(Blood) Diamonds are a Company’s Best Friend?
Zu besonderen menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten von Unternehmen in Konflikt- und Hochrisikogebieten
Krieg ist nicht nur ein schmutziges Geschäft, sondern auch ein lukratives. Ein berühmt-berüchtigtes Beispiel dafür sind die sog. „Blood Diamonds“ (Blutdiamanten, vgl. die Kimberley Resolution), die in Konfliktgebieten in verschiedenen afrikanischen Ländern illegal geschürft und von transnationalen Unternehmen gekauft werden. Der so erwirtschaftete Erlös wird in großen Teilen zur Finanzierung bewaffneter Gruppen genutzt, was die bestehende Konflikte in der Region verschärft. Ein anderes aktuelles Beispiel, das die Verstrickung von Unternehmen in Kriegspraktiken aufzeigt, sind die strafrechtlichen Untersuchungen gegen das französische Unternehmen Lafarge für seine Aktivitäten während des syrischen Bürgerkriegs. Lafarge wird u.a. Finanzierung von Terrorismus und Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen, nachdem es für den Weiterbetrieb seiner Werke finanzielle Absprachen mit verschiedenen bewaffneten Gruppen eingegangen, Rohmaterialien von ihnen erworben und insgesamt 13 Millionen Euro an den Islamischen Staat gezahlt haben soll (cf. eine Darstellung des Sachverhaltes und Gang des Verfahrens).
Relevanz des Themas
In Konfliktgebieten, wo staatliche Akteure oft schwach sind, finden gravierende Menschenrechtsverletzungen mit Bezug zu Unternehmen besonders häufig statt. Gerade hier können Unternehmen sich nicht schlicht darauf berufen, die nationalen Gesetze (soweit diese überhaupt bestehen) eingehalten zu haben. Darüber hinaus gehende menschenrechtliche Sorgfaltspflichten im Recht der Heimatstaaten transnationaler Unternehmen sind in diesen Situationen essentiell, wo unternehmerische Entscheidungen sich schnell zu Fragen von Leben und Tod entwickeln.
Diese Erkenntnis ist nicht neu. Vielmehr hat die Frage nach der unternehmerischen Verantwortung in Konfliktgebieten von Beginn die Debatte um Wirtschaft und Menschenrechte mitgeprägt. So wurde bei der Ausarbeitung des Rom-Statuts in den 1990er Jahren auch über Straftatbestände für Unternehmen diskutiert. Auch im sogenannten Ruggie-Prozess in den 2000er Jahren wurde das besondere Risiko unternehmerischer Tätigkeit in Konfliktgebieten von Anfang an betont (Cf. Ruggies Bericht speziell hierzu). Und gerade auch in Deutschland ist die Verwicklung von Unternehmen in schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen zu Kriegszeiten, inklusive Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ein historisch bedeutsames Thema. Das im Zweiten Weltkrieg größte deutsche Unternehmen IG Farben beispielsweise lieferte Baustoffe für das Konzentrationslager Auschwitz, verkaufte Zyklon B. an die SS und errichtete das erste privat finanzierte Konzentrationslager (siehe für eine Übersicht zum Fall IG Farben hier; siehe zur deutschen Verantwortung, die Debatte um Unternehmen und Menschenrechte voranzutreiben (s. Beitrag von David Bilchitz).
Besondere Sorgfaltspflicht in den VN-Leitprinzipien
Die VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (kurz VN-Leitprinzipien; cf. englisches Original und deutsche Übersetzung) berücksichtigen das erhöhte Risiko in Konfliktgebieten sowohl in ihrer ersten als auch in der zweiten Säule. Staaten müssen danach besondere Maßnahmen treffen, um Unternehmen bei der Achtung der Menschenrechte (Prinzip 7 lit. b, 7 lit. c) und des Humanitären Völkerrechts (IHL) (Kommentar zu Prinzip 12) in Konfliktgebieten zu unterstützen. Staaten sollen insbesondere dazu beitragen, dass dort tätige Unternehmen nicht an Menschenrechtverletzungen beteiligt sind, unter anderem, indem sie 1. frühzeitig das Gespräch mit diesen suchen, um Risiken zu erkennen, zu vermeiden und zu mildern; 2. sie die Unternehmen unterstützen, die erhöhten Risiken abzuschätzen und ihnen zu begegnen (inklusive geschlechtsbasierter und sexualisierter Gewalt); 3. Unternehmen, die Menschenrechte verletzen und sich nicht kooperativ zeigen, den Zugang zu öffentlicher Förderung und öffentlichen Dienstleistungen verwehren; 4. in Gesetzen und der Verwaltung dem Risiko begegnen, dass Unternehmen an groben Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind.
Für Unternehmen selbst postulieren die Leitprinzipien zur Prävention einen erhöhten oder erweiterten Standard menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten in Konfliktgebieten („heightened“ oder „enhanced“ due diligence). Dies ergibt eine systematische Auslegung der Leitprinzipien. Prinzip 17 sieht vor, dass der Umfang der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht von der Größe des Unternehmens, dem Risikoder menschenrechtlichen Auswirkungen und Art und Kontext der Geschäftstätigkeit abhängt. Prinzip 7 stellt weiter klar, dass ein erhöhtes Risiko schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen in von Konflikten betroffenen Gebieten besteht. Zusammengenommen ergibt sich also eine gesteigerte Sorgfaltspflicht. Auch die Praxis der VN Hochkommissars für Menschenrechte (Cf. Antwort Nr. 22 hier) und die VN-Arbeitsgruppe für Wirtschaft und Menschenrechte“ (Cf. S. 23 hier) unterstreichen das Konzept der erhöhten oder erweiterten Sorgfaltspflichten.
Was genau dieser erhöhte Standard bedeutet, ist jedoch unklar. Wenn schon „Sorgfaltspflichten“ nicht klar umrissen sind, sind es „erhöhte“ Sorgfaltspflichten erst recht nicht. Jedenfalls die Anforderungen an Intensität und Ausmaß des Human Rights Impact Assessment müssen in Konflikten wohl als gesteigert verstanden werden. Die VN-Arbeitsgruppe für Wirtschaft und Menschenrechte selbst hat ein Projekt ins Leben gerufen, das konkrete Schritte erarbeiten soll, mit denen Unternehmen, Investoren und Staaten die VN-Leitprinzipien in Konflikten und Post-Konflikt-Situationen umsetzen können. Dieses Projekt trägt Staatenpraxis und Äußerungen von Unternehmen und der Zivilgesellschaft zusammen und wird die Ergebnisse Ende 2020 präsentieren (siehe für erste veröffentlichte Stellungnahmen von NGOs hier und hier).
Darüber hinaus betonen die VN-Leitprinzipien, dass Unternehmen in bewaffneten Konflikten das IHL beachten müssen (Prinzip 12) und verweisen gerade für schwere Verletzungen der Menschenrechte und des IHL auf eine immer ausgedehntere rechtliche Haftung von Unternehmen (Prinzip 23 und Kommentar hierzu). Eine Haftung ist danach insbesondere durch extraterritoriale Zivilklagen sowie strafrechtliche Verfolgung (aufgrund der Integration von Bestimmungen des Rom Statuts in das nationale Recht) denkbar. Dies zeigt die wachsende Bedeutung von Sanktionsmechanismen gegen Unternehmen bei (schwerwiegenden) Menschenrechtsverletzungen.
Besondere Sorgfaltspflicht im aktuellen Vertragsentwurf zu Menschenrechten und Unternehmen
Wie wir an anderer Stelle bereits ausgeführt haben (siehe hier), hat die Menschenrechtsverantwortung von Unternehmen in konfliktbehafteten Gebieten, Post-Konflikt-Situationen und besetzten Gebieten Eingang in den aktuellen Entwurf (“revised draft“, RD) der “VN-Arbeitsgruppe betreffend Multinationale Unternehmen und andere Wirtschaftsunternehmen in Bezug auf Menschenrechte” („OEIGWG“, siehe hier) aus dem Jahr 2019 gefunden. Der erste Entwurf (“zero draft”, ZD) aus dem Jahr 2018 war zu dieser Frage noch sehr lückenhaft. Artikel 15 Abs. 4 ZD forderte lediglich zur „besonderen Aufmerksamkeit […] bei Geschäftsaktivitäten in Konfliktgebieten“ auf. Es ist insofern sehr begrüßenswert, dass der RD nun die erhöhten Verpflichtungen in konfliktbehafteten Regionen stärker skizziert. Präambel und Art. 14 Abs. 5 des RD benennen ausdrücklich Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht. Art. 8 Abs. 1 RD fordert sogar, dass die Verjährungsfrist in der Gerichtsbarkeit der Vertragsstaaten bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht nicht gelten soll. Der RD postuliert vor allem jedoch besondere unternehmerische Sorgfaltspflichten in Konfliktsituationen, u.a. Beratung mit „geschützten Bevölkerungsgruppen in Besetzungs- oder Konfliktgebieten“ (Art. 5 Abs. 3 lit. b RD) sowie „verstärkte Sorgfaltsmaßnahmen im Bereich der Menschenrechte“ (Art. 5 Abs. 3 lit. e RD).
Dies sind sehr erfreuliche erste Schritte. Einzelheiten bleiben allerdings weiterhin dramatisch unterbelichtet. Dringend müssen inhaltliche Konturen dieser erhöhten Sorgfaltspflichten von Unternehmen in Konfliktfällen erarbeitet werden. Insbesondere drängt sich die Frage auf, welche Folgen sich ergeben, wenn das Human Rights Impact Assessment ein hohes Risiko schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen offen legt, aber keine Maßnahmen zur Verhinderung Erfolg versprechen. Was gilt dann für Unternehmen, die eine geschäftliche Aktivität in einem Konfliktgebiet planen? Kann möglicherweise eine Verpflichtung bestehen, in Konfliktgebieten gar nicht erst zu investieren? Was gilt im Gegenzug für Unternehmen, wenn bei bereits bestehender Geschäftstätigkeit ein Konflikt ausbricht? Besteht dann eine Verpflichtung, Geschäfte in einer Region ruhen zu lassen oder zu beenden? Und wie kann einem Unternehmen der Spagat zwischen Nicht-Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen einerseits und Schutz der (lokalen) Arbeitnehmer*innen andererseits gelingen?
Fragmentierte Regulierung im Bereich Konfliktrohstoffe
Eine besonders hohe Regelungsdichte im Bereich Unternehmen und Menschenrechte in Konflikten besteht bereits zu Konfliktmineralien und sonstigen Konfliktrohstoffen (Cf. die. Kimberley Resolution und für die USA Sec. 1502 des Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act). Besonders relevant ist die neue EU Verordnung 2017/821, die Pflichten zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten in der Lieferkette für Unionseinführer von Zinn, Tantal, Wolfram und Gold aus Konflikt- und Hochrisikogebieten festlegt. Die vier Mineralien werden besonders häufig zur Finanzierung von Konflikten extrahiert. Die Verordnung tritt am 1. Januar 2021 in Kraft und basiert auf den OECD-Leitlinien für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten für Mineralien aus Konflikt- und Hochrisikogebieten (Cf. Deutsche Version). In Deutschland wurde das Durchführungsgesetz vom Bundeswirtschaftsministerium entworfen und ist bereits am 7. Mai diesen Jahres in Kraft getreten.
Die Verordnung ist bemerkenswert, da das Europäische Parlament entgegen den Plänen der Kommission und des Rates verbindliche Sorgfaltspflichten für Importeure der Rohstoffe durchsetzen konnte. Nach Artikel 5 Abs. 1 lit. b) ii) müssen Abnehmer auf Lieferanten einwirken oder falls erforderlich Druck ausüben, wobei es folgende Möglichkeiten gibt: Fortsetzung des Handels bei gleichzeitiger Durchführung messbarer Bemühungen um Risikominderung, vorübergehende Aussetzung des Handels bei Weiterverfolgung der laufenden messbaren Bemühungen um Risikominderung oder Beendigung der Beziehungen zu einem Lieferanten nach fehlgeschlagenen Versuchen der Risikominderung. Ebensolche Erwägungen mit konkreten Handlungsanweisungen, wie hier für den Fall von Konfliktrohstoffen angestellt, sind auch für die Debatte außerhalb von Konfliktrohstoffen nötig.
Leider umfasst die Verordnung nur diejenigen Unternehmen, die die Mineralien selber importieren, abbauen oder schmelzen. Unternehmen, die die Mineralien weiterverarbeiten oder bereits verarbeitet importiert haben, werden ausgeklammert. Das betrifft große Zweige der Automobil- und Elektroindustrie. Auch wurde die vom Europäischen Parlament durchgesetzte Verbindlichkeit durch sehr geringe (wenngleich theoretisch mehrfach verhängbarer) Zwangsgelder aufgeweicht (bis zu 50.000 Euro, vgl. § 9 des Durchführungsgesetzes). Immerhin hat der Sprecher für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der SPD-Bundestagsfraktion, Dr. Sascha Raabe, betont, dass die Verordnung und das Durchführungsgesetz nur ein erster Schritt seien (Bundestag, Plenarprotokoll 19/149, S. 18660), so dass noch Hoffnung auf Besserung bei der geplanten Revision der Verordnung in 2023 besteht. Für unsere Untersuchung zeigt die neue Verordnung jedenfalls, dass es auf EU-Ebene politisches Momentum gibt, verpflichtende Sorgfaltspflichten für Unternehmen in Konfliktgebieten zu erlassen.
Entwurf eines nachhaltigen Wertschöpfungskettengesetz des BMZ aus dem Jahr 2019
Wenden wir uns nun dem deutschen Wertschöpfungskettengesetz zu. Da die Präsentation eines ersten Eckpunkteplans (offiziell aus COVID-19) Gründen abgesagt wurde, entfällt an dieser Stelle die Kommentierung eines ersten Entwurfes. Naheliegender Anknüpfungspunkt ist insofern das Eckpunktepapier des BMZ, das im Februar 2019 an die Öffentlichkeit drang (Nachhaltige Wertschöpfungskettengesetz, NaWKG). Teil dessen war der Entwurf des BMZ für ein “Gesetz zur Regelung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten in globalen Wertschöpfungsketten” (Entwurf SorgfaltspflichtenG).
„Konflikt- und Hochrisikogebiete” werden hier explizit erwähnt, was zunächst einmal positiv ist. Während die VN-Leitprinzipien für alle Unternehmen gelten und in Krisengebieten erhöhte Sorgfaltspflichten formulieren, geht der BMZ-Entwurf einen anderen Weg. Er erweitert den ansonsten eingeschränkten Anwendungsbereich des Gesetzes. Während dem Entwurf nach das SorgfaltspflichtenG nämlich grundsätzlich nur auf Großunternehmen Anwendung fände (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Entwurf SorgfaltspflichtenG), soll es, unabhängig von ihrer Größe, alle Unternehmen umfassen, die selbst oder durch beherrschte Unternehmen in einem Hochrisikosektor oder in Konflikt- und Hochrisikogebieten tätig sind (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 Entwurf SorgfaltspflichtenG). Konflikt- und Hochrisikogebiete werden dabei definiert als „Gebiete, in denen bewaffnete Konflikte geführt werden oder die sich nach Konflikten in einer fragilen Situation befinden, sowie Gebiete, in denen Staatsführung und Sicherheit schwach oder nicht vorhanden sind, z. B gescheiterte Staaten, und in denen weit verbreitete und systematische Verstöße gegen internationales Recht einschließlich Menschenrechtsverletzungen stattfinden” (§ 3 Nr. 7 Entwurf SorgfaltspflichtenG). Diese (sehr weite) Definition deckt sich mit der EU Konfliktmineralienverordnung und den OECD-Leitlinien.
Der Entwurf deckt dabei drei abstrakte Gefahren ab. Die besonderen Risiken, die ausgehen von (1) großen Unternehmen (da hier oft schwieriger zu ahndende transnationale Aktivitäten bestehen), (2) solchen Unternehmen, die in bestimmten Sektoren tätig sind, sowie (3) unternehmerischer Tätigkeit in Konfliktgebieten. Übersehen wird leider die Gefahr, die von Produkten oder Dienstleistungen ausgeht, die per se ein hohes Risiko für Menschenrechtsverletzungen in sich tragen. Auf Konflikte bezogen sind dies beispielsweise Waffen, gefährliche Chemikalien, Dienstleistungen privater Sicherheitsfirmen oder sensible IT-Services. Dieser Aspekt ist angesichts Deutschlands Rüstungsindustrie und der Nutzung von Rüstungstechnologie aus Deutschland in Konfliktgebieten höchst brisant. Zwar bestehen gerade in diesem Themenbereich bereits einige Regulierungen, etwa Exportverbote. Ob diese Regelungen ausreichend sind oder ob besondere menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen, die konfliktbezogene und risikobehaftete Produkte produzieren oder anbieten, sollte im Gesetzgebungsprozess abgewogen werden.
Ausblick und konkrete Empfehlungen für ein deutsches Lieferkettengesetz
Verantwortung von Unternehmen auch über Grenzen hinweg anzuerkennen, liegt zurzeit im Trend. EU-Justizkommissar Didier Reynders hat erst vor kurzem in einem Webinar eine neue Studie der EU-Kommission vorgestellt (siehe Aufzeichnung hier), die die Notwendigkeit verbindlicher Regeln für Unternehmen unterstreicht. In diesem Zusammenhang kündigte Reynders für 2021 einen Gesetzesentwurf für ein Lieferkettengesetz auf europäischer Ebene an. Dieses solle Unternehmen zur Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards in ihren Wertschöpfungsketten verpflichten und öffentlich-rechtliche Sanktionen ebenso wie Klagemöglichkeiten für Betroffene vorschreiben. Seitens der Bundesregierung sicherten in der Vertreter*innen des Entwicklungs- und Arbeitsministeriums ihre Unterstützung für den Prozess zu (im Video hier ab 1 h 12 min) und forderten ihrerseits einen rechtlich verbindlichen und einklagbaren Sorgfaltsstandard für Unternehmen. Mit einem ambitionierten Lieferkettengesetz in Deutschland, das der Koalitionsvertrag für dieses Jahr vorsieht, würde die Bundesregierung die Debatte um Standards auf europäischer Ebene entscheidend prägen und die Basis für eine Vorreiterrolle deutscher Unternehmen bereiten.
Wie sollte nun ein solches Lieferkettengesetz gerade im Bereich der Verantwortung von Unternehmen in Konfliktgebieten aussehen? Nach vergleichender Betrachtung der verschiedenen Ansätze kommen wir zu fünf konkreten Empfehlungen, die bei der Ausgestaltung der Thematik eines Lieferkettengesetzes sowohl auf deutscher als auch auf europäischer Ebene dringend beachtet werden sollten.
Die erste Empfehlung ist einfach, aber umso wichtiger. Das Thema menschenrechtliche Unternehmensverantwortung in Konfliktgebieten darf weder im deutschen noch im europäischen Lieferkettengesetz übergangen werden. Das „Worst- Case-Szenario“ wäre, wenn im Gesetz keine oder nur rudimentäre Regelungen für diesen Bereich getroffen würden. Zu hoffen, dass allgemeine Regeln für Unternehmen und Menschenrechte auch in Krisenzeiten ausreichen, wäre nicht nur naiv, sondern auch fahrlässig.
Zweitens sollte die Beschränkung des Anwendungsbereich des Gesetzes auf Großunternehmen, der wohl grundsätzlich zu erwarten steht, nicht für Konfliktgebiete gelten. Dies würde der besonderen Problemkonstellation in Konflikten nicht gerecht. Insoweit begrüßen wir den BMZ-Entwurf aus 2019.
Drittens sollte ein Lieferkettengesetz vulnerable Gruppen grundsätzlich und speziell in Konflikten bedenken. Dies betrifft namentlich unter anderem Frauen, Kinder, LGBTTIQ*-Personen und Geflüchtete. Sexualisierte Gewalt, Kinderarbeit oder auch Zwangsarbeit treten nämlich besonders häufig in Konfliktkontexten auf. Die VN-Leitprinzipien hatten vulnerable Gruppen zumindest teilweise in den Blick genommen, indem sie geschlechtsbasierte und sexualisierte Gewalt als besondere Herausforderung für unternehmerische Verantwortung in Konflikten aufzeigen. Deutschland, das sich selbst als Vorreiter für die Rechte vulnerabler Gruppen versteht und präsentiert, sollte diesen Ansatz aufgreifen und im neuen deutschen Lieferkettengesetz auch hier ein positives Ausrufezeichen setzen.
Viertens müssen zumindest für besonders schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen im Sinne von unternehmerischer Beteiligung an Kernverbrechen nach dem Rom-Statut, die besonders häufig in Konfliktsituationen auftreten, strafrechtliche Sanktionen auch für Unternehmen selbst (im Sinne eines Unternehmensstrafrechts) klar geregelt werden. Diese sollten in einen Rahmen grundsätzlicher Sanktionsmechanismen für die Nichtbeachtung der Sorgfaltspflichten und adäquater Haftungsvorschriften eingefasst werden. (In den Worten Reynders hier: „Eine Regulierung ohne Sanktionen ist keine Regulierung“). Dabei muss Opfern eine einfache Anzeige- und Klagemöglichkeit eingeräumt werden.
Fünftens muss das Gesetz Anhaltspunkte geben, was es unter erhöhter oder erweiterter Sorgfaltspflicht von Unternehmen in Konflikten versteht. Ein solcher Ansatz böte Kohärenz mit den VN-Leitprinzipien, die dies ausdrücklich anerkennen. Auch die Regelungen zu Konfliktmaterialien bieten erste inhaltliche Annäherungen, wie eine solche Sorgfaltspflicht aussehen könnte. Das neue Gesetz muss diese Fäden aufgreifen und zusammenführen und ein Konzept für besondere menschenrechtliche Sorgfaltspflichten von Unternehmen in Konflikten vorlegen. Auch zusätzliche Begleitdokumente wie Identifizierung von Good Practices oder Fallgruppen-basierten Leitfäden für Unternehmen sind dabei möglicherweise sinnvoll. Eine wichtige Aufgabe für die gerichtliche Praxis in Anwendung des Gesetzes wird dann zukünftig darin bestehen, die im Gesetz aufgezeigten Konturen dieser besonderen Sorgfaltspflicht weiter mit Leben zu füllen.