Behindert die Forschungsfreiheit die Durchsetzung von Strafverfolgungsinteressen – oder umgekehrt?
Gegen einen wegen Drogendelikten inhaftierten Strafgefangenen besteht der Verdacht, er beteilige sich von Deutschland aus an einer ausländischen terroristischen Vereinigung, dem so genannten Islamischen Staat. Den Ermittlungsbehörden ist bekannt, dass sich der verdächtige Strafgefangene vor seiner im Juli 2015 erfolgten Einreise nach Deutschland im Irak an den Aktivitäten der Terrororganisation beteiligt hatte. Der aktuelle Tatverdacht der (weiteren) mitgliedschaftlichen Beteiligung am „Islamischen Staat“ von Deutschland aus beruht auf dem Hinweis eines Mitgefangenen des Verdächtigen. Bei ihren Ermittlungen stoßen die Beamten auf das Forschungsprojekt eines bayerischen Hochschullehrers zur „Islamistischen Radikalisierung im Strafvollzug“. Im Zuge des Projekts war der Strafgefangene in der Haftanstalt interviewt worden.
Auf die telefonische Nachfrage der Polizei teilt der betroffene Hochschullehrer mit, von dem Interview sei ein Gesprächsmitschnitt ebenso wie ein Gesprächsprotokoll vorhanden. Wegen der dem Interviewten zugesicherten Vertraulichkeit des Gesprächs, werde er aber weder Unterlagen herausgeben, noch Auskunft über Gesprächsinhalte erteilen. Daraufhin erwirken die Ermittler einen richterlichen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss. Bei der Durchsuchung der Lehrstuhlräume werden die Audiodatei des Interviews mit dem Verdächtigen sowie weitere Unterlagen kopiert, darunter eine Liste der insgesamt 31 in Haft interviewten (ehemaligen) IS-Angehörigen. Im Ergebnis bestätigt sich der Verdacht nicht, das Verfahren wird eingestellt.
Für den Hochschullehrer mit dem Fachgebiet Psychologische Diagnostik, Methodenlehre und Rechtspsychologie begründen die Vorgänge einen kaum wieder gut zu machenden Schaden: Die interviewten Personen hatten sich auf die zugesicherte Vertraulichkeit des Gesprächs verlassen und über Persönliches berichtet – über ihre Familie und Kindheit, über Religion und Politik. Etwaige Straftaten waren nicht Gegenstand der Interviews. Und doch gerieten Gesprächsinhalte in die Hände der Strafverfolgungsorgane und wurden zur Aufklärung des Verdachts eines Verbrechens der Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach §§ 129a Abs. 1 Nr. 1, 129b Abs. 1 StGB herangezogen.
Es geht bei diesem Schaden nicht nur um die unmittelbar angerichtete Zerstörung eines Vertrauensverhältnisses im Rahmen des konkret betroffenen Forschungsprojekts, sondern auch und vor allem, um eine grundsätzliche Gefährdung empirischer Forschung. Wie sollen Forschende Informationen erhalten, wenn ihre Gesprächspartner nicht ausschließen können, dass Strafverfolgungsbehörden sich Zugriff auf Gesprächsinhalte verschaffen? Wie sollen Erkenntnisse über die Ursprünge und Wirkmechanismen von Radikalisierungsprozessen gesammelt werden, wenn Insiderwissen nicht erlangt werden kann, weil die Preisgabe von Informationen mit einem nicht ausschließbaren Strafverfolgungsrisiko behaftet ist?
Der Vorfall stieß auf ein breites Medienecho (siehe z.B. hier, hier, hier und hier) und der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Forschungsverbund „Radikalisierung im digitalen Zeitalter“ verband seinen Protest mit dem Appell „Verteidigt die Forschungsfreiheit!“ (veröffentlicht u.a. im Sonderheft Neue Kriminalpolitik 32 (2020) 249 ff. zu Wissenschaftsfreiheit und funktionstüchtiger Strafrechtspflege mit Beiträgen von Sachs, Gleß und Lehmann/Leimbach).
Strafprozessuales – war der richterliche Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss rechtmäßig?
Im Ergebnis nein. Die Ermittlungsrichterin verweist in dem Beschluss (OLG München vom 23.1.2020, Az. OGs 19/20) darauf, die begehrten Gegenstände unterlägen der Beschlagnahme gem. §§ 94, 98 StPO, da kein Beschlagnahmeverbot nach §§ 97 Abs. 1 Nr. 1, 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO bestehe. Das trifft in der Tat zu: Das in den zitierten Vorschriften vorgesehene Zeugnisverweigerungsrecht für Berufsgeheimnisträger wie (u.a.) psychologische Psychotherapeuten dient dem Schutz des Behandlungsverhältnisses durch die Sicherung von Vertraulichkeit. Da die gegenständlichen Interviews nicht innerhalb eines solchen Behandlungsverhältnisses erfolgten, ist der Schutz des Zeugnisverweigerungsrechts nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO auch nicht einschlägig. Der Beschluss verweist insoweit zutreffend auf den wissenschaftlichen Zweck des Interviews. Unverständlich ist aber, dass eine Beschlagnahmefreiheit der begehrten Objekte angesichts dieses Forschungskontexts nicht einmal erwogen wird. Die Konsequenzen der strafprozessualen Ermittlungsmaßnahme für das konkrete Forschungsprojekt werden vollständig ausgeblendet – ebenso wie die durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützte Forschungsfreiheit des betroffenen Wissenschaftlers.
Weil das OLG damit die dem Forscher zukommende Grundrechtsgewährleistung vollständig außer Betracht ließ, liegt eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts nahe (BVerfG, Beschl. v. 27.6.2018 – 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17 (Jones Day), Rn. 69, 71). Es ist deshalb zu hoffen, dass das BVerfG im Rahmen der zwischenzeitlich erhobenen Verfassungsbeschwerde eine angemessene Berücksichtigung der Wissenschaftsfreiheit sicherstellt. Schon weil diese Grundrechtsgewährleistung vollständig übersehen wurde, ist ein Erfolg der Verfassungsbeschwerde wünschenswert. Zu hoffen ist aber auch, dass sich das BVerfG grundsätzlich zur Forschungsfreiheit und einem Zeugnisverweigerungsrecht für empirische Sozialwissenschaftler klar positioniert. Denn hier ist die Rechtslage nicht ganz eindeutig.
Privilegierung empirischer Sozialforschung?
Empirisch arbeitende Sozialwissenschaftler gehören nicht zu den in § 53 StPO aufgeführten Berufsgeheimnisträgern und sind deshalb nicht durch ein Zeugnisverweigerungsrecht im Hinblick auf erhobene Forschungsdaten geschützt. Schon seit den 1970er-Jahren fordern Wissenschaftler deshalb ein strafprozessuales Zeugnisverweigerungsrecht (und darauf aufbauend die Beschlagnahmefreiheit) für Informationen aus Forschungsprojekten der empirischen Sozialforschung. Mehrere konkrete Formulierungsvorschläge liegen vor (vgl. nur die Publikationen rund um den Alternativentwurf Zeugnisverweigerungsrechte). Bislang ist der Gesetzgeber diesen Forderungen nicht nachgekommen.
Stattdessen behilft man sich mit einer Parallele zum Zeugnisverweigerungsrecht der Presse. § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO gewährt „Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von Druckwerken, Rundfunksendungen, Filmberichten oder der Unterrichtung oder Meinungsbildung dienenden Informations- und Kommunikationsdiensten berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben“ das Recht zur Zeugnisverweigerung über die Identität von Informanten und die Inhalte berufsbezogener Wahrnehmungen, die Gegenstand des redaktionellen Teils von Publikationen sind. Empirische Sozialforscher werden üblicherweise wie Presseangehörige privilegiert, weil sie ihre Forschungsergebnisse in aller Regel veröffentlichen und insoweit genau wie Journalisten auf Publikationen abzielen. Der gesamtgesellschaftliche Nutzen wissenschaftlicher Erkenntnis einerseits und journalistischer Information andererseits weisen auch durchaus Parallelen auf. Gewonnene Erkenntnisse und Informationen fließen in die demokratische Kontrolle allen staatlichen Handelns ein. Kriminalpsychologische Erkenntnisse etwa bilden einen wichtigen Bestandteil einer evidenzbasierten Kriminalpolitik. Die Forschungsfreiheit empirischer Sozialwissenschaftler verdient deshalb einen gleichwertigen Schutz wie die Pressefreiheit.
Hätten die bayerischen Ermittlungsbehörden diese Argumentation berücksichtigt, so hätten sie dem Hochschullehrer ein Zeugnisverweigerungsrecht entsprechend § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO zubilligen und die verweigerte Herausgabe der begehrten Gegenstände mit Blick auf deren Beschlagnahmefreiheit gem. § 97 Abs. 5 S. 1 StPO akzeptieren müssen. Auch nach dieser Einordnung war das Vorgehen der Ermittlungsbehörden im vorliegenden Fall also rechtswidrig.
Allerdings wird diese Konstruktion zur Begründung eines Zeugnisverweigerungsrechts der Situation von Wissenschaftlerinnen nicht vollständig gerecht. Durch die Anknüpfung an die Publikationstätigkeit erfolgt eine einseitige Betonung des publizistischen Outputs, die die Breite wissenschaftlicher Forschung nicht hinreichend abbildet. Es mag zwar sein, dass Wissenschaftler typischerweise auf die Publikation ihrer Forschungsergebnisse hinarbeiten, nicht jede Forschungstätigkeit zielt aber unmittelbar auf eine Publikation ab. Wissenschaft ist auch nicht nur dann Wissenschaft, wenn sie die Publikation von Forschungsergebnissen bezweckt. Die Freiheit der Wissenschaft meint nicht nur Publikationsfreiheit, sondern soll die auf Erkenntnisgewinn gerichtete Tätigkeit des Wissenschaftlers insgesamt sichern.
Wissenschaftsfreiheit!
Der durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG vorbehaltlos gewährte Schutz der Wissenschaftsfreiheit umfasst auch die Wahl der angewandten Methode. Wenn aber empirisch arbeitende Sozialwissenschaftlerinnen bei ihrer Tätigkeit den Zugriff von Strafverfolgungsorganen auf Gesprächsinhalte fürchten müssen, dann sind Vertraulichkeitszusagen insoweit nicht möglich. Kriminologen beginnen deshalb Interviews typischerweise mit einem Hinweis auf ihr fehlendes Zeugnisverweigerungsrecht (Meier, KriPoZ 2020, 1, 6). Radikalisierungsforschung ebenso wie kriminologische Dunkelfeldforschung sind unter diesen Bedingungen nicht sinnvoll durchführbar, denn sie sind auf die rückhaltlose Offenheit der Gesprächspartner angewiesen. Dass bei einer verlässlichen Vertraulichkeitszusage ein deutlich höherer Erkenntnisgewinn zu erzielen wäre, liegt auf der Hand. Kriminologische Forschung wird durch die derzeitige Rechtslage also erheblich behindert. Da hilft es wenig, wenn ein mit der Sache befasster Oberstaatsanwalt seiner Unbedenklichkeitsnote im vorliegenden Fall den tröstlich gemeinten Hinweis anfügt, es handle sich bei dem Vorgang um einen extrem seltenen Einzelfall. Das überzeugt schon wegen der Auswirkungen des Falles über den konkreten Sachverhalt hinaus nicht. Die heftige Reaktion der scientific community macht den angerichteten Flurschaden sehr deutlich.
Es fragt sich deshalb, ob ein Zeugnisverweigerungsrecht unmittelbar aus der in Art. 5 Abs. 3 GG niedergelegten Wissenschaftsfreiheit abgeleitet werden kann. In bestimmten Konstellationen, so das BVerfG, können Grundrechtsgewährleistungen unmittelbar aus der Verfassung abgeleitete Beweiserhebungsverbote begründen (BVerfGE 25, 296, 305; 36, 193, 211; 38, 103, 105). Da das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit vorbehaltlos gewährt ist, käme ein solches selbstständiges Beweiserhebungsverbot prinzipiell in Betracht. Allerdings ist insoweit ein Ausgleich mit dem entgegenstehenden Interesse der „Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“ vorzunehmen. Das BVerfG hatte bereits im Jahr 1972 dem Ruf nach einer erweiternden Auslegung des § 53 StPO für „Sozialarbeiter“ den Wert einer „funktionsfähigen Strafrechtspflege“ (BVerfGE 33, 367) entgegengehalten: „Soweit der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit die Idee der Gerechtigkeit als wesentlichen Bestandteil enthält, verlangt er auch die Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Rechtspflege, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann“. Weiterhin verweist das BVerfG in dieser Entscheidung auf die „unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung – die Aufklärung schwerer Straftaten als wesentlichen Auftrag eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens.“
Die Hürden für die Gewährung eines verfassungsunmittelbaren Zeugnisverweigerungsrechts liegen damit hoch – und es bedarf jeweils einer Einzelfallabwägung der konkret widerstreitenden Interessen. Dabei wächst das Strafverfolgungsinteresse, je schwerwiegender die in Rede stehende Straftat ist und je schwerer der Verdacht wiegt. Das hat zur Folge, dass beim Verdacht schwerer Straftaten – z.B. der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung – das Pendel typischerweise zugunsten der Strafrechtspflege ausschlägt. Eine verlässliche Grundlage zielführender sozialwissenschaftlicher Forschung ist damit nicht zu erreichen. Der schwankende Boden einer Parallele zum publizistischen Zeugnisverweigerungsrecht würde beim Rekurs auf ein verfassungsunmittelbares Zeugnisverweigerungsrecht gegen eine ebenso schwankende Grundlage im verfassungsrechtlichen Abwägungsfeld eingetauscht. Für die betroffenen Wissenschaftlerinnen ist so keine hinreichende Rechtssicherheit zu gewinnen.
Angemerkt sei an dieser Stelle, dass die Gewährung eines strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts nicht etwa die Gefahr begründen würde, dass Wissenschaftler zu Mitwissern terroristischer Anschlagspläne werden, ohne aktiv werden zu müssen. Es geht hier nicht um Gefahrenabwehr. Erlangen Wissenschaftler im Rahmen ihrer Arbeit Kenntnis von bevorstehenden terroristischen Aktivitäten, so trifft sie selbstverständlich die Pflicht, dies den Strafverfolgungsbehörden unverzüglich anzuzeigen. § 138 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StGB bedrohen die Nichtanzeige geplanter terroristischer Vorbereitungshandlungen von Einzeltätern nach § 89a StGB (etwa das Unterweisen einer anderen Person in der Verwirklichung terroristischer Anschläge) ebenso wie der in §§ 129a, 129b StGB enthaltenen Organisationsstraftaten mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.
Die merkwürdigen Konsequenzen der Entscheidung
Wegen der Untätigkeit des Gesetzgebers ist die empirische Sozialforschung gewissermaßen dem unausgesprochenen Goodwill der Justizpraxis ausgeliefert, die die notwendige Sensibilität walten lassen mag – oder eben auch nicht, wie der berichtete Sachverhalt eindrucksvoll belegt.
Das beschädigt nicht nur die Forschungsinteressen der individuell betroffenen Wissenschaftlerinnen, sondern es richtet auch weiteren Schaden an. Dabei geht es nicht nur um die Freiheit von Wissenschaft und Forschung, sondern auch und gerade im Zusammenhang mit terrorismusbezogener Radikalisierungsforschung um ein übergeordnetes gesellschaftliches Interesse: Erkenntnisse über die Herausbildung terroristischer Strukturen und die Radikalisierung von Personengruppen sind hier von entscheidender Bedeutung.
Nur zwei Beispiele: Wie wollen wir jemals verstehen, wie es sein kann, dass behütete Teenager aus wohlgeordneten Elternhäusern, denen es vermeintlich „an nichts fehlt“ dem Charme einer islamistischen „Ideologie“ erliegen und nach Syrien reisen, einen „Kämpfer“ heiraten und begeistert den „bewaffneten Kampf“ in der Rolle der treusorgenden Hausfrau und Mutter von „Nachwuchskämpfern“ unterstützen? Wie wollen wir jemals erfahren, wie antisemitische und rechtsradikale Tendenzen in Chatgruppen der Polizei entstehen und über lange Zeiträume aufrechterhalten werden?
Die sozialwissenschaftliche Erforschung solcher Prozesse ist unabdingbar, um ihrer Entwicklung frühzeitig Einhalt zu gebieten und die Stärkung einer Gegenkultur der Freiheitlichkeit und der Achtung menschenrechtlicher Errungenschaften zu unterstützen. Diese Prävention im Vorfeld ist es, die die Arbeit empirischer Sozialwissenschaftler gerade im Bereich der Kriminologie so wichtig macht. Die insoweit einzufordernde Zurückhaltung der Strafverfolgungsorgane dient letztlich demselben Zweck wie die tatbestandliche Ausgestaltung moderner Terrorismusdelikte. Straftatbestände knüpfen nicht erst an „den Anschlag“ an, sondern Terroranschläge sollen schon in ihrem Vorfeld verhindert werden. Um diesen Zweck mit strafrechtlichen Mitteln zu erreichen, bedrohen Straftatbestände bereits das Vorbereitungsstadium des eigentlichen terroristischen Anschlags in nahezu alle denkbaren Richtungen. Doch auch die immer weiter reichende Vorfeldkriminalisierung terroristischer Handlungen hat dieses Kriminalitätsphänomen bislang nicht erfolgreich verdrängt.
Strafrecht allein kann Terrorismus nicht beseitigen. Terrorismusprävention muss deshalb einem ganzheitlichen Ansatz folgen. Dabei sollte das Hauptaugenmerk darauf liegen, die Radikalisierung von Personen zu verhindern. Um das sinnvoll tun zu können, muss man lernen, wie Radikalisierung „funktioniert“. Wertvolle Informationsquellen sind hier Personen, die der Szene entstammen und vorbehaltlos über ihren „Werdegang“ berichten. Und genau deshalb war das Vorgehen der Ermittlungsbehörden in dem gegenständlichen Fall im höchsten Maße kontraproduktiv.
Der Gesetzgeber ist gefragt!
Der Gesetzgeber sollte – auch und gerade im Interesse einer Sicherung der Strafrechtspflege durch den gezielten Einsatz von Ressourcen – dringend nachjustieren und ein (mit einem Beschlagnahmeverbot verbundenes) projektbezogenes Zeugnisverweigerungsrecht für Wissenschaftlerinnen einführen, die im institutionellen Rahmen einer öffentlichen Hochschule oder einer vergleichbaren wissenschaftlichen Forschungseinrichtung Forschungsprojekte auf dem Gebiet der empirischen Sozialforschung durchführen. Notwendig ist eine sehr klare und trennscharfe gesetzliche Regelung. Wählt man stattdessen eine Abwägungslösung, so müsste sich die Forschungsfreiheit gegen die vom BVerfG betonten Interessen an einer funktionsfähigen Strafrechtspflege durchsetzen. Diese Interessen werden jeweils durch das Gewicht der gegenständlichen Straftat und des Verdachts konkretisiert. Wenn aber diese Kriterien in einen Abwägungsprozess einfließen, so führt das zu dem Effekt, dass freie Forschung umso unfreier wird, je gewichtiger der betroffene Kriminalitätsbereich ist. Terrorismus bietet hierfür nur ein eindrückliches Beispiel, ließe sich aber gut um alle denkbaren Bereiche organisierter Kriminalität ergänzen. Konsequenz einer solchen Abwägung wäre, dass der Schutz empirischer Forschung umso geringer wird, je schwerwiegender das behandelte Kriminalitätsphänomen ist. Damit verschlechtern sich die Forschungsaussichten, je größer das gesellschaftliche Interesse am Erkenntnisgewinn zu diesen Kriminalitätsbereichen ist. Und das dient weder der Wissenschaft noch der Strafrechtspflege.
Das BVerfG tätig in keiner der im vierten Abschnitt zitierten Entscheidungen die Aussage(n), die ihm hier in die Feder gelegt werden. Dort wird lediglich angegeben, dass darüber nicht zu entscheiden sei und es so sein könnte.
Aus Art. 5 III 1 GG unmittelbar ein ZVR abzuleiten, liegt – wenn man die Rechtsprechung wirklich kennt – äußerst fern. Nur als Beispiel: Der 1. Strafsenat hat zuletzt nur damit sympatisiert, ob selbst Arztgespräche abseits von § 53 StPO per se einem unantastbaren Bereich zugeordnet werden, der sich aus der Verfassung ableitet (das Arztverhältnis muss freilich von Art. 1 I 1 GG geschützt sein). Die Auslegung des § 53 I Nr. 5 StPO im Lichte des Art. 5 III 1 GG ist nicht mit der Ableitung eines ZVR unmittelbar aus der Verfassung gleichzusetzen.
Auf diesem Nievau bewegt sich bislang die gesamte Debatte im Blog. Die Beiträge sind aus dem Elfenbeinturm verfasst und (schlimmer) selbst aus dieser Perspektive sind sie nur oberflächlich zutreffend. Das mag man nun als Gehässigkeit empfinden: Aber so wird es keinen Praktiker überzeugen und die Praktiker, die schon wissen, dass sie nicht überzeugt werden wollen, finden diese Schwachstellen innerhalb kurzer Zeit, legen sie offen und haben ihre Begründung. Das richtige Anliegen der Sozialforscher wird verhüllt.
An diesem Beitrag ist jedoch der letzten Absatz positiv hervorzuheben. Dass es für das ZVR eine äußerst präzise Grundlage bedarf, ist der richtige Ansatz. Nicht richtig ist aber, das an den Verdacht und nicht die konkrete Tätigkeit zu knüpfen. Denn sonst ist das ZVR in der Praxis wertlos, weil es a) immer nur ex-ante bewertet werden kann, b) der Verdacht generell ein unklares Konstrukt ist und c) sonst nie die Sicherheit besteht, die die Sozialforscher wollen (und wollen dürfen), weil sie ja selbst vorher nie wissen, was ihnen gegenüber geäußert werden wird und ob sie ihre Zusagen dann einhalten können.
Kein Beitrag befasst sich damit, was ein ZVR eigentlich bedeutet und warum auch seine (irrige) Annahme verfassungswidrig sein kann. Ein ausgeübtes ZVR steht in seiner (praktischen) Wirkung noch über einem BVV und dem muss man sich bewusst sein! Das ist in einem Verfahren, das auf Wahrheitsfindung zielt und nur mit diesem Wahrheitsanspruch den massivsten Grundrechtseingriff überhaupt rechtfertigen kann, ein ziemliches “Pfund”.