „Notwendigkeit“ einer solchen Maßnahme dienen.
Zum Schluss möchte ich klarstellen, dass die rechtliche Zulässigkeit der Auflösung des Front National nichts über die Zweckmäßigkeit einer solchen Maßnahme sagt. Nicht alles, was rechtlich erlaubt ist, ist auch erwünscht, und es geht mir hier nicht darum, die Auflösung als politisch wünschenswert darzustellen. Möglicherweise würde sie die Partei eher fördern, statt sie zu zerstören. Doch bevor man sich über die moralische, philosophische oder politische Berechtigung eines bestimmten Verhaltens den Kopf zerbricht, kann es interessant sein, sich zunächst zu fragen, ob das Verhalten überhaupt erlaubt ist. In dieser Hinsicht scheint die Sache klar: François Hollande kann nach geltendem Recht jederzeit den Front National auflösen.
Übersetzung aus dem Französischen: Hannah Birkenkötter
[1] Der Staatsrat muss dem Verfassungsrat nur sogenannte „ernsthafte“ Fragen vorlegen. Es ist nur schwer vorstellbar, dass der Staatsrat die Ernsthaftigkeit im Rahmen eines Verbotsverfahrens des Front National verneinen würde. Siehe zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit in Frankreich auch Nikolaus Marsch, „Verfassungsgerichtsbarkeit“, in N. Marsch, Y. Vilain, M. Wendel (Hrsg.), Französisches und Deutsches Verfassungsrecht, Ein Rechtsvergleich, Springer, 2015.
[2] Allerdings wird dieses Argument in dem Schrifsatz der Professoren Möllers und Waldhoff überzeugend entkräftet (S. 160ff.).
Mit der genannten Begründung lässt sich jede Partei in Frankreich auflösen, die Sozialisten gleich zweimal. “Frankreich zuerst!” ist in jedem Wahlkampf wieder ein beliebter Aufhänger zm Stimmenfang und hat auch Eingang in zahlreiche Gesetze gefunden. Auch die EU wird in Frankreich vielfach ja eher als ein Großfrankreich mit deutschem Sugar Daddy betrachtet. Warum der tief und breit verankerte französische Nationalismus ausgerechnet dem Front National angekreidet werden soll, bleibt ein Rätsel. Man könnte fast glauben, dieser Artikel wäre doch gar keine juristische Turnübung sondern politisch motiviert…?
Zur Zweckmäßigkeit würde ich mal fragen was den ein Verbot von anti-demokratischen Verbänden soll wenn man es nicht anwendet? In einem Rechtsstaat sollte man doch davon ausgehen dürfen das Recht angewendet wird, und zwar egal ob es dem gerade amtierenden Staatsoberhaupt zweckmäßig ist…
Nach meinem Wissen verlangt der Staatsrat für eine Auflösung nach Art. L212-1 des Gesetzes über die innere Sicherheit eine reale Bedrohung bzw. Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Die “bloße” Aufforderung zu Diskriminierung reicht folglich nicht aus – ähnlich wie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das eine “aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung” verlangt.
Wenn das stimmt, dürfte ein Verbot des FN aber schon nicht mehr ganz so eindeutig juristisch möglich sein, oder?
Der Staatsrat verlangt eine Bedrohung der öffentlicher Ordnung im Rahmen des allgemeinen Polizeirecht (police administrative). Und im Januar 2014 hat der Staatsrat in der Sache Dieudonné erklärt, dass die Äusserung von Hassrede eine Störung der öffentlichen Ordnung bildet. Artikel L212-1 ist aber sowieso ein spezielles Gesetz, das man vom allgemeinen Polizeirecht unterscheiden muss. Es erlaubt eine Auflösung nicht nur gewalttätiger Gruppen, sondern auch solcher Gruppen oder Vereine, die zur Diskriminierung auffordern, oder sogar Theorien verbreiten, die die Diskriminierung rechtfertigen. Das Gesetz erfordert keine « reale Bedrohung der öffentlichen Ordnung ». Natürlich könnte der Staatsrat einer zusätzlichen Voraussetzung hinzufügen. Dann würde er aber gesetzwidrig handeln. Bis jetzt hat er das nicht gemacht.