Bazooka wird Booster
Zur Verfassungsmäßigkeit der Verschiebung von Corona-Krediten im Nachtragshaushalt
Am Montag hat der neue Finanzminister Christian Lindner seinen Vorschlag für einen Zweiten Nachtragshaushalt 2021 als „Booster für die Volkswirtschaft“ präsentiert. Kern des vorgelegten Entwurfs ist, die Zuweisungen an den Energie- und Klimafonds um 60 Milliarden Euro aufzustocken. Damit sollen laut Lindner die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie nachhaltig bewältigt und ein kraftvoller Aufbruch in eine klimaneutrale und digitale Zukunft Deutschlands gestartet werden. Überraschend erscheint auf den ersten Blick seine Verknüpfung von Klimapolitik mit den Folgen der Corona-Pandemie: Der Energie- und Klimafonds als Sondervermögen des Bundes wurde schließlich bereits 2011 errichtet, um über den Bundeshaushalt hinaus Investitionen in Klimaschutz und Energiewende zu ermöglichen.
Umwidmung von Notkrediten aus dem Haushalt 2020
Auf den zweiten Blick erklärt sich Lindners Rhetorik mit der Notwendigkeit, die geplanten Zuweisungen verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. Die neue Ampel-Koalition plant eine Umwidmung von Notkrediten, die mit dem Bundeshaushalt 2020 zur Bewältigung der Corona-Pandemie aufgenommen wurden. Die Grundlagen wurden bereits im vergangenen Jahr gelegt: Der Bundestag stellte im März 2020 (Drs. 19/18108) eine außergewöhnliche Notsituation im Sinne von Art. 115 Abs. 2 S. 6 GG fest.
Das war nötig, um von dem Verbot struktureller Nettoneuverschuldung aus Art. 115 Abs. 2 S. 1 GG („Schuldenbremse“) abweichen und die grundgesetzlichen Kreditobergrenzen überschreiten zu können, wovon auch nachhaltig Gebrauch gemacht wurde. Der damalige Finanzminister Olaf Scholz kündigte zunächst an, mit der „Bazooka“ das Notwendige zur Bewältigung der Krise zu tun. So stieg die Ermächtigung zur Nettoneuverschuldung im Bund von Null auf rund 156 Mrd. Euro im Ersten Nachtragshaushalt 2020. Weniger später wurde noch einmal nachgelegt, um mit „Wumms“ aus der Krise zu kommen: Mit dem Zweiten Nachtragshaushalt 2020 stieg die Kreditermächtigung des Bundes auf 218 Mrd. Euro.
Die tatsächliche Nettokreditaufnahme des Bundes (Ist 2020) blieb im vergangenen Jahr mit knapp 130 Mrd. Euro deutlich unter den Ermächtigungen. Aus diesen nicht genutzten Kreditermächtigungen soll im Bundeshaushalt 2021 das angesprochene Booster für den Energie- und Klimafonds in Höhe von 60 Milliarden Euro finanziert werden. Die Ampel-Koalition verweist insoweit auf einen Zusammenhang zwischen Corona-Krise und Klimainvestitionen: Viele Investitionen seien als Folge der Pandemie nicht im geplanten Umfang getätigt worden. Am vergangenen Donnerstag bezeichnete Finanzminister Lindner die Zuweisungen im Bundestag als „notwendige Unterstützung für die Konjunktur“. Das Bundesverfassungsgericht habe der Regierung zudem aufgegeben, zum Schutz der Freiheitschancen zukünftiger Generationen den Übergang zur Klimaneutralität rechtzeitig und konkret einzuleiten.
Politische Konfliktlinien
Die Frage, wie man – unbestritte notwendige – staatliche Klimainvestitionen verfassungskonform finanziert, ist keinesfalls neu. Bereits im Bundestagswahlkampf wurde die Zukunft der „Schuldenbremse“ kontrovers diskutiert. Nach Art. 115 Abs. 2 S. 1 GG sind Einnahmen und Ausgaben grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Hieraus resultiert die verfassungsrechtliche Pflicht und die politische Aufgabe, notwendige Ausgaben nicht zulasten zukünftiger Generationen durch neue Kredite zu gewährleisten. Bereits im Wahlkampf war für die Parteien absehbar, dass hier Lösungen entwickelt werden müssen. Während die Grünen das Grundgesetz um eine Investitionsregel ergänzen wollten, kam ein Aufweichen der Schuldenbremse für die FDP nicht in Betracht (etwa hier und hier). Auch auf diesem Blog wurde in diesem Zusammenhang bereits auf die Schwierigkeiten einer Weiterentwicklung der Schuldenbremse hingewiesen.
Anstelle einer solchen findet sich als Antwort findet sich auf Seite 158 des Koalitionsvertrags ein Rückgriff auf das (Not-)Instrument der Vorgängerregierung: „Auch im Jahr 2022 werden fortwirkende Pandemiefolgen zu bewältigen sein, die weiterhin eine außergewöhnliche Notsituation im Sinne der Schuldenregel begründen.“ Anders gesagt: Die Corona-Pandemie bietet das gesuchte Einfallstor für kreditfinanzierte Zukunftsinvestitionen.
Konnexität zwischen Notsituation und Notkrediten als Grenze
Dieser Plan muss sich an strengen (Ausnahme-)Regeln messen lassen, die für Einnahmen aus Notkrediten gelten. Haushaltsrechtlich gilt regelmäßig der Grundsatz der Gesamtdeckung, wonach sämtliche Einnahmen der Deckung sämtlicher Ausgaben dienen, also gerade nicht zweckgebunden sind (Non-Affektationsprinzip, vgl. § 7 HGrG). Für Einnahmen aus den 2020 erteilten und nun in Anspruch genommenen Kreditermächtigungen bilden aber Art. 109 Abs. 3 und Art. 115 Abs. 2 GG den Maßstab.
Art. 109 Abs. 3 S. 2 GG, der überhaupt erst ein Abweichen von dem Verbot der Nettoneuverschuldung gestattet, bestimmt, dass Bund und Länder „[…] eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen […] vorsehen“ können. Die so ermöglichten Ausnahmeoptionen sind für die Bundesebene in Art. 115 Abs. 2 GG niedergelegt worden. Stellt der Bundestag Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen fest, sind mithin Notkredite ausnahmsweise verfassungsrechtlich zulässig.
Weder Art. 109 Abs. 2 GG noch Art. 115 Abs. 2 S. 6 GG begrenzen diese Notkredite absolut, d.h. auf eine konkrete Summe im oder einen Anteil am Bundeshaushalt. Eine verfassungsrechtliche Grenze für Kreditermächtigungen folgt aber aus der notwendigen Konnexität zwischen Notsituation und Kreditaufnahme. Schon durch die Formulierung „Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen“ wird ein Konnex zwischen der Notsituation und der durch sie gerechtfertigten Notverschuldung hergestellt. In Abweichung vom Grundsatz der Gesamtdeckung sollen die Einnahmen aus Notkrediten gerade nur der Deckung bestimmter Ausgaben, solcher zur Krisenbewältigung, dienen. Für den (Haushalts-)Gesetzgeber gilt: Die Notsituation ist Grund und nicht nur Anlass für die Möglichkeit, das Verschuldungsverbot auszusetzen.
Materielle und temporäre Konnexität
Um eine Kontrolle von Haushaltsgesetzen erst möglich zu machen, trifft den Gesetzgeber eine Darlegungslast im Gesetzgebungsverfahren, aus welchen Gründen und in welcher Weise er von der Möglichkeit Gebrauch macht, Kreditermächtigungen zu erteilen. Der Gesetzgeber muss in materieller und in temporärer Hinsicht darlegen, dass eine hinreichende Beziehung zwischen Notsituation und Kreditaufnahme existiert, die ein Abweichen vom grundgesetzlichen Verbot der Nettoneuverschuldung rechtfertigt.
Das Erfordernis der sowohl materiellen als auch temporären Konnexität ergibt sich dabei auch aus dem Normzweck der Notregelungen – der finanziellen Befähigung des Staates zur Krisenbewältigung. Die Nettoneuverschuldung darf weder zeitlich noch hinsichtlich des finanziellen Umfangs weiter gehen, als notwendig ist, um die Krise bei Anspannung aller weiteren Konsolidierungskräfte zu überstehen.
Dieser Normzweck verdeutlicht, dass das Konnexitätserfordernis nicht nur bei von Kreditermächtigungen im Rahmen der Haushaltsplanung, sondern auch im Rahmen des Haushaltsvollzugs Geltung beansprucht. Werden auf Art. 115 Abs. 2 S. 6 GG gestützte Kreditermächtigungen nicht benötigt, um die festgestellte Notsituation zu bewältigen, sind sie aufzulösen. Die Ermächtigung für Notsituationen wurde von der Verfassung – in Abweichung von der Schuldenbremse –ausschließlich als Instrument zur temporären Krisenbeherrschung bereitgestellt. Das grundsätzliche Verbot der Erzielung von Einnahmen aus Krediten würde ausgehöhlt, wenn der Haushaltsgesetzgeber in Notsituationen Kreditermächtigungen beschließen kann und die spätere Verwendung der Einnahmen aus diesen Krediten dann in einem nur losen oder gar keinem Zusammenhang zu der veranlassenden Notsituation steht.
Lindners Booster und das Grundgesetz
Die geplanten Zuweisungen an den Klima- und Energiefonds verfehlen diese finanzverfassungsrechtlichen Anforderungen. Zum einen sollen bestehende Kreditermächtigungen verwendet werden, um „Planungssicherheit für langfristige Investitionen“ zu schaffen. Nach dem zuvor Gesagten fehlt es insofern allerdings bereits konzeptionell an der temporären Konnexität zwischen der die Kreditaufnahmen rechtfertigenden Corona-Pandemie und der nunmehr beabsichtigten nachhaltigen Stärkung von Wachstumsaussichten. Investitionen, die ihre Wirkung erst in künftigen Haushaltsjahren entfalten werden, sind ob ihrer zukunftsgerichteten Wirkungsweise in zeitlicher Hinsicht nicht zwingend für die kurzfristige Erhaltung staatlicher Handlungsfähigkeit geboten. Sie tragen nicht zur unmittelbaren Überwindung der Notlage bei.
Insbesondere das durch den Finanzminister angeführte Argument, Investitionen seien konjunkturbedingt aufgeschoben worden, trägt dabei nicht. Eine – durch die Corona-Pandemie angestoßene – konjunkturelle Notsituation kann es nicht rechtfertigen, Notkredite für andere Zwecke als die Krisenbewältigung zu verwenden. Konjunkturelle Entwicklungen sind im Rahmen der Schuldenregel durch die speziellere Konjunkturkomponente des Art. 115 Abs. 2 S. 3 GG zu berücksichtigen. Dies bedeutet, dass eine länger anhaltende, negative konjunkturelle Entwicklung – auch wenn möglichweise initial durch eine Notlage angestoßen – auf der Grundlage der Konjunkturklausel des Art. 115 Abs. 2 S. 3 GG, nicht aber durch Staatsausgaben zu bewältigen ist, die durch Einnahmen aus Notkrediten nach Art. 115 Abs. 2 S. 6 GG gedeckt werden. Außergewöhnliche Notsituationen können nicht zugleich „normale“ konjunkturelle Schwankungen darstellen.
Auch materiell fehlt der Intention der Koalition, durch Umwidmung der Notkredite Klimaschutzpolitik zu betreiben, der Konnex zur pandemischen Notsituation. Daran vermag auch der Verweis auf den Klima-Beschluss des BVerfG nichts zu ändern. Um der im Beschluss genannten Verantwortung gegenüber künftigen Generationen gerecht zu werden, dürfen keine Kreditermächtigungen missbraucht werden, die der akuten Bewältigung der Corona-Pandemie zu dienen bestimmt sind.
Insoweit ist zu beachten, dass der Energie- und Klimafonds bereits vor 10 Jahren aufgelegt wurde und Zuweisungen an diesen ein lange bekanntes politisches Ziel fördern. Kreditermächtigungen für Notsituationen werden also dazu genutzt, politische Programme zu beschleunigen, die schon vor Eintritt der Notlage geplant und im Haushalt vorgesehen waren. Kreditaufnahme zur Krisenbewältigung wird zum Instrument dauerhafter Haushaltsführung. Sie wurde von der Verfassung aber ausschließlich als Instrument zur temporären Krisenbeherrschung bereitgestellt. Für diesen Zweck nicht notwendige Kreditermächtigungen sind aufzulösen.
Kläger gesucht
Ob der Nachtragshaushalt, sofern ihn der Bundestag verabschiedet, mit verfassungsgerichtlicher Kontrolle zu rechnen hat, ist offen. Wünschenswert wäre dies, um Maßgaben für die Haushaltsführung speziell in den kommenden vier Jahren zu erhalten. Dass die Koalition sich auf eine Änderung der verfassungsrechtlichen Schuldenregel verständigen kann, erscheint angesichts der angesprochenen Differenzen unwahrscheinlich. Umso entscheidender wäre es, durch eine Normenkontrolle des Haushaltsgesetzes den verfassungsrechtlichen Rahmen für die Verwendung von Kreditermächtigungen zu klären.
Eine solche hat etwa die Fraktion der CDU/CSU bereits angekündigt und wäre ihr mit mehr als einem Viertel der Mitglieder des Bundestages nach § 76 BVerfGG möglich. Insoweit sei darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung in dieser Sache durchaus Auswirkungen auf die Landespolitik entfalten könnte: Neben anderen finden sich auch in den unionsregierten Ländern Bayern und Schleswig-Holstein Beispiele für zweckfremd verwendete Notkredite.
Auch diese Beispiele verdeutlichen, mit welch bemerkenswerter Leichtigkeit in der Politik gegenwärtig über die verfassungsrechtlichen Vorgaben der Schuldenbremse hinweggegangen wird. Wenngleich eine Grundgesetzänderung mit dem Ziel eines klareren (Investitions-)Rahmens zukünftig sicherlich erwogen werden kann, verbleibt für die nähere Zukunft nur die Hoffnung auf deutliche Worte aus Karlsruhe.
Herzlichen Dank für den Beitrag.
Ich hätte aber ein paar Nachfragen, zu einigen Aspekten, die mir in der Bewertung etwas kurz kommen:
1. Wann genau dienen Kreditaufnahmen der Krisenbewältigung? Anders gewendet: Wie eng muss der Zusammenhang zur konkreten Krise sein und kommt es hier nicht auch auf die konkrete Art der Krise an? Immerhin sind die wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronapandemie enorm, halten noch möglicherweise jahrelang an. Zudem ist die wirtschaftliche Situation weiterhin volatil, wie Omikron hier wirken wird, wird man sehen. Zur Sicherung nachhaltiger Erholung dürfte das Argument Planungssicherheit für private Investitionen jedenfalls nicht ganz von der Hand zu weisen sein. Mit dem Fonds besteht jedenfalls Sicherheit, dass diese Mittel auch in den nächsten Jahren bereit stehen. Jedenfalls wird dadurch auch der durch die Coronapandemie angeschlagenen Wirtschaft geholfen. Dass der Fonds selbst älter ist, spielt insofern sicher keine Rolle – es geht ja allein darum die gesamtwirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzumildern. Insofern unterscheidet sich eine mehr als zweijährige und weiterhin nicht überwundene Pandemie doch erheblich von einer Flutkatastrophe, deren konkrete Folgen sich sehr genau beziffern lassen, da sie regional stark begrenzt sind. Die Begrenzung auf “unmittelbare” Folgen der Notsituation will in einem solchen Fall nicht so recht passen (findet sich ja auch nicht im GG). Im Übrigen dürfte doch auch die gesamtwirtschaftliche Verantwortung des Bundes in die Auslegung des Art. 115 Abs. 2 GG hineinspielen. Auch der Sachverständigenrat hat darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung weiterhin erhebliche Risiken bestehen und die Bedeutung privater Investitionen hervorgehoben.
2. Ließe sich nicht argumentieren, dass die Anforderungen an den Verursachungszusammenhang mit der konkreten Krise sinken, je mehr die Ausgaben dem Zweck des Art. 115 Abs. 2 GG nicht nur nicht widersprechen, sondern diesen sogar fördern? Heutiger Klimaschutz ist ja gerade Schutz künftiger Generationen vor enormen finanziellen Belastungen in der Zukunft – und genau die will ja auch Art. 115 Abs. 2 GG verhindern. Das heißt nicht, dass es keinerlei Konnexität zur Krise mehr bedarf aber die Anforderungen könnten vor diesem Hintergrund doch gesenkt werden. Das gilt erst Recht in einem Umfeld, in dem die finanziellen Belastungen zukünftiger Generationen (ohnehin kein wirklich überzeugendes Argument) der Schuldenaufnahme aufgrund der aktuellen Zinskonditionen äußerst gering ausfallen. Erneut: Die Situation ist in der Coronapandemie deutlich anders als bei sonstigen kurzfristigen Notsituationen.
3. Gibt es einen Unterschied zur Zuführung von 28 Milliarden an den Energie- und Klimafonds im letzten Jahr durch die Große Koalition, die hierfür im Zweiten Nachtragshaushalt 2020 sogar die Kreditermächtigungen ausgeweitet hat?
4. Wie beurteilen Sie die ebenfalls erfolgte rückwirkende Änderung der buchhalterischen Behandlung von Sondervermögen im Hinblick auf die Schuldenbremse?
Vielen Dank!
Alexander Thiele
Lieber Herr Professor Thiele, haben Sie vielen Dank für die hilfreichen Anmerkungen. Sie treffen mit den Ausführungen einen Nerv, der m.E. deutlich macht wie schwierig die Bestimmung der Konvexität im Einzelfall sein kann. Ich möchte probieren, auf ihre Punkte einzugehen.
1. Sie haben absolut recht, dass sich die Pandemiesituation samt ihrer Folgen erheblich von einer Flutkatastrophe o.ä. unterscheidet. Gleichwohl droht die Schuldenbremse unterlaufen zu werden, sollte man den (materiellen und temporären) Konnex nicht dahingehend verstehen, dass es bei den Ausnahmen i.S.d. Art. 115 Abs. 2 S. 6 GG um punktuelle Reaktionen auf exogene Einwirkungen handeln muss. Für langfristige, konjunkturelle Folgen findet sich die Lösung in Art. 115 Abs. 2 S. 2 GG. Letztlich hängt hier alles von der konkreten Abgrenzung im Einzelfall ab; bei der Terminologie des Grundgesetzes ist es zudem nicht fernliegend, dass der Grundgesetzgeber mehrjährige Notsituationen (wie sie sich derzeit abzeichnen) gar nicht in den Blick genommen hat. Möglicherweise wird man dem Gesetzgeber daher eine gewisse Entscheidungsprärogative zubilligen müssen – inwieweit die Planungssicherheit für private Investitionen nach mehreren Jahren Pandemie noch von diesem Spielraum erfasst sind ist letztlich eine Frage der Betrachtungsweise.
2. Dieser Anknüpfungspunkt ist äußerst interessant und wäre m.E. im Ergebnis auch durchaus wünschenswert. Allerdings findet sich für die Absenkung des Konnexitätserfordernis keinerlei Anhaltspunkt im Wortlaut der Vorschrift. Dass der telos des Art. 115 Abs. 1 u. 2 GG im Allgemeinen darauf ausgerichtet ist, künftige Generationen zu schonen, leuchtet ein. Allerdings könnte man den Spieß ja auch umdrehen, indem man daraus eine besonders restriktive Auslegung des Art. 115 Abs. 2 S. 6 GG folgert. Für eine ihrem Vorschlag entsprechende Handhabung bedürfte es womöglich einer (sinnvollen) Verfassungsänderung.
3. Auch dieser Haushalt hatte erhebliche finanzverfassungsrechtliche Bedenken zur Folge (vgl. insb. das Gutachten von Christoph Gröpl zum 2. Nachtragshaushalt bzw. NJW 2020, 2523 ff.).
4. Dieser Aspekt ist im Hinblick auf Art. 110 I 1 Hs. 2 GG durchaus fragwürdig und wäre womöglich Anlass für einen eigenen Beitrag. Vielleicht so viel: Der großzügige Rückgriff auf Sondervermögen stellt per se eine nicht unerhebliche Gefahr für das Budgetrecht des Bundestags dar.
Ich hoffe, Ihre Fragen – zumindest teilweise – beantworten zu können.
Herzliche Grüße
Nicolas Harding